für ein neues zeitregime!
Irrwege und Auswege im zeitgenössischen Feminismus
Öffentlich
sichtbar sind gegenwärtig Fragen der Geschlechtergerechtigkeit vor allem
dadurch, dass erfolgreiche Frauen auf Blockaden stoßen. Sei es auf die
Männerbünde in den Vorständen der DAX-Konzerne oder auf Probleme in der
Vereinbarung von Karriere und Kindererziehung. Um diese Problemlagen entstehen
in den Medien Role-Models, also Vorbilder, die sich seit einigen Jahren im
Feuilleton im Begriff der Alpha-Mädchen kristallisieren. Den Männerbünden
setzten die Alpha-Mädchen Frauennetzwerke entgegen. Auf die klassische
Frauenbewegung jedoch guckt die Erfolgsfrau skeptisch. Zwar wurde viel
erreicht, aber mit den klassischen Sujets sowie mit strukturellen
Lösungsansätzen will man nichts zu schaffen haben.
Linke Beiß-Reflexe gegen Alphamädchen
Linke
Kreise wiederum reagieren häufig mit einem Beiß-Reflex gegen die Alpha-Mädchen
oder gegen Autorinnen wie Bascha Mika, deren Buch den provokanten Titel „Die
Feigheit der Frauen“ trägt. Ihnen gehe es – so die Kritik – nur um
individuellen Erfolg. Dabei gerieten Forderungen nach sozialen
Infrastrukturmaßnahmen oder nach Lohngerechtigkeit ins Hintertreffen. Der
aufstiegsorientierten Lebenskunst wird das kollektive Handeln solcher Frauen
entgegengesetzt, die eben nicht auf dem Chefsessel, sondern an der Kasse bei
Schlecker sitzen. Viel wichtiger als die Frage, wer im Chefsessel sitze, sei
schließlich die Abschaffung der Chefsessel. Während die einen also darauf
setzen, das Problem durch kollektive Infrastrukturmaßnahmen, wie ein
flächendeckendes Kita-Netz, in den Griff zu bekommen, konzentrieren sich die
anderen auf Lebensführungsmodelle, die Rollenmuster sprengen.
Unproduktive Frontstellung
Wir halten
diese Frontstellung für unproduktiv. Beide Ansätze, sowohl der
sozialdemokratische Feminismus als auch der rein individualistische
Erfolgschauvinismus, tendieren dazu, in Spielarten der – wenn auch unbeabsichtigten
– Komplizenschaft mit dem Patriarchat zu kippen. Denn die Alpha-Mädchen spielen
mit der auf ihren individuellen Erfolg begründeten Absage an strukturelle
Lösungen dem Patriarchat in die Hände. Da einige es ja geschafft haben, sind
die anderen Frauen offensichtlich selber schuld. Während die Beiß-Reflexe gegen
den Griff nach den Chefsesseln wiederum wunderbar die patriarchalen
Ressentiments gegen Karriere-Frauen bedienen. Zudem lassen sie
unberücksichtigt, dass der Widerstand gegen Aufstiegsblockaden kein
individuelles Phänomen ist. Eventuell haben die Alpha-Mädchen ja ein
kollektives Bewusstsein, auch wenn es sich nicht in den klassischen Formen der
Politik artikuliert? Zentral ist also die Frage der politischen Artikulation.
Es muss gelingen, einen gemeinsam geteilten Deutungshorizont zu etablieren, der
Aufstiegs- und Vereinbarkeitsblockaden in eine Kritik der patriarchalen
Gesellschaft einbettet. Vom italienischen Kommunisten Antonio Gramsci können
wir lernen, dass die jeweilige gesellschaftliche Hegemonie nicht ausschließlich
von Massenkämpfen herrührt. Vielmehr geht es auch um Lebensformen, um Fragen
der Lebensführung und ihrer öffentlichen Repräsentation. Diese Lebensformen
sind allerdings von der Kooptation, also ihrer Einbindung in den herrschenden
Machtblock nicht gefeit. Kurzum: Ein zeitgemäßer Feminismus geht nicht ohne
Modelle der Lebensführung und in diesem Kontext werden Frauen in Chefsesseln
eine Rolle spielen müssen. Wenn linke Politik Karrierefragen beständig
kollektiv beleidigt, gibt sie diese lediglich der neoliberalen Artikulation
preis.
Arbeitsteilung und Zeitregime
In der Forderung nach einem neuen gesellschaftlichen Zeitregime, liegt eher das Potential, Fragen der Lebensführung von links her zu politisieren und Maßnahmen der sozialen Infrastruktur so kulturell einzubinden, dass sie auch tatsächlich eine anti-patriarchale Wirkung entfalten. Die letztlich entscheidende Frage stellt sich nun einmal – wie schon bei Marx – entlang der Arbeitsteilung und der Verfügung über die Zeit. Konkret geht es uns um die radikale Verkürzung der Arbeitszeit in Verbindung mit einer Umverteilung der verschiedenen Tätigkeitsformen zwischen den Geschlechtern. Dafür sind freilich politische Reformen erforderlich, aber ebenso eine kulturelle Revolution, die von der Zentralstellung der Erwerbsarbeitszeit abrückt. Solange die 70-Stunden-Arbeitswoche dominiert, sind Vereinbarkeiten unmöglich zu realisieren und werden aufs soziale Umfeld, etwa Lebenspartner_innen, abgewälzt – zumindest, wenn die Eltern pflegebedürftig werden oder die Kindererziehung ansteht. Das ist auch eine Frage der Intensität. Das Abhaken der zuvor von der Partnerin erstellten To-Do-Liste im Haushalt als auch Unterlassungssünden in Entscheidungsgremien, mit der Ausrede, man könne sich nun mal nicht gegen die Männernetzwerke durchsetzen, sind weit von wirklicher gemeinsamer Gestaltung der verschiedenen Produktionssphären entfernt. Gefragt ist vielmehr die Übernahme von wirklicher Verantwortung und wirklichem Gestaltungswillen im jeweiligen Produktionsbereich. Ein neues Zeitregime würde auch eine Emanzipation der Männer denkbar machen. Denn Infrastrukturpolitik alleine wird wenig daran ändern, wer die Windeln wechselt und die Einkäufe erledigt. Davon zeugen die Erfahrungen der DDR. Im neuen Zeitregime hätten hingegen alle etwas zu gewinnen: Karrierefrauen Aufsichtsratsposten, von Burn-Out-Syndromen geplagte männliche Workoholics eine Emanzipationsperspektive vom Steigerungszwang, Kassiererinnen bei Schlecker humanere Arbeitsbedingungen und Freiräume.