Aber bitte in den eigenen vier Wänden!

Homophobie im postjugoslawischen Raum

Djordje Tomic

Es ist gut: Die Pride hat stattgefunden – so in etwa der Gesamteindruck nach der 2010 in Belgrad abgehaltenen GayPride Parade (im deutschsprachigen Raum eher als Christopher Street Day (CSD) bekannt). Denn trotz heftiger Auseinandersetzungen zwischen den GegnerInnen der Veranstaltung und der Polizei gelang in Belgrad erstmalig eine Großveranstaltung der LGBT-Community (engl. f. LesBiSchwulTrans), bei der die Aktivist_innen nicht wie 2001 brutal zusammengeschlagen wurden. Ein vorsichtiger Optimismus also, der allerdings nicht über das Ausmaß der Homophobie in Serbien hinwegtäuschen kann. So wurde die für Oktober 2011 angekündigte GayPride wiedermal verhindert – aus Sicherheitsgründen. Während klerikal-faschistische Gruppen gegen die Parade mobilisierten, beschloss der serbische Innenminister, erneut unter dem Vorwand, die Veranstaltung nicht ausreichend sichern zu können, sich aus der Verantwortung zu ziehen.

Homophobie bleibt aber ein weitaus stärker verbreitetes Problem in dieser Region. Das belegen auch verschiedene Untersuchungen: Eine slowenische Umfrage aus den 1990ern zeigt, dass 61,6 Prozent der Befragten in Slowenien keine Homosexuellen als Nachbarn haben wollen. Auch nach 2000 betrug dieser Anteil immer noch mehr als die Hälfte der Befragten. Homosexuelle Nachbarn toleriert auch in Kroatien nur die Hälfte der Befragten. Laut anderen Umfragen, halten über 70 Prozent kroatischer Studenten und über 41 Prozent der Studentinnen männliche Homosexualität für „nicht natürlich“. In Serbien sehen sogar rund 70 Prozent (2008) bzw. 67 Prozent (2010) der Befragten Homosexualität als „Krankheit“. Selbst bei kritischer Berücksichtigung illustrieren diese und andere Umfragewerte eine sehr starke Präsenz homophober Haltungen in der Öffentlichkeit postjugoslawischer Gesellschaften. Diese äußern sich auch in gewalttätigen Übergriffen meist auf Schwule, manchmal aber auch auf Lesben. Im Bereich der Politik sieht es ähnlich aus: Trotz bestimmter Fortschritte der Gesetzgebung im Hinblick auf die Rechte von Homosexuellen, sind diese eher einem minimalen und fragilen politischen Konsens über die Annäherung an „europäische Standards“ bzw. über den Beitritt zur Europäischen Union zu verdanken. Öffentliche Aussagen der Politiker_innen dagegen bleiben in der Regel der homophoben Öffentlichkeit treu.

Homophobie und Nationalismus

Viele Ursachen dafür finden sich im postjugoslawischen Kontext politischen, ökonomischen und sozialen Wandels, der durch mehrere Kriege zusätzlich erschwert wurde. Der seit den 1980ern in Jugoslawien aufkommende Nationalismus erlebte während der Kriege seine „Blütezeit“: Die Gesellschaften aller neuen Staaten wurden in radikaler Weise nationalistisch neu „kodiert“. Sämtliche Vorstellungen von Gesellschaft, Staat und individuellen Rechten wurden einem Ideal der „reinen“ Nation untergeordnet. Dies umfasste neben der politischen „Gleichschaltung“ vor allem eine Re-Patriarchalisierung der Gesellschaft, insbesondere die Reduktion von Frauen auf die reproduktive Funktion. Die Normalisierung solcher Geschlechterrollen machte Homosexualität nicht nur unsichtbar, sondern unerwünscht. Die Unsichtbarkeit der Homosexuellen gilt indes für die meisten politischen Akteure als gerade mal erträgliche Existenzform von Homosexualität. Daher auch der Verweis auf „die eigenen vier Wände“, in denen Schwule und Lesben „machen können, was sie wollen“, ihre Sexualität aber bitte nicht öffentlich zur Schau stellen sollen. Die Ironie in dieser Aussage besteht zudem im Umstand, dass nur wenige, vor allem nicht junge Menschen in der Region, über die „eigenen vier Wände“ verfügen, leben doch oft bis zu drei Generationen unter einem Dach.

Auch die Auffassung von Homosexualität als „Krankheit“ erfuhr im neuen nationalistischen Diskurs eine „Neuauflage“: Behauptet wurde, Homosexuelle würden die Nation schwächen, da sie „keine Kinder haben können“. Die Figur der Krankheit implizierte zudem eine potenzielle „Ansteckungsgefahr“, wodurch oft jede öffentliche Präsenz von LGBT-Aktivist_innen delegitimiert wurde. Die traditionalistische Geschlechterordnung wurde zudem durch starke politische Einflussnahme der „nationalen“ Kirche(n) verstärkt. Die enge diskursive Verknüpfung zwischen Religion und Nation bzw. zwischen Kirche und Staatlichkeit fördert Homophobie dabei über die ohnehin problematische allgemeine Haltung der Kirche(n) zur Homosexualität hinaus.

Argument „Europa“?

Die letzten Jahre brachten aber auch Veränderungen des politischen Kontextes. Die um 2000 herum einsetzende „Demokratisierung“ führte zwar zu einem langsamen Schwinden des staatlich geförderten Nationalismus, ersetzte diesen aber durch eine Vorstellung von Demokratie, die vor allem neoliberale Wirtschaftsreformen und einen möglichst schnellen Beitritt zur Europäischen Union voraussetzt. Neben der politischen Elite unterstützen auch viele NGOs diese Entwicklung.

Spätestens seit Mitte der 1990er Jahre entstanden in der ganzen Region neben früheren Antikriegsinitiativen, feministischen und einigen LGBT-Organisationen neue NGOs. Diese neue „Projektmanager-Bourgeoisie“ entwickelte eine starke Abhängigkeit von internationalen Fördermitteln und bildet bis heute einen regelrechten „Wirtschaftszweig“, der nicht selten auch „erfolgreiche Karrieren“ produziert. Die Abneigung vieler Menschen gegen diese „NGO-Elite“, verstärkt durch die Wahrnehmung von LGBT-Gruppen als deren Teil, führen zunehmend zur Meinung, Homosexualität an sich sei ein „elitäres Phänomen“. Betrifft diese vermeintlich „soziale“ Kritik auch alle anderen NGOs, so verstecken sich doch in letzter Zeit vermehrt homophobe Meinungen nationalistischer Akteure dahinter, die auf „Wichtigeres“ verweisen, etwa „den Kampf auf Leben und Tod der Serben im Kosovo“.

Schließlich wird Homosexualität von vielen mit dem Bild des „Europäischen“ verknüpft. Dabei wird „Europa“ – auch als „verrotteter Westen“ – in der homophoben Vorstellung zum Sinnbild des Perversen, das von einer kleinen korrupten Elite dem „Volk“ aufgezwungen wird, um somit das „reine Wesen der Nation“ zu vernichten. Andererseits berufen sich auch viele LGBT-Aktivist_innen auf „europäische Werte“, um eigenen Forderungen mehr Gewicht zu verleihen. Und in der Tat erscheint es, als ließen sich bestimmte Rechte nur durch die Bemühungen der jeweiligen Staaten, der EU entgegenzukommen, durchsetzen. Dies gilt wohl zumindest für die 2010 in Belgrad stattgefundene GayPride. Ob die LGBT-Community in der Region auch jenseits des Europa-Diskurses ihren Kampf erfolgreich fortsetzen wird und ob und wie postjugoslawische Staaten Minderheitenrechte auch unabhängig von einem EU-Beitritt schützen werden, bleibt abzuwarten.

Autoreninfo:

Djordje Tomic ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Südosteuropäische Geschichte der Humboldt-Universität Berlin. Zitate: „Europa“ wird in der homophoben Vorstellung zum Sinnbild des Perversen. Behauptet wurde, Homosexuelle würden die Nation schwächen, da sie „keine Kinder haben können“.