10.12.2012

„A beautiful and simple idea?“

Zwei lesenswerte Bücher zum bedingungslosen Grundeinkommen

sg

Die Diskussion über das bedingungslose Grundeinkommen gehört zu den spannendsten politischen Debatten der Gegenwart. In diesem Jahr gab es im deutschsprachigen Raum neben dutzenden Aufsätzen allein sieben Neuerscheinungen, die sich dem bedingungslosen Grundeinkommen widmen. (1) Die Debatte um das bedingungslose Grundeinkommen ist jedoch auch eine unübersichtliche Debatte. Denn unter diesem Schlagwort werden sehr unterschiedliche Konzepte verhandelt. Zwei Bücher versprechen einen Überblick.

A beautiful and simple idea ...

Karl Reitters im Wiener Mandelbaum Verlag veröffentlichter Band versteht sich explizit als Einführung. Auf nur hundert Seiten umreißt Reitter Idee, Begründung und Finanzierbarkeit des Grundeinkommens. In einem Kapitel geht er auf verschiedene Einwände und Kritiken ein und schildert abschließend Modellprojekte mit der Auszahlung von Grundeinkommen.

... or a beautiful and simple book?

Bei der Bestimmung seines Gegenstandes macht es sich Reitter einfach. Das Grundeinkommen sei nach einem Zitat des Philosophen Phillippe Van Parijs, „a beautiful and simple idea“, eine schöne und einfache Idee. Ein bedingungsloses Grundeinkommen müsse allgemein und existenzsichernd sein und personenbezogen ausbezahlt werden. Alles andere seien nur verwässerte Konzeptionen. Für eine Einführung ist dies ein legitimer Kunstgriff, schließlich finden sich die selben Kriterien bei emanzipatorischen GrundeinkommensbefürworterInnen wie dem Netzwerk Grundeinkommen. Der Nachteil: Sehr viele Konzepte, die all diese Kriterien nicht erfüllen, firmieren in der öffentlichen Debatte ebenfalls unter dem Begriff Grundeinkommen. Missverständnisse sind also programmiert. Denn so schön und einfach Ideen sein können, die Ideen zu ihrer Umsetzung sind meist nicht mehr so simpel zu beurteilen. So kommt Reitter in die Verlegenheit, dass keines der Experimente die er benennt, den drei Kriterien entspricht. Auch das bei ihm im Kapitel Finanzierbarkeit vorgestellte Modell des Grünen Wolfgang Strengmann-Kuhn, das auf Zahlen von 2007 basiert., also nicht gerade taufrisch ist, lag knapp unter damaligen Armutsrisikogrenze. Ob dieses Modell also als existenzsichernd anzusehen ist, mag dahingestellt sein.

Die Stärken des Buches liegen anderswo. Prägnant schildert Reitter den Umbau des alten fordistischen Wohlfahrtsstaates zum neoliberalen workfare state und des Wandels des zugehörigen Arbeitsregimes. Er skizziert die Ungleichverteilung des Reichtums in westlichen Industriestaaten und fasst feministische Debatten zu unbezahlter Reproduktionsarbeit zusammen. Vor dem Hintergrund dieses Szenarios argumentiert er, auf welche sich daraus ergebenden Widersprüche das Grundeinkommen überzeugende Antworten geben kann. Als Sicherung gegen den Zwang jede unzumutbare Tätigkeit anzunehmen, als Form der Ermöglichung von Selbstbestimmung und sinnvoller Tätigkeit. Gleichzeitig benennt er offen, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen nicht die Lösung aller gesellschaftlichen Widersprüche bedeutet und hebt sich damit wohltuend von manchen ab, die das bedingungslose Grundeinkommen als Allheilmittel versprechen.

Das Buch von Reitter ist flüssig geschrieben und setzt wenige Vorkenntnisse voraus. Komplexe Grundlagen, wie Marx‘ Kritik an der klassischen Arbeitswerttheorie werden von ihm mit simplen Beispielen erklärt. Derartige Vereinfachungen mögen nicht jedermanns Geschmack sein, zumal Reitter auf manch arg moralisierendes Klischee nicht verzichten zu können meint. (2) Für eine Einführung zum Grundeinkommen sind sie zumeist aber durchaus legitim. Für zehn Euro bietet Reitters Buch eine gute und kurze Einführung in die Idee des Grundeinkommens und eine breite Übersicht über die gesellschaftlichen Zustände, die es als politische Forderung plausibel machen. Zusätzlich zum Glossar, hätte man sich eine umfangreichere Literaturliste zum Weiterlesen gewünscht.

Der Sammelband „Grundeinkommen – Von der Idee zu einer europäischen politischen Bewegung“ des Trios Ronald Blaschke, Adeline Otto und Norbert Schepers ergänzt einige der skizzierten Leerstellen von Reitters Buch. Ronald Blaschke grenzt in seinem Beitrag „Grundeinkommen was ist das“ das bedingungslose Grundeinkommen gegen andere, auf den ersten Blick ähnlich erscheinende Konzepte ab und zeigt in übersichtlichen Schaubildern, welche verschiedenen Konzepte sich hinter dem Begriff 'Bürgergeld' verbergen können. In einem bereits vor zwei Jahren erschienenen, aber gründlich aktualisierten Beitrag stellt Blaschke alle in Deutschland diskutierten Grundeinkommensmodelle vor. (3) Darüber hinaus diskutiert er die unterschiedlichen Ansätze das Kriterium „existenzsichernd“ (bzw. in der Erweiterung existenz- und teilhabesichernd) zu bestimmen. In einer tabellarischen Übersicht wird dargestellt, welche Umverteilungswirkung die verschiedenen Grundeinkommenskonzepte haben. Dabei wird sehr deutlich wie unterschiedlich die Grundeinkommenskonzepte von z.B. Bündnis/90 Die Grünen, BAG Grundeinkommen von DIE LINKE und von Dieter Althaus sind.

Der Anspruch des Buches ist allerdings weitgehender. Es soll einerseits europäische politische Bewegung vorstellen und Anschlüsse weiteren gesellschaftlichen Debatten herstellen. Hierzu bietet das Buch verschiedene Anstöße. Sowohl Blaschke, als auch Werner Rätz versuchen das Grundeinkommen und die Debatte um eine Postwachstums-Ökonomie zusammen zu denken. Blaschke meint, dass die Einführung eines Grundeinkommens eine nachhaltigere Produktion nahelege, weil kooperative Produktionsprozesse auch jenseits kurzfristiger Profiterwägungen einfacher zu realisieren seien. Werner Rätz meint im Widerspruch dazu, in seinem Beitrag „Bedingungsloses Grundeinkommen und Krise“, dass die Einführung eines Grundeinkommens zunächst eine stärkere Konsumption bewirken würde. Es wäre daher also im Gegenteil wachstumsfördernd und käme einem gigantischen Konjunkturprogramm gleich. Erst auf lange Sicht würde durch die Umverteilung aus dem gesellschaftlichen Investionsfonds in den Konsumptionsfonds ökonomisches Wachstum gedämpft. Diese eröffne Perspektiven auf eine ressourcenschonendere, nachhaltigere Ökonomie. In dieser Hinsicht offenbart das Buch also eher mögliche Perspektiven für zukünftige Diskussionen, als dass das Buch eindeutige Antworten zu geben, in der Lage wäre.

Der Teil des Buches zur europäischen Dimension der Grundeinkommensbewegung besteht aus einer Übersicht über die Grundeinkommensidee in Europa und den USA, die von einer Darstellung einzelner Grundeinkommensakteure in Frankreich, in Finnland und einer Zusammenstellung von grundeinkommensrelevanten Entschließungen des Europäischen Parlaments sowie die Darstellung der Europäischen Bürgerinitiative für ein Grundeinkommen gefolgt iwrd. Letztere ist eine Art Bürgerbegehren auf europäischer Ebene, das im April 2012 eingeführt wurde. Warum gerade die französische Grundeinkommensszene so detailliert dargestellt wird nicht ganz klar. Hierfür wäre wie bei einigen anderen Beiträgen auch, ein einführendes Kapitel bei der Lektüre hilfreich gewesen.

Anders als die Einführung von Karl Reitter wird man den Band von Blaschke, Otto und Schepers sicher nicht von vorn bis zum Ende lesen. Einige der Beiträge haben durchaus einführenden Charakter und sind mit Schaubildern und Tabellen sehr übersichtlich gestaltet. Teilweise sind die Texte allerdings auch durch umfangreiche Textanhänge aufgebläht. Den dokumentarischen Wert, hätte man an verschiedenen Stellen sicher auch mit einem Link erreichen können. Dennoch ist der Band uneingeschränkt empfehlenswert für alle, die an der Debatte um das bedingungslose Grundeinkommen teilnehmen wollen. Die gründliche Diskussion der verschiedenen Modelle, ermöglicht es Lesenden unabhängig von deren politischem Standpunkt zu beurteilen, was von den jeweiligen Modellen zu halten ist.

Ronald Blaschke, Adeline Otto, Norbert Schepers (Hrsg.): Grundeinkommen : von der Idee zu einer europäischen politischen Bewegung kostet 16,80 Euro und kann hier[1] bestellt werden.

Karl Reitter: BedingungslosesGrundeinkommen – Intro – Eine Einführung kostet 10 Euro und kann hier[2] bestellt werden.

(1) Nils Adamo: Bedingungsloses Grundeinkommen : Sozialromantik oder Zukunft des Sozialstaats?, Darmstadt 2012

Ronald Blaschke, Adeline Otto, Norbert Schepers (Hrsg.): Grundeinkommen : von der Idee zu einer europäischen politischen Bewegung, Hamburg 2012

Heiner Flassbeck: Irrweg Grundeinkommen : die große Umverteilung von unten nach oben muss beendet werden, Frankfurt am Main 2012

Dirk Jacobi, Wolfgang Strengmann-Kuhn (Hrsg): Wege zum Grundeinkommen, Berlin 2012

Christian Müller, Daniel Straub: Die Befreiung der Schweiz über das bedingungslose Grundeinkommen, Zürich 2012

Karl Reitter: Bedingungsloses Grundeinkommen – Intro – Eine Einführung, Wien 2012

Götz W. Werner (Hrsg.): Das Grundeinkommen : Würdigung - Wertungen – Wege, Karlsruhe 2012

Darüber hinaus sind, insbesondere in Österreich verschiedene Diplomarbeiten erschienen, z. B.

Béla Hollós: Ist ein bedingungsloses Grundeinkommen in Österreich realisierbar?, Dipl. Arbeit Universität Wien 2012

David Thaler: Bedingungsloses Grundeinkommen als Antwort auf die Krise der Erwerbsarbeit: theoretische Zugänge und empirische Befunde, Dipl. Arbeit Universität Wien 2012

(2) So muss für den simplen Gedanken, dass nicht jede Lohnarbeit automatisch gesellschaftlich nützlich ist, ein amerikanischer CIA-Agent herhalten, der in einem Geheimgefängnis foltert. Solche Ausrutscher sind glücklicherweise die Ausnahme.

(3) Besagter Beitrag erschien in: Ronald Blaschke, Adeline Otto, Norbert Schepers (Hrsg.): Grundeinkommen. Geschichte – Modelle – Debatten, Berlin 2010 (auch online abrufbar unter: www.rosalux.de/publication/36006/grundeinkommen.html)

Links:

  1. http://www.vsa-verlag.de/nc/detail/artikel/grundeinkommen/
  2. http://mandelbaum.at/books/806/7417