01.04.2011

Rot geworden, ohne rot zu werden

Rezension: Tobias Haberl: Wie ich mal rot wurde: Mein Jahr in der Linkspartei, Luchterhand, 14,99 EUR

Mathis Oberhof

Der Münchner Journalist Tobias Haberl trat in die LINKE ein, um sie kennen zu lernen, schrieb einen Essay und ein Buch, und trat nach 1 ½ Jahren wieder aus. Er hat positives Feedback bekommen, zum Beispiel von André Brie: „Ich habe durch dieses Buch viel gelernt – ein ungewöhnlich gutes Buch.“ Die Menschen aus seinem Ortsverband hatten größere Probleme mit ihm. Manche haben mit ihm gebrochen, sehen ihn als Verräter, andere blieben mit ihm in Kontakt.

Der Luchterhand-Literaturverlag vermarktet Haberls Buch mit dem Untertitel: „Bürgersohn trifft dogmatische Linke“. Dem Text vorangestellt hat er ein Zitat des ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten Günter Beckstein: „Mit Extremisten muss man anders umgehen. Von denen nimmt man kein Stück Brot.“ Diese Verteufelung der anderen Parteien gegenüber der LINKEN, sagt er, sei es vor allem gewesen, die ihn auf die Idee gebracht hat, selbst zu prüfen, was sich hinter dem „Kadergeschwader“, den „Dämonen“ und „Ewiggestrigen“ verbirgt. Als Sohn einer gut situierten Familie, der keine Angst haben muss, in Hartz IV zu rutschen, habe ihn interessiert, wie die Anti-Hartz-IV-Partei funktioniere und ob ihre Mitglieder nur aus einer Empörung und Opferhaltung heraus links sind oder weil sie einen demokratischen Sozialismus wirklich für das gerechtere System halten.

Was ihn während seiner Mitgliedschaft am meisten überrascht hat? „Ich habe eine Partei der Hartz-IV-Empfänger erwartet, eine Partei von Opfern, die links sind, weil sie nicht gewonnen haben, die aber umfallen, sobald man ihnen ein Stückchen Macht in die Hände gibt. Und genau solche Menschen habe ich auch kennen gelernt. Aber ich habe auch viele hochsympathische, kluge, reflektierte und intellektuelle Menschen kennen gelernt; Menschen, mit denen man diskutieren kann, die zuhören, ausreden lassen und Bezug nehmen auf zuletzt Gesagtes. In guten Momenten war die Gesprächskultur auf höherem Niveau als in meiner Redaktion, in schlechten lag sie aber auch weit darunter.“

In seinem Buch zeichnet Haberl liebevoll Charaktere und Biografien von Menschen nach, mit denen er ohne sein „Experiment“ niemals zusammengetroffen wäre, zum Beispiel Henning, einen ehemaligen Redakteur der Frankfurter Rundschau, der irgendwann nicht über Afrika berichten wollte, ohne dort zu leben. Der 1968 beim Vietnamkongress in Berlin dabei war und aus der SPD ausgetreten ist, als Helmut Schmidt die Raketenbeschlüsse durchsetzte. Fast wird Henning zu einer Art väterlichem Freund, der Haberl einführt in linkes Denken und linke Geschichte. An einer Stelle des Buches heißt es: „Henning hat mehr erlebt als Dirk Niebel, Ronald Pofalla und Andrea Nahles zusammen, das macht ihn nicht zu einem besseren Politiker, aber zu einem interessanteren Menschen .“

Oder Valerie, die spirituelle Linke, die Hippiefrau: „Mit ihrer Gleichgültigkeit gegenüber materiellen Dingen hat sie mich mehr ins Wanken gebracht als alle Reden von Lafontaine, Gysi und Ernst zusammen. Valerie geht davon aus, dass der Mensch gut ist. Wird sie enttäuscht, hält sie es für eine Ausnahme und geht weiter davon aus, dass der Mensch gut ist.“

Liebevoll lädt die über 60jährige das Neumitglied zu ayurvedischem Essen ein und Haberl bemerkt: „Sie lässt sich von der Wut auf eine ungerechte Welt nicht entstellen“. Er schwärmt: Sie ist einer der interessantesten Menschen, die ich je kennengelernt habe.

Die halbe Nacht mit Sarah

Und dann ist da noch „die halbe Nacht“ mit Sarah. Richtig, die von der Kommunistischen Plattform. Haberl interessiert sich für sie, fährt extra nach Berlin, um sie kennen zu lernen und – so privat wie möglich – zu befragen. In ihrem Bundestagsbüro für ein Paar Minuten -absichtsvoll? - allein gelassen, staunt er über das Bild der Jungfrau Maria neben dem Karl Marx-Porträt. Bei einem langen Abend im Café Einstein redet er mit ihr über Gefühle, Luxus und Shakespeare, ihre erste Reise nach New York: „Ich merke, dass ich wanke“, schreibt Haberl. „Meine Vorsätze knicken weg. Sie sieht gut aus, wie sie da so sitzt und redet, sie wirkt ehrlich, charmant. Eigentlich hat sie nur einen entscheidenden Fehler: Sie möchte mir mein Erbe nehmen. Das Geld, das mein Vater mit harter Arbeit verdient hat, damit meine Schwester und ich keine Sorgen haben müssen.“ Zurück im Hotel liest er die SMS seines besten Freundes: “Verliebt?“, macht sich der über ihn lustig. „Hmmm“, antwortet Haberl.

Und das ist ein Leitmotiv des Buches. Haberl ist ständig überrascht über die vielen interessanten Charaktere, die Selbstlosigkeit, das Wissen, die Vielfalt in dieser verfemten Partei. Aber die Feme hat auch Spuren hinterlassen, die er beklagt, und unter der er zum Schluss auch selbst leiden wird: „Es ist so wenig Optimismus in dieser Partei, soviel Ab- und Ausgrenzung. Ist man nicht bei der LINKEN, verweigert ihr die Stimme oder kritisiert ihre Absichten, gibt sie einem das Gefühl, ein schlechter Mensch zu sein, der auf der Seite der anderen, der Egoisten und selbstverliebten Bosse steht.“

Gefragt, was für ihn nach mit dem Begriff Sozialismus verbunden sei, antwortet Haberl: „Bevor ich bei der Linken war, hätte ich vielleicht gedacht: Geld den Reichen nehmen und den Armen geben. Heute würde ich vielleicht sagen: Eine gerechte Welt zu denken, die es noch nicht gibt. Ich halte es für eine Utopie, aber nicht für eine unsympathische.“ Woran es liege, dass die LINKE dennoch so wenig Ausstrahlung entwickelt? Seine Antwort wird manchen LINKEN nach dem Debakel in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz in den Ohren klingen: „Mir ist die Partei zu sehr auf Sozialpolitik ausgerichtet, zu wenig auf moderne Themen. Solche Themen wie Klimaschutz, Individualisierung, digitale Welt, Datenschutz. Da habe ich keine großen Debatten mitbekommen. Die Meinung, dass mit Sozialpolitik alle Probleme gelöst werden können, dass der „Kuchen nur gerechter verteilt werden muss, finde ich zu kurz gedacht.“

Willkommen und Abschied

Als er das erste Mal zur Mitgliederversammlung geht, verlässt er sie vorzeitig. Er hält es nicht mehr aus: „Um 22 Uhr war ich randvoll mit Zahlen, Daten und Informationen, ich fühlte mich plötzlich sehr einsam, verabschiedete mich und stahl mich aus dem Saal. Als ich auf dem Parkplatz war, senkte sich ein Freiheitsgefühl auf mich herab, das überwältigend war. Dieses Freiheitsgefühl breitete sich in den folgenden Monaten jedes Mal in meinem Körper aus, sobald ich meine Genossen verlassen hatte.“ Manche/r, die/der aus der Partei austritt, mag neben dem Trennungsschmerz genau dieses Gefühl der Erleichterung verspüren fühlen. Wer über Jahre oder noch länger sein Schicksal mit dem „der Partei“ verbunden hat, mag es längst vergessen haben.

Wenn Tobias Haberl mit Freunden zusammen sitzt, sagt er, dann reden sie über Fußball, Babynamen und Dachterrassen, über Kunst und das neue Buch von Michel Houellebecq, alles oberflächlichere Dinge als den Krieg in Afghanistan. Aber das gehört genauso zum Leben und zur Selbstverwirklichung. Solange bei LINKEN-Treffen in öden Räumen und langweiligen Tagesordnungen so wenig Platz bleibt für Schönes, Lustvolles, Witziges, so lange dürften Menschen wie Tobias Haberl bestenfalls für begrenzte Zeit Weggefährten der linken Bewegung bleiben.

Nach der Veröffentlichung seines Erfahrungsberichts im SZ-Magazin wendeten viele sich von ihm ab, sehen ihn als Verräter, als Spion der bürgerlichen Presse. Bei manchen schmerzt es ihn besonders, bei Henning oder dem Kreisvorsitzenden Michael Wendl. Ihn hat er in seinem Buch als klugen, freigeistigen, interessanten Referenten beschrieben; als dieser ihm vorwirft, anders als Wallraff habe er die Objekte der Beobachtung nicht mit Empathie, sondern aus der Position der Abgrenzung seziert, ist Haberl tief verletzt. Und notiert: „Es ist der schlimmste Brief, den ich je bekommen habe.“ Umso mehr überrascht die Antwort auf die Frage, wen er mit dem Satz: „Gewidmet den Guten – egal welcher Partei“ meint. Nach kurzem Überlegen sagt er: „Für die LINKE wäre das zum Beispiel Michael Wendl. Er ist eine interessante Person und nimmt eine schwierige, streitbare Rolle einnimmt. Trotzdem ist er jemand, dem ich gerne zugehört habe und mit dem ich mich identifizieren konnte, sehr eloquent, vernünftig und differenziert. Er hat einen aufgeklärten, keinen scherenschnittartigen Sozialismus vertreten.“

Tobias Haberl hat ein lehrreiches Buch geschrieben. Über die LINKE. … und über liebenswerte Linke.