17.07.2012

In materialistischer Tradition

Rainer Holze und Siegfried Prokop: Basisdemokratie und Arbeiterbewegung. Karl Dietz Verlag Berlin 2012, 288 Seiten, Broschur, 19,90 Euro.

Andreas Diers

Anfang 2011 haben die „Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin und Brandenburg“ gemeinsam mit dem „Förderkreis Archive und Bibliotheken zur Geschichte der Arbeiterbewegung“ anlässlich des 80. Geburtstages des Historikers Günter Benser in Berlin ein wissenschaftliches Kolloquium durchgeführt. Vor den etwa 120 TeilnehmerInnen haben HistorikerInnen aus der BRD und aus Polen Vorträge zu dem aktuellen, bislang jedoch geschichtswissenschaftlich vernachlässigten Thema „Basisdemokratie und Arbeiterbewegung – Erfahrungen und Vermächtnis“ gehalten.

In dem kürzlich veröffentlichten Sammelband ist der Beitrag von Benser der umfangreichste, aber auf nicht einmal 30 Seiten kann nur ein Überblick über die Thematik gegeben werden. Auch wenn Benser viele Problematiken nur kurz anreißt, so ist diese Benennung wichtig – und sie macht deutlich, wie viele Forschungsaufgaben noch vorhanden sind. Nachdem Benser auf die Bedeutung der Thematik Basisdemokratie hinsichtlich seiner Biographie eingegangen ist weist er darauf hin, dass das Spannungs­verhältnis zwischen sozialer Gerechtigkeit und politischer Demokratie, zwischen repräsentativer und direkter Demokratie sowie zwischen spontanem Handeln und institu­tio­nel­len Hierarchien weit in die Geschichte zurückreicht. Die entschei­dende Frage lautet nach Ansicht Bensers: „Wie und wo können in einem Gemein­wesen gravier­ende Entscheidungen sachkompetent, im Allgemeininter­esse bei Respek­tierung der Belange von Minderheiten mit hoher Transparenz am zweck­mäßig­sten getroffen werden.“ (S. 27 f.). Als ein in der materialistischen Tradition stehender Wissenschaftler geht Benser darauf ein, dass Herrschaftsverhältnisse und somit die Demokratieproblematik aufs engste mit der Entfaltung der Produktivkräfte und der Gestaltung der sozialen Verhältnisse verbunden sind.

Im Anschluss an den historischen Überblick von Benser wird das Thema durch einzelne Fall­studien vertieft. Den aktuellsten Beitrag unter dem Titel „Weltrevo­lution via World Wide Web. Was den tunesischen Gemüsehändler Mohamed Bouazizi mit dem deutschen Erfinder Konrad Zuse verbindet“ steuert Karlen Vesper-Gräske bei. Nach Ansicht der Autorin haben die Mikroelektronik und das World Wide Web nicht nur ein qualitativ neues Stadium der inter­nationalen Geschäftstätigkeit und der globalen Kommunikation bewirkt, sondern bislang ungeahnte Perspek­tiven für Partizipation und Mitbe­stimmung eröffnet. Seit dem „Arabischen Frühling“ sei die demokratische Online-Community eine Macht. Auch wenn die Einschätzungen der Autorin über die politischen Entwicklungen im Zusammenhang mit dem „Arabischen Frühling“ angesichts der aktuellen Entwicklungen etwas zu optimistisch erscheinen, so ist die von ihr wieder thematisierte Vision eines „Computer Sozialismus“ hochaktuell.

Der Sammelband ist insgesamt eine verdienstvolle und weitere Forschungen anregende Veröffentlichung. Einige nach offene Problematiken zum Spannungsfeld Basisdemokratie-ArbeiterInnenbewegung sind in dem Band in der umfangreichen, einige hundert Titel umfassenden Auswahlbibliographie des wissenschaftlichen Wirkens von Günter Benser zu finden. Kritisch kann angemerkt werden, dass in dem Band ein Personen- und ein Sachverzeichnis fehlen. Dadurch wäre eine Arbeit mit dem Band noch effektiver möglich.