wildwest im internet

Digitale Wissensproduktion und Datenschutz

Dr. Thilo Weichert

Der Datenschutz war in seiner jungen, knapp 40jährigen Geschichte schon den unterschiedlichsten Anfeindungen ausgesetzt: Fortschrittshemmschuh, bürokratisches Hindernis, Täterschutz sind nur drei der Argumentationsmuster. Angesichts der zunehmenden digitalen Durchdringung aller Lebensbereiche und der weltweiten Vernetzung, insbesondere über das Internet, wird der Datenschutz neu in Frage gestellt.

Richtig ist, dass eine umfassende Kontrolle über die eigenen Daten nie möglich war und angesichts der technischen Entwicklung auch künftig nicht möglich sein wird. Richtig ist aber auch, dass eine weitgehende Kontrolle über „eigene Daten“ im Netz rechtlich geboten ist und grundsätzlich auch regulierend, technisch und organisatorisch angestrebt werden kann. Dabei geht es nicht nur um den Persönlichkeitsschutz und die Privatsphäre, sondern auch um den Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen oder von Urheberrechten.

Die meisten Datenschutzbeauftragten in Deutschland sind zugleich Informationsfreiheitsbeauftragte. Deren Ziel ist nicht nur die Geheimhaltung, sondern auch die Offenlegung von Informationen. Im Vordergrund der Informationsfreiheitsgesetze (IFGs) steht die öffentliche, d.h. demokratische Kontrolle und Transparenz der Verwaltung. Ein weiterer Hintergrund ist die Informations-, Presse- sowie die Meinungsfreiheit. Und damit sind wir schon nahe an der Wissenschaftsfreiheit, die auch Information, Transparenz und Debatte benötigt und für die Geheim- und Zurückhaltung von Informationen ein Graus ist.

Wissensproduktion und Datenschutz stehen also in einem Spannungsverhältnis, nicht aber zwangsläufig in einem Widerspruch. Wissensproduktion setzt gesellschaftliche Relevanz voraus; dem Datenschutz geht es um Wahrung des außerhalb der offenen Gesellschaft stehenden Privatbereichs. Dies hat zur Folge, dass Datenschutzrelevanz und Wissensrelevanz voneinander getrennt werden können. Tatsächlich gibt es hierfür rechtliche und technische Instrumente, z.B. das datenschutzrechtliche Forschungsprivileg verbunden mit Anonymisierungspflichten. Methoden der Aggregierung und der so genannten Filetrennung erlauben private Einzeldaten geheim zu halten und dennoch deren Wissensrelevanz öffentlich zur Geltung zu bringen.

Klar ist jedoch: Es gibt nicht nur Abgrenzungsprobleme, sondern auch Konflikte. Ein Klassiker hierfür sind die „Personen der Zeitgeschichte“ bzw. deren durch die Boulevardpresse vulgarisierte kleinen Geschwister der Stars und Sternchen. Geht es aber hier immer um Wissensproduktion? Diese Frage stellt sich auch bei den nicht minder kommerziell ausgerichteten Projekten von Internetveröffentlichungen, z.B. die Straßen- und Luftbildansichten von Google, Microsoft und Co., die Ausbeutung von Surf- und Konsumprofilen für Werbezwecke, die Ausbeutung von Daten von „Freunden“ durch Social Communities wie Xing oder Facebook. Hier spricht ein kommerzielles Verständnis von informationeller Selbstbestimmung dafür, die Betroffenen selbst ihre Daten vermarkten zu lassen, statt sie, wie bisher der Fremdausbeutung preiszugeben. Deshalb brauchen wir hier Regulierung – nicht, um die Wissensproduktion zu behindern oder zu zensieren, sondern um die Menschen vor dem derzeit noch praktizierten und von den Googles und Facebooks beherrschten Wildwest im Internet zu schützen.

Autoreninfo:

Dr. Thilo Weichert ist Landesbeauftragter für Datenschutz in Schleswig-Holstein und damit Leiter des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz mit Sitz in Kiel.