demokratie statt integration?

Streitgespräch über die Sinnhaftigkeit des Sprechens von Integration


Im Rahmen der Veranstaltung „Kulturkämpfe – Von der neuen Bürgerlichkeit zum Sozialrassismus?“ der Zeitschrift PROKLA entwickelte sich unter den PodiumsteilnehmerInnen David Salomon, Juliane Karakayali und Jürgen Link eine Debatte über den Aufruf „Demokratie statt Integration”.

Moderator: In der taz wurde vor kurzem der Aufruf „Demokratie statt Integration veröffentlicht“. In ihm wird für eine Abwendung vom Integrationsbegriff plädiert. Juliane, du hast den Aufruf unterschrieben. Warum?

Juliane: Der Integrationsbegriff ist ein ordnungspolitischer. Und für die, an die er adressiert war, war er mit Kontrolle, Forderungen und Sanktionen verbunden. Wenn man sich die letzten zehn Jahre anschaut, dann sieht man viele migrantische Gruppen, die eine Kampfansage an den Integrationsbegriff formuliert haben. Das fing mit Kanak Attak an, wird aber mittlerweile auch von manchen DGB-Ortsverbänden so gesehen.

Moderator: Warum hast du nicht unterzeichnet, Jürgen?

Jürgen: Im Text wurde argumentiert, ich überspitze, man muss den Begriff „Integration“ der Gegenseite überlassen. Polemisch gesagt, will man den Rassisten diesen Begriff schenken, statt zu schauen, ob man auf diesem Terrain kämpfen kann. Interessant finde ich, dass die taz den Titel des Aufrufs offenbar selbständig in „Nein zur Ausgrenzung“ geändert hat. Diese Intention teile ich natürlich.

David: Allgemein halte ich auch nichts davon, problematische Begriffe nur wegen einer politischen „Correctness“ auszutauschen. Man schleppt die Probleme nur weiter mit. Ich mag Begriffe, die man dekonstruieren muss, um zu einer brauchbaren Bedeutung zu kommen.

Moderator: Du hältst den Integrationsbegriff also für unproblematisch?

David: Nein, ich finde ihn problematisch, weil er das, worin integriert werden soll, unkritisierbar voraussetzt. Außerdem wird er – wie die Sarrazin-Debatte zeigt – sogar wieder in einem biologistischen Kontext benutzt. Etwas schwieriger wird es bei der Frage einer sozioökonomischen Integration. Da könnte man schon sagen, der Integrationsbegriff sei als sozialpolitischer Begriff geeignet, um das Problem des Ausgeschlossen-Werdens aus der Produktionssphäre der kapitalistischen Gesellschaft zu beschreiben. Aber auch hier ist der Begriff problematisch, weil man dann die kapitalistische Produktionsweise selbst nicht mehr kritisieren kann. Integration ist dann Integration in die vorgegebene Produktionsweise. Ich halte es daher letztlich für fraglich, ob man dem Integrationsbegriff eine produktive Bedeutung abtrotzen kann. Deshalb habe ich den Aufruf unterschrieben.

Jürgen: Ich sehe auch, dass weite Teile der Eliten in Politik und Medien den Integrationsbegriff in einem kulturrassistischen Sinne definieren, ihn mit Assimilation und Zwangsassimilation gleichsetzen. Das hat die Sarrazin-Debatte noch verstärkt. Aber wenn man genauer hinsieht, stellt man fest, dass der Begriff nicht einheitlich verwendet wird. Selbst in der SPD wird zwischen Assimilation und Integration unterschieden. Sie sagen: Nein zur Assimilation, also zur Forderung, dass Einwanderer ihre Identität völlig aufgeben sollen. Aber Integration, d.h. ein Aufeinander-Zugehen, soll es geben.

Juliane: Das stimmt zwar. Aber jedes Programm zur Integrationsförderung versteht etwas anderes unter dem Begriff. Mal geht es darum, dass die Leute mehr Deutsch lernen sollen, mal geht es um Berufsförderprogramme für junge MigrantInnen. Man kann sagen: Integration ist immer die Möhre, die hingehalten wird. Sobald man glaubt, dass man sie schnappen kann, wird sie weggezogen. Früher gab es kein Recht auf Einbürgerung. Jetzt gibt es das zwar, aber man muss hohe Sprachkompentenzen nachweisen. Das schreckt viele — insbesondere ältere — Menschen ab.

Jürgen: Richtig! Der Skandal der Integrationsdebatte ist, dass die Frage der Sprache nie behandelt wird. Mehrsprachigkeit für alle muss unser Motto sein. Das ist Integration im positiven Sinne. Auch die „eingeborenen“ deutschen Kinder müssen mehrsprachig sein, weil sie sowieso auf der Straße anders sprechen als sie in der Schule schreiben müssen. Und dann sollen sie noch Englisch lernen. Beim Integrationsbegriff muss ich dir aber widersprechen. Wenn wir ihn aufgeben, kapitulieren wir. Wir würden uns aus allen politischen Verhandlungen ausklinken, weil es ja um Integration geht. Wenn es also eine Chance gibt, ihn anders zu definieren und ihn in Gegensatz zur Assimilation zu stellen, dann müssen wir diese Chance nutzen.

Juliane: Du unterstellst die Fähigkeit zum sachlichen Diskurs. In dieser Debatte ist Sachlichkeit aber nicht gefragt. Da können wir noch so sehr versuchen, Argumente zu liefern, Zahlen nachzuarbeiten oder auf Studien zu verweisen, die etwas anderes sagen. Das will doch keiner hören. Insofern ist der Versuch, darauf hinzuweisen, dass Integration eigentlich etwas anderes meint, hoffnungslos.

Jürgen: Ein anderes Beispiel: Der Begriff der Demokratie wird von den Herrschenden auch in einem Sinne definiert, wie wir ihn nicht akzeptieren können. Deshalb sagen wir doch auch nicht, Demokratie ist eure Sache. Oder sollen wir sagen „Sozialismus statt Demokratie”? Es gibt zudem auch einen diskurstaktisch guten Ansatz: Der Begriff der europäischen Integration hat mit Assimilation nichts zu tun. Wo kämen „wir“ Deutsche denn hin, wenn Englisch zur einzigen europäischen Sprache gemacht würde. Im europäischen Kontext funktioniert der Begriff „Integration“ also auch offiziell eindeutig im Sinne der Wahrung von Pluralität und kultureller Autonomie, also Multikultur. Daran sehen wir doch: Wir können diesen Begriff im positiven Sinne definieren.

David: Ich halte es auch für wichtig, vorfindliche Diskurse zu beeinflussen. Dabei darf man sich sogar auf begrifflich schwammiges Terrain einlassen. Aber man muss aufpassen. Ein Beispiel: Vor ein paar Jahren wurden Mittelvergaben an den Begriff Rechtsextremismus gekoppelt. Jetzt erleben wir eine Explosion des Extremismusbegriffs, bei dem rechts, links, fundamentalistisch und was weiß ich noch zusammengeschmissen wird. Plötzlich muss man sich auf diesen Sprech einlassen, wenn man Mittel haben will. Gerade der Extremismusbegriff, wie die ihm zugrunde liegende Totalitarismusdoktrin, wurde in den Sozialwissenschaften ja bereits hinreichend problematisiert. Zumindest in der kritischen Sozialwissenschaft konnte man Mitte der 1990er Jahre noch nicht vom „Rechtsextremismus“ sprechen. Das ist gekippt, weil man sich auf diese Begriffe eingelassen hat. Letztlich hat die sozialwissenschaftliche Debatte gegenüber der ökonomischen Mittelvergabe verloren. Jetzt nimmt diese Extremismusdebatte einen bedrohlichen Verlauf. So etwas kann auch im Integrationsbegriff lauern, der hierzulande ja grauenvoll kulturalistisch aufgeladen ist. Wir müssen daher überlegen, welche anderen Begriffe können wir nutzen, wenn es um Teilhabe, Rechtsgleichheit und säkulare Öffentlichkeit geht.

Juliane: Jürgen, ich will auf dein diskurstaktisches Argument, also auf die gramscianische Frage eingehen, ob man sich in einen Stellungskrieg oder einen Bewegungskrieg begeben soll. Ich finde, wir müssen uns nicht für das eine oder das andere entscheiden. Aber in der gegenwärtigen Situation sehe ich keine Veranlassung meine Energie darauf zu verwenden, den Begriff Integration zu verteidigen. Letztlich ist die Integrationsdebatte überflüssig. Denn wenn wir über Arbeitslosigkeit reden wollen, dann brauchen wir keine Integrationsdebattte, sondern eine Debatte über Sozialpolitik, wenn wir über Frauenrechte reden wollen, dann brauchen wir eine über Emanzipationspolitik, wenn wir über Bildung reden möchten, dann müssen wir über neue Schulformen sprechen. Insofern ist die Frage, was wir mit dem Integrationsbegriff überhaupt gewinnen können?

Jürgen: Noch ein Beispiel: Eine Organisation von EinwanderInnen, die für ein Projekt Geld beantragt, kann doch nicht einfach den Aufruf „Demokratie statt Integration“ auf den Tisch legen. So kriegt sie kein Geld. Wir brauchen also die Möglichkeit, den Integrationsbegriff in einem anderen Sinne zu verwenden, z. B. im Sinne von Mehrsprachigkeit für alle. Wenn wir den Begriff von vornherein ablehnen, dann weiß ich nicht, welche Taktik du dann vorschlägst? Sollen die auf Förderungen verzichten?

Juliane: Zugestanden, wenn man Geld haben will, wird man den Begriff benutzen müssen. Aber das kann nicht dazu führen, dass wir ihn selber weiter tragen. Wir diskutieren hier ja die Frage nach unserer politischen Strategie. Und da sage ich: Wir dürfen uns niemals auf unsere Gegner zu bewegen. Letztlich ist der Integrationsbegriff doch der Schlachtruf unserer Gegner. Wir müssen vielmehr versuchen, diejenigen die ihn ablehnen, als Gegenbewegung zu formieren. Und das wollen wir auch mit unserem Aufruf sagen: „Uns ist es egal wie ihr eure Gelder vergebt. Wir wollen damit nichts zu tun haben.“

Jürgen: Du willst den Begriff nach außen verwenden, nach innen aber bekämpfen? Dagegen möchte ich noch mal klarstellen: Wenn Integration für alle gleich Zwangsassimilation wäre und nicht im Sinne von Reziprozität verstanden werden könnte, dann und nur dann müsste man ihn frontal bekämpfen, statt um ihn zu kämpfen – und dann natürlich sowohl nach innen wie nach außen.

Juliane: Ich gebe ja zu, dass es strategisch notwendig sein kann, den Begriff zu benutzen. Aber das steht grundsätzlich dem eben gesagten nicht entgegen. Wir dürfen uns nicht anpassen, sondern müssen diejenigen sammeln, die eine politische Gegenmacht aufbauen wollen.

Jürgen: Noch eine Sache zum Schluss: Der Begriff der Parallelgesellschaft kommt im Aufruf nicht vor. Dabei wird mit ihm Ausgrenzung betrieben. Den müssen wir verteidigen. Jedes Einwanderungsland braucht Parallelgesellschaften!

David: Genau. Die Frage ist sogar, ob eine gewisse Form von Parallelität nicht sogar konstitutiv für eine Gesellschaft ist. Klarer wäre daher wohl der Begriff „Parallelgemeinschaften“! Beim Integrationsbegriff ging es aber darum, ob man ihn kritisch aufladen kann, ob man ihn so verstehen kann, dass die Parallelgemeinschaften sich doch in einer Öffentlichkeit treffen, auseinandersetzen und die Konflikte der antagonistischen Gesellschaft austragen. Wenn man ihn aber ohne Problembewusstsein gebraucht, ist sowieso alles verloren. Ich glaube, dass der Aufruf auch die Funktion hat, die Debatte kontrovers zu halten und zu zeigen, dass mit dem Begriff ein Problem verbunden ist.


David Salomon ist Autor und Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Marburg (Didaktik der Politischen Bildung).

Juliane Karakayali ist Soziologieprofessorin an der Evangelischen Fachhochschule Berlin und Aktivistin im Netzwerk Kritische Migrations- und Grenzregimeforschung (kritnet)

Jürgen Link ist emeritierter Professor für Literaturwissenschaft an der Universität Dortmund und Herausgeber der Zeitschrift „kultuRRevolution“.

Redaktionelle Aufbereitung: Thomas Lohmeier