16.07.2013

Die machtstrategische Allianz Schwarz-Grün kommt – subito!

Melange von Zeitgeist und Modernisierung.

Prof. Peter Grottian

Es gibt keine Partei außer der Merkel-CDU, die so energisch und mit solchem prinzipienfesten Machtopportunismus auf die Verteidigung ihrer Macht setzt. Es gibt aber auch keine Oppositionspartei – außer den GRÜNEN –, die so nach Regierungs- und Machtbeteiligung lechzt. Der Wahlkampf verkommt zum gähnend-langweiligen Ritual eines eher zumutungsscheuen Wahlvolkes. Ein Hauch gerechter, sozialer, ökologischer, demokratischer sollte es schon sein, ein Hauch – mehr wäre wohl ein Binsenirrtum. Die Bevölkerung empfindet es als Zumutung, von den Wahlen entscheidende Weichenstellungen zu erwarten. Der Lagerwahlkampf ist schon jetzt saftlos am Ende. Merkel macht ́s – mit wem auch immer. Ende des distanzierten Interesses und reichlich ratlos in der Wahlkuppel. Oder kennen Sie einen Stammtisch oder einen Freundeskreis, der sich ernsthaft über die Bundestagswahl streitet? Ohnmächtiger Individualismus pur.

„In schwierigen Zeiten in guten Händen“

Merkels Slogan „In schwierigen Zeiten in guten Händen“ wird den Wahlkampf mit Regierungshandeln erfolgreich dominieren. Die Koalitionsaussage zugunsten der FDP fehlt. Optionen werden vielfältig eröffnet und unter der Hand sprechen Volker Kauder (CDU) und Horst Seehofer (CSU) “Trittin“ nicht mehr so aus, als ob es sich um ein CDU/CSU-Vernichtungsmittel handelt. Wechselseitige persönlich-politische Animositäten sind eine starke Hürde. CDU/CSU beginnen sich aber darauf einzustellen, jenseits der schmallippigen Beteuerungen für eine schwarz-gelbe Koalition auch über eine große Koalition oder über Schwarz-Grün verhandeln zu müssen. Fühler werden vorsichtig ausgestreckt. Die SPD wirkt so, als ob sie vor dem eigentlichen Wahlkampf schon das Handtuch geschmissen hätte und vor einem wundenleckenden

Erneuerungsprozess steht. Wenn nicht ein mittleres Wunder geschieht oder gravierende Fehler macht, erlebt die SPD eine erneute demütigende Wahlniederlage in der Größenordnung von 2009. Die Selbstachtung der SPD in der Wahlniederlage wird sie deshalb von Koalitionsabsichten abhalten. Gabriels jüngste Äußerungen vor der Fraktion weisen auch in diese Richtung. Die SPD wird die Kellner-Rolle nicht nochmals unterbieten wollen. Je mehr Zweifel die SPD verbreitet, desto vehementer wird bald die Schwarz-Grün-Debatte losbrechen.

Die gründliche Blamage der FDP

Die FDP hat sich so gründlich blamiert, dass eine neue koalitionäre Rolle als Lächerlichkeitsnummer wahrgenommen wird. Anders als 2009 werden der größere Teil des FDP-Führungspersonals als politische Laienspielerschar eingeschätzt. Spitzenkandidat Brüderle gesundheitsbedingt auf Krücken, Rösler ohne Entzücken. Und Westerwelle im Sandkasten von Merkels internationalen Baustellen. Es gibt nur noch wenige Gründe, strategisch mit der FDP- Wahlstimme umzugehen (Zweitstimmenkampagne). Merkel würde dem späten Kohl ähneln, wenn sie an diesem ausgelaugten Bündnis festhielte. Es wäre die macht-bequemste, aber für die Gesellschaft langweiligste Koalitionsvariante, sollte die FDP sehr weit über die 5%-Marke kommen, was eher unwahrscheinlich ist.

Machtstrategische Option: Schwarz-Grün

Es spricht deshalb einiges dafür, dass es nach dem Wahlabend (22.9.) eher nicht zu Schwarz-Gelb und erst recht nicht zu Rot-Grün(-Gelb) reicht, und wir innerhalb weniger Tage und Wochen eine machtstrategische Allianz von Schwarz-Grün erleben. Darauf ist das jeweilige Führungspersonal und die Öffentlichkeit bisher noch schlecht vorbereitet.
Die Eintrittsofferten von Merkel für die Grünen könnten „Steuererhöhungen light“ von starken Schultern für Infrastrukturaufgaben, eine Leitrolle der GRÜNEN für die Energiewende und der Rückzug der CDU aus dem Stuttgart 21-Projekt sein. Hinzu käme eine deutsche Aufstockung des EU- Jugendarbeitslosigkeitsprojekts mit unkonventionellen Maßnahmen für Südeuropa um 15 Mrd. ¤ und eine verschärfte Rüstungskontrolle für Diktaturen. Merkel überrascht mit prinzipienfester Wendigkeit. Die Koalitionsverhandlungen laufen hart aber fair, es gibt auf vielen Feldern erstaunliche Kompromisse und diskrete Vertagungen. Die Verhandlungsführerin der GRÜNEN, Katrin Göring-Eckardt, wächst in ihre Vermittlerrolle geschickt hinein. Trittin, für einige in der CDU/CSU eine Hassfigur, bleibt klugerweise und sichtbar widerstrebend im Hintergrund.

Ich höre schon den Aufschrei in beiden politischen Lagern, der die grundsätzlich widerstreitenden Positionen beschwört und auf die fehlenden gemeinsamen Schnittmengen verweist. Gemach! Zunächst fördert die sorgfältige Lektüre des CDU/CSU-Programms die Erkenntnis zutage, dass es sich in Wahrheit um ein 127-seitiges „Leistungsprogramm“ der CDU/CSU zur auslaufenden Legislaturperiode handelt. Vorschläge für ein zukünftiges Regierungsprogramm sind höchst vage, fast immer unter Finanzierungsvorbehalt und in der Regel wenig ausgearbeitet ausgewiesen. Zu zentralen Problemen – Finanzmarktregulierung, Rechtsextremismus, Armut – hat die CDU/CSU nichts zu sagen. Das CDU/CSU-Programm ist – vorsichtig formuliert – eine intellektuelle Zumutung für jeden auch nur einigermaßen urteilsfähigen Bürger. Es ist eher ein peinliches Dokument der elitären Arroganz von oben, die auf die demokratische Mitwirkung ihrer Anhänger bewusst verzichtet! Es ist die komplette Preisgabe innerparteilicher Demokratie. Über ein solches Programm des Ungefähren lässt sich immer verhandeln oder zumindest ausloten, was geht und was nicht geht. Bündnis 90/Die Grünen haben sich dagegen in ihrem 319- seitigen Wahlprogramm ersichtlich mehr Mühe gegeben, die Grundlinien ihrer Politik auszumalen. Anders als CDU/CSU stellen sich die GRÜNEN zumindest der Hartz-IV-Problematik, gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, Armutsbekämpfung, Asylpolitik, Demokratieerneuerung, Drogenpolitik, Gentechnik, Hungerkrise, Homosexualität, Korruption, ÖPNV, Rüstungsexporten, Transparenz, Verfassungsschutz u. a. m.. Sie machen streitbare Vorschläge, zu denen sich CDU/CSU keinen Kopf gemacht haben. So gesehen spricht alles dafür, in Koalitionsverhandlungen auszuloten, was gehen könnte und was nicht. Koalitionsverhandlungen können auch so geführt werden, dass sie zu einem gesamtgesellschaftlichen Lernprozess avancieren. Erfolgreiches Scheitern gehört auch zur Demokratie. Angst vor einen Schwarz-Grün-Debatte bis nach den Wahlen – geht überhaupt nicht, weil eine schwache FDP und eine selbstverzweifelte SPD eine Debatte vor den Wahlen erzwingen werden.

Aufstand der grünen Parteibasis?

Ja, von wegen Aufstand der grünen Parteibasis, wenn wichtige Ziele erreichbar erscheinen, obwohl die dicken Brocken bei Steuern und Finanzen, Energie, Familie, Bürgerversicherung und Rüstungsexporten nicht zu übersehen sind. Welcher grüne Parteitag wird einem Personaltableau widersprechen, wo Trittin einem erweiterten Infrastrukturministerium oder dem Auswärtigen Amt vorsteht, Claudia Roth mit neuem Zuschnitt ein Migrationsministerium leiten könnte, Katrin Göring-Eckardt für Familienpolitik zuständig ist und der kluge Ex-attac-Aktivist und grüne Europaabgeordnete Sven Giegold als Staatssekretär bei Wolfgang Schäuble platziert werden kann? Und wenn die GRÜNEN noch den FOODWATCH-Aktivisten Thilo Bode zusammen mit Renate Künast für Landwirtschaft, Ernährung und Verbraucherschutz vorschlagen, endet der Parteitag eher mit Beifall denn mit einem NEIN. Das ist möglicherweise etwas übertrieben, da die Parteibasis vieles und schnell zu schlucken hätte. Schwarz-Grün als Go-Area, sehr gewöhnungsbedürftig. Es gibt eine zähneknirschend-fröhliche Machtbeteiligung mit Realitätssinn. Es ist die letzte Chance der grünen Führungsriege vor dem Generationenwechsel. Und für Merkel ist es stillschweigend, aber für die CDU/CSU vorausschauend: das schlaueste Modernisierungsprojekt jenseits von SPD- oder FDP-Koalitionen. Und die Republik nimmt – so wird uns infratest-dimap im Dezember 2013 berichten – Schwarz-Grün mit „neugieriger Gelassenheit“ hin. Schon jetzt scheint die Wählerschaft schlauer als die lager-wahlkämpfenden Politiker: Schwarz-Grün ist nach der Großen Koalition die stabilste Zweiervariante. Es ist eine „Koalition wider Willen“ und doch mit machtstrategischem Kalkül. Macht ist wichtiger als inhaltliche, fein austarierte Schnittmengen. Der scheinbare Zauber von angeblicher Macht ist unwiderstehlich – auch für GRÜNE. Das Experiment von Schwarz-Grün ist die Melange des Zeitgeistes, den angeblich noch niemand ernsthaft will, aber angesichts der Realitäten erstaunlich schnell mehrheitsfähig werden kann.