Gretchenfrage
„Sag mir, wie hältst Du es mit der Sozialdemokratie?“
„Sag mir, wie hältst Du es mit der Sozialdemokratie?“ Man kann ihr nicht entkommen, noch nicht einmal durch verbale Abgrenzung. Man muss sich zur Ihr ins Verhältnis setzen. Nur in welches? Wie sozialdemokratisch muss eine Linke im Allgemeinen und DIE LINKE im Besonderen sein? Muss sie? Und was heißt das?
Yanis Varoufakis
Die SPD hat der Sozialdemokratie ein schreckliches Image verschafft; nicht unähnlich der Art und Weise in der George W Bush die Idee der Demokratie im mittleren Osten beschädigt hat, indem er sie als Ausrede für die Invasion des Irak benutzte. „Mehr Sozialdemokratie wagen“ heißt, in diesem Kontext, vor allem eins: Dass die Linke der SPD dabei folgt den Plan von Merkel und Schäuble zu übernehmen, die deutschen Arbeiter mit dem falschen Versprechen von „Wohlstand durch steigende Außenhandelsüberschüsse“ gegen ihre Kollegen anderswo in Europa in Stellung zu bringen – ein Versprechen was tatsächlich die Arbeiter in ganz Europa ins Elend führt.
Manche werden vielleicht sagen, dass die Linke mehr Sozialdemokratie im Sinne von Willi Brandt wagen sollte. Aber das ist heute unmöglich, da der Euro und der gemeinsame Binnenmarkt eine Politik zu Gunsten der deutschen Arbeiterklasse (durch den Transfer von industriellen Profiten) unmöglich gemacht hat, ohne die ökonomische und finanzielle Architektur der EU als Ganzes zu konterkarieren. Das heißt: Um soziale Gerechtigkeit und Demokratie, einmal die großen Ziele der Sozialdemokratie, zu fördern, muss die LINKE sich von der SPD distanzieren und endlich eine Partei werden, die für einen europäischen New Deal kämpft.
Yanis Varoufakis ist Ökonom und Mitbegründer von Diem25.
Alex Fischer
Als sich im April 2017 die Gründung der USPD zum 100. Mal jährte, war das weder linken Medien noch der Partei DIE LINKE eine Würdigung wert. Ich gehe Wetten ein, dass das zum 100. Gründungstag der KPD Ende 2018 anders sein wird. DIE LINKE hat ein ambivalentes Verhältnis zu ihrem linkssozialdemokratischen Erbe, sie beschweigt es meist. Zu Unrecht. Der Impuls, den utopischen Überschuss durch die Verbesserung der Lebenslagen und Mitbestimmungsrechte derjenigen zu ergänzen, die nicht durch die Arbeit anderer reich werden, ist ursozialdemokratisch. Er prägt die Praxis der Partei. Über die Pole Utopie und Pragmatismus im Sinne der Idee einer verbindenden Partei zu reflektieren, wäre lohnend. Es könnte in eine tragfähige Leitidee für linke Regierungspolitik münden, die ich mit dem Begriffspaar „Regieren in Bewegung“ beschreibe. Soll DIE LINKE wie die SPD werden? Ganz sicher nicht. Es wäre ihr Ende. Ein wenig mehr sozialdemokratische Freude an den kleinen Schritten? Keine schlechte Idee.
Alex Fischer ist Staatssekretär in Berlin und für die Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales zuständig.
Mario Neumann
„Sozialdemokratisch“: Es gibt wohl kaum ein politisches Adjektiv, das mit derartig unterschiedlichen historischen Bedeutungen aufgeladen ist. Was die Sozialdemokratie war oder ist, ist Gegenstand einer regelrechten Erbschlacht: Meint „sozialdemokratisch“ die frühe, kämpfende Arbeiter*innen-Bewegung? Den nationalen Wohlfahrtstaat und die institutionalisierte Rolle von Partei und Gewerkschaft in der Verwaltung des Klassenkampfs? Oder meint „sozialdemokratisch“ das moderne Mitregieren als kleineres Übel?
Es gibt in den Strömungen der LINKEN eine je eigene, positive Bezugnahme auf unterschiedliche Episoden der Sozialdemokratie. Der „alte“ Klassenkampf – vor allem derjenige der 1920er Jahre — ist ein weiterhin gültiges Vorbild für viele, die auf eine nicht selten antiquierte Weise revolutionär sind oder sein wollen. Andere wiederum orientieren in ihren Politiken vor allem auf das goldene Zeitalter des Wohlfahrtsstaates und die politische Anerkennung der Arbeiter*innen-Bewegung in Staat und Tarifverträgen - und rechnen dabei dem Nationalstaat die wesentlichen Funktionen in der Bearbeitung der sozialen Frage zu. Für eine dritte Gruppe ist sicherlich charakteristisch, dass sie einseitig auf Regierung orientiert und dabei - häufig im guten alten sozialdemokratischen Sinne - deren Gestaltungsmacht überbewertet.
In jeder dieser Hinsichten wäre „sozialdemokratisch“ etwas, für das gilt: Je weniger, desto besser. Nostalgie, Nationalismus und Neoliberalismus gibt's genug. Sollte die LINKE dennoch sozialdemokratischer sein? Vielleicht schon, aber eher so: Wir brauchen dringend einen politischen Akteur, der gesellschaftliche Kämpfe in die institutionelle Auseinandersetzung projiziert und dabei in der Lage ist, erfolgreich zu sein. Insofern sollte die LINKE heute – ähnlich wie es sich z.B. bei Bernie Sanders oder Jeremy Corbyn andeutet - gewisse Funktionen erfüllen können, die einstmals „sozialdemokratisch“ hießen. Aber bitte nicht so staatstragend, nicht so kartoffelig und nicht so von gestern.
Mario Neumann ist in der IL organisiert und war u.a. im Blockupy-Netzwerk aktiv.
Werner Dreibus
Wie sozialdemokratisch sollte DIE LINKE sein? Das sozialdemokratische Zeitalter ist doch eigentlich schon vorbei. Oder? Nicht nur in Deutschland, aber auch hier haben neoliberale Sozialdemokraten Diese Partei erst in Blairs „Neue Mitte“ und dann ins Abseits geführt. Schröder, die „Stones“, Schulz und viele andere. Am Anfang dieses Zeitalters standen die Zustimmung zu Kriegskrediten und Noskes Polizei. Danach gab es immer wieder hoffnungsvolle Neubelebungen, so u.a. gegen die Faschisten, im Widerstand, die Entspannungs- und Friedenspolitik Willy Brandts, Oskar Lafontaines Grundüberzeugungen gegen Schröders Prinzipienlosigkeit. Was, was bleibt also sozialdemokratisch? Wie sozialdemokratisch kann, darf, soll DIE LINKE da heute sein? Zur Erinnerung: Die Gründerinnen und Gründer der WASG, ohne die es DIE LINKE heute nicht geben würde, haben die neue Partei auf der Grundlage einer scharfen Kritik an sozialdemokratischem Programm, Geschichte und politischer Praxis gegründet. DIE LINKE hat gerade nach den jüngsten Wahlergebnissen genügend Stoff für Kritik und Selbstkritik. Die Entwicklung der SPD kann für DIE LINKE dabei bestenfalls als abschreckendes Beispiel dienen.
Werner Dreibus war Gründungsmitglied der Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit (WASG) und Bundesgeschäftsführer der Partei DIE LINKE.
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