06.02.2012

„Wir reden über einen eindimensionalen Arbeitsbegriff“

prager frühling sprach mit Fadime Pektas vom „Gewerkerschafterdialog Grundeinkommen“

Thomas Lohmeier und Stefan Gerbing

prager frühling: Sie haben die Initiative „Gewerkschafterdialog Grundeinkommen“ mitbegründet. Warum?

Fadime Pektas: Weil ich der Meinung bin, nachdem unser Finanzsystem ein Tsunami nach dem anderen erlebt, unsere Politik immer unfähiger wird und es an der Zeit ist, endlich den Menschen das zukommmen zu lassen, was ihnen immer verwehrt wurde. Ein Leben in Würde zu leben, seine Existenz und Grundbedürfnisse zu sichern. Einen besseren Zugang zu vernünftig bezahlte Arbeitsverhältnisse und vor allem eine selbstbestimmte Zukunftsplanung in Angriff zu nehmen — ohne existenzielle Bedrohung durch eventuell wegfallende Einkommen. Wie es bereits auch in unserem Aufruf steht, die gesicherten, geschützten, auskömmlichen und menschenwürdigen Arbeitsverhältnisse erodieren immer weiter. Arbeit wird immer schlechter entlohnt, Arbeitsrechte und Sozialordnung werden durchlöchert, die Flucht aus Tarifen hat zugenommen. Daher ist nun eine neue Offensive u.a. zu Humanisierung der Arbeitswelt erforderlich.

pf: In Ihrem Aufruf heißt es: „ein solidarisches Grundeinkommen hat viele Vorteile für ArbeitnehmerInnen.“ Was meinen Sie damit konkret?

Pektas: Ein solidarisches Grundeinkommen kann sehr, sehr viele Vorteile für ArbeitnehmerInnen nach sich ziehen. Es wäre zum Beispiel damit eine finanzielle Unabhängigkeit gewährleistet, die gleichzeitig eine verbesserte Ausgangsbasis bei Verhandlungen um ein gerechtes Einkommen/ Entgelt ermöglicht. Zudem hätten ArbeitnehmerInnen eine verbesserte Voraussetzung bei Inanspruchnahme befristeter Auszeiten im Betrieb für berufliche Weiterbildung z.B. für ein Abendstudium, den Meisterbrief oder Ähnliches — ohne existenzielle Bedrohung! Mit einem solidarischen Grundeinkommen wird ein Sockelbetrag fortlaufend gezahlt und ermöglicht somit eine Grundfinanzierung der Auszeit. Oder besonders arbeitslose Menschen wären davon positiv betroffen, die aufgrund der Überschreitung der Einkommensgrenzen des Partners KEINEN Anspruch auf das ALG II haben.

pf: Das Grundeinkommen wird ja nicht nur von linker Seite gefordert. Kritiker befürchten, ein Grundeinkommen könnte zu einer Ausweitung von Kombilöhnen führen, wie wir es jetzt teilweise schon bei Hartz IV sehen. Teilen sie diese Befürchtungen?

Pektas: Das Risiko besteht natürlich und deswegen sehen wir das Thema bGE für ArbeitnehmerInnen ganzheitlich. Das heißt, wir reden auch über weitere flankierende Säulen, wie z.B. Mindestlohn und Bürgerversicherung.

pf: Lohnarbeit ist ja nicht nur relevant, um Einkommen zu erzielen. Lohnarbeitslosigkeit wird ja von vielen betroffenen auch als Ausgrenzung erlebt. Auch gesellschaftliche Anerkennung, die in unserer Gesellschaft oftmals über Lohnarbeit generiert wird, fällt. Schafft ein Grundeinkommen neue Zugangsbarrieren zur Lohnarbeit und stellt Menschen, die gerade keinen Lohnarbeitsplatz haben, einfach ruhig?

Pektas: Lohnarbeit gehört zur derzeitigen typischen Darstellungsform der Menschen in unserer Gesellschaft. Es werden aber auch viele andere Arbeiten erledigt, die derzeit nicht so im Fokus der Gesellschaft stehen und dennoch genauso wichtig sind. Vielleicht gelingt es uns auch eine Diskussion über den Begriff Arbeit anzustoßen. Das ein Grundeinkommen neue Zugangsbarrieren zur Lohnarbeit schafft, ist eher nicht anzunehmen, da ja die neue Freiheit eines bGE die Arbeitgeber zwingen wird, keine neue Hürden aufzustellen.

Auch eine sogenannte Stillhalteprämie sehen wir nicht, da endlich existenzsichernd Geld bei den Menschen vorhanden sein wird, welches auch Initiativen auslösen wird, an die wir heute noch gar nicht denken.

pf: Wirklich? Familienministerin Schröder ist für das geplante Erziehungsgeld nicht nur von FeministInnen scharf kritisiert worden. Wirkt das Grundeinkommen wie eine Art Erziehungsgeld oder Herdprämie für nicht erwerbstätige Frauen?

Pekats: Wir reden eindimensional über den derzeitigen Arbeitsbegriff. Frauen und auch Männer leisten eine hervorragende Arbeit mit Kindern und in der Familie. Das ist Arbeit, die in unserer Gesellschaft gebraucht wird. Warum wird das nicht gesehen?

pf: Sie sind nicht die Ersten, die versuchen Debatten um das Bedingungslose Grundeinkommen in die Gewerkschaften zu tragen. Vor fünf Jahren gab es einen Beschluss z. B. des Ver.di-Bundeskongresses, der die Initiierung eines Diskussionsprozesses forderte. In Berlin gab bereits vor Jahren eine Arbeitsgruppe der IG Metall zum Thema. Hat es einen Diskussionsprozess gegeben oder sind diese Initiativen gescheitert?

Pektas: Uns sind keine groß angelegten Debatten in der Mitgliedschaft unserer Organisationen über das bGE bekannt. Wir möchten mit unserer Initiative ja gerade in den Gewerkschaften eine Debatte zum bGE und über die Vor- und Nachteile anstoßen. Insofern kann man immer mal Anträge auf Kongressen der ver.di und IG Metall wahrnehmen, neben sehr vielen anderen Anträgen, Aber eine mitgliedernahe Diskussion hat bisher, so unsere Wahrnehmung, nicht stattgefunden. Das lag sicherlich auch daran, dass bei Kongressen z.T. über 1000 Anträge diskutiert worden sind.

pf: Alle Mitglieder des Initiativkreises kommen aus Ver.di oder der IG Metall, gab es Reaktionen aus den anderen Teilgewerkschaften?

Pektas: Auf unserer Website gewerkschafterdialog-grundeinkommen haben wir bereits weitere Unterzeichner auch aus anderen Gewerkschaften z. B. der IG Bau gegeben.

pf: Viele der bisherigen Denkanstöße im gewerkschaftlichen Grundeinkommensdiskurs kamen aus dem Spektrum von innergewerkschaftlichen Erwerbsloseninitiativen oder von Arbeitskreisen, die sich mit prekären Beschäftigungsverhältnissen beschäftigten — ist das symptomatisch? Anders gefragt: Die Kritik dieser Initiativen an einer sozialpolitischen Orientierung, die sich an fordistischen Erwerbsarbeitsarbeitsmustern orientiert, leuchtet ein. Was sollte für z. B. eine klassische Industriegewerkschaft wie der IG Metall der Anlass für eine Auseinandersetzung mit dem BGE sein.

Pektas: Die Innovationszyklen in den klassischen Kernbereichen der IG Metall werden immer kürzer. Insofern kann der Begriff von "fordistischen Erwerbsarbeitsmustern" so nicht mehr in Größenordnungen, wie z.B. bis in den 60er Jahren, festgestellt werden. D.h. es werden, sich permanent weiterbildende und mitdenkende, Mitarbeiter gesucht. Die Gewerkschaften inkl. der IG Metall haben durch Hartz IV und Leiharbeit permanenten Druck auf Erwerbsarbeitslöhne feststellen müssen. Gerade diese Situation veranlasst uns zu der Annahme, dass durch ein bGE der Druck auf die guten Löhne abnimmt und damit die IG Metall sich dann auch um die wirklich wichtigen Dinge, zum Beispiel Arbeitsbedingungen der mit Erwerbsarbeit beschäftigten Menschen kümmern kann — zum Beispiel mit dem Projekt „Gute Arbeit“.

Mehr Informationen über die Initiative finden sich auf der Webseite: www.gewerkschafterdialog-grundeinkommen.de.[1]

Links:

  1. http://www.gewerkschafterdialog-grundeinkommen.de/