22.09.2011

Was ist Recht?

Philosophieren mit dem Papst

Thomas Lohmeier

Wie wird Recht gesetzt, fragte Joseph Ratzinger heute vor dem Deutschen Bundestag. Durch ihn selbst natürlich, wäre die knappe und passende Antwort gewesen. Als Stellvertreter Gottes ist er unfehlbare, rechtsetzende Gewalt. Deshalb versteht sich der Staat, als dessen Oberhaupt er heute vor den Abgeordneten sprach, auch als „absolute Monarchie“ – „Staatsoberhaupt ist der Papst, der die volle Legislative, Exekutive und gerichtliche Gewalt ausübt“, steht auf der Webseite des Vatikans. Man fragt sich vor diesem Hintergrund natürlich schon, was das Staatsoberhaupt eines mittelalterlichen Staates dazu qualifiziert, vor einer demokratisch gewählten Volksvertretung darüber zu philosophieren, wie Recht gesetzt werden kann und soll.

Offen werben für die göttliche Staatsform des Vatikanstaates konnte der Monarch vor dem Bundestag natürlich nicht, das wäre unschicklich gewesen. Also wählte er das Terrain der Rechtsphilosophie und sprach über Naturrecht und Positivismus, Vernunft und Religion, suchte nach Wahrheit und Gerechtigkeit mit dem Ziel, den Abgeordneten eine göttliche Wahrheit hinter der menschlichen Vernunft aufzuzeigen. Der wissenschaftliche Vernunftbegriff führe zur „Kulturlosigkeit“ warnte der Oberhirte, als seien moralische und normative Regeln nur aus der Religion heraus ableitbar und nicht aus einer vernünftigen demokratischen Ordnung selbst heraus. Um seinen Gedanken zu veranschaulichen, wählte er die Ordnung der Natur, hinter der er einen hören Sinn vermutete. Dabei könnte man ihm mit Joumana Haddad, die heute in der konservativen Tageszeitung DIE WELT viele Gründe gefunden hat, nicht an Gott zu glauben, entgegnen: „Ich glaube nicht an Gott, weil dieses Universum ein Wunder ist, das jenseits seiner Möglichkeiten liegt.“

Aber ein deutscher Papst weiß eben, was seine Landsleute momentan beschäftigt. Fast hätte man bei dieser Passage daher glauben können, der Sinn der päpstlichen Rede bestünde darin, den GRÜNEN zu göttlichen Höhenflügen bei Wahlen verhelfen zu wollen. Aber „Propaganda“ für eine Partei wolle er natürlich nicht machen, stellte der Papst gleich klar. Den Hinweis, dass die Partei, für die Werbung er nicht machen wollte, einfach zu viel Unchristliches – denken wir nur an das Teufelszeug der eingetragenen Lebenspartnerschaft für Homosexuelle – angerichtet hat, um seinen Wahlsegen zu erhalten, brauchte es dafür nicht einmal.

Doch wollen wir an dieser Stelle nicht zu sehr über rechtsphilosophische Fragen streiten. Denn: Nicht an ihren Worten, an ihren Taten sollt ihr sie erkennen, sagte einst der Sohn vom Chef des Papstes. Aus dieser Perspektive fällt heute eine andere Nachricht auf: »Schluss mit den vordemokratischen Zuständen in kirchlichen Wirtschaftsunternehmen!« forderte ver.di-Bundesvorsitzender Frank Bsirske auf der gerade stattfindenen ver.di-Bundeskonferenz und kündigte eine »Aktionswoche Diakonie« an. Worum geht es da? In kirchlichen Einrichtungen – nicht nur in katholischen – ist das Streikrecht außer Kraft gesetzt, Mitarbeiter können entlassen werden, wenn sie aus der Kirche austreten oder werden gar nicht erst eingestellt, wenn sie konfessionell ungebunden sind. Meinte der Papst diese göttlichen Zustände, als er über Recht und Gerechtigkeit redete, weil in seinen Sozialkonzernen MitarbeiterInnen für einen höheren Zweck, die Liebe am Nächsten nämlich, arbeiten und nicht primär für ihren Arbeitslohn? Wer da streikt, so die christliche Logik, verstößt gegen den heiligen Sinn seiner Arbeit und gehört aus dem christlichen Sozialkonzern ausgestoßen. Das ist tatsächlich Recht – leider nicht nur göttliches, sondern weltliches in einem fundamentalistischen Deutschland, das von der Trennung zwischen Kirche und Staat nicht viel mehr hält als etwa der Iran. Das ist das Recht, wie es der Papst versteht und wie es – das muss hier auch gesagt werden – auch die protestantischen Christenmenschen richtig finden.

PS: Der Papst ist übrigens nicht zum ersten Mal Gegenstand unseres Blogs. Wir möchten daher noch auf zwei Beiträge hinweisen, die hier schon vor einiger Zeit veröffentlicht wurden:

Satire: Mummenschanz und schwule Schweine[1]
Von Uwe Schaarschmidt

Wenn das der Papst gewusst hätte ...[2]
Von Thomas Lohmeier

Links:

  1. https://www.prager-fruehling-magazin.de/de/article/701.satire.html
  2. https://www.prager-fruehling-magazin.de/de/article/225.wenn_das_der_papst_gewusst_haette.html