15.07.2013

Die Reaktion hat verloren ...

Positive Pictures von Paul Schulz und Christian Lütjens, Bruno Gmünder, 39,80 Euro

Bodo Niendel

Bücher über HIV und Aids gelten als schwermütig und verkaufen sich meist schlecht. Wird mit der HIV-Infektion doch Aids und damit Sterben und Tod verbunden. Auf 230 Seiten Großformat präsentieren die Herausgeber die Arbeiten vergessener und unvergessener Künstler, die sich mit HIV auseinandersetzten. Fotos von Sterbenden und Toten, z.B. von AA Bronson, abstrakte Arbeiten von Keith Hearing und Werbung, wie etwa die berühmte Benetton-Schockwerbung aus den 1990er Jahren, die sich in einem brutalen Realismus auch Aids zuwandte, befinden sich neben Fotos von ACT-UP Protesten gegen die ignorierende und tödliche Politik der Reagan und Bush Administration, Fotos von Helden, wie Liz Taylor, die ihrem Freund, einem der ersten infizierten Prominenten, dem Schauspieler Rock Hudson, beistand sowie vergessene Stars wie Melitta Sundström, Egmont Fassbinder oder Jürgen Baldiga. Nicht Mitleid prägt dieses Buch, sondern Lust und ein kämpferischer Umgang mit der Infektion, schlägt sich in zahlreichen künstlerischen Darstellungen nieder.

Im Fokus stehen schwule Männer in den USA und Deutschland. Denn schwule Männer sind es, die die Infektion in den westlichen Industriestaaten zu förderst betrifft. Schwule Männer die trotz des Virus leben, lieben, Sex haben und kämpfen. Die Bilder über HIV von den 1980ern bis Heute belegen ein Selbstbewusstsein und zeugen von dem wohl größten Erfolg in der Geschichte der Gesundheitspolitik. Schwule Männer kämpften gemeinsam mit Junkies, Prostituierten und vielen Anderen erfolgreich gegen die Isolierung der Betroffenen und setzen weltweit zum ersten Mal durch, dass eine Infektionskrankheit gemeinsam mit den Betroffenen mit Aufklärung statt mit Isolation der Infizierten bekämpft wurde. Zugleich bildete sich eine neue Sexualmoral heraus, gekennzeichnet durch Pluralität und Liberalität. Für diese neue Sexualmoral stehen auch konservative PolitikerInnen wie Rita Süssmuth, die sich auch gegen ihre bayerischen Kollegen, Peter Gauweiler und Horst Seehofer, durchsetzte. Letzterer forderte die, Aidskranken „in speziellen Lagern“ zu sammeln und zu „konzentrieren.“ Die Reaktionären setzten sich nicht durch und es schlug die Stunde des New Public Health: Also mit den Betroffenen gemeinsam eine liberale Gegenstrategie zu entwickeln.

Die gelungene Melange aus Bildband und Buch vermittelt mit umfangreichen Texten in deutscher und englischer Sprache, die Auseinandersetzung um HIV und Aids.

Etwa 35 Millionen Menschen leben weltweit mit der Infektion, davon etwa 80.000 in Deutschland. Seit dem erfolgreichem Einsatz der Kombinationstherapie können HIV-Positive, die rechtzeitig mit den immer noch sehr teuren Medikamenten behandelt werden, sehr lange leben. HIV bedeutet schon lange nicht mehr Tod. HIV/Aids ist in den Industriestaaten zu einer Infektion/Erkrankung unter vielen geworden. Es ist eine chronische Erkrankung. Aids hat sich normalisiert. Weiterhin betrifft es in Westeuropa und Nordamerika zuerst schwule Männer. Dies ist vielleicht ein Manko von „Positive Pictures“. Das Leben und die Kämpfe der HIV-positiven Menschen in den anderen Teilen der Welt werden hier nur am Rande behandelt.

Aber dieser Bildband, dieses Buch drängt sich auf. Es gibt zahllose unzweifelhaft sehr gute Broschüren und Bücher über HIV, aber ihnen gelingt zumeist nicht, was „Positive Pictures“ gelingt. Hier wird ein Flair, ja eine Magie geschaffen – die HIV keineswegs verharmlost – die aber jedem Betroffenen zeigt: Du bist nicht allein. Dieses Buch sei Positiven, Angehörigen und ihre Freundinnen und Freunden empfohlen – doch nicht nur ihnen.

Bodo Niendel ist Referent für queer- und Gleichstellungspolitik der Bundestagsfraktion DIE LINKE