medizinische versorgung für alle!

Ole Baumann über die Arbeit des Medibüros

prager frühling: Wie können wir uns das Leben einer illegalisierten Person in Deutschland vorstellen?

Ole Baumann: Dafür ist es wichtig, die rechtliche Entwicklung vor allem in den 1990er Jahren zu erinnern. Mit dem § 76 Ausländergesetz (heute § 87 Aufenthaltsgesetz) wurde die Übermittlungspflicht eingeführt. Danach sind alle öffentlichen Stellen verpflichtet, wenn sie bei der Ausübung ihrer Tätigkeit von einem illegalen Aufenthalt Kenntnis nehmen, die Ausländerbehörde zu informieren. In der weiteren Entwicklung waren sicherlich die Anschläge 1992 und 1993 entscheidend, und dann 1993 die Änderung des Grundgesetzes mit der weiten Einschränkung des Asylrechts. 1994 kam dann noch der so genannte Schlepper-Paragraph hinzu, nach dem Menschen, die Illegalisierten Unterstützung anbieten, mit einer Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren bedroht sind. All das heißt für die Betroffenen, dass es bereits sehr schwierig ist, überhaupt nach Deutschland zu kommen. Zusätzlich ist mit der Übermittlungspflicht die Gefahr einer Aufdeckung bei jedem Kontakt mit öffentlichen Stellen viel größer geworden. Die Rechte, die sie dennoch haben, können sie nur schwer einklagen. Damit sind sie in allen Lebensbereichen vor sehr große Probleme gestellt: Sei es bei der Arbeit, wo in aller Regel nur Schwarzarbeit möglich ist, und sie ihren ArbeitgeberInnen ausgeliefert sind. Sei es bei Wohnungen, bei denen VermieterInnen die Situation ausnutzen und Wohnräume in schlechtem Zustand zu überhöhten Preisen vermieten.

pf: Was bedeutet es für Illegalisierte, krank zu werden?

Baumann: Grundsätzlich haben Illegalisierte nach Asylbewerberleistungsgesetz Anspruch auf Leistungen zur medizinischen Versorgung. Nur müssen sie hierfür beim Sozialamt einen Krankenschein beantragen. Das Sozialamt ist dann aber der Ausländerbehörde gegenüber meldepflichtig. Sobald Illegalisierte einen Krankenschein beantragen, sind sie also akut von einer Abschiebung bedroht. Das führt dazu, dass eine medizinische Behandlung meist so weit hinausgeschoben wird, bis überhaupt gar nichts mehr geht. Das ist mit der Gefahr verbunden, dass Krankheiten chronifizieren und dann auch aufwendiger zu behandeln sind.
Illegalisierte, die als Notfall in einem Krankenhaus behandelt werden müssen, sind seit September 2009 durch den so genannten verlängerten Geheimnisschutz, zu dem alle MitarbeiterInnen bis hin zur Verwaltung gebunden sind, vor Meldung bei der Ausländerbehörde geschützt. Erstens ist das aber vielen Betroffenen nicht bekannt und zweitens ist es für die Krankenhäuser sehr schwierig, die Behandlungskosten von den Sozialämtern erstattet zu bekommen. Wenn es sich nicht um lebensbedrohliche Situationen handelt, passiert es daher auch, dass mittellose PatientInnen in den Notaufnahmen der Krankenhäuser abgewiesen werden.

pf: Was leistet das Medibüro für Illegalisierte?

Baumann: Das Medibüro hat sich als nicht-staatliches, spendenfinanziertes Projekt 1996 gegründet und basiert ausschließlich auf unentgeltlicher Mitarbeit. Wir haben uns zwei zentrale Arbeitsfelder gesetzt. Das eine ist die praktische Arbeit. Dabei geht es darum, Illegalisierten eine medizinische Versorgung zu vermitteln. Wir haben ein Netzwerk von mittlerweile 120, 130 Arztpraxen, aber auch Hebammen, PhysiotherapeutInnen sowie punktuell auch Kliniken und Apotheken aufgebaut, also ein breites Feld aus medizinischen Einrichtungen und Personen, die sich bereit erklärt haben, kostenlos PatientInnen zu behandeln bzw. – wenn Sachkosten aufkommen – zum Sachkostenpreis oder zu vergünstigten Preisen, Dinge zur Verfügung zu stellen. Zwei Mal in der Woche haben wir eine so genannte Sprechstunde, wo dann aber nicht in einem Hinterzimmer eine abgespeckte medizinische Versorgung stattfindet, sondern wo die Leute hinkommen, schildern, was sie für ein Problem haben oder welchen Arzt sie brauchen, und wir sie dann an ÄrztInnen oder andere Gesundheitsberufe weiter vermitteln. Das heißt, wir rufen die entsprechende Person an, vereinbaren einen Termin und schicken die Leute in die jeweilige Praxis. Der andere Bereich ist die politische Arbeit. Unser Ziel ist, dass wir uns selbst überflüssig machen. Ausgehend von dem Grundrecht aller Menschen auf Gesundheitsversorgung fordern wir, dass alle Menschen, insbesondere auch Illegalisierte, einen Zugang zu medizinischer Versorgung haben, und zwar zu einer medizinischen Regelversorgung. Wir wollen nicht, dass es zu der häufig zitierten Zweiklassen-Medizin mit privaten und gesetzlichen Krankenversicherten eine dritte oder vierte Klasse für Illegalisierte gibt. Wir sind der Ansicht, dass alle Menschen das gleiche Recht haben, eine medizinische Versorgung zu erhalten.

pf:
Was bedeutet es für ÄrztInnen, eine illegalisierte Person zu behandeln?

Baumann: Das heißt im Wesentlichen erstmal, dass sie dafür kein Geld bekommt. Bei den Leuten, mit denen wir zusammenarbeiten, ist es in der Regel so, dass wir Arbeitszeiten nicht vergüten. Wir übernehmen allerdings die anfallenden Sachkosten. Um Medikamente oder Operationen bezahlen zu können, sind wir daher immer dringend auf Spenden angewiesen.
Es war viele Jahre lang immer wieder in der Diskussion, ob sich die ÄrztInnen bei ihrer Arbeit strafbar machen. Unsere Position (und auch die Position von vielen anderen) ist, dass letztlich nie ein Straftatbestand vorgelegen hat. Das ist erfreulicherweise mittlerweile zumindest in einer Verwaltungsvorschrift vom September 2009 die offizielle Interpretation des geltenden Rechts. Das heißt, der Schlepper-Paragraph, den ich eingangs erwähnt habe, wird in dem Fall nicht angewandt, weil man sagt, dass eine rein humanitäre Unterstützung nicht unter diesen Schlepper-Paragraphen fällt. Uns sind auch keine Fälle bekannt, wo Menschen aus medizinischen Berufen dafür angeklagt worden sind. Was es durchaus gab, sind Prozesse gegen Geistliche im Rahmen des Kirchenasyls, wo man natürlich auch sagen könnte, jemandem ein Dach über dem Kopf zu geben, ist nicht sehr viel mehr als eine humanitäre Hilfestellung.

pf: Viel Erfolg bei eurer weiteren Arbeit!


Ole Baumann ist als Arzt an einer internistischen Klinik tätig und lebt in Berlin. Im Büro für medizinische Flüchtlingshilfe (www.medibuero.de[1]) arbeitet er für eine reguläre medizinische Versorgung für alle.

Das Medibüro ist auf Spenden angewiesen!
Spendenkonto:
Flüchtlingsrat e.V.
Stichwort: Medizinische Hilfe
Bank für Sozialwirtschaft
Konto-Nr: 3 260 302
BLZ: 100 205 00

(Die Spenden sind steuerlich absetzbar.)

Aktuelle Informationen zu Patientinnen und Patienten ohne legalen Aufenthaltsstatus in Krankenhaus und Praxis hat die Bundesärztekammer in Zusammenarbeit mit dem Medibüro Berlin in einer Broschüre zusammengestellt: http://www.bundesaerztekammer.de/downloads/Flyer_Menschen_ohne_Papiere1....[2].
09.08.2011

Links:

  1. http://www.medibuero.de/
  2. http://www.bundesaerztekammer.de/downloads/Flyer_Menschen_ohne_Papiere1.pdf