fragen an sender jerewan

Antisemitismusvorwurf und Nahostkonflikt

Stefan Gerbing
Jerewan in der Nachmittagssonne

Antisemitismus im Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt wird in Teilen der LINKEN nach dem Prinzip von alten Ostblock-Witzen verhandelt: „Frage an Sender Jerewan: Ist die Partei gegen Antisemitismus? Im Prinzip ja, solange man ihn nicht definieren muss.“ Da in der LINKEN fast nie Kriterien genannt werden, wann Äußerungen über Israel in antisemitisches Ressentiment umschlagen, kann jede Kritik an tatsächlich antisemitischen Positionen abgebügelt werden. Die Absolution wird von der Bundestagsfraktion unter der Überschrift „Kritik an israelischer Regierungspolitik ist kein Antisemitismus“ erteilt: „Wir werden als Linke weiterhin die Politik der israelischen Regierungen gegenüber den Palästinenserinnen und Palästinensern öffentlich kritisieren […] Es ist nicht hinnehmbar, wenn einer derartige[n] Kritik […] mit dem Vorwurf des Antisemitismus begegnet wird.“ (Beschluss vom 28.7.2011) Richtig wäre: Nicht jede Kritik an der israelischen Regierung ist antisemitisch. Das behauptet allerdings niemand. Das Netzwerk Marx21 meint, dass Antisemitismus seit den 1950er Jahren auf dem Rückzug sei. (http://marx21.de/content/view/1444/32/) Wenn man Antisemitismus auf Judenfeindschaft, religiösen Antisemitismus, Rasse-Antisemitismus des 19. Jahrhunderts oder des NS reduziert, kann man zu dieser Auffassungen kommen. Seit 1945 gibt es eine Tabuisierung offen antisemitischer Aussagen. Sich von diesen Formen zu distanzieren ist ein Leichtes. Nach der Gründung Israels 1948 entstand jedoch ein „neuer“ Antisemitismus, der Israelkritik mit Bildern des „alten“ Antisemitismus oder der Relativierungen des Holocaust kombiniert.

Orientierung für Kriterien antisemitischer Kritik könnte die Definition des „European Monitoring Centre on Racism and Xenophobia“ sein. Sie benennt: die Anwendung doppelter Standards, indem an Israel Verhaltensansprüche gestellt werden, die von keiner anderen demokratischen Nation gefordert werden; die Anwendung klassisch-antisemitischer Symbole und Bilder für die Charakterisierung Israels oder der Israelis; der Vergleich der aktuellen Politik Israels mit jener der Nazis; die Behauptung einer Kollektivverantwortung von Juden gegenüber der Politik des Staates Israel; falsche, entmenschlichende, dämonisierende oder stereotype Anschuldigungen gegen Juden; der Vorwurf gegenüber dem Staat Israel, den Holocaust übertrieben darzustellen. Auch wenn man diese Kriterien akzeptiert, mag es unterschiedliche Meinungen darüber geben, ob die Verharmlosung des Raketenbeschusses aus dem Gazastreifen auf Israel Ausdruck von doppelten Standards ist. Es ist eine Einschätzungsfrage, ob Menschenrechtsverletzungen und Terroranschläge von Organisationen wie Hamas oder PFLP (Volksfront zur Befreiung Palästinas) in der Linken im selben Maße kritisiert werden, wie Menschenrechtsverletzungen Israels. Der Verdacht drängt sich jedoch auf, dass mancher die Diskussion über Kriterien aus gutem Grunde scheut. Denn wenn LINKEN-Stadtrat Hermann Dierkes die Opfer des Vernichtungsfeldzuges gegen die Sowjetunion gegen die Ermordeten der Shoah rechnet (und die die Babijar und andernorts ermordeten Juden zu Sowjetbürgern und Nichtjuden erklärt) oder Stefan Ziefle erklärt, dass der israelische Staat überflüssig sei (siehe nebenstehende Dokumentation), wird aus dem eingangs zitierten Witz bitterer Ernst. Frage an Sender Jerewan: „Werden in der Linken antisemtische Positionen vertreten? Im Prinzip …“