Moral in der Illegalität

Selbsthilfe bei fehlendem Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen

Sarah Diehl

Frauen haben schon immer Schwangerschaften abgebrochen: aus ökonomischen oder aus gesundheitlichen Gründen, weil sie keine Kinder oder ein besseres Leben für ihre Familie wollten, schließlich haben viele Frauen, die abtreiben, bereits Kinder. Schwangerschaftsabbrüche sind eine medizinische und soziale Notwendigkeit, weil Frauen sonst keine wirkliche Kontrolle über ihre Gebärfähigkeit haben, der sie aber ausgeliefert sind. Laut WHO hat jede dritte Frau in ihrem Leben einen Schwangerschaftsabbruch; das Thema ungewollte Schwangerschaft gehört also zur Lebensrealität von Frauen. Dies wird in Gesellschaften, in der die männliche Erfahrungswelt immer noch als Maßstab gilt, oft nicht anerkannt. In vielen Ländern werden Frauen immer noch nicht vollends als Subjekt mit Rechten und Bedürfnissen wahrgenommen. Die Debatte um Abtreibung eignet sich um die Subjektwerdung der Frau zu verhindern, indem stattdessen der Embryo, den sie tragen könnte, zum Subjekt gemacht wird.

Abtreibungsgegner arbeiten sehr gezielt, um die öffentliche Debatte von der Perspektive der Frau hin zum Embryo zu verschieben. Sie versuchen in Frauen Schuldgefühle und Vorstellungen zu erzeugen, die es ihnen erschweren ihre eigenen Bedürfnisse zu formulieren. Durch die hoch emotionalisierte Debatte um Kinderrechte, Liebe und Fürsorge gelingt ihnen dies sehr gut. In pseudoaufklärerischer Manier werden Menschenrechte für den Embryo gefordert, bevor die Menschenrechte für die Frau verwirklicht sind.

Wer glaubt, es sei nur noch eine Frage der Zeit bis auch im letzten Land Abtreibung legalisiert wird, täuscht sich leider. Bemerkenswert ist, dass man Parallelen bei den Themen Abtreibung und Homosexualität feststellen kann. In den letzten Jahrzehnten haben religiöse Gruppen und konservative Politiker beide auserkoren, um für ihr Weltbild zu werben und vor einem Werteverfall zu warnen. Die katholische Kirche hat z. B. als die Frauenbewegung aufkam das Idealbild der Jungfrau Maria betont, um es gegen ein emanzipiertes Frauenbild in Stellung zu bringen. Die Frau wird nur geehrt, wenn sie unerfüllbare Ideale der Aufopferung und Reinheit erfüllt, wohinter ihre tatsächlichen Bedürfnisse verschwinden. In den Ländern des ehemaligen Ostblocks, aber auch in afrikanischen und lateinamerikanischen Ländern tauchen nun plötzlich Gesetzesentwürfe auf, die den Schutz der Familie betonen. Dies ist meist eine euphemistische Umschreibung für den Schutz patriarchaler Vorrechte. Diese Gesetze betreffen nicht eine bessere finanzielle Absicherung für Menschen mit Kindern oder die Vereinbarkeit von Kindererziehung und Beruf, also keine Anerkennung der realen vielfältigen Bedürfnisse von Menschen mit Kindern. Meistens sind es Gesetze, welche die heteronormative Konstellation – der Mann als „Brotverdiener“ und die Frau als Hausfrau und Mutter – im Arbeits- und Eherecht oder beim Zugang zu reproduktiver Gesundheit zementieren. Oft werden die Rechte von Kindern und Frauen dabei als konträr dargestellt, als ob sich alles, was die Selbstbestimmung der Frau stärkt oder andere Modelle als das der heteronormativen Ehe darstellt, schlecht auf Kinder und damit den Fortbestand der Nation auswirke.

Religiöse Gruppierungen versuchen besonders Programme für Sexualaufklärung; Verhütung und Legalisierung von Abtreibung zu verhindern. Die Konsequenzen sind, dass etwa 68 Millionen Frauen jedes Jahr ungewollt schwanger werden, ca. 48.000 Frauen jedes Jahr an einer selbst durchgeführten Abtreibung sterben und etwa 5 Mio. Frauen daraus resultierende Gesundheitsprobleme haben. In Südafrika erfolgten z. B. vor der Legalisierung 1997 die Hälfte aller gynäkologischen Aufnahmen in Kliniken aufgrund selbst durchgeführter Abtreibungen.

Trotz dieser Zahlen setzen sich Politiker nicht für eine Legalisierung ein, da sie die Unterstützung der Kirchen für ihre Wiederwahl brauchen und sich die Stigmatisierung von Abbrüchen dazu eignet, eine konservative patriarchale Gesellschaft zu bestärken und die Selbstbestimmung der Frau prinzipiell zu diskreditieren.

Leider schrecken viele NGOs davor zurück sich damit zu beschäftigen. Zu kompliziert erscheint die Auseinandersetzung mit einem Thema, um das sich so viele negative Mythen ranken. Zudem verliert man staatliche Unterstützung und vergrault Spender. In den USA und Kanada verabschieden konservative Politiker immer wieder erfolgreich Gesetze, so dass die Entwicklungshilfe dieser Länder nicht nur das Thema Abtreibung ausspart, sondern Gelder für Familienplanung, d.h. auch für Sexualaufklärung und Verhütung, streicht, was mehr ungewollte Schwangerschaften verursacht(1). Dies macht deutlich, dass es diesen Politikern um den schönen Schein statt um die realen Konsequenzen ihrer Gesetze geht. Gut organisierte Abtreibungsgegner wie Human Life International oder Doctors for Life etablieren darüber hinaus gezielt antiaufklärerische Programme in afrikanischen und lateinamerikanischen Ländern. Sie inszenieren sich als Hilfsorganisation, arbeiten tatsächlich aber gegen die Etablierung von Frauenrechten. Diese Organisationen sind zudem gegen Verhütung, Homosexualität und die Legalisierung von Sexarbeit. Abtreibungsgegner weltweit haben von den „Erfolgen“ in den USA gelernt und versuchen mit Lobbyarbeit bei Politikern, Anwälten und auch Medizinern die Diskurshoheit zu gewinnen, so dass auch Ärzte bei der Stigmatisierung des Abbruchs mitarbeiten.

Auch in Ländern, in denen der Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen möglich ist, haben Abtreibungsgegner Wege gefunden auf Frauen direkten Einfluss zu nehmen. Im Internet z. B. sind viele wichtige Domainnamen zum Thema Abtreibung von christlichen Abtreibungsgegnern in Beschlag genommen, um dort Frauen vor dem Eingriff Angst zu machen und sie durch die Personalisierung des Embryos emotional zu erpressen. Es kann eben einen großen Effekt auf Betroffene haben, wenn man ihnen das Bild eines Fötus zeigt, der bereits menschenähnlich aussieht, wenn man aber gleichzeitig verschweigt, dass dieser Fötus bis zur 24. Woche noch kein Schmerzempfinden oder Bewusstsein hat. Abtreibungsgegner versuchen emotionale Konflikte von Frauen als „Post-Abtreibungssyndrom“ (PAS) zu pathologisieren und Betroffenen einzureden, dass psychologische Probleme nach einem Abbruch zwangsläufig seien. Das PAS wird von keinem seriösen wissenschaftlichen Institut als Krankheitsbild anerkannt. Die American Psychological Association hingegen stellte in einer Studie 2006 fest, dass die Zeit der größten emotionalen Belastung einer Frau vor dem Schwangerschaftsabbruch liege und nicht danach.

Wenn Politik und Religion weiterhin den Zugang zu sicheren Abtreibungen versperren, ist es nur konsequent, Strukturen aufzubauen, die Frauen in der Illegalität helfen. Frauen haben mittlerweile risikoarme Wege gefunden, selbst Abtreibungen vorzunehmen: Das Medikament Misoprostol, das für die Behandlung von Magengeschwüren erhältlich ist, leitet bei schwangeren Frauen Kontraktionen der Gebärmutter ähnlich wie bei der Menstruation und somit eine Abtreibung ein. Das Wissen darüber hat sich in Lateinamerika, wo in fast allen Ländern sehr restriktive Gesetze vorherrschen, genauso verbreitet wie z. B. bei armen Frauen in den USA, die keinen Zugang zum Gesundheitssystem haben oder die versuchen, ihre ungewollte Schwangerschaft nicht durch einen Arztbesuch gegenüber ihren Familien zu enttarnen. Die WHO nimmt an, dass der Rückgang der Todesfälle bei selbst durchgeführten Abtreibungen in den letzten Jahren von 68.000 auf 48.000 auf die Verbreitung von Misoprostol zurückzuführen sei. Auch gibt es klandestine Hilfeorganisationen, wie z. B. die in Amsterdam sitzenden Women on Waves bzw. Women on Web, die Internetseiten und Telefonhotlines eingerichtet haben, über die Frauen die Abtreibungspille per Post bestellen können und angeleitet werden, diese richtig zu benutzen (http://www.womenonweb.org). Die Niederlande verschärften daraufhin ein Gesetz über die Vergabe der Abtreibungspille, was faktisch nur dazu diente, die Arbeit der WOW zu beschränken. Sie wollten es sich nicht mit anderen Ländern verscherzen, in denen die WOW aktiv geworden sind. Solche Hilfe ist aber nicht nur in so genannten Entwicklungsländern notwendig. Polen, Irland, Malta und Liechtenstein sind die EU-Länder, in denen Abtreibung immer noch illegal ist. Abtreibung wird symbolpolitisch benutzt, um sich mit einer Projektion auf „Lebensschutz“ als christlich und moralisch überlegen zu inszenieren und sich in der EU als autonom zu positionieren. Jeden Tag müssen deshalb durchschnittlich siebzehn irische Frauen für einen Abbruch nach England reisen. Das Abortion Support Network (www.abortionsupport.org.uk) in London hilft Frauen durch private Spenden die Überfahrt und den Eingriff zu finanzieren. Außerdem geben Privatpersonen den Frauen Unterkunft. ASN wurde von einer US-Amerikanerin gegründet, die in den USA in ähnlichen Gruppen, den Abortion Funds, gearbeitet hatte. Denn dort ist der Zugang zu Abtreibungen trotz Legalität massiv eingeschränkt: In 87 Prozent aller Counties gibt es keine Abtreibungsärzte, da viele Mediziner aufgrund von Überfällen und Psychoterror den Eingriff nicht mehr anbieten. Bisher sind dort neun Abtreibungsärzte von christlichen Fundamentalisten ermordet worden. Ausserdem arbeiten Republikaner kontinuierlich daran, mit neuen Gesetzen, durch Wartefristen, weite Reisen und hohe Kosten den Zugang zu erschweren(2). Legalität allein garantiert also noch nicht Zugänglichkeit.

Auch in Mexiko haben sich Frauen zusammengeschlossen, um im Maria Fund(3) Frauen zu helfen die Reise nach Mexico City zu organisieren, wo Abtreibung legal ist.

Women on Waves begannen ihre Arbeit 2001, als sie mit einem Schiff in Länder fuhren, um mit Frauen dann in internationale Gewässer zu fahren. Hier herrschen die Gesetze des Landes, unter dessen Flagge das Schiff fährt, in ihrem Fall die niederländische, nach der Abtreibung legal ist. Diese spektakulären Aktionen waren darauf ausgerichtet, Medien und Politik auf das Problem ungewollter Schwangerschaft aufmerksam zu machen. Eine kontinuierliche Hilfe anbieten zu können, war aufgrund der hohen Kosten des Schiffes nicht möglich. In Portugal wurde so eine breite Mediendebatte losgetreten, so dass das Land 2007 Abtreibung nach einem Referendum immerhin bis zur zehnten Woche legalisierte. Und das, nachdem die Einfahrt des Schiffs der WOW zunächst von portugiesischen Kriegsschiffen verhindert wurde. Dies ist - ähnlich wie der Stern-Artikel 1972, in dem prominente Frauen über ihre illegale Abtreibung sprachen und der die Legalisierung in der BRD maßgeblich unterstützte - ein Hinweis darauf, dass, wenn Frauen erst einmal über die Realität ungewollter Schwangerschaften sprechen können, es schwierig wird deren Kriminalisierung aufrecht zu erhalten. Eben deshalb ist es Konservativen so wichtig, Frauen mit Scham- und Schuldgefühlen zum Schweigen zu bringen. Das ist ihre wichtigste Waffe.

Autorinneninfo:

Sarah Diehl ist Autorin und Filmemacherin. Sie hat u. A. die Bücher „Brüste Kriegen“ und „Deproduktion - Schwangerschaftsabbruch im internationalen Kontext“ heraus gegeben. Nach ihrem Debut: „Abortion Democracy - Poland/South Africa“ arbeitet sie derzeit an einem Film darüber, wie Frauen sich in Europa, Afrika und Lateinamerika helfen, illegale aber sichere Abtreibung zu bekommen. Auf ihrem Blog http://europeanprochoicenetwork.wordpress.com werden Änderungen von weltweiten Abtreibungsgesetzen gepostet.

Fußnoten:

1 http://www.engenderhealth.org/media/press-releases/definition-global-gag-rule.php

2 Siehe http://reproductiverights.org

3 http://www.fundabortionnow.org/funds/maria-fondo-de-aborto-y-justicia-social