20.02.2012

Dank für's Lebenswerk

Uwe Schaarschmidt
Grauhaarig, freundliches Wesen - warum nicht Mal ein Terrier?

Joachim Gauck vorzuwerfen, dass er in Gesprächen mit Stasi-Offizieren, anlässlich der Ausreise seiner Söhne, gesagt hat, der Sozialismus müsse attraktiver werden, damit die Leute ein echtes Heimatgefühl entwickelten, ist das, was Gauck der Occupy-Bewegung unterstellt: Unsäglich albern. Wenn man mit der DDR-Staatsmacht redete, sagte man als Mensch mit halbwegs Verstand eben nicht „Euer ganzer Scheißsozialismus ist für den Arsch“, sondern man sagte: Er muss noch attraktiver werden. Und auch seinem Geständnis, er selbst habe vielleicht zu wenig getan, um seine Söhne von der Ausreise abzuhalten, könnte er durchaus in Gedanken hinzugefügt haben: „Und ich bin stolz darauf, ihr Drecksäcke!“ Wer selbst in der DDR gelebt hat, weiß, was gemeint ist. Innerlich genügend Abstand von einem moralisch dahin gammelnden Regime zu halten, ohne sich allzu auffällig den Gefahren auszusetzen, die dieses Regime ja unbestritten verkörperte, ein wenig Eulenspiegelei, ein wenig Zorn im Gesicht, den man im Falle des Falles immer mit Magenschmerzen erklären konnte - das war Lebenskunst nach Art des Landes.

Aber es war eben kein Widerstandskampf. Sich diesen andichten zu lassen, sich wider besseren Wissens als ehemaliger DDR-Bürgerrechtler verkaufen zu lassen, das ist eine faustdicke Lüge. Irgendwann im Rostocker Bürgerkommitee aufzutauchen und beim Treten des Riesen mitzumachen, als dieser schon zuckend auf dem Boden lag – das war Gaucks Start in die zweite Karriere. Nun war er damit kein Einzelfall. Das Land war damals voll von Mutigen der letzten Stunde ebenso, wie es voll von Feiglingen, Überläufern, Verzweifelten, Zerknirschten war. Die sterbende DDR gab von sich, was lange in ihrem Gedärm gedräut hatte. Das war manchmal lustig, manchmal traurig, manchmal erstaunlich, manchmal wirklich widerwärtig. Gerade die Widerwärtigkeit hatte dabei viele Gesichter. Manche waren sofort in aller Hässlichkeit sichtbar – andere formten sich mit der neuen Zeit, mit den Verlockungen der Macht, des Geldes, der Eitelkeit.

Gauck ist die perfekte Verkörperung eines Mannes, der allen drei Verlockungen erlag. Je nach Auftrag totzuschlagen oder leben zu lassen – dies ist und war Manier der nach Gauck benannten Behörde ebenso, wie der BILD-Zeitung. Dies erklärt auch das vertrauliche Verhältnis beider. Der (westdeutschen) Politik war im Prinzip klar, dass es ohne massive soziale Verwerfungen im Osten Deutschlands nicht abgehen würde und dass die „kleinen Leute“ im Westen die Gewinne der Großen würden bezahlen müssen. Gauck war der Mann, der die Schuldigen dafür zu liefern hatte – immer und immer wieder. Jeden Zweifel am Kapitalismus, jedes Nachdenken über eine Gesellschaft jenseits von ihm mit den Worten „Stasi“ und „Unrecht“ niederzubellen, erledigt Gauck seit über zwei Jahrzehnten in trauter Eintracht mit der BILD-Zeitung – mit und ohne Amt. Nun bald wieder mit. Der Einzug ins Schloss Bellevue ist der Dank für sein Lebenswerk und er ist mit der Erwartung verknüpft, auch künftigen Krisen des Kapitalismus mit dem ihm eigenen, pastoralem Geschwurbel die angeblich einzige, schlimme Alternative entgegen zu halten: Unrecht und Stasi, GULAG und Lubjanka.

In vorauseilendem Gehorsam hat er damit längst begonnen. Auge um Auge – Zahn um Zahn in Afghanistan. Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen – sein Plädoyer für Hartz IV. Und die Macht der Reichen, die euer Elend ist, müsst ihr nur so lange ertragen, bis ihr im Paradies seid – die passen mit ihren Geldsäcken ebenso wenig durchs Nadelöhr wie ein Kamel. Seid frohen Mutes, der Herr ist mit euch – und ich bin es auch!

Nur eines ist noch widerwärtiger, als dieser eitle Prediger der Enthaltsamkeit in Dummheit: Die Riege, die ihn in großer Eintracht als Kandidaten präsentiert hat. Sie wussten – Claudia Roth vielleicht einmal ausgenommen – genau, was sie taten.