18.06.2012

Eine Zahl zum Merken

Katja Kipping löckt wider den moralischen Verfall der Eliten

Uwe Schaarschmidt

Am 16. Juni 2012 gab die zwei Wochen zuvor gewählte Vorsitzende der LINKEN, Katja Kipping, der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung ein Interview. Es ging ums Geld. Nebenbei natürlich auch um Arbeit – das übliche. Nichts ungewöhnliches also, auch der zweifelnde Unterton in den Fragen nicht, mit dem man alle Politiker_innen, die ihre Partei ernsthaft in der Tradition der Arbeiterbewegung verstehen, stets wortlos unterstellt: Dass sie endlich lernen müssten, dass es ohne Arbeit keinen Reichtum gäbe. Als ob man denen das erzählen müsste! Ebenso könnte man eine zweifache Mutter fragen, ob sie denn wirklich noch ein drittes Kind möchte und ob sie nicht wüsste, wie schmerzhaft so eine Geburt sei. Nun gut.

Gegen Ende des Interview kam schließlich eine Frage, die es in sich hatte:

F.A.S.: „Sie sagten einmal, niemand müsse mehr als 40.000 Euro im Monat verdienen. Ist das ein praktisches politisches Ziel?“

Dies hatte Katja Kipping in der Tat nicht erst einmal gesagt, sondern mehrmals. Sowohl in dem von ihr mit herausgegebenen Magazin „prager frühling“, in der Sendung „Menschen bei Maischberger“, sowie auch in einer großen Anzahl von Parteiveranstaltungen, Demo-Reden und Podiumsdiskussionen. Sie bestätigte auch diesmal:

„Ja, es gibt da gute Vorbilder. Der französische Linkskandidat Mélenchon hat für Jahreseinkommen von mehr als 360.000 Euro einen Steuersatz von 100 Prozent gefordert. Er war damit sehr erfolgreich. Ich sage: ab 40.000 Euro im Monat gibt es kein Mehr an Lebensgenuss. Wenn es dann noch Einkommenszuwächse gibt, fließen sie in die Beeinflussung von politischen Entscheidungen durch Bestechung – oder in zerstörerische Finanzspekulationen.“

Wie Eingangs erwähnt, ist Katja Kipping allerdings seit zwei Wochen Parteivorsitzende der LINKEN – und in dieser Funktion sagte sie dies erstmalig. Das mediale Echo war entsprechend. Die ARD startete sogar umgehend eine Online-Umfrage, bei der die User die Möglichkeit hatten, dieser Aussage zuzustimmen oder sie abzulehnen. Enthalten konnte man sich auch, dies taten allerdings nur 2,5 % der 28.655 (!) Menschen, die innerhalb von 36 Stunden am Voting teilgenommen hatten. Der Rest teilte sich in zwei fast gleich große Hälften: 48,2% fanden Kippings Idee gut, 49,4% lehnten sie ab.

Für Katja Kipping ist das – gelinde gesagt – ein schöner Erfolg, auch wenn die Umfrage natürlich nicht repräsentativ war. Es ist ein Stimmungsbild der deutschen Zustände im Jahre 2012. Betrachtet man es pessimistisch, könnte man sagen: die Hälfte der Deutschen sind hoffnungslos vom Leistungschauvinismus der Herrschenden infiziert. Positiv hingegen ließe sich feststellen, dass es immer noch eine erstaunliche Widerständigkeit der Menschen gegen den moralischen Verfall der Eliten im Spätkapitalismus gibt.

Letzteres zählt für die LINKE - und rechtfertigt Kippings Anstoß, der ohnehin kein wirklich steuerpolitischer Vorschlag ist, sondern der Versuch, so etwas wie eine ethische Ebene überhaupt wieder in die politische Diskussion einzuziehen. Rein fiskalisch kann man die Idee natürlich auf ihre Sinnhaftigkeit untersuchen und vermutlich tausend Gründe finden, „warum das so nicht geht“. Umgehend meldeten sich auch verschiedene „Verfassungsexperten“ in all ihrer bestellten Einfalt zu Wort, um Kipping unter dem Vorwurf verfassungsketzerischer Blasphemie zur neuen Hexe wider die neokonservative Kirche zu brüllen. Rote Haare hat sie obendrein!

Auf Katja Kippings Facebook-Account wurde das denn auch ebenso ausführlich getan, wie in den einschlägigen Foren, den Kommentarspalten der Online-Ausgaben von Zeitungen und Zeitschriften und vermutlich wird sie auch E-Mails, Briefe und Faxe en masse bekommen haben – voller Dank und Zustimmung ebenso, wie voller Hass und Beleidigung.

Auf jeden Fall jedoch hat sie eine Diskussion angestoßen, die längst überfällig war. DIE LINKE hatte sich – wie schon die PDS – in den Jahren seit ihrem Bestehen auf Sacharbeit eingelassen – das war gut und richtig und Katja Kipping hat sich dabei mit enormem Engagement, sozialpolitischem Sachverstand und ihrem geballten Charme eingebracht. Gleichzeitig hat sich ihre Partei jedoch innerlich in einen Krieg begeben, der mitunter an Dämlichkeit nicht mehr zu überbieten war – beiderseits der Gräben. Was die einen mit alttestamentarischer Gnadenlosigkeit aufrissen, versuchten die anderen mit aufklärerisch-hochnäsiger Bescheidwisserei zu kompensieren – einig allein darin, dass der jeweilige Gegner dem gemeinsamen Feind in die Hände spielt – oder gar von ihm gekauft sei! Diesen Unfug – und seine vorgeschobenen Begründungen - verstand nicht einmal mehr die Mitgliedschaft der LINKEN – wie sollte es also ihre geneigte Wählerschaft verstehen?

Mit ihrer Forderung nach einer Deckelung von Spitzeneinkommen hat Katja Kipping nun etwas getan, was beide Seiten in in ihrer Partei – und gleichzeitig die einfachen Menschen, wie auch den bürgerlichen Harmonisten - zum Nachdenken bringen sollte: Warum so kompliziert, wenn es auch einfach geht? Statt durchzurechnen, ob 21.580 oder 42.450 Euro als Maximalverdienst einen fiskalischen Sinn ergeben, hat sie einfach eine Zahl genannt, die man sich leicht merken kann.

Eine Zahl, angesichts derer der Chefarzt einer Klinik sagen kann: „Richtig so – hab ich zwar längst nicht, aber hunderttausend mehr im Jahr machen mich kein bisschen glücklicher – da mir die Zeit zum Genuss jetzt schon fehlt.“ Die Putzfrau hingegen kann kichernd meinen: „Richtig, dass man diesen Arschlöchern in selbiges guckt, mir würden tausend Euro mehr im Jahr schon sehr dabei helfen, nicht ständig überhöhte Dispo-Zinsen an die Banken abzudrücken!“

Die Forderung nach einer Deckelung der Höchsteinkommen ist übrigens wesentlich älter als Katja Kipping. Dies lässt sich nachlesen. Man ist dieser Forderung nie nachgekommen und das Ergebnis ist die Welt, so wie sie jetzt ist. Beherrscht von Menschen, die in gigantischem Umfang gestohlen haben und immer weiter stehlen, sich die Grundlagen dieses Diebstahls aber gewiefter Weise als zu respektierendes Naturgesetz in Verfassungen und Gesetzbücher schreiben ließen, so dass die Bestohlenen inzwischen jede Anzeige des Diebstahls tunlichst unterlassen. Eine Welt voller irrsinnigem, dekadentem Reichtum und voller Elend, von dem die Irrsinnigen glauben, sich seines Gestankes mittels medial aufgepimpter Charity entziehen zu können. Katja Kipping glaubt das nicht – weder in ihrem Lande und schon gar nicht global. Dafür gebührt ihr Beifall.

In einem Forum ätzte ein User in grenzenloser geistiger Umnachtung: „Frau Kipping! Meinen nächsten Ferrari werde ich mir also woanders kaufen.“ Als LINKER kann man da nur erleichtert sagen: „Sehr schön, geht doch!“