gretchenfrage

Wie hältst du’s mit wilden Streiks?

Mag Wompel, LabourNet-Redakteurin:

Wenn Belegschaften den Mut aufbringen, gegen die Angst um die Existenzsicherung durch Lohnarbeit und zugleich gegen den disziplinierenden Druck von Betriebsrat und/oder Gewerkschaftsapparat in einen wilden Streik zu treten, müssen sie heute zudem die „Wildheit“ mit politischen Forderungen verbinden. Nur so können sie den Nachweis ihrer Überflüssigkeit vermeiden, weil sie die objektiven systemischen Sachzwange des Einzelkapitals und zugleich einzelbetriebliche Zersplitterung der Kampfe überwinden. Wild und effektiv zugleich kann heute nur heissen, für eine würdige bedingungslose Grundsicherung und nicht für den Lohnarbeitsplatz zu kämpfen. Wild und effektiv heisst gegen den „Arbeitgeber“/die „Arbeitgeberin“ sowie gegen die Gewerkschaftsapparate zugleich und beginnt mit der alltäglichen Sabotage des Konkurrenzdenkens.

Klaus Höpcke, Vizeminister für Kultur in der DDR:

Wird ein Streikbeschluss nicht erreicht, kommt es vor, dass dennoch gestreikt wird. Die anderen nennen das „wilder Streik“ — auch wenn sie nicht wissen, dass sie sich damit aus der Schmäh- Etiketten-Kiste der Profitmacher bedienen. Diese, die sich Arbeitgeber nennen, halten jegliches Streiken für wild. Auch wenn man das Gerede „gegen wilde Streiks“ als gewerkschaftsfeindlich zurückweisen muss, kann ich sie nicht immer gutheißen. Denn sofern ein Mangel an Konsens den Interessen der Streikenden schadet, wäre damit nichts gewonnen. Jedoch: Die innovative Kraft für gewerkschaftliches Wirken, der aufrüttelnde Impuls, der von als „wild“ empfindbaren Initiativen ausgehen kann, darf darüber nicht vergessen werden. Für besonders wild halten manche — darunter abgehobene Gewerkschaftsbosse — die Forderung nach politischen Generalstreiks. In Wahrheit ist das keine wilde, sondern eine höchst kultivierte und demokratiefördernde Idee.

Gerda Maler, Gruppe d.i.s.s.i.d.e.n.t:

Das Lenin-Wort von der „konkreten Analyse der konkreten Situation“ geistert zwar meist nur noch als hohle Floskel umher, hier ist es aber angebracht: Das mit dem wilden Streik kommt drauf an. Worauf? Darauf, wie die Gewerkschaft am Ort tickt, darauf, ob es genügend Leute mit Mut und Optimismus gibt, und darauf, ob die Sache wirklich gewonnen werden kann. Was linke Gruppen aus dem akademischen Milieu darüber denken, ist allenfalls zweitrangig. Es ergibt wenig Sinn, wilde Streiks als Allheilmittel anzupreisen. Aber wenn sich eine Belegschaft dafür entscheidet, sollte sie auch unterstutzt werden. Die Leute wissen wohl selbst am besten, wann das richtig ist und wie es um die Kräfteverhältnisse bestellt ist. Und wenn sie sich entschliessen, gemeinsam und selbstorganisiert aktiv zu werden, sich nicht mehr alles bieten zu lassen und dabei sogar Arger mit der deutschen Arbeitsgerichtsbarkeit riskieren — dann sind sie vermutlich im Recht

Miriam Bürger, DGB-Jugendbildungsreferentin:

Streik ist das entscheidende Mittel des Arbeitskampfes. Dieses Grundrecht sichert Arbeitnehmer_innen die Möglichkeit, für ihre Interessen zu streiten, ohne den Arbeitsplatzverlust furchten zu müssen. Trotzdem ist seine Wirkungsmacht beschrankt, kann er doch nur im Korsett der Tarifverhandlung zum Einsatz kommen und ist nur in der konkreten Auseinandersetzung zwischen Arbeitgeber und Gewerkschaft rechtlich legitim. Uber Arbeits- und Lebensbedingungen wird aber auch auf anderer Ebene entschieden. Die Erhöhung des Renteneintrittsalter, Zusatzbeitrage in der Krankenversicherung und die Laufzeitverlängerung von AKWs haben unmittelbare Auswirkungen. Um wirkungsvoll dagegen vorzugehen, müssen Arbeitnehmer_innen endlich auch mit Hilfe von Streiks ihren politischen Interessen Nachdruck verleihen. Die traditionellen Mittel des politischen Protests bleiben zunehmend wirkungslos und verhallen als „kollektives Betteln“.


Wladimir Iljitsch Uljanow, Revolutionär:

Ganz eigenartig war die Verflechtung der ökonomischen und der politischen Streiks während der Revolution. Kein Zweifel, erst der innigste Zusammenhang dieser beiden Formen der Streiks hat die große Kraft der Bewegung verbürgt. Die breite Masse der Ausgebeuteten würde man nie in eine revolutionäre Bewegung hineinreißen können, wenn diese Masse nicht täglich vor sich Beispiele zu sehen bekäme, wo die Lohnarbeiter verschiedenster Branchen unmittelbare, sofortige Verbesserungen ihrer Lage von den Kapitalisten erzwängen. Ein neuer Geist kam durch diesen Kampf in die ganze Masse des russischen Volkes. Erst jetzt wurde der alte Adam des leibeigenen, bärenhäuterischen, patriarchalischen, frommen, gehorsamen Russlands wirklich ausgezogen; erst jetzt bekam das russische Volk eine wirklich demokratische, wirklich revolutionäre Erziehung. (...) Erst der Kampf erzieht die ausgebeutete Klasse, (...), erweitert ihren Horizont, steigert ihre Fähigkeit, klärt ihren Verstand auf, stählt ihren Willen.

Klaus Ernst, Parteivorsitzender:

DIE LINKE ist gegen die Einschränkung des Streikrechts. Tatsächlich ist der Begriff „Wilder Streik“ ein Diffamierungsbegriff. Nicht gewerkschaftlich organisierte Arbeitsniederlegungen sollen damit illegalisiert werden. Rufen Gewerkschaften in der Friedenspflicht zu Arbeitsniederlegungen auf, drohen ihnen Schadensersatzansprüche. Trotzdem finden Streiks auch außerhalb von Tarifrunden mit politischer Zielsetzung statt. Die deutsche Arbeiterbewegung hat sich nie davon abhalten lassen, vor die Werkstore zu ziehen und Betriebsversammlungen abzuhalten, wenn es darum ging, ihre Rechte zu verteidigen oder sich gegen Sozialabbau zu wehren. Beispiele gibt es genug: Die drohende Werksschließung bei Opel in Bochum, gegen die Rente ab 67 oder jüngst gegen das Sparpaket der Bundesregierung. Deshalb fordert auch DIE LINKE ein Recht auf politischen Streik.