26.04.2011

Ein Kessel Buntes. Die Linke und der Sex

Rezension: Eder, Barbara/Wemheuer, Felix (Hrsg.): Die Linke und der Sex. Klassische Texte zum wichtigsten Thema, promedia Wien 2011, 12,90 Euro,

Bernd Hüttner
Hier im Bild: Kessel Buntes, ja. Anfassen, ja. Sexualität, nicht wirklich.

Die Linke ist sicherlich ein Ort der Erfüllung bewusster und unbewusster emotionaler und sexueller Bedürfnisse. Für viele hat die Kritik an beengt empfundenen Verhältnissen am Beginn ihrer Politisierung gestanden. Insofern darf ein Buch mit dem neutral und enzyklopädisch klingenden Titel „Die Linke und der Sex“ mit Interesse rechnen.

Aber: Es enthält zwar in der 28 Seiten umfassenden Einleitung einige lesenswerte Gedanken, sonst ist es aber eher eine Zumutung. Erstens präsentieren Barbara Eder und Felix Wemheuer ihr Buch im stramm antizionistisch-antiimperialistischen Wiener promedia-Verlag. Sie dokumentieren 13 Texte der Linken von den 1920er Jahren bis heute. Das Spektrum reicht dabei von der Kritik Lenins an Sigmund Freud bis zum Programm einer kontrasexuellen Dildoisierung der Gesellschaft. Es enthält Texte u.a. von Alexandra Kollontai, Herbert Marcuse, Clara Zetkin, Michel Foucault oder Beatriz Preciado. Den Herausgeber_innen kann in der Regel zugestimmt werden, wenn sie schreiben: „Die Überwindung von autoritären Formen der Kindererziehung und monogamen, eheähnlichen Zweierbeziehungen war immer wieder integraler Bestandteil utopischer Gesellschaftsentwürfe auf Seiten der politischen Linken. Ebenso waren viele AktivistInnen der 1968er-Bewegung der Überzeugung, soziale Revolution sei nicht ohne ‚befreite‘ Sexualität denkbar. Die Hoffnungen, die mit der Idee einer ‚sexuellen Revolution‘ verbunden wurden, haben sich jedoch nicht erfüllt“.

Es stellt sich nur die Frage, was heißt das dann? Und was haben die ausgewählten Texte genau damit zu tun? Was bedeutet es heute, wenn die Repressionshypothese überwunden wird, also die Befreiung des Sex und der Körper sich als ein Mythos entpuppt und in der Praxis auch nicht so erfolgreich herausgestellt hat? Wie kann die Linke mit der Re-Okkupation ihrer Ideen und Praxen umgehen? Sich auf ein ewiges Ping-Pong-Spiel einlassen und versuchen, schneller zu sein als „die“ Gegenseite, die es so homogen ja gar nicht (mehr) gibt? Ich weiß nicht, ob es dazu Texte gibt, aber im Buch sind sie jedenfalls nicht zu finden.

Die zunehmende Affektivierung von Lohn- und anderer Arbeit ist ebenso eine Leerstelle – hier gibt es definitiv Texte, die nachgedruckt werden könnten. Schließlich stellt sich beim Thema „Sex“ die Frage, was ist eigentlich mit Kindern? Wer ist für sie verantwortlich, wenn die beteiligten merken, dass es mit der im Buch propagierten „erotischen Freundschaft“ unter KommunistInnen doch nicht so richtig klappt?

Bei der Lektüre dieser Dokumentenedition wird deutlich, dass Sozialismus eine Kulturfrage und -bewegung ist und war, und nicht nur eine der Ökonomie. Solche Ansichten, die sich auch der Mikropolitik des Alltags widme(te)n, waren aber historisch und sind bis heute in der Linken tendenziell minoritär.

Das Buch ist nur für die ein Gewinn, für die Kapitalismus heute vor allem mit Finanzmärkten zu tun hat und die vergeschlechtliche Arbeitsteilung für einen Nebenwiderspruch halten. Wer und welche sich mit Feminismus, Queer, Reproduktionsarbeit und Alltagsforschung schon beschäftigt hat, wird darin vermutlich nur die Texte aus der Weimarer Zeit noch nicht kennen - oder sich gar ärgern.