07.01.2013

Schernikau lesen!

Ronald. M. Schernikau: So schön. 120 S., Leinen, 18 Euro

Bodo Niendel

Schernikau war eine schillernde Figur der deutsch-deutschen Literatur. Er schrieb über die Liebe, seine Mutter und über seine Heimat, die DDR. Als (westdeutscher) Schüler schrieb er die wohl noch immer schönste deutsche Coming-Out Geschichte, die „Kleinstadtnovelle“. Sein Leben ist durch die Veröffentlichung seiner Biographie, „Der letzte Kommunist“ von Matthias Frings im Jahr 2009, in das Licht der Öffentlichkeit gerückt worden. Doch sein Werk harrt weiter der Veröffentlichung. Erfreulich, dass nun der Verbrecherverlag mit „So schön“ einen weiteren Teil seines Oeuvres zugänglich macht. Zwischen WG-Leben, schwuler Westberliner Subkultur, dem Engagement für die Sozialistische Einheitspartei Westberlins (SEW), dem Schwulenblock bei den fast täglichen Demos, berichtet Schernikau in einem lakonischen, niemals zynischen, sondern fröhlichem Ton über die Liebe unter Männern. Alltägliches und Besonderes bilden die Melange für das Porträt über die untergegangene Schwulenbewegung der 1980er Jahre. Hier schrieb Einer, der über das schrieb, was er sah, lebte: „im jetzt der erzählung wohnt er in der großen stadt und braucht keine bewegung mehr. er ist die bewegung. er hat gehabt, was er haben konnte und macht weiter. helmut tut die pullover in die hosen, weil man das jetzt so trägt, helmut hat eine proletarische sozialisation und sehr viel mut. helmut wäre ein guter kommunist.“

Dem/der Leser/in wird etwas erschlossen, das heute so schwer verständlich ist, weil die Protagonisten dieser Zeit fast alle tot sind. Auch Schernikau starb 1991 in Ostberlin als Bürger der DDR — als einer der letzten Eingebürgerten — an der Immunschwäche AIDS. Doch „So schön“ ist in der Prä-Aids-Ära geschrieben, 1982, als das Treiben in den Saunen, Klappen und Parks noch so unbeschwert schien. Es ist ein Werk mit vier Hauptfiguren, die in ihrem gegenseitigem lieben, verlieben und entlieben eine sehr konkrete Utopie leben, etwas das Michel Foucault als Heterotopie bezeichnet hätte, ein realisierter Ort des Lebens, der Liebe, weshalb der Titel bar jeder Ironie ist.

Man muss Schernikau einiges verzeihen. Wie konnte dieser Dandy nur so in die DDR verliebt sein? Seine Liebe zu mehr als einem Mann gleichzeitig, sein manierierter Schreibstil, sein romantisches Weltbild, sein positivistisch-kritisches Denken, all dies wäre in DDR dauerhaft angeeckt. Doch sein Werk ist Literatur - mit Peter Hacks und Elfriede Jelinek war er befreundet und tauschte sich regelmäßig aus, er hielt eine prophetische Rede auf dem letzten DDR-Schriftstellerkongress - die man nicht in eine Nische stellen darf. Es bleibt zu hoffen, dass auch sein Hauptwerk, die fast 1.000-seitige „Legende“, die er auf dem Sterbebett in noch so jungen Jahren verfasste, bald wieder lieferbar ist und Leser/innen findet.