Das Buch versammelt neuere Beiträge queerer Forschung. Die Herausgeber_innen erheben den Anspruch „Teil einer Standortbestimmung aktueller Queer Studies“ zu sein. Tatsächlich gelingt es ihnen zu zeigen: Queere Kritik hat weiterhin ein erhebliches analytisches und gesellschaftskritisches Potential.
Barbara Paul wirft einen Blick auf queere Kunstpraxen, die sie von „queer-chic“ abgrenzt. Also einer „Vereinnahmung queerer Positionen und Posinalitäten durch die Mainstream –Kultur“ zum Zwecke des Verkaufs von Waren. Sie stellt unterschiedliche künstlerische Arbeiten vor, die spannende queere Einblicke liefern. Leider ist die Darstellung der Kunst, zugunsten des etwas langen theoretischen Vorlaufs, etwas zu kurz gekommen.
Sabine Hark ist die wohl bekannteste deutsche Queer-Theoretikern. Sie mahnt an, sich von den gesellschaftlichen Liberalisierungen und Modernisierungen nicht täuschen zu lassen. Weiterhin sei Heterosexualität die stetige soziale Norm. Die Festschreibung von Begabung und Verhalten zu den gesellschaftlich hergestellten Polen männlich und weiblich und die Suche nach den Gründen der Homosexualität, seien wiederkehrende Muster in westlichen Gesellschaften: „Es ist eben das Homo-Gen, nach dem gesucht wird, nicht das Hetero-Gen.“ Klassische feministische Kritik habe insbesondere die Dominanz von Männlichkeit infrage gestellt. Mit der Theorie von Judith Butler wurde „die Herstellung von Geschlecht theoretisch-systematisch mit der produktiven Macht der heterosexuellen Matrix verknüpft, ließ sich fortan im Prinzip die kritische Analyse von Geschlecht nicht mehr trennen von der Frage, wie dies mit der Reproduktion jener Matrix verknüpft ist.“ Hark möchte die wissenschaftliche Heteronormativitätskritik schärfen, mahnt aber an, dass diese Kritik nicht eingeschriebene Geschlechterasymmetrien außer Acht lassen darf. Die eigene Theorie müsse auf ihre fehlbaren Kategorien stets überprüft werden. Ein Plädoyer für die Verbindung von Feminismus und Queer.
Konstanze Plett liefert einen historischen Blick auf den Kampf um das Geschlecht im deutschen Recht. Sie erinnert an die mühevollen Kämpfe von Frauen um Gleichberechtigung insbesondere im Ehe- und Arbeitsrecht. Sie weist auf die harten Auseinandersetzungen zur Reform und Aufhebung des Paragraphen 175 hin und widmet sich dem Personenstandsrecht, das die Rechte von trans- und intergeschlechtlichen Menschen beschränkt. Die Änderung des Personenstandsgesetzes im Jahr 2013, nach welchem bei der Geburt eines intergeschlechtlichen Kindes kein Geschlechtseintrag vorzunehmen ist, hat und wird viele Prozesse zur Folge haben und zu weiteren Gesetzesänderungen führen. (Damit sollte sie mit dem im Oktober 2017 ergangenem Bundesverfassungsgerichtsurteil zum „dritten Geschlecht“ Recht behalten.) Plett wendet sich gegen die Geschlechterbinarität und folgert: „Am besten wäre es gewesen, wenn der Gesetzgeber die Geschlechtsregistrierung bei Geburt gänzlich aufgehoben hätte.“
Nina Schuster widmet sich einem kaum erforschtem Gebiet: Queer und Raum. Es geht um die „zweigeschlechtliche Vereindeutigung“ des Raums. Doch Räume bieten immer auch Konfliktpotentiale. Sie beschreibt ein Trans*-Treffen mit einer Trans-Person, die zugleich Polizist ist, innerhalb linksalternativer Räumlichkeiten und den daraus erwachsenen Streitigkeiten. Indem Schuster darauf hinweist, dass eine Person „gleichzeitig marginalisierte und hegemoniale Positionen besetzen“ kann plädiert sie für ein differenziertes Denken und Handeln.
Lüder Tietz bietet einen spannenden Abriss über alternative CSDs in Deutschland. Diese hätten politisch und künstlerisch auf Defizite der großen CSDs hingewiesen. Doch indem er die Alternativ-CSDs den großen CSDs gegenüberstellt, und die Alternativ-CSDs nicht einer Kritik unterzieht, läuft er Gefahr lediglich in Gut und Böse zu scheiden. Er unterschlägt damit auch interne Kämpfe bei den Organisator_innen der großen CSDs. Da Tietz jedoch die verborgene Geschichte der Alternativ-CSDs sichtbar macht, ist dieser Beitrag mit Gewinn zu lesen. Das trifft auf die Mehrzahl der Beiträge zu, auch wenn einige sprachlich unnötig kompliziert gefasst sind.
Bodo Niendel, Referent für Queerpolitik der Bundestagsfraktion DIE LINKE.