Wo Strom ist, ist Widerstand
Digitaler Protest und elektronische Demokratie
Reyhan: Für dich als Genossin gerne Reyhan, für alle anderen „Dr. Şahin“.
Reyhan: Mein Künstlername vereint verschiedene Frauenrollen, in die ich schlüpfe: in die Rolle der „Lady“, der „Doktorin” und der „Bitch“. Es geht mir darum, klassische Rollen zu hinterfragen, indem ich sie neu kombiniere, scheinbar Unvereinbares zusammenbringe und damit für Irritation sorge. Darauf beruht auch mein Verständnis von Feminismus. Lady und Bitch stehen ja schon für verschiedene Stereotypen. Jetzt hab ich `n Doktortitel und bin Dr. Lady Bitch Ray!
Reyhan: Es geht um die Bedeutung von Kopftüchern für die Frauen, die sie tragen. Im theoretischen Teil habe ich mich mit Semiotik, also der Zeichentheorie, auseinandergesetzt, im zweiten Teil habe ich empirisch gearbeitet und Kopftuchträgerinnen interviewt, fotografiert und an ihrer Lebenswelt teilgenommen. Ich habe herausgefunden, dass fast alle von mir interviewten Kopftuchträgerinnen von einer streng muslimischen Bekleidungsvorschrift auf eine selbst bestimmte Weise abweichen. So kombinieren viele Kopftuchträgerinnen der zweiten und dritten Generation das Kopftuch mit auffälliger Kleidung — hochhackigen Schuhen oder Jeans. Da tiefe Ausschnitte verpönt sind, machen viele Frauen Kompromisse, indem sie einen Rolli, aber darüber ein ausgeschnittenes Shirt anziehen und somit der Ausschnitt optisch angedeutet wird, ohne dass Haut gezeigt wird. Eine Frau sagte mir, wir leben als deutsche Muslimas in Deutschland, also mixe ich mein Kopftuch mit modischen Klamotten.
Reyhan: Das Kopftuch kann sehr verschiedene Bedeutungen haben, z. B. als religiöses Symbol, weil sich die Frauen in Abgrenzung von ihren Eltern „den wahren Islam“ aneignen wollen. Oder als Symbol der Weiblichkeit, als sexuelles beziehungsweise Balzsymbol, weil man als Kopftuchträgerin gute Chancen auf dem muslimischen Heiratsmarkt hat. Viele strenggläubige muslimische Männer bevorzugen Frauen mit Kopftuch, weil sie damit bestimmte muslimische Werte in Verbindung bringen wie etwa Treue, Pflichtbewusstsein, Ehrlichkeit, Frömmigkeit.
Reyhan: Ja, leider. Gerade diejenigen Kopftuchträgerinnen, die das Kopftuch mit modischer Bekleidung kombinieren, legen sich mit verschiedenen Lagern an: Erstens mit der Mehrheitsgesellschaft, weil sie nicht aufs Tuch verzichten und dann noch, weil sie es auf eine modische Art und Weise tragen! Viele Nichtmuslime kommen dann zu den Frauen und sagen: „Sag mal, ist das im Islam nicht verboten, dass man Kopftuch und enge Jeans trägt?“ Sie wollen die Frauen in muslimisch-traditionelle Rollen schieben. Zusätzlich müssen diese Frauen sich auch in ihren muslimischen Communities rechtfertigen. Man muss jedoch wissen, dass dieser Stil Ausdruck ihrer hybriden Identität ist. Die Frauen gehen halt ihren Weg.
Reyhan: Ja, auch ich fühlte mich 2008 als Künstlerin missverstanden und ausgegrenzt. Die Folge waren schwere Depressionen und ein völliges Burnout. Davor hab ich z. B. sehr darunter gelitten, dass ich kein Album veröffentlicht bekam und meine Kunst immer nur auf Provokation reduziert wurde. Der männliche Sexismus wird verkauft, wenn eine Frau das konterkariert, entdecken die Labels und die Gesellschaft plötzlich ihre prüde Seite …
Reyhan: Ich wollte meine teilweise unsortierten Vorstellungen von Feminismus in einer Philosophie zusammen bringen, diese Philosophie heißt „Bitchsm“. Die Übersexualisierung von Lady Bitch Ray ist keine Taktik, Leute: Das bin ich und mein Leben!
Reyhan: Ich betitel damit Macho-Typen wie Bushido, die sich selbst abfällig über Homosexuelle äußern. Sie sollten selber einmal spüren, wie es sich anfühlt. Als überzeugte Queer-Anhängerin bin ich ansonsten dafür, sich den einst abfällig gemeinten Begriff „schwul“ anzueignen und positiv umzudeuten. Also Mushido: Du bist schwul! und ich wünsche dir, dass dein Sohn schwul wird!
Reyhan: „Bitchsm“ ist ein neofeministisches Pamphlet, das radikalfeministische Ideen ausdrückt.
Reyhan: Nähe zur Popkultur: Frauen versuchen sich Romane, TV-Serien und Soaps anzueignen und umzudeuten, man denke an Feuchtgebiete von Charlotte Roche. Auch der Do-it-yourself Ansatz und das generelle Hinterfragen von Kategorien wie Geschlecht erscheinen mir charakteristisch. Das Spiel mit Irritationen gehört dazu. Ich bin Teil davon.
Reyhan: Ihre Aktion gegen das Kopftuch kritisiere ich genauso wie die Sichtweisen von Alice Schwarzer. In dieser Debatte nehmen sie die islamfeindliche Perspektive „westlicher Feministinnen“ ein. Ich möchte aber als „Bitch“, die für feministische Inhalte kämpft, andere Frauen, die ebenso für Frauenrechte kämpfen, nicht schlecht machen. Fakt ist, dass Femen einige gute Dinge mit ihren Oben-ohne-Aktionen thematisieren, z. B. gegen Sexisten wie Putin oder Berlusconi agieren oder mediale Sexismen wie Heidi Klums „Germanys Next Top Model“ kritisieren. Sie nehmen hohe Risiken in Kauf, sie sind bereit, sich mit Mächtigen anzulegen. Wir Frauen sollten uns gegenseitig nicht bekämpfen, sondern solidarisieren und zusammenhalten!
Reyhan: … dass wir genauso radikal sein sollten wie damals. Aber wir sollten uns auch mal bei den Frauen bedanken, die früher feministischen Fortschritt erkämpft haben. In „Bitchsm“ schreibe ich dazu: Die Feministinnen von heute sollten den Feministinnen der ersten und zweiten Welle einen dicken Zungenkuss geben.
Reyhan: Ich überarbeite gerade meine Dissertation für die Veröffentlichung und habe einen Forschungsantrag am laufen. Ich schreibe neue Songs, lass mich von meinen Lustknaben verwöhnen und arbeite an einem Roman. Mein „Votzensekretariat“ unterstützt mich bei allem.
Reyhan: Pussy deluxe. Freedom for Pussy Riot und FIGHT THE VAGINA-POWER!
Dr. Reyhan Şahin schrieb ihre Doktorarbeit zur Bedeutung von Kopftüchern für die Frauen, die sie tragen. In diesem Jahr erschien ihr Buch „Bitchsm“. Sie rappt unter dem Künstlerinnennamen Lady Bitch Ray und ist bekannt für ihren „Vaginastyle“.
Das Gespräch fand nach der Diskussionsrunde: „Weibsbilder“ mit ihr, Jasna Lisha Strick und Katja Kipping im LIDO statt. Einen Mitschnitt dieser Diskussionsrunde gibt es hier.
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Von wegen „schönste Nebensache“ der Welt. Sex ist diesmal der Schwerpunkt unseres Heftes. Während uns die Starsoziologin Eva Illouz über den Zusammenhang von Kapitalismus und Partnerwahl aufklärt, analysiert Kathy Meßmer Intimchirurgie als widersprüchliche Praxis. Außerdem im Schwerpunkt: ...
Ach diese Linken! Sie wissen genau, wie es Frieden zwischen Ramallah und Tel Aviv geben kann und sie brüllen es heraus – in Düsseldorf und Frankfurt. Während die Einen schreien: „Straßenschlacht in Ramallah, die Panzer sind die Antifa“, brüllen die Anderen: „Intifada bis zum Sieg ...
prager frühling stößt an: ein Prosit den Parallelgesellschaften! Schon klar, Integration fordert immer die Anderen. Deshalben sagen wir: "Erst wenn Efes sich ins deutsche Biersortiment eingegliedert hat und ein Hefeweizen anbietet, werdet ihr merken, dass man so etwas nicht trinken kann." Wie aber geht sozialistischer Antirassismus? Etienne Balibar, Nichi Vendola und viele andere versuchen sich in Antworten ...
Dissidenz und ziviler Ungehorsam sind die Hefe linker Politik. Kann Sie auch Schmiermittel des Kapitalismus sein? Wo schlägt Subversion in unpolitischen Abweichungsfetisch um? Unsere Autor_innen schauen nach, diskutieren und polemisieren.
Ist geistiges Eigentum Diebstahl? Stellen Raubkopien das Ergebnis von Aneignung oder eine besonders perfide Ausbeutung des Kreativproletariats dar? Darüber diskutieren in unserem Heft u.a. Michael Hardt, Cornelia Koppetsch, Sabine Nuss und Stefan Meretz. Digital Natives diskutieren die Implikationen der Digitalisierung von Demokratie ...
„Crossover“ ist der Versuch, eine Diskussion über politische Kooperation von sozialistischen, grünen und sozialdemokratischen Positionen in Gang zu setzen, deren Ergebnis hegemoniefähige progressive Reformprojekte werden sollen. So nahe liegend dies angesichts des Niedergangs der neoliberalen Ära ist, so blockiert ist diese Perspektive dennoch ...
Den politischen Gemütszustand unserer Welt beschreibt nichts besser als der alte Kalauer: „Öko? Logisch.“ Niemand schmunzelt mehr drüber, aber alle nehmen den Schenkelklopfer für sich in Anspruch. Dass alles irgendwie auch „öko“ sein müsse, also die Sache mit der Umwelt halt ein Problem sei, ist – logisch – Allgemeinplatz geworden ...
Die Linke und die Nation ist der Schwerpunkt der fünften Ausgabe des prager frühlings. Außerdem beschäftigen wir uns unter dem Motto "balkan beats" mit der Linken in Post-Jugoslawien. Mit dabei sind Thomas Seibert, Julia Bonk, Klaus Höpcke, Michel Albert, Christin Löchner, Lothar Bisky, Ringo Bischoff, Katja Kipping, Andreas Fischer-Lescano und die Band Ego-Tronic ...
Original sanktionsfrei: Weg mit Hartz IV! Her mit dem schönen Leben! Neben vielen investigativen und weniger investigativen Beiträgen zum Hartz IV-Regime, wollen wir Euch in dieser Ausgabe auch unseren Vorschlag vorstellen, dem Hartz IV-Regime die Forderung nach einem Infrastruktursozialismus entgegen zu setzen ...
Februar 2009 erschien die dritte Ausgabe des prager frühling. Das Schwerpunktthema ist "Demokratie und Herrschaft" mit Beiträgen und Artikeln von Chantal Mouffe (University of Westminster, London), Jürgen Peters (IG Metall), Colin Crouch, Franziska Drohsel (Juso-Vorsitzende), die Gruppe Soziale Kämpfe, Sonja Buckel (Universität Frankfurt) und viele andere mehr ...
Mitte Oktober 2008 kam die zweite Ausgabe von prager frühling, dem neuem Magazin für Freiheit und Sozialismus. Das nächste Heft widmet sich schwerpunktmäßig dem Verhältnis von Politik und Kultur. Ziel der Redaktion ist es, politisches Engagement und Kultur einander näher zu bringen. Dabei geht es nicht um eine Kolonisierung des einen Bereichs durch den anderen ...
Der Schwerpunkt der ersten Ausgabe des Magazins prager frühling heißt "Refound: NeuBegründung". Unsere Autorinnen erklären was der "Bruch nach vorn" ist. Mit dabei Frigga Haug, Thomas Seibert, Hans Jürgen Urban, Daniela Dahn und Michel Friedmann.