Editorial

Redaktion
Noch 'n kurzes Interview bevor die Geschichte zu Ende ist? Der beliebte Humorist Fukuyama.

Liebe Europäerinnen und Europäer, liebe Lesende,

kennen Sie den? Die Geschichte ist im 20. Jahrhundert mit dem Sieg der wohlstandsbringenden westlichen liberalen Gesellschaften über alle anderen Gesellschaftsideen an ihr Ende gekommen. Es gibt eben manche Irrtümer, die werden mit steigendem Zeitabstand immer peinlicher. Autor dieser lustigen Pointe war vor genau 20 Jahren der amerikanische Humorist und Politikwissenschaftler Francis Fukuyama.

Aktuell ist das Lachen Europas BürgerInnen ziemlich vergangen, den unteren Zehnmillionen wegen der Sparpakete ohnehin, den oberen Zehntausend wiederum nach den griechischen und französischen Wahlen: Fiskalpakt samt Armutsverpflichtung wurden – vorerst – abgewählt. Zeiten für die Linke, möchte man meinen. Doch das ist nicht ausgemacht. Trotz ausgebliebenem „Ende der Geschichte“, trotz griechischer und französischer Hoffnungen wirkt sie in Deutschland wie aus der Zeit gefallen. Statt selbstbewusster Kampfansage trauert etwa Sahra Wagenknecht in der FAZ vom 30. April um die durch den schnöden materialistischen Geldmammon verlorengegangenen „europäischen Werte“. Zugleich beschweren sich linke Verfassungsschützer beim höchsten deutschen Gericht darüber, dass Sozialpolitik nicht mehr an Merkels Regierungstisch, sondern in Brüssel gemacht wird – weil, so Sahra Wagenknecht, das EU-Parlament als „Vielvölkerparlament, in dem die Abgeordneten noch nicht einmal die gleiche Sprache sprechen“, lobbyanfälliger sei. Staatsverträge statt Euro-Staat. Ja, ja – das waren noch Zeiten, als der Herrscher feierliche Gelübde noch etwas galten. Nun ja, bei derart romantischer Staatskritik bleibt uns nur der Materialismus als Gegenargument, und deshalb lautet der Schwerpunkt dieser Ausgabe „Europa und die Krise“.

Doch was nun, Europa? Und vor allem: Was tun, europäische Linke? In unserer aktuellen Ausgabe machen wir Angebote. Schuldenschnitt? Vielleicht. Es streiten hierüber die Bundestagsabgeordneten Troost, Kindler und Mattheis. Ausgleichs- und Sozialunion? In jedem Fall, und zwar mit EU-Krankenkasse für alle, dazu einen EU-Streikfonds der Gewerkschaften. Und kostenfreie Abhebungen am EC-Automat, europaweit, vom Kreta-Badestrand bis zum Nordkap. So geht, wenn‘s nach uns geht, die Zärtlichkeit der Völker. Und damit ihr wisst, wie andere zu ganz intensiven europäischen Zärtlichkeiten stehen, zu den Vereinigten Staaten von Europa, haben wir diesmal wieder unsere Gretchenfrage gestellt. Doch nicht ohne zu testen: Wie pleite bist du?

Francis Fukuyama hat übrigens Anfang 2010 gegenüber dem Spiegel zu Protokoll gegeben, dass er vielleicht doch nicht ganz richtig lag mit der These vom Ende der Geschichte. Aber, O-Ton: „Vorsicht! Es gibt noch immer keine Alternative zum Kapitalismus.“ – Potzblitz, kringelkringel, der brauchte tatsächlich etwas länger. Wir wünschen ebensolchen Spaß beim Lesen.

Die Redaktion