gretchenfrage

Wie hältst du’s mit Israel?

Katharina König

In Israel werden Parteien, die mit den Palästinensern auf der Grundlage einer Zwei-Staaten-Lösung verhandeln wollen, als links bezeichnet. Dagegen wollen die religiösen Parteien, der Likud und andere die besetzten Gebiete aus religiösen oder sicherheitspolitischen Motivationen aufrechterhalten. Nach der zweiten Intifada und den Hamas-Raketen im Gaza-Streifen hat die Mehrheit der Öffentlichkeit, die sich für eine Zwei-Staaten-Lösung einsetzt, ihr Vertrauen in die palästinensische Seite verloren und eher rechts gewählt. In den letzten Jahren hat die Linke keine Antwort auf dieses Misstrauen der Öffentlichkeit entwickelt und an Macht verloren. Wenn die Linke jedoch die soziale Frage aufgreift und mit dem Konflikt kombiniert, wird sie in der Lage sein, wieder an Macht zu gewinnen. Aber das erfordert auch von der palästinensischen Seite den Beweis, dass sie zuverlässig ist.

Christian Sterzing

Ido Porat, Vorsitzender Young Meretz

Sergey Lagodinski

Was für eine Frage. Eine Gretchenfrage noch dazu. Wie viel Fokussierung auf ein Land. Welch Desinteresse gegensätzlich dazu am Agieren anderer Staaten. Wie hältst du es mit Spanien, wie mit der Türkei ...? Keine Fragen, kaum Auseinandersetzung, vielleicht vereinzelt Kritik. Aber vor allem: keine über die Grundkritik an Staat und Nation hinausgehende Infragestellung. Im Gegensatz zu Israel. Das sollte für Linke besorgniserregend sein. Diese Besorgnis gilt es ernst zu nehmen. Um der dort lebenden Menschen willen. Dafür benötigt es eine klare, eindeutige Position. Diese ist für mich ausschlaggebend. Ich erkenne Israel an. Grundsätzlich. Solidarisch. Nicht unkritisch. In genau dieser Reihenfolge.

Pedram Sharja

Katharina König, linke Landtagsabgeordnete

Ido Porat

Die Linke müsste antworten: reflexartig. Wie sonst soll man diese Beziehung nennen? Unsere Reaktion ist berechenbar: Israel handelt, die politische Linke verurteilt. Auch jene, die Israel verteidigen, sind von Automatismen nicht frei. Dort wird jeder Hinweis auf Missstände abgewehrt. So wird jedes Gespräch zum diskursiven Teufelskreis, und die Beziehung zu Israel zu einem einzigen Reflex. Israel hat mehr verdient. Nicht, weil es ein Staat von Juden ist und wir als Deutsche diskutieren. Israel war linkes Projekt, Staat gewordene emanzipatorische Idee, Antwort auf Jahrtausende Rechtlosigkeit. Die Umsetzung der Idee ist nicht ideal, das liegt auch am bedrohlichen Umfeld. Das ist kein Freibrief, doch wenn wir Israel kritisieren, dann aus sicherer Entfernung. Wir müssen uns höchstens sorgen, dass unser Auto abgefackelt wird. In Israel geht es um mehr. Wir müssen uns vor jedem Statement fragen, was wir täten, wohnten wir in Sderot und nicht in Kreuzberg. Dann ausatmen und loskritisieren!

Petra Pau

Sergey Lagodinsky, Rechtsanwalt und Publizist

Shoah, Kibbuz und Palästina-Konflikt sind prägend gewesen. Die Gedenkstättenarbeit in Auschwitz, die Beschäftigung mit der jüdischen Geschichte und achtzehn Monate als Freiwilliger waren die Initialzündung für die andauernde Faszination Israels. Dazu kam — vor 40 Jahren — der Reiz des Kibbuz‘, der inzwischen verblichenen Alternative zum kapitalistischen Produktions- und Lebensmodell. Der „besondere Charakter“ der deutsch-israelischen Beziehungen erhielt eine persönliche Dimension. Doch wer von Israel spricht, muss auch von den Palästinensern reden. Wer zur Zeit der Intifada in Jerusalem wohnte und in Ramallah arbeitete, der musste diesen mentalen Spagat aushalten: politisch und persönlich, zwischen Opfern und Tätern. Aber stimmt diese platte Dichotomie? Zwei Gesellschaften sind von Konflikt und Gewalt deformiert. Frieden und Sicherheit wird Israel nicht finden, ohne den Palästinensern Gleiches zuzugestehen. Solidarität ist ein schwieriges Geschäft.

Christian Sterzing, Leiter Böll-Stiftung Ramallah (2004-09)

Erst die Shoah als historisch singuläres Verbrechen machte den Zionismus innerhalb der jüdischen Weltgemeinde hegemonial und schaffte die Legitimität eines jüdischen Staates als Schutzraum. Dieses Erbe bedingt für deutsche Linke eine besondere Sensibilität gegenüber Israel. Andererseits basierte die Entstehung dieses Staates auf Unrecht, auf ethnischen Säuberungen und Entrechtung von unzähligen PalästinenserInnen, die bis heute andauern. Ferner war die israelische Außenpolitik ein Hindernis für jegliche emanzipatorischen Prozesse in der Region und oft die Speerspitze imperialer Barbarei. Nur den Schutzraum abzufeiern, zeugt von einem Geschichtsbewusstsein, das aus einem national beschränkten Horizont kommt und sogar unterbewusst rassistisch ist, weil die Biographien und das Leid von Teilen der migrantischen Communitys ignoriert werden. Das Ernstnehmen dieses Leides ist die Basis zur Förderung von progressivem Bewusstsein für einen Dialog mit der nahen und fernen orientalen Welt.

Pedram Shahyar, Blogger und attac-Mitglied

Egal, was man von Israel hält, ob man das Land schön findet oder ob man die Politik kritisiert, eines sollte dabei nie vergessen werden: Für Millionen Jüdinnen und Juden in aller Welt gilt der Staat als Lebensversicherung. Das ist eine Folge des Holocausts. Sechs Millionen Menschen wurden nur aus einem Grund ermordet, weil sie Jüdinnen bzw. Juden waren. Überlebende nahmen die Erfahrung mit, dass sie in den Jahren höchster Not von allen guten Geistern verlassen worden waren, von rühmlichen Ausnahmen abgesehen. Literaturnobelpreisträger Imre Kertesz sagte einmal sinngemäß: Das vordem Undenkbare ist geschehen. Und was einmal war, kann wieder sein. Dieses Gefühl wurde tief in die Herzen und Seelen des jüdischen Volkes gebrannt.
Petra Pau, Vizepräsidentin des Bundestages