ein mann seiner zeit

Vom nicht-feministischen Abendroth dem feministischen Morgenrot entgegen

Lena Kreck
Auch Mann seiner Zeit: Michael Abendroth (auf Honda Type R - vermutlich nicht mit Wolfgang verwandt)

„Wolfgang Abendroth war ein Mann seiner Zeit.“ – Dies ist wohl eine der charmanteren Antworten, fragt man nach dem feministischen Gehalt von Abendroths Denken. Der 1906 geborene Wolfgang Abendroth war bis zur Auseinandersetzung um die Sozialfaschismusthese Mitglied der KPD, er wurde von 1937 bis 1941 von den Nazis ins Zuchthaus gesperrt und war nach dem Krieg bis zu seinem Parteiausschluss 1961 Mitglied der SPD. Der politische Jurist und demokratische Sozialist hat sich nicht als Feminist hervorgetan. Er gehörte viel mehr zu denen, die der Meinung sind, dass sich mit der „Klassenfrage“ auch die „Frauenfrage“ erübrigen werde. Feminist_innen kräuselt es an dieser Stelle die Zehennägel und Wut macht sich breit: Müssen wir wirklich auf das emanzipatorische Potential ganzer Staats- und Demokratietheorien verzichten, wenn sie auf dem geschlechtssensiblen Auge blind sind? Wer dazu nicht bereit ist, muss sich die Herausforderung stellen und geschlechtsblinde Theorien mit den geeigneten feministischen Sehhilfen pimpen. Doch geht das so einfach?

Innerparteiliche Demokratie als Voraussetzung für gesellschaftliche Demokratie

Wolfgang Abendroth hat sich unter anderem durch – gerade für parteilich Gebundene besonders lesenswerte – Überlegungen zu den Problemen innerparteilicher Demokratien1 hervorgetan. Seine These lautet: Innerparteiliche Demokratien sind Voraussetzung für gesellschaftliche Demokratie. In der Wirklichkeit sah Abendroth aber vor allem drei Problemfelder, welche innerparteilicher Demokratie zuwiderlaufen: Erstens beeinträchtigt das Wechselverhältnis zur Wirtschaft innerparteiliche Entscheidungsprozesse. Zweitens verlaufen Willensbildungsprozesse nicht von der Parteibasis in die Führungsgremien, sondern viel mehr von oben nach unten. Drittens leidet die demokratische Legitimation der parlamentarischen Fraktionen, wenn diese sich über die Führungsgremien, welche nicht ausreichend den Basiswillen abbilden, an die Partei koppeln.

Feministische Demokratietheorien werfen Theorien, die die Strukturkategorie Geschlecht nicht einbeziehen, vor, dass sie die Geschlechterhierarchisierung reproduzieren. Ein zentraler Kritikpunkt an geschlechtsblinden Theorien ist die fiktive Trennung zwischen einer öffentlichen und einer privaten Sphäre, die auch von vielen fortschrittlichen Theoretiker_innen als selbstverständlich vorausgesetzt wird. Dem Öffentlichen wird der Raum der Politik, dem Privaten das Nichtstaatliche zugerechnet, wobei verkannt wird, dass es die Politik ist, die festschreibt, was öffentlich und was privat ist. An Beispielen mangelt es nicht: Nehmen wir den Zensus 2011, der von den Befragten verlangt, als intim empfundene Details dem Staat preiszugeben. Oder verdeutlichen wir es uns an der Diskussion um den Schwangerschaftsabbruch. Seit Jahrzehnten postulieren Frauen: „Mein Bauch gehört mir!“ Doch eine politische Mehrheit entscheidet anders und sanktioniert bis heute die weibliche Verfügungsgewalt über den eigenen Körper. Diese Trennung zwischen Privatem und Öffentlichem ist geschlechtlich besetzt. Das Öffentliche ist männlich konnotiert, das Private weiblich. Daran ändern eine Bundeskanzlerin Angela Merkel oder ein Vater in Elternzeit nichts. Denn gemeint sind hier nicht die Individuen, denen ein Geschlecht zugeschrieben wird und die aus einem Bündel von Möglichkeiten Lebensentscheidungen fällen, sondern soziale Praxen, die an einer bipolaren, hierarchisierenden Zweiteilung der Geschlechter festhalten. Die Quintessenz ist: Zwar tut der Staat gerne so, als sei er geschlechtsneutral, doch damit steht er auf der Seite des Winner-Teams, nämlich auf der männlichen und reproduziert Tag für Tag Geschlechterdifferenzen.

Neutralität führt zu Reproduktion

Nun kann man „Schlimm!“ sagen und der Meinung sein, es müsse auch oder gar mehr feministische Wissenschaft und Politik betrieben werden. Wer sich aber im gleichen Atemzug mit einem feministisch gemeinten Nebensatz begnügt, wird Teil des Problems. Wolfgang Abendroth zum Beispiel hatte große Sorgen, die zweite Frauenbewegung würde der Arbeiterbewegung den Rang ablaufen, obwohl er eine Gleichberechtigung der Geschlechter anstrebte. Aber er hat nicht gesehen, dass er mit seinem vermeintlich geschlechtsneutralen Denken, Geschlechterhierarchisierungen nicht aufbrechen konnte, sondern diese reproduziert. Allerdings müssen wir fair bleiben: Die feministische Theorie war zu Abendroths Lebzeiten noch in den Kinderschuhen und hatte noch nicht die richtigen Instrumente zum Pieksen eines progressiven, aber tatsächlich nicht feministisch forschenden Mannes entwickelt.

Umso größer ist heute die Aufgabe, an Abendroth anzuknüpfen und die Probleme der innerparteilichen Demokratien feministisch weiterzuentwickeln. Denn seine These, innerparteiliche Demokratie sei Voraussetzung für gesellschaftliche Demokratie, überzeugt. Da ist die (in dieser Frage bisher ziemlich stille) feministische Demokratietheorie genauso gefragt, wie die Staats- und Demokratietheoretiker_innen des fortschrittlichen Lagers, die immer noch meinen, ohne die Strukturkategorie Geschlecht auszukommen. Und natürlich bringt die beste Theorie nichts, wenn die politischen Praxen ihr nicht entsprechen. Es muss also in der wissenschaftlichen wie politischen Auseinandersetzung die Frage erlaubt sein: „Inwiefern sind Parteien geschlechtshierarchisierende Ordnungsfaktoren?“ Es geht an dieser Stelle nicht um Instrumente wie eine Frauenquote, die – wie die politische Realität immer wieder zeigt – ein wichtiger Baustein zum Abbau von Geschlechterhierarchien ist. Dies darf uns aber nicht genügen! Deshalb muss es um eine feministische Politik gehen, die erkennt, welch stabilisierende Rolle selbst fortschrittliche Parteien bezogen auf gesellschaftliche Geschlechterungleichheiten einnehmen. Abendroths Kritikpunkten hinsichtlich der Defizite innerparteilicher Demokratie ist also zumindest die feministische Kritik hinzuzufügen. Etienne Balibar erklärt die Feminist_innen gar zur „utopischen Rettung“ für den Kommunismus durch die „Desorganisierung von selbstreferenziellen Organisationsformen“.2 Hier können sich Abendroths Problembeschreibung mit einer feministischen Kritik treffen.

Die Hausaufgaben sind also klar gestellt: „Streiche zuerst alle wanna-be-feministischen Nebensätze. Formuliere dann feministische Hauptsätze zum Problem der innerparteilichen Demokratien. Bearbeitungsvermerk: Begnüge dich nicht damit, die Aufgabe theoretisch zu lösen, sondern gleiche sie immer wieder mit politischen Praxen ab.“

Fußnoten

1 Wolfgang Abendroth, Das Problem der innerparteilichen und innerverbandlichen

Demokratie in der Bundesrepublik, in: Wolfgang Abendroth (Hrsg.), Antagonistische Gesellschaft

und politische Demokratie, Aufsätze zur politischen Soziologie, 2. Auflage. Neuwied & Berlin 1972, S. 272-317.

2 Etienne Balibar, Eine utopische Rettung, Geschlechterverhältnisse und Parteiform, in: prager frühling 10, S. 41-42.