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Potenziale der Entknappung von Wissen

Tobias Schulze

Das Phänomen File-Sharing samt wütender Gegenkampagnen, das Aufkommen innovativer Dienstleister wie Google und die Strukturkrise der etablierten Medien haben die Öffentlichkeit in die Verteilungskämpfe der Informationsökonomie einbezogen. Gründung und Erfolge der Piratenbewegung sowie das Lobbytrommelfeuer der Medienbranche machen nun auch den politischen Parteien deutlich: Das traditionelle Urheberrecht, teils zum Industrierecht verkommen, ist endgültig an eine Grenze geraten. Schnell wurde die „Leaky Pipeline“ Internet schuldig gesprochen, aus der ständig irgendwo kostbares „geistiges Eigentum“ heraussickert, ohne dass diese Löcher bürgerrechtskonform dauerhaft zu stopfen wären. Sieht man genau hin, endet die Kommodifizierung der Güter Wissen, Kultur und Information dort, wo sie sich von ihren materiellen Trägern wie Buch, CD oder DVD ablösen. Etwas, das bei zunehmender Verbreitung an Gebrauchswert gewinnt, sich nicht abnutzt und quasi von selbst kopiert, eignet sich schlechter zur Ware als etwa Elektrogeräte, Lebensmittel oder Kleidung. Dazu kommt, dass immaterielle Güter wie Wissen, Kommunikation und Information zunehmend Lebens- und Arbeitswelt durchdringen.

Im linken Spektrum ist man sich über den Umgang mit dem beschriebenen Szenario nicht einig. Die Trennlinie zwischen offensiven Positionen, die in der Entpreisung von Immaterialgütern eine Chance für solidarische Produktions- und Konsumtionsformen sehen, und der restriktiveren Haltung, die ein starkes Urheberrecht als Schutz der Kreativen vor der „Freibiermentalität“ fordern, zieht sich quer durch die Organisationen. So arbeiten einige Bereiche von ver.di zusammen mit der Industrie an Hardlinerpositionen, während andere die NutzerInnenrechte und den freien Informationsfluss verteidigen. Ähnlich verlaufen die Debatten auch im rot-rot-grünen Parteienspektrum, etwa in Auseinandersetzungen zwischen Kultur-, Wirtschafts- und NetzpolitikerInnen. Uneins ist sich das linke Lager zudem in der Analyse der Prozesse: Ist die unerschöpfliche Ressource Wissen ein öffentliches Gut, in dem die Warenlogik von Knappheit und Preis kippen muss? (1) Oder ist der Versuch einer Alternative zum Kapitalverhältnis auch in der Wissensökonomie nur die naiv-romantische Illusion eines „digitalen Neo-Kleinbürgertums“? (2)

Sollen die Potenziale einer solidarischen Vergesellschaftung von Wissen und Kreativgütern ausgeschöpft werden, muss sich linke Politik mit Content-Industrien anlegen, deren Geschäftsmodell vor allem darin besteht, den eigentlichen UrheberInnen die Rechte an ihren Werken abzukaufen und Monopolrenditen zu generieren. Dem ökonomischen Druck dieser Lobby hält nur stand, wer mit Kreativen und NutzerInnen ein realitätstaugliches Alternativkonzept zur Privatisierung von Wissen entwickelt. Dieses muss Profis eine wirtschaftliche Perspektive und „Prosumern“ ein Betätigungsfeld bieten sowie die Industrie auf ihre eigentliche Rolle als Dienstleister zurückdrängen. Dazu gehört neben einem gesetzlichen Verbot von Total-Buyout-Verträgen die Unterstützung neuer Bezahl- und Vergütungssysteme wie Micropayments oder Flatrates. Schutzfristen sollten auf angemessene Dauern verkürzt, Privatkopien dauerhaft und rechtssicher ermöglicht und weitgehende Einschränkungen des Urheberschutzes zugunsten gemeinnütziger Zwecke wie Bildung, Wissenschaft und Kultur vorgenommen werden.

Anmerkungen:

(1) Vgl. dazu etwa Hofmann, Jeanette: Wider die Verschwendung: Für neue Denkfiguren in der Wissensregulierung. In: Heinrich-Böll-Stiftung (Hrsg.): Copy.Right.Now. Plädoyers für ein zukunftstaugliches Urheberrecht. Berlin 2010. S. 18 – 22.

(2) So bezeichnet etwa Robert Kurz die Commons- und Ökonux-Bewegung. Vgl. Kurz, Robert: Der Unwert des Unwissens. Unter www.exit-online.org/link.php?tabelle=aktuelles&posnr=264[1].

Autor:

Tobias Schulze betreibt haupt- und ehrenamtlich linke Forschungs- und Wissenschaftspolitik und bloggt zu netzpolitischen Themen als Redaktionsmitglied von digitale-linke.de.

Links:

  1. http://www.exit-online.org/link.php?tabelle=aktuelles&posnr=264