Schöne junge Welt

Auszug aus: Kaltland: Eine Sammlung, Rotbuch 2011, 14,95 Euro

Karsten Krampitz

„… Die Junge Welt der Nachwendezeit war Eigentum und Herzstück einer Westberliner Mediengruppe, wozu neben dem Verlag Elefanten Press auch die Tribüne-Druckerei am Treptower Park gehörte, die Wochenzeitung Der Freitag wie auch die Satirezeitschrift Titanic. Die Chefin des Konsortiums, Maruta Schmidt, hatte ihre Teilhaber, so erzählte man sich, bei irgendwelchen K-Gruppen kennengelernt, womöglich war es auch in der DKP gewesen – und vielleicht sogar auf einem Plenum. Egal. Auf jeden Fall sind (Ex-)Kommunisten in der Praxis oft genug die schlimmeren Kapitalisten, das ist kein Geheimnis; die Konvertiten gehen immer zu den Orthodoxen. Für mich war das damals noch neu: Die Verrenkungen der Alt-68er, dieses links Denken und rechts Karriere machen und dabei allen anderen das Gefühl geben, man habe einen exklusiven Zugang zur Wahrheit. In meiner Erinnerung sehe ich diese Leute durch die Redaktionsflure gehen – lächelnde Hologramme mit grau melierten Haaren, die, sobald man sie wegen einer Sache ansprach, zur Antwort gaben: „Darüber müssen wir unbedingt noch einmal reden.“ Mit Anfang zwanzig und noch dazu Ossi hörte ich den Subtext nicht heraus: „Junge, geh mir nicht auf die Nerven!“ Also wollte ich bei der nächsten Gelegenheit wirklich mit denen reden. Nur: Ab einen bestimmten Punkt diskutieren die nicht mehr. Sobald die Westlinken sich durchgesetzt hatten, haben sie es nicht mehr nötig, zu überzeugen. Und damals waren die Weichen gestellt. Punkt. Doch wer hätte ’94 gedacht, welchen Weg diese Zeitung noch vor sich haben würde: dass eines Tages in der jungen Welt (nun- mehr mit kleinem »j«) einer der übelsten Stasi-Spitzel Chefredakteur werden könnte, dass ein Egon Krenz wieder zum Autorenstamm gehört und dass dort jeder kleine Despot aus dem Balkan, dem Nahen Osten oder der Dritten Welt bejubelt wird, nur weil er den USA irgendwann einmal die Stirn geboten hat. Die alte Redaktion ist komplett ausgetauscht worden, und die neue braucht immer irgendeinen Paradiesstaat, auf den sie ihre Revolutionsfantasien projizieren kann. Wenn es nicht die Sowjetunion ist, dann eben Kuba. Ein Gespenst geht um in der jungen Welt, nur ist es eben nicht der Kommunismus. Was man in der DDR besser verschwieg, versucht die junge Welt von heute zu rechtfertigen, so liest man dort über die Stalinzeit: „Wir haben keine Probleme damit, wenn die Gewalt und der Terror der Konterrevolution mit revolutionärer Gewalt beantwortet werden.“ (junge Welt, 14. März 2010, S. 10) Zu Ende gedacht, bedeutet dieser Satz, dass in der Sowjetunion der dreißiger Jahre die Ermordung von zehn bis elf Millionen Menschen notwendig war, um die Kommunisten an der Macht zu halten ... – und die junge Welt ist eine Scheibe…“

Karsten Krampitz war Chefredakteur mehrerer Straßenzeitungen und veröffentlichte unter anderem die Novelle „Heimgehen“, für die er 2009 den Bachmann-Publikumspreis erhielt.

Der Text erschien zuerst in: Karsten Krampitz (Hrsg.), Markus Liske (Hrsg.), Manja Präkels (Hrsg.):Kaltland : Eine Sammlung,ISBN 978-3-86789-144-8, 288 Seiten, 14,95 Euro