der aufstand ist (k)eine kunst

Die Rückkehr des Pamphlets. Ein Kommentar zum kommenden Aufstand

Laszlo Stzoda

Im Zuge der sozialen Proteste in Frankreich im Herbst 2005 entstand das Pamphlet „Der kommende Aufstand“ und wurde seither in verschiedenen, auch bürgerlichen Medien, intensiv besprochen. Inhaltlich versucht der kommende Aufstand, jenen Protesten ein Selbstverständnis des politischen Kampfes zu geben und eine Perspektive zu entwerfen, wo dieser hinführen sollte. Zunächst beeindruckt das Werk durch eine ansprechende unverkrampft prosaische Sprache. In sieben Kapiteln rechnen die Verfasser_innen mit der bestehenden Gesellschaft am Beispiel Frankreichs ab und prognostizieren nicht weniger als die Unausweichlichkeit des Zusammenbruchs. Zu Vertreter_innen unserer selbst gemacht, eingepfercht in die kapitalistische Produktionslogik, der wir so schlecht entfliehen können, entstehe ein Unbehagen ― kompromisslose Militanz sei die logische Konsequenz, so die Autor_innen. Dabei gebe es keine Einheit der Kämpfe, die gegen das System aufbegehren. „Jedes Aufbegehren ist so einzigartig wie die Revoltierenden selbst“. Die hier beschriebene dezentrale Perspektive ist die entgegengesetzte Bewegung zur uns bestimmenden Umgebung aus Verkehrs- und Kommunikationssystemen. Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass die Genesung ausschließlich in der Kommune zu finden sei. Diese wird beschrieben durch ihren undurchdringlichen Charakter, der die Reintegration in ein Verhältnis systematischer Erfassung verhindere. „Die Kommune ist, was passiert, wenn Wesen sich finden, sich verstehen und entscheiden, gemeinsam voranzuschreiten“ wird hier erklärt. Die antimodernistische Gemeinschaftslichkeit der Kommune kann aber leider den Schwierigkeiten einer vermeintlich hierarchiefreien Gemeinschaft nicht begegnen: Wie sollen denn Koordinierungen stattfinden, wenn die Autor_innen selbst jede Art von politischer „Versammlung“ ablehnen? Es wird hier von einer „kritischen Masse“ gesprochen, die sich ergäbe, wenn man der Versuchung der Hegemonie widerstehe und „ein Phänomen der kollektiven Kristallisation“ zutage fördere, in der eine Entscheidung „die Wesen“ in ihrer Gesamtheit ergreife. Neben der ungewohnt kryptischen Ausdrucksweise wird man nicht schlau, ob es sich hier um Esoterik oder um einen politischen Prozess handelt. Diese Art der Entscheidungsfindung hat schon oft in der Geschichte „die Wesen“, insbesondere in Deutschland, mit solch einer kollektiven Kristallisation erfasst. So sehr man die Hegemonie oder die politische Institution kritisieren mag, in ihrer bestehenden Form ist die Institutionalisierung von Auseinandersetzung auch Schutz für jene, deren Stimmen im informellen Kreise ungehört bleiben. Darauf bietet das Pamphlet keine Antwort. Um mit Lenin zu sprechen, ist der Aufstand eine Kunst, die es zu erlernen gilt und die nicht qua Praxis logisch zur Wahrheit oder einer besseren Welt führt. Es gilt Kriterien in einem Prozess des Aufbegehrens zu setzen, die mit Sicherheit nicht in Stein gemeißelt gehören, aber doch darüber befinden können, was politisch (gewollt) ist und was nicht. Was der kommende Aufstand geschafft hat, ist das politische Pamphlet zurückzubringen und sich dabei einer Sprache zu bedienen, die nicht den Staub der letzten 200 Jahre trägt. Die dabei angelegte Haltung eines grundsätzlichen Nichtregiert-werden-Wollens ist womöglich der interessanteste Aspekt und eben das verbindende Element der Proteste. Leider bleibt der kommende Aufstand weit hinter dem zurück, was in der radikalen Linken heutzutage so gemacht und vor allem diskutiert wird.