23.08.2012

Wir haben gelernt!

Vergangenheitsbewirtschaftung eines Pogroms

SG

Es wird vermutlich noch etwas dauern bis es einen Gedenktag für das Pogrom in Rostock-Lichtenhagen gibt. Der Weg dahin wird gerade geebnet. Wie durch ein Wunder ist bei dem Pogrom 1992 niemand in Rostock-Lichtenhagen getötet worden. Obwohl angereister und einheimischer RassistInnenmob den Willen zum Morden ausdrücklich erklärte und obwohl die damalige Polizeiführung den Unwillen demonstrierte, Mord zu verhindern. Das ist ein Nachteil, denn ohne Mord, lassen sich keine Kränze niederlegen, ohne Kranzniederlegung braucht es andere Rituale, die sich als Pressefoto eignen. Ob ein solcher Gedenktag auch ohne Kranz funktioniert, wird am kommenden Sonntag generalerprobt. Zum zwanzigsten Jahrestag wird Bundespräsident Joachim Gauck am Ort des Verbrechens in Rostock-Lichtenhagen sprechen. Statt eines Kranzabwurfs wird ein Baum gepflanzt. Gerhard Schöne, dessen Lieder über Popel und diskriminierte Riesen wohl keinem in der DDR sozialisierten Kind je wieder aus Gedächtnis kommen, singt „Kinderlieder aus aller Welt.“

Anders als zum zehnjährigen Jahrestag ist das Progrom medial präsent. Im Fernsehen brüllt der Chor: „Deutschland-den-Deutschen-Ausländer-raus.“ In den Zeitungen kommen diejenigen ausführlich zu Wort, die sich nicht mit dem Mob gemein gemacht, sondern mit den Opfern solidarisiert hatten. Manch JournalistIn beschreibt den Unwillen vieler Lichtenhäger sich mit dem Pogrom zu beschäftigen. In einigen Beiträgen wird kritisch auf die bürgerlichen Brandstifter, die mit „Das-Boot-ist-voll“-Metaphern gegen AsylbewerberInnen hetzten.

Alles gut also? Deutschland hat verstanden? Zumindest der selbsterklärte „Extremismus“-Experte Klaus Schröder gibt im Deutschlandfunkt Entwarnung: „Heute würden viele in Rostock, Hoyerswerda, wo auch immer sich dazwischenstellen und sagen, so nicht.“[1] Die Reichweite solcher Sätze hat sich in Hoyerswerder gerade gezeigt[2]. Die Fraktionen der Rostocker Bürgerschaft erklärt dennoch selbstkritisch: „Auch unmittelbar nach den Ereignissen erfuhren die betroffenen Migrantinnen und Migranten und Asylsuchenden nicht die notwendige Solidarität aus der Gesellschaft. Dafür entschuldigen wir uns und versichern: Wir haben gelernt!“[3]

Allein, auch die wohlmeinenden werden das Gelernte vorerst nicht anwenden können. Das damals so widerwärtige Täter-Opfer-Umkehr, die den Angegriffenen damals die Schuld gab, Ursache der Gewalt gegen sie zu sein, ist zum Gesetz geronnen. Als Reaktion auf das Pogrom wurden die angegriffenen MigrantInnen, AslybewerberInnen und vietnamesische VertragsarbeiterInnen gleichermaßen aus der Stadt gebracht. Danach schaffte eine große Koalition aus SPD und CDU das Asylrecht faktisch ab. Sie erließen außerdem ein Sonderrecht, das Bundesverfassungsgericht vor einem Monat als von Anfang an verfassungswidrig[4] und mit der Würde des Menschen als unvereinbar erklärte.

Deutschland zwanzig Jahre später: Berlin und Brandenburg eröffnen gerade einen neuen Flughafenknast, damit keine MigrantIn, die nicht zuvor als nützlich befunden wurde, den Fuß auf deutschen Boden bekommt. In Bayern laboriert man an Ausreisezentren, die Geflüchtete durch Verelendung aus dem Land treiben soll. In vielen Teilen Deutschlands leben die wenigen, die AsylbewerberInnen, die es irgendwie doch nach Deutschland geschafft haben in Heimen mitten im Wald. Die einzigen Anwohner, die dort ein Pogrom beklatschen könnten, sind Hase und Igel. So lange dieser institutionelle Rassismus nicht rückabgewickelt wird, lässt sich nicht feststellen, ob Deutschland zivilisiert geworden ist. Das aber wird nicht geschehen. Es findet sich noch nicht einmal jemand, der diese Rückabwicklung fordert.

Selbst wenn der kommende Sonntag ein Erfolg wird und ein Tag im August, von nun an im Zehnjahresrhythmus als Gedenktag begangen werden sollte, es bleibt ein weiterer schaler Termin im Kalender der bundesdeutschen Gedenktagsbewirtschaftung. Die vergangenen Verbrechen eignen zur Selbstvergewisserung, dass heute alles besser ist, als „in diesen dunklen Jahren.“ Sonst bleibt alles beim alten. Es ist zum Kotzen.

Veranstaltungen und Literatur:

Am kommenden Sonntag lädt das Bündnis „Rassismus tötet“[5] zu einer Demonstration nach Rostock. Auf der Seite finden sich verschiedene Filmbeiträge, über Rostock-Lichtenhagen und Hoyerswerda. Eine Studie der Uni Rostock[6] beschreibt einige der Leerstellen im aktuellen Gedenken. Bereits im vergangenen Jahr erschien der Band Kaltland[7], der sich ausdrücklich der Erinnerung an die Pogrome vor 20 Jahren erinnert. Trotz einiger Schwächen lesenswert, das vor zehn Jahren erschienene Buch „Politische Brandstiftung“[8] von Jochen Schmidt, der 1992 mit im angegriffenen „Sonnenblumenhaus“ war.

Links:

  1. http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/1846332/
  2. http://youtu.be/Vjc3_pIiU88
  3. http://rathaus.rostock.de/sixcms/detail.php?id=37666&_sid1=260&_sid2=291&_sid3=292
  4. http://www.bverfg.de/entscheidungen/ls20120718_1bvl001010.html
  5. http://rassismus-toetet.de/
  6. http://www.wiwi.uni-rostock.de/fileadmin/Institute/IPV/Informationen/Publikationsreihe/IPV-Reihe32.pdf
  7. https://www.prager-fruehling-magazin.de/de/article/865.kaltland.html
  8. http://www.perlentaucher.de/buch/jochen-schmidt/politische-brandstiftung.html