kaltland

Ein Sammelband (nicht nur) zum 20. Jahrestag der Angriffe in Hoyerswerda

Lena Kreck
Kaltland. Eine Sammlung - ist im Rotbuch Verlag unter der Herausgeberschaft von Karsten Krampitz, Markus Liske und Manja Präkels erschienen. Es enthält Beiträge von Annett Gröschner, Jakob Hein, Emine Sevgi Özdamar, Martin Sonneborn, Matthias Vernald

In den Jahren 2009 und 2010 taumelten Schriftsteller, Künstler, Kommentatoren und Fernsehteams fast geschlossen zwischen 20-Jahre-Mauerfall-Partys und 20-Jahre-Wiedervereinigung-Partys herum, um der „Friedlichen Revolution“ zu gedenken und all der rosa getünchten Rathäuser, Spaßbäder und neuen Autobahnen, die seither Helmut Kohls „blühende Landschaften“ darstellen. Dabei geriet plangemäß in Vergessenheit, dass mit dem Ausruf „Wir sind das Volk!“ (aus dem schon bald „Wir sind ein Volk!“ werden sollte) eine im Nachkriegsdeutschland beispiellose völkische Massenbewegung losgetreten wurde, die sich zudem auf dem Gebiet der ehemaligen DDR in einem über Jahre hinweg nahezu rechtsfreiem Raum austoben durfte. Die massiven Angriffe auf Asylbewerberheime in Hoyerswerda (1991) und Rostock (1992) waren dabei nur die Spitze des Eisbergs…“ So leiten die HerausgeberInnen Karsten Krampitz, Markus Liske und Manja Präkels ihren jüngst erschienen Sammelband „Kaltland. Eine Sammlung“ ein. In ihm ist ein bunter Blumenstrauß von Erinnerungen und Erzählungen vornehmlich von KünstlerInnen und JournalistInnen zu finden. Die Beiträge sind bestürzend: „… Rebecca war damals gerade in der dritten Klasse. Sie kam an jenem Tag später als üblich aus der nahe gelegenen Schule. Als sie endlich in der Tür stand, blieb mir bei ihrem Anblick das Herz stehen. Auch dunkelhäutige Menschen können kreidebleich aussehen. Sie war tränenverschmiert und bis in die Schuhe hinein beschmutzt von ihrem eigenen Kot…“ (Uta Pilling, Rebecca). Sie machen Angst: „… Ich kniete mich auf den Boden und versuchte mit Armen und Beinen, so gut es ging, die inneren Organe zu schützen, vor allem aber das Gesicht. Keine Ahnung, ob das in solchen Fällen immer so ist, aber ich spürte überhaupt keinen Schmerz bei den Tritten und Schlägen…“ (Ahne, Wie der 18. April mal vorgestern war). Und sie sind witzig: „… Am nächsten Tag machten die Nazis Frühsport. Und Fahnenappell. Wie bei Riefenstahl sah es aber nicht aus. Irgendwelche Biker störten das Bild, weil sie fluchend und verkatert zwischen den völkischen Volltrotteln herum wankten und irgendwelche verloren gegangenen Sachen suchten. Die Disziplin bei den Rechten ging auch immer mehr flöten…“ (Andreas Krenzke, Mehr Heavy Metal). Die HerausgeberInnen haben mehr als 40 Texte zusammengestellt. Sie empfehlen, ihren Sammelband chronologisch zu lesen und haben ihn praktischer Weise gleich so aufgebaut. Das macht es für Lesende nicht einfacher. Die Beiträge prasseln in hoher Taktzahl auf sie ein. Kaum hat man sich von der einen Geschichte erholt, reißt einen die nächste wieder runter. Wahrscheinlich zeichnet es diesen Band aber gerade aus, dass er es schafft, Wirklichkeit wie ein Mosaik zu zeichnen. Eines dieser Mosaik-Stücke stellt ein Text von Karsten Krampitz – nicht nur Mitherausgeber des Sammelbandes und Träger des Ingeborg-Bachmann-Publikumspreises, sondern auch von der prager frühling-Redaktion hoch geschätzter Grußwortsprecher – dar. Hierin beschreibt er seine Erfahrungen, die er als freier Mitarbeiter der Tageszeitung „junge Welt“, verantwortlich für die Fernsehseite, Anfang der 1990er Jahre machte. Und da es die „junge Welt“ bereits in der ersten Ausgabe des „prager frühling“ in die In&Out-Liste als eindeutig out geschafft hat, haben wir als Vorgeschmack auf „Kaltland“ einen Auszug aus Krampitzs „Schöne junge Welt“[1] ausgewählt.

Links:

  1. https://www.prager-fruehling-magazin.de/de/article/914.schoene-junge-welt.html