28.05.2013

Hinter verschlossenen Türen

Beim European Day for Borderguards diskutierten Europas Migrationsstrategen

Der Name der Europäischen Grenzschutzagentur Frontex taucht in Presseberichten zumeist im Zusammenhang mit Menschenrechtsverletzungen an den Außengrenzen Europas auf[1]. Informelle, gewaltsame Abschiebungen, Duldung unmenschlicher und erniedrigender Behandlung von Flüchtlingen sowie unterlassene Hilfeleistung gegenüber Flüchtlingen in Seenot werden der Agentur seit Jahren vorgeworfen. Vergangene Woche veranstaltete Frontex wie jedes Jahr den European Day for Border Guards (ED4BG)[2]. Presse war auch dieses Jahr nicht erwünscht. Einen eingeschränkten und dennoch interessanten Eindruck konnte man durch einen Livestream im Netz gewinnen.

Die Rhetorik des „Migrationsmanagements“

Der Fiktion, Migration kontrollieren zu können, haben radikale postmigrantische Intellektuelle aus dem Umfeld von Kanak Attak[3] einst das programmatische Konzept der „Autonomie der Migration“ entgegengehalten. Die fordistische Idee, man könne je nach Bedarf der Industrien im globalen Norden Arbeitskräfte als Gastarbeiter zuführen, haben sie einen Eigensinn von Migration entgegengestellt. Diese Infragestellung nationalstaatlicher Kontrollansprüche wurde auf dem ED4BG rhetorisch aufgegriffen und transformiert. In seinem Eingangsreferat beanspruchte Alexander Betts, Professor am Refugee Studies Centre[4] an der Universität Oxford, Mythen über Migration zu wiederlegen. Als solche bezeichnete er die Vorstellungen, dass es möglich sei, gleichzeitig gewünschte Migration zu ermöglichen und unerwünschte Migration zu verhindern; dass Migrationspolitik einen Einfluss auf tatsächlich stattfinde Migration habe sowie die Idee, dass Migrationsbewegungen prognostizier- und zu steuerbar sei. Sein Fazit bestand aber nicht in der Aufgabe des Kontrollanspruches und der Regulierung der Bewegungsfreiheit durch Nationalstaaten und Staatenbünde.

Stattdessen lieferte er in seinen Schlussfolgerungen einen Legitimiationsansatz für Grenzüberwachung, den TeilnehmerInnen der folgenden Panels dankbar aufgegriffen. Die Aufrüstung der Außengrenzen Europas wurde von den Diskutanten immer wieder mit dem Argument verteidigt, es gehe bei den verschiedenen EU-Programmen zur effektiveren Grenzüberwachung nicht etwa um die Vorbereitung und möglichst reibungslose Durchführung von Abschiebungen, sondern darum, besonders schutzbedürftigen Flüchtlinge zu identifizieren. Dieses Migrationsmanagement, „nütze allen.“ Faktisch nützte diese rhetorische Strategie jedoch vor allem Frontex und den Grenzpolizeien der europäischen Staaten. Sie werden damit der Verantwortung für die dem Aufgreifen folgenden Prozeduren, wie Internierung und Abschiebung von schutzbedürftigen Personen enthoben. Die Argumentation auf dem ED4BG: „Wir registrieren nur, um ein geordnetes Verfahren zu ermöglichen. Für die folgenden Prozeduren sind wir nicht mehr verantwortlich.“ Frontex-Chef Ilkka Laitinen meinte gar, dass es für Flüchtlinge vorteilhaft wäre, wenn sie den Grenzbeamten mehr vertrauten: „Vieles würde besser laufen, wenn Border Guards besser wahrgenommen würden.“

Schönes neues Grenzregime …

Die technische Seite des schönen neuen Migrationsmanagements, wurde in den folgenden Diskussionsrunden besprochen. Der grundsätzliche Trend – mehr Informationen von immer mehr Akteuren. Stellvertretend hierfür steht das European Border Surveillance System (Eurosur)[5], das in dieser Woche beschlossen und Ende des Jahres aktionsfähig sein. EUROSUR soll möglichst viele Informationen von Drohnen, Satelliten mit bereits bei anderen Stellen wie den Fischereibehörden und der Seenotrettung verknüpfen. Dank des gezielten Lobbying von Deutschland, Belgien und den Niederlanden größer ausgefallen ist, als geplant. Der bisherige Fokus auf die Grenzen im Südosten Europas wurde auf Grund von Interventionen der genannten auf alle Staaten mit EU-Außengrenzen erweitert. Statt zunächst 24 Staaten, beteiligen sich nun demnächst 31 Staaten an dem Netzwerk. Dies werde sich trotz der Wirtschaftskrise auch in einer stärkeren finanziellen und personellen Ausstattung von Frontex niederschlagen, prognostizierte der Oliver Seiffarth, der bei der Europäischen Kommission für EUROSUR zuständig ist, in einem der Panels.

Der geplante Infokrieg gegen Migrantinnen, spiegelte sich auch an den Ständen der Industrieaussteller, die bei jedem ED4BG zu finden sind. Zwar waren auch in diesem Jahr einige Hersteller vertreten, die konventionelle Hardware zur Menschenjagd, also Hubschrauber und gepanzerte Fahrzeuge produzieren. Der Schwerpunkt lag jedoch bei den Fabrikanten von Sensoren und Überwachungssystem zur automatisierten Grenzüberwachung.[i][6]

… und die Realität in der Offline-Welt

Neben der hochfliegenden Technikträume gab es jedoch Zwischentöne, die sicher unbeabsichtigt ein realistischeres Bild von der Realität an Europas Außengrenzen zeichneten. Die litauische Grenzinspektorin Laura Tihonova bekannte auf dem Panel Border Control Priorities: freedom or security?“unverblümt, dass in der Alltagspraxis der Grenzbeamten eine gewisse Willkür. „Auf dem Papier hört sich immer alles sehr gut an. Aber wenn es um die Entscheidung geht, wer eine gute oder schlechte Person (sic) ist, dann kommt es auf Erfahrung an“, so Tihonovas Umschreibung von Racial Profiling[7].

Neben dem zunehmend formalisierten und automatisierten Datenaustausch, werden informelle Netzwerke, die nicht zuletzt auf Veranstaltungen wie dem ED4BG hinter geschlossen Türen gepflegt werden, auch weiterhin eine zentrale Rolle spielen. Im Panelgespräch „Grenzkontrollen in Zeiten der Krise“ plauderte Henry Bolton, der unter anderem die die jüngste gestartete EU Grenzunterstützungsmission in Libyen (EUBAM[8]) geplant hatte, über seine Diskussionen mit Nato-Planern und deren Perspektiven auf die arabische Rebellion. Ein Blick auf seine Biographie ist exemplarisch für einen bestimmten Schlag des Border-Managers. Der frühere Soldat und zeitweilige Polizist hat die vergangene Jahre für verschiedene Regierungsinstitutionen und staatsnahen NGO sowie für OSZE und Europäischer Kommission gearbeitet und war dabei unter anderem in Afghanistan, Mazedonien, Georgien, Albanien und im Kosovo. Sicher nicht die schlechtesten Voraussetzungen beim Versuch die enge Zusammenarbeit von EU und Gaddafi-Regime bei der Flüchtlingsbekämpfung in die Zeit des Nach-Gaddafi-Libyen zu retten.

Die Rolle von NGOs

Sichtbar wurde beim diesjährigen ED4BG auch eine neue Rolle von NGOs. Frontex arbeitet bereits seit langem mit Pseudo-NGO’s wie die Internationale Organisation für Migration (IOM) zusammen. Nicht zuletzt als Reaktion auf die Kritik von unabhängigen Menschenrechtsgruppen[9] bemüht sich Frontex um die strategische Einbeziehung von weiteren NGO. Mit Ioanna Kotsioni von Medicins Sans Frontieres in Griechenland war sogar eine NGO-Vertreterin erstmals direkt auf einem der Panels beim ED4BG vertreten. Amnesty International, Caritas und der Jesuitenflüchtlingsdienst waren ebenfalls mit Ständen vertreten. All diese Organisationen sind Teil des im vergangenen neu gegründeten Frontex Consultative Forums. Einem Beirat ohne konkrete Befugnisse, der nicht zuletzt als Reaktion auf die regelmäßigen Vorwürfe schwerer Menschenrechtsverletzungen gegründet wurde. Das Forum soll Frontex bei der Einhaltung menschenrechtlicher Standards beraten und kann einmal im Jahr einen Bericht veröffentlichen. Ob die genannten Institutionen dabei mehr als ein Feigenblatt sein können, bleibt abzuwarten. Im schlimmsten Fall wird ihr Know-How zur weiteren Effektivierung des Grenzregimes genutzt.


Endnote:

[i][10] Vertreten waren u.a. Polus (www.radiobarrier.eu[11]); Optasense (www.optasense.com[12]) oder 3M (www.cogentsystems.com).

Links:

  1. http://www.guardian.co.uk/world/2011/sep/21/eu-border-police-bline-eye-migrant-abuse
  2. http://www.ed4bg.eu/
  3. http://www.kanak-attak.de/ka/aktuell.html
  4. http://www.rsc.ox.ac.uk/
  5. http://europa.eu/legislation_summaries/justice_freedom_security/free_movement_of_persons_asylum_immigration/l14579_de.htm
  6. https://www.prager-fruehling-magazin.de#_edn1
  7. http://de.wikipedia.org/wiki/Racial_Profiling
  8. http://www.eeas.europa.eu/csdp/missions_operations/eubam-libya/eubam_factsheet_en.pdf
  9. http://www.hrw.org/reports/2011/09/21/eu-s-dirty-hands-0
  10. https://www.prager-fruehling-magazin.de#_ednref1
  11. http://www.radiobarrier.eu
  12. http://www.optasense.com