Virtuell Ficken

Warum auch das schmutzigste YouPorn-Video normal sein muss

Jan Harms

Miguel und Serge leben und lieben irgendwo in Europa. Miguel hat zur Geburt seines Kindes eine Videokamera geschenkt bekommen. Jetzt filmt er mit ihr Serges maskierten und haarlosen Körper. Beide kommen aus gescheiterten Heten-Ehen und finden im Netz einen Raum für ihre Homosexualität, die vorher über Jahre schmerzhaft verheimlicht wurde. Mit dem auf YouPorn hochgeladenen Film treten sie in eine Welt ein jenseits von Verstecken, Diskriminierung, sozialem Ausschluss. Sie finden Anschluss und Anerkennung. Das Netz macht’s möglich.

YouPorn operiert auf internationaler Ebene in einem hart umkämpften Sektor und hat ein großes Interesse daran, dass die Nutzer_innen und Kund_innen ohne langes Warten an ihre virtuellen Ficks kommen. Um dies zu realisieren, braucht es eine leistungsstarke Logistik. Denn auch wenn man es nicht glaubt: 5000 km sind auch im Internet ein weiter Weg. Deshalb werden die Filme über auf der ganzen Welt platzierte Rechenzentren an alle Interessierten verteilt. Es gibt dennoch einige Engpässe, die die Übertragungsqualität von Daten beeinflussen. Greifen nämlich zu viele Leute gleichzeitig auf ein Video zu, kann es zur Überlastung der Festplatte kommen. Ebenfalls können ein Computer und auch ein Rechenzentrum nur eine begrenzte Menge an Daten pro Sekunde über das Kabel verschieben. Durch Load-Balancing, also das Verteilen von Anfragen auf unterschiedliche Computer, und Content Delivery Networks, das geographische Verteilen von Daten auf der Welt, können diese Bottlenecks — zu deutsch: Flaschenhälse — vermieden werden. So kann sichergestellt werden, dass die Videos bei dir und mir zu rucklerfreien Freuden führen.

Das Gerede von Moral ...

Da die Filmchen überall auf der Welt gesehen werden können, wird auf einmal aus dem Zweiminüter „Horny guy fisted hard“ ein internationales Problem. Die Daten liegen auf Servern in den USA, Deutschland, Japan und Brasilien, die von international agierenden Firmen betrieben werden und die Daten über Länder- und Firmengrenzen hinweg austauschen. YouPorn nutzt zur Auslieferung der Filme die Dienstleistungen unzähliger Firmen. Und alle müssen sich gegenüber ihren nationalen Rechtssystemen für die von ihnen angebotenen Dienstleistungen rechtfertigen. Welche sexuellen Praktiken im Netz gezeigt werden dürfen, ist in den nationalen Gesetzen geregelt. Hier liegt eine Wurzel des Problems. Das Netz kennt diese nationalstaatlichen Grenzen nicht. Das soll nicht heißen, dass es nicht möglich ist, sie zu erzeugen, doch sie sind nicht angedacht. Aber jedes öffentliche Präsentieren von Sex erhitzt irgendwo auf der Welt die Gemüter. Die Liste von sexuellen Bedürfnissen ist lang: Ob Zoophilie, Nekrophilie oder eben Homosexualität – vermeintliche Abweichungen von der gesetzlichen und sozialen Norm fordern zum Streit heraus. Und das ist gut. Dieser Streit wird durch das Internet global. Und auch das ist gut.

Ich möchte das Internet auf drei Ebenen beschreiben. Zuerst die inhaltliche Ebene: Sie umfasst das objektive Verhalten der Teilnehmer_innen im Netz, eine Beschreibung seiner Inhalte und wie es wahrgenommen wird. Zweitens gibt es die physische Ebene. Hierunter fallen die Kabel, Router, Switches, Firewalls, Satelliten usw. Die dritte Ebene umfasst die Funktionslogik des Netzes und stellt die Verbindung der ersten und zweiten Ebene dar.

Auf der Inhaltsebene ist festzustellen, dass sich das Netz nicht an die kulturellen oder politischen Grenzen hält. Wir nehmen es nicht so wahr und wir verhalten uns auch nicht so. Das liegt allerdings nicht an der physischen Organisation des Netzes, sondern an der logischen. Das Netz bietet von seiner physischen Struktur sehr wohl die Möglichkeiten, Grenzen zu ziehen. Auch mit deutscher Technik wurde genau das im Iran während der massiven Protestbewegungen durchgeführt. Die virtuellen Grenzen werden durch Filter erreicht, die den Transport von Daten im Internet steuern. Die Filter können unterschiedlich restriktiv sein und sämtlichen Datenverkehr oder nur bestimmten unterbinden. Dazu werden die Daten unter verschiedenen Aspekten analysiert und gespeichert. Mit der Vorratsdatenspeicherung, wie sie in der EU beschlossen wurde, können die so gewonnenen Daten noch sechs Monate in der Vergangenheit genutzt werden. Unter dem Deckmantel des Kinderschutzes, der Gefahrenabwehr und der Warnung vor dem allgemeinen Sittenverfall werden mehr und mehr Kontrollmechanismen eingeführt, die eine Beschränkung unserer Freiheitsrechte zur Folge haben.

...war mir immer schon egal!

Diese Einschnitte in unsere Freiheiten dürfen nicht akzeptiert werden. Das Internet ist auf der inhaltlichen Ebene grenzenlos und so soll es auch bleiben. Dabei ist Anonymität ein wertvolles und unabdingbares Gut und Voraussetzung für die freie Entfaltung von Persönlichkeit. Es ist offensichtlich, dass das anonymisierte Netz auch für Dinge genutzt werden kann, die ich nicht gut heißen will. Doch der Gebrauch der anonymen Räume für illegale Aktivitäten macht die Räume nicht per se illegal. Fragliche Aktivitäten und Inhalte sind ein Produkt der Gesellschaft in ihrer Gänze und dürfen nicht als ein krankhafter Auswuchs einzelner behandelt werden. Deswegen darf es keine Kriminalisierung eines digitalen Widerstands gegen De-Anonymisierung geben, keine Schuldzuweisung und folgende Diskriminierung „anders“ Lebender, die das Netz als Zufluchtsort nutzen.

Die Auseinandersetzung um die Darstellung und Verbreitung sexueller Fantasien ist nicht neu: Ob die erotischen Höhlenmalereien von Ajanta, Raimondis Kupferstiche, abgegriffene Pornoheftchen auf dem Schulhof, Erotikfilmchen auf SAT 1 oder heute Pornos im Internet – all jene Medien spiegeln und prägen die vielfältigen sexuellen Bedürfnisse. Sie werden als aufregend oder anstößig empfunden, doch in jedem Fall zwingen sie uns, den Diskurs um gesellschaftliche Normen und unsere Freiheit immer wieder aufzunehmen.

Jan Harms

studierte Philosophie und Informatik. Berufsbedingt ist er großer Fan des Internets und kennt es auch privat von hinten wie von vorne.