28.03.2011

Kein Schönreden.

Eine Erzählung zur Wahlniederlage der Linken

Thomas Lohmeier und Jörg Schindler

Das war eine bittere Wahlniederlage für die LINKE, die man sich leicht schön reden kann, wie die anderen vier Wahlverlierer es auch tun: “Es war eine Abstimmung über die Atompolitik und wir kamen mit unseren Themen nicht durch”. Das Schöne an dieser Erklärung ist: Sie stimmt sogar.

Teilweise zumindest. Die Grünen als große Wahlgewinner hatten Glück. Nicht wegen des tragischen und schlimmen Unfalls in Japan, der ihnen zu diesem Wahlerfolg verhalf, sondern wegen der Vergesslichkeit der WählerInnen, die die Anti-Atom-Sonne ausschließlich mit den Grünen assoziieren. Schlicht vergessen haben sie dabei, wer den halbherzigen “Atomaustieg” zu verantworten hatte, den die schwarz-gelbe Regierung problemlos im vergangen Herbst wieder einkassieren konnte. Rot-Grün gewährte Restlaufzeiten, die viele Anti-Atom-AktivistInnen als Bestandsgarantien für die AKW bezeichneten, was dem grünen Image als Anti-Atom-Partei aber offenbar nicht schadete. Aber auch wenn man den Grünen ihren Wahlerfolg nicht gönnen mag - er hat auch etwas Gutes: Es war eine klare Abstimmung für den Ausstieg aus der Atomenergie. Schauen wir mal, wie der erste grüne Ministerpräsident jetzt seine Macht als Miteigentümer beim AKW-Betreiber EnBW nutzt.

Zurück zur LINKEN: Dennoch erklärt der GAU in Japan und die thematische Zuspitzung auf die Atompolitik die Wahlniederlagen der Linken in Baden-Württemberg nicht alleine. Die klassischen linken Themen der vergangenen Jahre folgten der Erzählung der antineoliberalen Protestpartei (“Hartz-IV-muss-weg”, Mindestlohn, Privatisierungstopp). Folglich wählte, wer gegen das neoliberale Parteienkartell protestieren wollte, links. Mindestlohn fordert heute auch die SPD und die Privatisierungswelle kam parteiübergreifend ins Stocken. Die Forderung “Hartz-IV-muss-weg” hört sich jedoch mittlerweile ohne die Antwort auf die Frage nach dem “Wie” wie die B-Seite von Westerwelles leiernder Schallplatte “Steuern senken” an und seit der Bankenkrise 2008 wissen alle - hartgesottenen FDP-Wähler vielleicht ausgenommen -, dass die neoliberale Politik eine Sackgasse ist.

Weil die Schallplatte leiert: Für eine neue Erzählung.

Mit der Bankenkrise im Herbst 2008 hat das postneoliberale Zeitalter begonnen. Sechs Jahre nach dem Ende von Rot-Grün und zwei Jahre nach dem Ende der Großen Koalition braucht DIE LINKE daher eine neue Erzählung mit neuen zentralen Forderungen. Weil die LINKE aber noch keine neue Geschichte erzählen kann, liest sie die alte weiter vor. Das ist der eigentliche Grund für ihr Wahldesaster. In Baden-Württemberg versuchte DIE LINKE in ihrer Not daher sogar das Argument zu spielen, dass nur ihr Einzug in den Landtag die Abwahl Mappus sichern würde. Dabei hat sie aber übersehen, dass WählerInnen, die Mappus weg haben wollen, gleich SPD oder Grüne wählen. DIE LINKE wählen die, die mehr als Rot-Grün pur wollen. Was dieses “Mehr” aber ist, muss man den WählerInnen erzählen. Wer nur den schwarzen Mann oder Frau verhindern will, braucht DIE LINKE nicht. Eine Erfahrung, die die alte PDS bereits bei der Bundestagswahl 2002 schmerzlich gemacht hat, als sie nicht wusste, wie sie mit dem “Friedenskanzler” Schröder umgehen soll. Sie muss nämlich immer auch erklären, warum man SPD und Grüne, als ihre unmittelbaren Konkurrenten, nicht wählen soll. Stoiber oder Mappus zu verhindern, ist leider kein Argument, SPD und Grüne nicht zu wählen.

Drittes Lager. Nicht rotgrüner Wahlverein.

Bei Wahlen werden immer auch Entscheidungen gegen andere Parteien getroffen. DIE LINKE muss deshalb realisieren, dass sie als DIE LINKE nicht einfach nur ein zielgruppenspezifischer Wahlverein für Rot-Grün ist, der die Aufgabe hat, dass kritische Bildungsmilieu und die Unterklasse als Speicherhaltebecken zu mobilisieren. Trotz vieler Schnittmengen ist sie nicht Teil des rot-grünen Lagers. Das sehen, wie die Reaktion von SPD und Grünen am Wahlabend zeigen, diese offenbar auch so. SPD und Grüne wollen und werden auf absehbare Zeit auf DIE LINKE als Mehrheitsbeschafferin verzichten, weil - schaut man hinter die Oberfläche ähnlich formulierter Forderungen - DIE LINKE weder innen- noch außenpolitisch, zudem auch geschichtlich-ideologisch, jedenfalls derzeit nicht Teil der Staatsräson ist. Die rot-grüne Positionierung im Libyen-Krieg verdeutlicht das nur exemplarisch.

Endlich mit dem Streit beginnen. Visionen erzählen.

Deshalb hätte eine scharfe Kritik an den Grünen und deren halbherzigem Atomausstieg sicherlich nicht geschadet. Auch eine Thematisierung der enormen Gewinne der EVUs durch die Atomlaufzeitverlängerung bei gleichzeitigen Sozialkürzungen von Schwarz-Gelb hätte der Atomdebatte eine eigene Note geben können. Aber die Linke, das zeigen diese Wahlen auch, braucht eine neue mobilisierungsfähige Erzählung. Eine Erzählung, die eine neue Vision ausstrahlt, die über die bestehenden Verhältnisse hinausweist, eine, für die Menschen sich engagieren, für die sie Leidenschaft entwickeln können.

sozial- und arbeitsmarktpolitisch: Endlich weg vom “Hartz IV muss weg”

Eine Erzählung, die vieles von dem vereint, liegt ohne parteipolitische Zuordnung verwaist herum: Die des existenzsichernden Einkommens als soziale Demokratiepauschale. Es steht für soziale Sicherheit und individuelle Lebensführung frei von Existenzängsten, verbunden mit einem Mindestlohn verhindert es Dumpinglöhne und schlechte Arbeitsbedingungen, weil niemand mehr gezwungen ist, schlecht bezahlte oder krankmachende Jobs anzunehmen. Die Möglichkeit, Auszeiten zu nehmen, sich zu bilden oder früher in Rente zu gehen, verkürzt die Lebensarbeitszeit des Einzelnen und kann mehr Menschen in reguläre Beschäftigungsverhältnisse bringen. Sicher, ob hieraus ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle Menschen oder eine umfassende Reform der Arbeitslosen- und Sozialversicherung, die bedarfsorientiert alle von Armut und sozialem Abstieg bedrohten Menschen folgt, ist bei Sozialverbänden, den Gewerkschaften und auch in DER LINKEN strittig - selbst in Teilen zwischen den Autoren dieses Beitrags. Nichteinmal zu Unrecht. Denn beide Positionen beinhalten Schwierigkeiten und Fallstricke. Aber ein konstruktiver Streit darum, wie ein solches Grundeinkommen durch eine Umverteilung von Oben nach Unten finanziert werden kann, wie verhindert wird, dass es schlechtbezahle Kombilöhne Vorschub leistet, das wäre spannend. Das würde für viele Menschen, auch für die vielen bildungsbürgerlichen WählerInnen, die nun in Scharen zu den Grünen gelaufen sind, DIE LINKE attraktiv machen, weil es eine soziale Vision mit der einer emanzipierten, existenzgesicherten Bürgergesellschaft verbindet. Die LINKE hätte ein Projekt, dass nicht nur sozialpolitisch, sondern auch gesellschaftspolitisch attraktiv wäre, eine Erzählung, die sowohl radikal und als auch konkret ist.

demokratisch, öffentlich, gesund, sozialistisch: die Energieversorgung

Es war zudem eine Illusion, sich als lediglich “konsequentere” Atom-Ausstiegs-Partei zu gerieren. Die Notwendigkeit des Atomausstiegs ist mittlerweile jenseits von den Brüderle-Zirkeln ziemlich unstrittig.

Entscheidender ist mittlerweile die Frage, wie - und auf welcher gesellschaftlich-normativen Orientierung - die neue Energieerzeugung erfolgt. Stichwörter sind hier die Rekommunalisierung der Energieversorgung (100%-Kommunen) und der Rückgewinnung über die Stromnetze. Dies ist übrigens auch eine demokratische Form der Energieversorgung, weil es die Macht der großen Energieversorungsunternehmen (EVU) begrenzt. Viele Menschen erleben die derzeitige Debatte um Grenzwerte, Verstrahlung und Gesundheitsgefahren, um langfristige Auswirkungen der radioaktiven Verseuchung ganzer Landstriche, um Versorgungssicherheit und Versäumnisse sowie Gewinne privater Betreiber vor allem als Ohnmachtserfahrung. Sie sind der Auffassung, “die da oben” würden nicht ihre Interessen vertreten und sie lediglich als Statisten sehen. Hier muss gelten, den Menschen ein Angebot für eine eigene Souveränität in diesem gesellschaftlichen Bereich zu geben: Energie in öffentlicher und transparenter Form so zu produzieren und zur Verfügung zu stellen, dass die Bedürfnisse gesichert und die Gefahren möglichst minimiert werden. Hieran ließe sich dann exemplarisch der Unterschied zum rot-grünen Lager, die letztendlich lediglich die Atomenergie technisch, nicht aber die hinter ihr stehenden gesellschaftlichen Machtstrukturen beenden will, zeigen. Und die Überlegenheit des öffentlichen über das private Erzeugermodell darstellen.