tödliche patente

Reduzierte Lebenserwartung durch Patente auf AIDS-Medikamente

Sven Dehmlow

Bei Diskussionen über Patente trifft man häufig auf die gleiche Behauptung: Patente sind dafür da, den „kleinen“ Erfinder vor den großen Konzernen zu schützen, die ihm ja sonst seine Erfindung stehlen würden. Diese Argumentation hat allerdings einige Schwächen: Erstens ist ein Verfahren zur Erlangung eines Patentes bürokratisch aufwendig und sehr teuer. Die schützenswerten „Kleinen“ unter den Erfinder/-innen können sicher nicht die notwendigen mehreren zehntausend Euro aufbringen. Zweitens ist unsere Gesellschaft technisch so weit fortgeschritten, dass bahnbrechende Erfindungen durch Einzelpersonen unmöglich erscheinen. Wann wurde zuletzt von jemanden etwas so bedeutendes wie die Glühbirne oder der Elektromotor erfunden? Und wer hat das Equipment im Hobbykeller um in seiner Freizeit aktuelle Hochtechnologien zu revolutionieren? Drittens sollte – egal ob man dies nun religiös, marxistisch, humanistisch oder einfach nur mit der eigenen Vernunft begründen möchte – das Profitstreben einzelner nicht das Leben von Millionen bedrohen oder ganz konkret kosten.

Jährlich sterben rund zwei Millionen Menschen an den Folgen von AIDS. Weltweit leben nach Schätzungen von UNAIDS (Joint United Nations Programme on HIV/AIDS) 33,4 Millionen Menschen mit dem Humanen Immunschwäche-Virus HIV. Zwei Drittel der Betroffenen leben in Afrika südlich der Sahara. Von insgesamt zehn Millionen AIDS-Kranken, die einer medikamentösen Behandlung bedürfen, haben 60% keinen Zugang zu einer adäquaten Gesundheitsversorgung und medikamentösen Behandlung. Durch den massenhaften Tod von Erwachsenen bleiben Millionen von AIDS-Waisen zurück. Zudem infizieren viele HIV-positive Schwangere ihre Kinder, weil sie keine Behandlung bekommen.

HIV ist zwar nach wie vor nicht heilbar, doch es gibt Medikamente, die das Leben deutlich verlängern: Statisch gesehen hat ein HIV infizierter Zwanzigjähriger, der in Deutschland lebt und entsprechend gut behandelt wird, noch etwa 50 Jahre zu leben. Seine Lebenserwartung unterscheidet sich damit kaum vom Bevölkerungsdurchschnitt. Um nicht mißverstanden zu werden: HIV ist nach wie vor alles andere als harmlos und der umfangreiche Medikamenten-Cocktail, der die Viren in Schach hält, bringt zahlreiche und starke Nebenwirkungen mit sich. Auch die Gefahr von Ausgrenzung, Arbeitslosigkeit und folgender Armut sind kein Spaß. Trotzdem ist es natürlich ein Skandal, dass bislang viele Millionen Menschen gestorben sind, die heute vielleicht noch leben könnten, wenn sie die richtigen Medikamente bekommen hätten.

Auf internationalen Druck haben die Pharmakonzerne die Preise für die antiretroviralen Medikamente, die den Ausbruch von AIDS hinauszögern, für Afrika auf etwa 1.000 Euro pro Jahr und Patient bzw. Patientin gesenkt. Die 40 ärmsten Länder der Welt geben pro Kopf und Jahr für ihre Gesundheitsversorgung etwa zehn US-Dollar aus. Selbstverständlich, dass mit so einem Budget keine sinnvolle Behandlung möglich ist. Ein Ausweg wären sogenannte Generika, also gleichwertige Medikamente, die von einem anderen Unternehmen hergestellt werden und sehr viel günstiger abgegeben werden können, weil die typischen Kosten für ein Produkt (Entwicklung, Test, Marketing) und das Gewinnstreben des Pharmaunternehmens in den Hintergrund gerückt werden. Generika werden einfach als günstige Alternative vermarktet und schon die Konkurrenz über den Preis würde diesen deutlich senken.

Allerdings stehen der Herstellung von Generika durch andere Unternehmen zunächst die Patentregelungen des TRIPS-Abkommens (Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights)der WTO entgegen: TRIPS verbindet globale Handelsregeln mit dem internationalen Patentrecht. Es sollte 2005 in einer sehr strikten Form in allen WTO Mitgliedstaaten (insgesamt 153) in Kraft treten. Patentrechtlich ist ein Patentschutz für 20 Jahre möglich und üblich – für moderne Medikamente natürlich eine unglaublich lange Zeit. Vor 20 Jahren sind AIDS und HIV erst in den Fokus der breiten Öffentlichkeit gerückt.

Auf Grund zahlreicher Proteste aus unterschiedlichsten Richtungen, wurde auf der Doha-Konferenz 2001 über Ausnahmeregelungen verhandelt: Ärmere Staaten könnten nach Doha im Falle eines nationalen Gesundheitsnotstands generische Medikamente selbst produzieren oder einkaufen. Doch die Höhe der dann immer noch an die Rechteinhaber zu zahlenden Lizenzgebühren bleibt in jedem Einzelfall strittig. Und der grenzüberschreitende Handel ist untersagt. Das Problem bei dieser Regelung liegt auf der Hand: Arme Länder – die kaum Ihre Bevölkerung ernähren können – haben in der Regel keine Industrie, die moderne Medikamente herstellen kann, und auch kein Geld, um teure Lizenzgebühren zu zahlen. Im August 2003 wurden in Genf eine weitere WTO-Vereinbarung getroffen - ein Kompromiss, der als Interimslösung gilt. Demnach können Entwicklungsländer künftig Generika importieren, ohne gegen WTO-Regeln zum „Schutz geistiger Eigentumsrechte“ zu verstoßen. Somit wird auch die Praxis legalisiert, mit der Pharmafirmen bereits jetzt gestaffelte Nachlässe auf ihre Vertriebspreise in einzelnen Ländern gewähren.

Die traurige Pointe zum Schluß: Während in Südafrika – allen genannten Vereinbarungen zum Trotz – wegen eines jahrelang laufenden Patentrechtsstreites mit US-amerikanischen und europäischen Pharmakonzernen Tausende mangels preisgünstiger Generika an AIDS sterben mussten, war man in den USA angesichts einer befürchteten Milzbrand-Seuche mit der Drohung des Bruchs des BAYER-Patents auf Ciprofloxacin unter Verweis auf gesundheitlichen Notstand ganz schnell bei der Hand.

Autoreninfo

Sven Dehmlow befasst sich für gewöhnlich mit Software-Patenten, meckert aber auch gerne über Patente im Allgemeinen.