ex oriente lux?

Die Europäische Linke in Mittel- und Osteuropa

Juliane Nagel
Juliane Nagel ist Mitarbeiterin bei lavka.info — Network for left policy in central and eastern Europe. Sie lebt in Leipzig und ist eine Kennerin der Linken in Osteuropa.

Die spezifischen Rahmenbedingungen linker Bewegungen in den Staaten des ehemaligen Ostblocks stellen für die europäische Linke nach nunmehr achtzehn Jahren postkommunistischer Systemtransformation weiterhin eine Herausforderung dar. Fausto Bertinotti, der ehemalige Vorsitzende der Europäischen Linken (EL), forderte in seinen „15 Thesen für eine europäische Linke“, dass die Partei der Europäischen Linken ein eigenes politisches Subjekt werden solle. Ein Subjekt, an dem soziale, politische und kulturelle Organisationen teilhaben, die sich von den (etablierten) politischen Parteien unterscheiden. Die EL solle mehr als die Summe ihrer Teile — also nationaler Mitgliedsparteien — sein. Ein hehrer Normativ, von dem die Europäische Linkspartei in ihrer jetzigen Verfasstheit noch weit entfernt ist.

Die Integrationsfähigkeit in Richtung Osteuropa stellt den Anspruch der EL zugleich vor eine nicht zu unterschätzende Herausforderung. Obgleich die mittelost- und osteuropäischen Staaten der Staatssozialismus verbindet, verliefen die Entwicklungspfade der ehemaligen staatstragenden Parteien nach dem Systemwechsel sehr verschieden. Viele dieser ehemaligen Staatsparteien nennen sich zwar „kommunistisch“, sind aber nicht links: Sie trauern den alten Zeiten nach. Anknüpfungspunkte für die Europäische Linke sind aber auch in der sonstigen politischen Landschaft schwer auszumachen. Die Durchsetzung eines harten neoliberalen Kurses veränderte in den letzten Jahren den mentalen Zugang zur EU in den Bevölkerungen: Dominierte in den 1990er Jahre eine positive Erwartungshaltung auf Wohlstand und Demokratie, verwandelte sich diese sukzessive in eine EU-skeptische Grundstimmung. Nichts desto trotz beziehen sich emanzipatorische linke Akteure sowohl in Tschechien als auch in Polen positiv auf die Idee eines sozialen, demokratischen Europas. Schließlich bedeutet die EU-Integration für nicht wenige Teile der Gesellschaft auch Wohlstandsmaximierung und den barrierefreien Austausch der jeweiligen demokratischen und kulturellen Errungenschaften. Allein das Übersetzen von Werken der postmarxistischen oder postmodernen Denkschulen oder die Formulierung gemeinsamer soziale Forderungen, wie die nach einem europaweiten, flächendeckenden Mindestlohn, sind Beispiele für praktisches Crossbordering. In Zeiten des Standortgerangels erwarten gerade osteuropäische Linke von ihren politischen und gewerkschaftlichen PartnerInnen im Westen Signale grenzüberschreitender Solidarität. Ganz konkreter Hilfestellungen bedürfen beispielsweise die zahlreichen WanderarbeiterInnen aus dem Osten, deren Arbeitskraft in den EU-Alt-Staaten nur zu gerne zu den miesesten Konditionen ausgebeutet wird.

Ein Blick auf die Linke in Polen und Tschechien zeigt, dass das Verhältnis zum Staatssozialismus und den Ereignissen im Jahr 1968 weiterhin eine Demarkationslinie bleibt. Aus dem Gründungsparteitag der Partei der Europäischen Linken im Jahr 2004 zog die Kommunistische Partei Böhmens und Mährens (KSCM) aus, weil sie mit der im Statut verankerten Absage an das stalinistische, repressive Kapitel der eigenen Geschichte nicht mitgehen wollte. Die zarten Pflänzchen sozialer und linker Bewegungen suchen in Tschechien kaum die Nähe der Kommunisten. Und auch die zu außerordentlicher Stärke gekommene Bürgerinitiative gegen die Raketenabwehrstationierung trifft in der KSCM jenseits des parlamentarischen Raumes weniger auf eine Partnerin als auf einen die avantgardistische Partei-Karte ausspielenden Akteur. Die für die tschechische Gesellschaft immer noch identitäre Erfahrung des Prager Frühlings einerseits und eine kommunistische Partei, die sich der Option eines demokratischen Sozialismus ideologisch verwehrt andererseits, haben ein Spannungsfeld erzeugt, in dem es für eine europäische Linke kaum positive Anknüpfungspunkte gibt. Es bleiben akademische Zirkel, die eurokommunistisch orientiert sind, oder Ein-Punkt-Bewegungen wie die erwähnte landesweit verankerte Friedensinitiative oder Antifa-Gruppen. Ein positiver Bezug auf linke Positionen kann nur mit den aufkeimenden linken und sozialen Bewegungen gestärkt und gesellschaftlich wirkungsmächtig werden. Hier könnte insbesondere die Europäische Linkspartei jenseits diplomatischer Abwägungen in Richtung KSCM eine alternativ-linke Plattform bieten.

Die polnische Linke hat einen anderen Weg beschritten, der in der Konsequenz jedoch ähnlich diffizile Ausgangsbedingungen für die politische Linke bietet. Die im Wahlbündnis SLD aufgegangenen Postkommunisten kamen Anfang der 1990er Jahre recht schnell wieder in Regierungsverantwortung. Sie repräsentieren den Typus ehemaliger staatssozialistischer bzw. -kommunistischer Parteien, die den „Dritten Weg“ der modernisierten Sozialdemokratie beschritten und damit dem neoliberalen Gesellschaftsumbau den Weg geebnet haben. Hier liegt eine zentrale Ursache für die Schwäche und Segmentierung der Linken in Polen. Anknüpfungspunkte für eine europäische Linke gibt es dennoch zuhauf, insbesondere im Bereich gewerkschaftlicher Basisbewegungen jenseits der großen Zentralen, bei sozialen Bewegungen, AnarchistInnen und einer sich etablierenden Bewegung für Gleichberechtigung von Lebensweisen.
Nicht Vorbehalte, vorsichtige Distanz oder gar Mitleid sind es, was osteuropäische Linke von einer europäischen Linken erwarten. So einfach es klingen mag: Der praktische Austausch, die gemeinsame Theorieentwicklung und –debatte sowie der gemeinsame und konkrete Kampf für bessere Lebenslagen und Freiheitsrechte sind und bleiben das Patentrezept.