utopische räume erobern

Eingreifende Populärliteratur am Beispiel der Ariadne Krimis

Frigga Haug und Else Laudan
Frigga Haug war Professorin für Soziologie in Hamburg. Sie entwickelte die Erinnerungsarbeit (international angewandte Methode zur Überschreitung von Selbstblockierungen) und schrieb über 20 Bücher. Sie ist Herausgeberin der Zeitschrift „Das Arg

Setzen wir voraus, dass eine von uns für gut befundene Kriminalliteratur von den Menschen handelt, für die Interessenkämpfe und Gewalttaten zum Alltag gehören. Hinzu kommt der Anspruch, dass soziale Wahrnehmung geschärft und das Publikum darin ausgebildet wird, die eigene Welt genauer zu sehen. Der Wunsch, die Gerechtigkeit möge siegen, wird ernst genommen und lässt so die Sehnsüchte nach einer besseren Gesellschaft greifbar werden. Dies macht die Lesenden zu Mitgestaltenden. Insofern kann man Antonio Gramscis Vorschlage für eine Kulturpolitik aufnehmen, die in befreiender Absicht geschieht und doch die wirklichen Sehnsuchte der Menschen hier und heute nicht verfehlt. Setzen wir hier an und folgen Gramsci über das Schreiben und Lesen von Kriminalromanen zum populärkulturellen Projekt: Es gilt, um einen kulturellen Brennpunkt ein Publikum zu scharen, sofern dieser Brennpunkt wahrhaft lebendig ist und Warme ausstrahlt. Dies gelang offensichtlich mit den Ariadne Krimis in den 1980er und 1990er Jahren. Die Aufgabe ist noch nicht abgegolten. Daher ist es wichtig, sich genau zu erinnern: Was war das Besondere, das Feministische an den Ariadne Krimis? Und wie sind sie heute? Gehen wir davon aus, dass Frauenunterdrückung in die herrschende Kultur eingeschrieben ist, dass sie in Regeln, Werten und gewöhnlicher Orientierung auch von den Frauen selbst reproduziert wird, so muss in befreiender Absicht offenbar kulturzerstörerisch vorgegangen werden. Die in feministischen Krimis praktizierte Absage an Normalität zeigt die Gewohnheiten als Fesseln und wird sogleich Eingriff in wirkliche Strukturen. Kurz: Um realistisch zu sein, müssen die Krimis utopisch sein. Sie entvölkern die wirkliche Welt von der übermächtigen männlichen Gegenwart und bevölkern sie mit Frauengestalten. Feministische Krimis vollführen also eine Bewegung ins Utopische und müssen zugleich einer anderen Realität zur Sprache verhelfen, in der Frauen aufrechte und handlungsfähige Menschen sind. Dafür muss Normalität unselbstverständlich, Vertrautes fremd und das Gemachte dekonstruiert werden. Wenn man die ersten Ariadne Krimis mit kulturkritischem Blick liest, kann man diese Doppelbewegung leicht erkennen: Weiblicher Alltag wird so beschrieben, dass seine Fesseln bewusster werden, zugleich sind die Heldinnen schon aus solchem Alltag ausgestiegen. Sie sind fremd in einer Weise, dass sie dennoch als Vorbild dienen können, und so wurden sie auch aufgefasst. Wo Angst und Kleinmut gewöhnlich sind, ist Überwindung von Angst und beherztes Vorgehen im Spiel, wo Ehe und Familie als Fesseln auftreten, ist Ausstieg angesagt — knapp die Hälfte der Ermittlerinnen ist lesbisch. Viele weibliche Ängste reproduzieren gesellschaftliche Norm, die den Zutritt zu (für Männer selbstverständlichen) Freiheiten versperrt: Frauenkörper gelten als leichte Beute für Gewalttäter, so dass Frauen nicht ohne männlichen Schutz auskommen. Unerschrockene Detektivinnen rüttelten an dieser Selbstverständlichkeit wie auch an der klassisch weiblichen Orientierung auf helfende Berufe, aufs Sich-opfern. Sie verschieben zudem den Blick auf andere Frauen: Die waren im traditionellen Krimi-Rollenmuster meist Konkurrentinnen um Männer- Akzeptanz, im feministischen Krimi sind sie potenzielle Gefährtinnen oder Geliebte. Denn zwischen Repression und Herrschaftsreproduktion braucht es Bündnisse zwischen Frauen, um Räume zu erobern, in denen Wunden heilbar, Freiheiten lebbar, Kompetenzen erfahrbar werden — kurz, um handlungsfähig zu werden. Autorinnen wie Dreher, Foster und Cannell griffen mit starken Identifikationsfiguren das romantische Element der großen Liebe auf und erweiterten es um aufrechte Frauenbeziehungen. Eine typische feministische Krimiheldin hat mit genau den Widersprüchen zu tun, die jeder Frau das Leben schwer machen. So ist in der von vielen Leserinnen geschätzten Identifikation mit den Heldinnen politische Zustimmung zu ihrem Ringen um Handlungsfähigkeit enthalten. Ob frauenbewegt oder nicht, jede Frau, die sich abstrampelt, um in den realen Verhältnissen handlungsfähig zu sein und anderen dabei beizustehen, entspricht darin dem Ideal der Frauenkrimiheldin, wodurch klar wird, dass jede Frau eine Heldin sein kann. Unsere Leserinnen würdigten dies mit der Abnahme von fast zwei Millionen Ariadne Krimis. An Kulturzerstörung erreicht wurde gewiss: Kritik an Sexualverhältnissen, die Installierung der lesbischen Heldin als Normalität (Foster, Forrest, McDermid). Die Selbstverständlichkeit der Orientierung auf als männlich wahrgenommene Berufe und Lebensweisen (Cody, Redmann), der Umgang mit Körper und Sprache. Im feministischen Projekt Ariadne geht es um eine Kultur, in der Frauen aufrechten Ganges strategische Plätze einnehmen, um das Heute und das Morgen mit zu gestalten. Da bleibt noch viel zu tun. Die jetzt hierzulande entstehenden feministischen Kriminalromane verknüpfen den begonnenen Aufbruch mit unserer hiesigen Gegenwart und richten den Blick auch auf die Zukunft. Christine Lehmanns Serienheldin Lisa Nerz begann ihren ersten Fall im Milieu der deutschen Frauen- und Lesbenbewegung und entwickelt sich seitdem als wandelndes Experiment mit dem Genderbegriff: Lisa Nerz geht manchmal als Mann, wohin Frauen nicht gehen können, ermittelt im Edelpuff, in der Staatsanwaltschaft, auf Schulhöfen und in finsteren Höhlen. Ihr siebter Fall Nachtkrater führt sie gar ins Weltall, nur um dort die irdischen Widerspruche zugespitzt anzutreffen. Das feministische Kulturprojekt muss von ihr und anderen fortgesetzt werden, um die endgültige Absage ans weibliche Opfertum einzulösen und vor allem: eine Absage an Herrschaft.

Else Laudan ist Diplomsoziologin, Lektorin, Übersetzerin und Verlegerin. Seit 1988 ist sie zuständig für die Ariadne- Reihe im Argument Verlag.