15.04.2011

Es reicht nicht, wenn Linke nur eine Antwort auf die soziale Frage geben

Einige Anmerkungen zum Redaktionspapier "Die grüne Herausforderung: Für eine öko-soziale Paradoxie."

Pascal Beucker

Als Journalist sich in eine innerparteiliche Debatte einzumischen, ist ein ungewöhnlicher Vorgang. Aber es gibt Ausnahmen, die das rechtfertigen können. Diese ist so eine. Dass ich mich als parteiloser Linker nicht jenen Rücksichtnahmen eines innerparteilichen Diskurses unterwerfe, wie sie allzu häufig üblich sind, dafür bitte ich schon vorab um Verständnis.

I.

Mit großem Interesse habe ich Eurer Redaktionspapier „Die grüne Herausforderung: Für eine öko-soziale Paradoxie“ gelesen. Es hebt sich intellektuell deutlich von so manchem Murks ab, der derzeit in der Linkspartei fabriziert wird. Besonders schlimm finde ich das aktuelle und äußerst geschwätzige „Reformer/-innen-Papier“, das vollgestopft ist mit dämlichen Phrasen wie dieser: „Wir plädieren dafür, die LINKE stärker zu machen, damit ein Politikwechsel und nicht nur ein Regierungswechsel zu Stande kommt.“ Gibt es jemanden in Eurer Partei, der für etwas anderes plädiert? Aber die „Antikapitalistische Linke“ ist ja auch nicht besser, hat sie doch als einzige Konsequenz aus den jüngsten Wahldesastern in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Hessen die Losung ausgegeben: „Weiterkämpfen! Jetzt erst recht!“ Wie das gesamte FdS-Papier vom Geist der Sozialdemokratie durchströmt ist, ist der AKL-Text von einem befremdlichen K-Gruppen-Slang durchzogen - hilfreich für die Linkspartei, einen Ausweg aus ihrer schweren Krise zu finden, sind beide nicht. Denn es fehlt ihnen an auch nur einem einzigen originellen, neuen Gedanken.

Das ist bei dem Papier des „Prager Frühlings“ anders. Klug löst Ihr Euch von der starren Fixierung auf die SPD, die das Forum Demokratischer Sozialismus mit der Sozialistischen und der Antikapitalistischen Linken bei allem Streit verbindet, jedoch - so oder so - eine Orientierung auf die Vergangenheit ist. Euer Plädoyer für eine Rationalisierung des Verhältnisses von Linkspartei und Grünen nimmt demgegenüber gesellschaftliche Veränderungen und damit verbundene Chancen für eine emanzipatorische Linke wahr - auch wenn ich das Reden von „einer im Werden begriffenen grünen Hegemonie“ für übertrieben halte. Gleichwohl spricht vieles für Eure Feststellung, dass es perspektivisch um die Alternative geht: entweder Mitte-Unten-Bündnis oder Mitte-Oben-Bündnis.

II.

Für problematisch halte ich allerdings Eure Herangehensweise an die von Euch richtig beschriebene Spaltung von sozialer und ökologischer Linker. Hier seid Ihr doch noch zu sehr „altem Denken“ verfangen. Eure Herangehensweise erscheint mir zu taktisch, zu instrumentell. Ihr schreibt: „Die soziale Linke muss sich der grünen Herausforderung stellen.“ Aber der ökologischen Frage stellt ihr Euch leider nicht. Selbstverständlich stimmt es, dass es sich bei der Linkspartei und den Grünen „um grundverschiedene Formationen handelt“. Die einen verstehen sich als sozialistisch-proletarisch, die anderen sind eine bürgerlich-liberale Partei. Diesen gravierenden Unterschied anzuerkennen, kann zu einer sinnvollen Entspannung des Verhältnisses beider Parteien beitragen. Und die Linkspartei muss sich nicht mehr darin verbeißen, „gerade die Grünen in Regierungsbeteiligung als neoliberale Partei zu entlarven“ (AKL-Papier). Es würde reichen, konkret zu kritisieren, was zu kritisieren ist. Und es ließe sich an jenen inhaltlichen Punkten die Zusammenarbeit suchen, wo es sinnvoll ist.

Nur: Auch wenn Linkspartei und Grüne grundverschieden sind, gilt das deshalb auch für soziale und ökologische Linke? Und falls dem praktisch so wäre, würde es sich dann nicht um ein dringend zu überwindendes Problem handeln? Meines Erachtens wird eine moderne Linke nur bestehen können, wenn für sie eben auch der entschlossene Einsatz gegen die Vernichtung der natürlichen Lebensgrundlagen ebenso integral gehört wie der Kampf für Grund- und Freiheitsrechte. Das gehört doch sowohl zu den Lehren aus den verdientermaßen tragisch geendeten realsozialistischen Experimenten in Osteuropa als auch aus dem Scheitern der Traditionslinken in Westeuropa.

III.

Die Erkenntnis, dass es nicht nur eine Klassen-, sondern auch eine sogenannte Gattungsfrage gibt, die zusammen beantwortet werden müssen, führte Ende der Siebziger-/Anfang der Achtzigerjahre in Westdeutschland viele undogmatische Sozialisten - wie beispielsweise Rudi Dutschke - zur grünen Bewegung. Für die meisten war das keine Entscheidung von heute auf morgen, sondern ein komplizierter und auch schmerzhafter Prozess der Loslösung von alten Weisheiten. Etliche der damaligen Texte aus dem - in der Anfangsphase starken - ökosozialistischen Flügel der Grünen sind heute vergessen. Dabei sind sie alleine schon lesenswert wegen der Grabungsarbeiten mancher Autoren, wie zum Beispiel Thomas Ebermann und Rainer Trampert, die es in ihrem 1985 erschienenen Buch „Die Zukunft der Grünen“ sogar schafften, Marx und Engels noch als frühe Ökologen zu outen.

Der Untertitel des Buches von Trampert und Ebermann war selbstverständlich quatsch: „Ein realistisches Konzept für eine radikale Partei“. Die Ökosozialisten waren taktisch-strategisch zu blauäugig, unterschätzten den Anpassungssog des bürgerlichen Parlamentarismus - und pflegten bisweilen untereinander Umgangsformen, die nicht gerade nachahmenswert sind. So verloren sie Ende der Achtzigerjahre auch selbstverschuldet den innerparteilichen Machtkampf gegen die „Realos“ und zogen sich anschließend in Zynismus (Ebermann) oder Sektierertum (Ditfurth) zurück. Ein paar wenige, wie den heutigen „Neues Deutschland“-Chefredakteur Jürgen Reents, verschlug es nach ihrem Scheitern in den Grünen zur PDS. Wie auch immer: Sie haben Ansätze für eine Verbindung zwischen sozialer und ökologischer Frage aufgezeigt, die heute eine zeitgemäße Linke wieder aufgreifen sollte.

IV.

Die Linkspartei und ihre Vorgängerinnen haben das nicht getan. Ich kann mich noch gut an ein Ereignis im Jahr 1990 erinnern. Seinerzeit, um konkret zu sein: am 28. und 29. Juli 1990, fand in Köln eine Konferenz statt, an der auch ich teilnahm. Auf der verkündete Gregor Gysi die Gründung der Linken Liste/PDS. Das war der erste - und aus diversen Gründen gescheiterte - Versuch einer Verbindung der aus der SED übriggebliebenen Reste mit relevanten Teilen der Westlinken. Auf der Konferenz wurde ein Aufruf für „eine linke Opposition in Deutschland“ verabschiedet. Dieser begann mit den Worten: „Zur ersten gesamtdeutschen Wahl tritt die Linke Liste/PDS als Oppositionskraft an. Wir wollen denen Rückhalt geben und Mut machen, die von einer rigorosen Anschlusspolitik sozial, kulturell und politisch ins Abseits gedrängt werden. Gegen den herrschenden Trend wollen wir erkämpfte demokratische, soziale, ökologische und frauenrechtliche Standards sichern und ausbauen.“ Klingt gut, aber ist gerade mit Blick auf die „ökologischen Standards“ nur die halbe Wahrheit.

Es gab damals eine aufschlussreiche Diskussion zwischen Gregor Gysi und Michael Stamm, einem der vormals führenden Denker des ökosozialistischen Flügels in den Grünen. Und zwar über die Atomkraft. Selbstverständlich war auch Gysi für den Ausstieg, er wusste schließlich um die Befindlichkeiten seines westlinken Publikums. Aber Stamm insistierte: Aufgrund der unkalkulierbaren Risiken der Atomenergie müsse der sofortige Ausstieg auch dann gefordert werden, wenn den in den Kraftwerken Beschäftigten unmittelbar keine Ersatzarbeitsplätze geboten werden können, sie also erwerbslos zu werden drohten. Zu dieser Konsequenz war Gysi seinerzeit nicht zu bewegen. Die Erwerbsarbeitsplatzfrage hatte letztlich doch Vorrang. Die Ökologie musste dahinter zurücktreten.

Wer nicht zum Selbstbetrug neigt, muss feststellen: Aller Rhetorik zum Trotz hat sich an dieser Haltung insbesondere - aber nicht nur - in den östlichen Landesverbänden substanziell bis heute nicht viel geändert. Auch im Westen gibt es etliche, für die der Atomausstieg nicht wirklich einen vorderen Platz auf ihrer Prioritätenliste einnimmt. Das ist auch ein Grund dafür, warum die Wählerinnen und Wähler die über den katastrophalen rot-grünen „Atomkonsens“ hinausgehende Forderung der Linkspartei nach einem sofortigen Ausstieg nicht goutiert haben: Sie wirkt schlicht unglaubwürdig. Schließlich drängt sich der unangenehme Verdacht auf, dass die Linkspartei den nur deshalb fordert, um Grüne und die SPD zu überbieten - und nicht, weil er ihr wirklich wichtig wäre. „Systemfrage und Ökologie gehören zusammen“, schreibt jetzt die AKL. Wenn es denn so einfach wäre! Seit Harrisburg und Tschernobyl weiß nicht nur die aufgeklärte Linke, dass es eben nicht so einfach ist. Das Problem ist nicht nur das jeweilige gesellschaftliche System und die jeweilige Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel, sondern vor allem die unbändige systemübergreifende Fortschrittsgläubigkeit, für die ein Restrisiko nur eine vernachlässigbare statistische Größe darstellt. So wichtig die Eigentumsfrage ist: Atomkraftwerke sind nicht nur wegen der Profitgier der Konzerne gefährlich.

V.

Es kann nicht verwundern, wenn überzeugte AKW-Gegner sich daher trotz alledem lieber für die Grünen entscheiden. Deswegen zielt auch der etwas beleidigte Hinweis der "Prager Frühling"-Redakteure Jörg Schindler und Thomas Lohmeier in ihrer Wahlauswertung unter dem Titel "kein schönreden." ins Leere. Nein, die Grünen haben nicht von der „Vergesslichkeit der WählerInnen, die die Anti-Atom-Sonne ausschließlich mit den Grünen assoziieren“, profitiert. „Schlicht vergessen“ haben sie auch nicht, „wer den halbherzigen ‚Atomausstieg‘ zu verantworten hatte, den die schwarz-gelbe Regierung problemlos im vergangen Herbst wieder einkassieren konnte“. So dumm sind die gar nicht. Die meisten wissen genau, dass die von Rot-Grün gewährten Restlaufzeiten de facto Bestandsgarantien für die AKWs waren.

Aber: Dem grünen Image als Anti-Atom-Partei hat das aber deswegen nicht geschadet, weil die Wählerinnen und Wähler den Grünen abnehmen, im Rahmen ihrer Möglichkeiten alles für den AKW-Ausstieg unternommen zu haben, letztlich jedoch nur das durchsetzten konnten, was machtpolitisch zum damaligen Zeitpunkt gegen die SPD und die Atomindustrie durchsetzbar war. Das war verdammt wenig. Goutiert wird jedoch, es wenigstens versucht zu haben. Weswegen zwar jetzt die Grünen von Fukushima „profitieren“, nicht jedoch die SPD - und schon gar nicht die Linkspartei. Seid ehrlich: In vergleichbarer Situation wäre der Linkspartei die AKW-Frage doch scheißegal gewesen. Daran hätte sie nie etwas scheitern lassen. Als sich die Grünen im Jahr 2000 den miesen Deal mit der Atomindustrie von der SPD abpressen ließen, war das der damaligen PDS nicht einmal eine kleine Protestmahnwache vor dem Reichstag wert. Deshalb würde „eine scharfe Kritik an den Grünen und deren halbherzigem Atomausstieg sicherlich nicht geschadet“, aber eben auch wahlpolitisch nicht genützt haben.

VI.

Was heißt das für die Linkspartei? Dass sie sich in einem Dilemma befindet. Ihr Wählerklientel insbesondere im Westen rekrutiert sich vorranging aus jenem deklassierter Teil der Gesellschaft, der in der Wissenschaft als Prekariat bezeichnet wird und für den die Verbesserung seiner sozialen Lage im Zentrum steht. Wie Ihr richtig schreibt, ist es deshalb auch „die vornehmste Aufgabe der Linkspartei, den Unmut der Exkludierten und Enttäuschten ‚gegen die da oben‘ zu mobilisieren“. Allerdings fehlt es diesem Klientel aus nachvollziehbaren Gründen an ökologischem Bewusstsein. Wer angewiesen ist auf die Angebote einer „Tafel“, darf nicht wählerisch sein und auf Bioprodukte bestehen; wer nicht weiß, wie er seine Stromrechnung bezahlen soll, wird nicht zu „Lichtblick“ wechseln.

Doch das ist nicht das Einzige, was fehlt. Diese Menschen sind in jeder Hinsicht abgehängt. Denn sie sind nicht einmal mehr in der Lage, ihre eigenen unmittelbaren Interessen wahrzunehmen, wie ihr am Beispiel des Hamburger Volksentscheids ganz richtig aufzeigt. Zutreffend stellt Ihr fest, dass „das größte Problem“ darin bestand, „dass es der sozialen Linken nicht gelungen ist, diejenigen, die eigentlich ein Interesse an einer Gemeinschafsschule haben sollten, an die Wahlurnen zu bringen“. Für den Antrag der reaktionären Reformgegner stimmten im Juli 2010 276.304 Bürger, 218.065 dagegen - weniger als der Bürgerschaftswahl Mitte Februar ihre Stimme für die Linkspartei abgaben.

Auch ein Volksentscheid über das von Euch präferierte bedingungslose Grundeinkommen würde gegenwärtig übrigens keine Chance haben, ja sogar zuvorderst an jenem Klientel scheitern, für die Ihr es einführen wollt. Denn die Debatte um ein „existenzsicherndes Einkommen als soziale Demokratiepauschale“, da solltet Ihr Euch nichts vormachen, war schon immer und ist bis heute eine unter Intellektuellen. Für eine „Massenorientierung“ ist diese Forderung gänzlich untauglich. Das macht sie keineswegs überflüssig oder gar verkehrt. Ich bin da sogar ganz bei Euch - weil ich dazugelernt habe. Es ist ein Grundsatzstreit: Was soll im Mittelpunkt der Gesellschaft stehen – die Erwerbsarbeit oder der selbstbestimmte Mensch? In den Achtzigerjahren, als ich selbst noch Mitglied einer Partei war, gehörte ich in den Grünen zu jenen ökosozialistischen Gegnern des bedingungslosen Grundeinkommens, die schon deshalb nicht dafür sein konnten, weil es von den Falschen kam: Damals waren es noch zuvorderst „Ökolibertäre“ wie der heutige erzreaktionäre Herausgeber der „Welt“, Thomas Schmid, die für die Selbstbestimmung stritten. Anders als heute vertrat er damals in dieser Frage eine progressive Position. Ich hingegen vertrat seinerzeit leider eine, wie sie heute intellektuell stehengebliebene Gewerkschaftsfunktionäre wie Klaus Ernst vertreten.

VII.

Ihr kritisiert die „Abklatsch“-Theorien zur Präferenzbildung, die behaupten, dass aufgrund unterschiedlicher sozio-ökonomischer Lage keine politischen Schnittmengen entstehen. Ich glaube, damit liegt Ihr richtig. Eurer Klientel wird die Schnittmengen jedoch nur erkennen, wenn Ihr es eindringlich darauf aufmerksam macht. Und vielleicht könnte die Linkspartei dann auch manch heimatlosen Linken für sich gewinnen.

Für Linke ist das Eintreten für soziale Gerechtigkeit konstitutiv, keine Frage. Das manifestiert sich jedoch nicht an der einen oder anderen Detailforderung. Wenn beispielsweise die AKL schreibt, es schade der Linkspartei, „wenn wir in unseren Kernthemen unglaubwürdig werden: wenn die Forderung nach einem Mindestlohn in Höhe von 10 Euro auch aus der Partei infrage gestellt wird, wenn nicht in aller Konsequenz am Nein zur Rente erst ab 67 festgehalten wird“, dann halte ich das für völligen Blödsinn. Denn 12 oder 14 Euro Mindestlohn fände ich genauso in Ordnung wie die Rente ab 60.

Ohnehin reicht es nicht, wenn Linke nur den Anspruch haben, eine Antwort auf die soziale Frage zu geben. Zu den Anforderungen an eine emanzipatorische linke Partei gehört auch, dass sie sich konsequent gegen die Ausgrenzung gesellschaftlicher Minderheiten stellt - und zwar nicht nur theoretisch, sondern praktisch. Auch da beschleicht mich ebenfalls manch Zweifel. Denn in ihren Hochburgen, also dort, wo sich die SED zur PDS zur Linkspartei transformiert hat und für sich in Anspruch nimmt, so etwas wie „Volkspartei“ zu sein, tümelt es doch ganz schön deutsch. Wer sich die Landtagsfraktionen von Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Brandenburg anschaut, wird dort jedenfalls keinen einzigen Abgeordneten mit Zuwanderungsgeschichte entdecken können. Ich bin zu weit weg, um fundiert beurteilen zu können, ob dieser blamable Zustand schlicht den gesellschaftlichen Realitäten in den sogenannten fünf neuen Ländern oder einem fehlenden Problembewusstsein geschuldet ist. Und vielleicht gibt es ja sogar in einigen ostdeutschen Kreisverbänden eine tolle antirassistische Politik, die sich nicht nur darauf beschränkt, gegen Nazi-Aufmärsche zu mobilisieren (so richtig und wichtig das auch ist), sondern die sich auch in einem multikulturellen Zusammenleben manifestiert, von der ich im tiefsten Westen nur leider nichts mitbekomme. Gleichwohl erschreckt es mich. In den Landtagsfraktionen im Westen der Republik sieht es übrigens besser aus. Aber dort spielt die Linkspartei auch keine so große Rolle, ist ohnehin mehr „Randgruppenpartei“.

VIII.

Es gibt darüber hinaus eine Grundposition, die beispielsweise für meine persönliche Entscheidung bei einer Bundestagswahl ausschlaggebend ist: Parteien, die im Bundestag für die Beteiligung deutscher Soldatinnen und Soldaten an irgendwelchen Kriegshandlungen in der Welt eintreten, können nicht mit meiner Stimme rechnen. So habe ich es gehalten, seitdem ich 1985 zum ersten Mal in der Bundesrepublik an einer Wahl teilnehmen durfte. Und so halte ich es bis heute. Im Gegensatz zu manch anderem weiß ich noch sehr gut, warum ich einst den Kriegsdienst verweigert habe. Entsprechend freut es mich, wenn es in dem Papier des „Prager Frühlings“ heißt, Ihr tretet ein für „eine menschenrechtsorientierte, der Charta der UN verhaftete und auf Ausgleich in der Weltwirtschaft ausgerichtete Außenpolitik, die pazifistisch und internationalistisch ausgerichtet“ ist.

Allerdings habe ich den Eindruck, Ihr befindet Euch hier schon in einem Rückzugsgefecht. Ich bin mir äußerst unsicher, wie lange Linkspartei noch bei ihrer strikten Ablehnung deutscher Militäreinsätze bleiben wird. Es ist schon auffällig, dass beispielsweise das FdS nur noch den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan als eines der „wichtigen Themen“ bezeichnet - und nicht mehr die generelle Ablehnung jeglicher Auslandseinsätze der Bundeswehr. Wie für die Grünen gilt schließlich auch für die Linkspartei: Bedingung für ihr Entrée in die Bundesregierung ist, ihren Frieden mit dem Krieg zu machen. Der Preis könnte allerdings hoch sein: Es mag nicht mehr viele Pazifistinnen und Pazifisten in der BRD geben. Aber reichen könnten sie durchaus noch, um die Linkspartei wieder aus dem Bundestag zu befördern ...

IX.

Wenn sie nicht schwer aufpasst, ist die Linkspartei bald wieder das, was sie vor der Fusion mit der WASG war: im Osten verankerte Regionalpartei mit ein paar politisch unbedeutenden Westsplittern. Doch statt schonungsloser Analyse der schweren Niederlagen bei den jüngsten Landtagswahlen setzt die Führungsmannschaft im Karl-Liebknecht-Haus auf Durchhalteparolen. „Für dieses Ergebnis ist einzig und allein das Thema Atomkraft verantwortlich“, bilanzierte der Bundesvorsitzende Ernst. Ähnlich äußerte sich auch seine Co-Vorsitzende Gesine Lötzsch. Wenn sich die blöde Atomwolke erst wieder verzogen hat, wird es schon wieder aufwärts gehen, lautet die schlichte Botschaft. Wenn’s denn so einfach wäre. Schon vor dem japanischen Super-GAU taumelte die Linkspartei im Westen bedenklich. Die Hamburger Bürgerschaftswahl, bei der sie unter für sie politisch optimalen Bedingungen bei 6,4 Prozent verharrte und in absoluten Zahlen sogar Stimmen verlor, hätte bereits alle Alarmglocken erschallen lassen müssen.

Die Linkspartei wird nicht darum herum kommen: Neben der strategischen und programmatischen Debatte wird sie zwangsläufig auch über Personalien zu sprechen haben. Man muss kein Anhänger von ihm sein, trotzdem ist mehr als offenkundig: Die Linkspartei hat den Rückzug Oskar Lafontaines nicht kompensieren können. Der saarländische Politzampano, der der SED-Nachfolgetrümertruppe erst den Weg in den Westen öffnete, fehlt sowohl als strategischer Kopf als auch als wahlpolitisches Zugpferd. Mit seiner durch und durch westgeprägten Biografie als auch mit seiner kämpferischen Attitüde und seinem Populismus konnte Lafontaine jene proletarischen und sozial deklassierten Zielgruppen in der alten Bundesrepublik ansprechen, die die alte PDS mit ihrem Post-DDR-Mief nie hat erreichen können. Mit seiner bisweilen brachialen Präsenz übertünchte Lafontaine gerade auch jene graue Garde von sozialdemokratischen Ex-FDJ-Funktionären, die in den östlichen Landesverbänden den Ton angeben und für die - wie aktuell das Beispiel Mecklenburg-Vorpommern zeigt - innerparteiliche Pluralität nur solange ein Wert ist, wie sie sich in der Minderheit sehen. Gleichfalls überstrahlte Lafontaine aber auch den desolaten Zustand etlicher westlicher Landesverbände, deren Mitgliedern oft jene gemeinsame politische Identität fehlt, die sie davor bewahren könnte, ihre Kämpfe um Pöstchen und Mandate bis zum Äußersten zu führen.

X.

Anstatt ein eigenes Profil zu entwickeln, beschäftigen sich die einen in der Partei damit, wie sie möglichst schnell mit der SPD ins Geschäft kommen können, die anderen mit sich selbst - und dann gibt es noch jene, die sich an ihrem Verbalradikalismus ergötzen. Nichts passt wirklich zusammen. Die Folge ist eine Kopf- und Substanzlosigkeit, die schnell zu einem gefährlichen Glaubwürdigkeitsproblem und (nicht nur) in die Wahlniederlage führen kann. Wer meint, mit dem alten PDS-Personal aus dem Osten im Westen reüssieren zu können, hat nichts aus den vergangenen zwei Jahrzehnten gelernt - oder leidet an einem gravierenden Realitätsverlust.

Es mag weder von dem einen noch dem anderen Flügel in der Partei gerne gehört werden: Beide stehen auf ihre Weise für jene SED-Nachfolgepartei, die die PDS vor dem Zusammenschluss mit der WASG war und von der sie danach behauptete, es nicht mehr zu sein. Das Forum Demokratischer Sozialismus und die Antikapitalistische Linke stellen die Linkspartei in der Konsequenz vor die Alternative: sozialdemokratische ostdeutsche Regionalpartei oder „klassenkämpferische“ Kleinpartei á la DKP der Siebzigerjahre in der BRD. In der Bundespolitik wäre die eine wie die andere Variante unbedeutend. Es wäre ein Verlust. Die Chance, die eine moderne, also undogmatische, emanzipatorische und ökologische linkssozialistische Partei böte, werden jedenfalls beide nicht nutzen können. Es wird spannend sein, zu beobachten, ob die Mitglieder der Linkspartei das noch früh genug erkennen werden.

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ZUR PERSON: Pascal Beucker ist Journalist und Publizist. Zuletzt veröffentlichte er im vergangenen Herbst gemeinsam mit Anja Krüger das Buch „Die verlogene Politik. Macht um jeden Preis“ (Knaur Taschenbuch Verlag). Er lebt in Köln.