mut zu kontrollverlust

Linke Politik und das Web 2.0

Katja Rom und Nikolas Tosse

„Jede Wahrheit ist gezwungen, den radikalen Widerspruch aktiv auszuhalten, und jede Selbstverständlichkeit die radikale Kritik.“ Was sich wie eine Beschreibung der Meinungsbildung in sozialen Netzwerken liest, ist der Generallinie der Online-Ausgabe dieses Magazins entnommen. An ihr lässt sich das ambivalente Verhältnis darstellen, das auch den Umgang einer emanzipatorischen Linken mit dem Web 2.0 kennzeichnet.

Ende 2009 hatten soziale Netzwerke wie Facebook, Twitter oder StudiVZ rund 26 Millionen aktive Nutzer/-innen in Deutschland. Dies zeigt die Bedeutung, die das Web 2.0 für die politische Kommunikation bekommen hat. Verbunden damit sind eigene Kommunikationsformen und -regeln, für die Dezentralität, flache Hierarchien und Feedback charakteristisch sind. Konsument/-innen und Produzent/-innen verschmelzen zu ‚Prosument/-innen‘. Gerade angesichts der Vermachtung von Offline-Medien,birgt das Web 2.0 radikaldemokratische Potentiale.

Für eine Linke, die es mit gesellschaftlicher Demokratisierung und Emanzipation ernst meint, bieten sich hier strukturelle wie kulturelle Schnittmengen. Um so erstaunlicher ist der vorsichtige, oft von Sorge vor Kontrollverlust und Diskursstörung gekennzeichnete Umgang mit politischer Kommunikation im Web 2.0. Nicht selten wird mit Diskursrepression reagiert, obwohl die Abgabe von Kontrolle Voraussetzung für Feedback ist.Doch sind besonders auf Seiten, Blogs und Profilen der Linkspartei und ihrer Abgeordneten sowohl die technischen Voraussetzungen Feedback einzubringen wie auch die inhaltlichen Angebote dafür überschaubar. Zu häufig dient das Netz nur der Verbreitung eigener Inhalte. Offenbar wird die Einbindung von Feedback noch immer Zugeständnis gewertet. Wirkliches Interesse an einem Diskurs, der die eigenen Reihen überschreitet, sieht anders aus. Die Frage muss erlaubt sein, inwieweit sich eine moderne linke Politik dadurch unglaubwürdig macht.

Doch es geht nicht nur um die Debatte fertiger Positionen.Die Popularität und die Verbreitung von Web 2.0-Anwendungen jeder Art spiegeln vor allem die Bereitschaft der Nutzer/-innen wieder, aktiv zu partizipieren. Also sollte man ihnen die Möglichkeit dazu geben. Open-Source-Software oder Wikipedia haben es vorgemacht: Es geht um die Öffnung des Produktionsprozesses. Wenige Vorgaben fungieren als Instrumente für jede/-n einzelne/-n Nutzer/-in, die er/sie selbst weiterentwickeln und in gewissem Maße gestalten kann. Das Internet wird so zum virtuellen Arbeitsraum. Der Vorteil der Öffnung politischer Prozesse liegt in der Absenkung von Partizipationsschwellen. Es ist leichter, sich im Internet an Diskussionen oder Kampagnen zu beteiligen als zu bestimmten Zeiten an bestimmten Orten zu sein, um eine vorher definierte, meist sehr kleine Menge an Menschen zu erreichen. Linke Politik kann damit neue Maßstäbe setzen. Die Öffnung der Strukturen ihrer Online-Kommunikation wäre ein Angebot zu echter Partizipation. Nicht fertige Ergebnisse sollten wohl dosiert zur Verfügung gestellt werden, sondern die ursprüngliche Fragestellung. Durch einfache Mittel, die jedem Interessierten die Möglichkeit bieten, sich einzubringen, kann die Gestaltung der Gesellschaft ein aktiver Prozess vieler werden. Linke Politik sollte diese demokratischen Potentiale fördern – gerade weil sie Kritik und Widerspruch mit sich bringen.

AutorInnen-Info:

Katja Rom ist Kommunikationswissenschaftlerin und arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin des Bundestagsabgeordneten Steffen Bockhahn, DIE LINKE.

Nikolas Tosse hat als Medienwissenschaftler gearbeitet und ist nun wissenschaftlicher Mitarbeiter des Bundestagsabgeordneten Michael Leutert, DIE LINKE.