Queere Infrastruktur gerät auch in den westeuropäischen Metropolen unter Druck. In Paris ist Traditionsbuchhandlung »Les Mots à la Bouche« durch steigende Mieten gefährdet und auch in Berlin tobt die Auseinandersetzung um queere Frei- und Lebensräume. Clubs wie die Griessmuehle oder der KitKat Club kämpfen gegen Verdrängung, sexpositive Räume und Darkrooms wie der Quälgeist e.V. berichten von Schikanen durch die Behörden. In Mitte entsteht derzeit nach langen Querelen und in veränderter Form ein lesbisches Wohnprojekt, um das sich der Verband »Rad und Tat e.V. jahrelang bemüht hat.
Explodierende (Gewerbe-)Mieten, rein profitorientierte Immobilienentwicklung, strenge Auflagen seitens der Behörden, das Ausbleiben öffentlicher Förderungen oder höllische Nachbar*innen befeuern die Verödung ganzer Stadtviertel. Institutionen queerer Selbstorganisation wie Vereine, Initiativen, Clubs, Bars, Cafés, Buchhandlungen und Galerien werden verdrängt oder müssen ganz schließen.
Umgekehrt im ländlichen Raum: Statt Wohnungsnot und Mietenproblematik gibt es hier Abwanderungsdruck für junge Menschen, denen in der Provinz Perspektiven fehlen und vorhandener Raum verwehrt wird.
Linke Politik steht vor der Herausforderung, allen Menschen ein anständiges Leben in ihrer (Wahl-)Heimat zu ermöglichen. Dazu gehört die soziale und kulturelle Vielfalt entweder zu erhalten oder weiterzuentwickeln, die Menschen vor Ort schaffen. Das heißt nicht, dass Städte und Regionen sich nicht verändern dürfen. Kreativität, technologische Neuerungen, Veränderungen in der Bevölkerungsstruktur oder von kollektiven Interessen und Bedürfnissen innerhalb einer Gesellschaft prägen und verändern das Gesicht von unterschiedlichen Räumen des Zusammenlebens notwendigerweise. Die Grenze ist dann überschritten, wenn Kapital auf der Suche nach Anlagemöglichkeiten die Entwicklung unserer Lebensräume an gesellschaftliche Realitäten vorbeidiktiert oder die Politik ihren Aufgaben, u.a. das Schaffen gleichwertiger Lebensverhältnisse vernachlässigt.
Queer-Politik ist mehr als Bürger*innenrechts-Politik
Es ist trivial festzustellen, dass die soziale Frage nichts an Aktualität eingebüßt hat und Queerpolitik über bloße Bürger*innenrechtsfragen hinausgehen muss. Das bedeutet z.B., dass staatliche Eingriffe in den Mietenmarkt oder umfangreiche Investitionen in eine behutsame, weil sozial und ökologisch verträgliche Stadtentwicklung Teil einer queerpolitischen Agenda sein sollten. Und es bedeutet auch, dass die Enteignung großer Immobilienkonzerne oder die Umwandlung leerstehender Immobilien in Wohn- oder Kulturprojekte durch Besetzungen ein bedeutender Teil im Kampf um queere Frei- und Lebensräume sein können.
Politische Parteien müssen gemeinsam mit Trägern und Interessenvertretungen wie der Berliner Clubcommission zusammenarbeiten, um Lösungen gegen Verdrängung oder fehlenden Raum zu finden. Politischer Spielraum muss genutzt werden, wenn Vermieter*innen und Investor*innen Lebensräume zerstören.
Kaum ein Schwein will in Quartieren leben oder arbeiten, die aus einer Monokultur von Co-Working-Spaces, Starbucks-Filialen oder Biomarkt bestehen. Übrigens genauso wenig wie in Landstrichen, in denen noch der letzte Jugendclub oder die Skateboard-Halle wegrationalisiert wurde und in der ein Konzert- oder Party-Ausflug in die nächstgrößere Stadt zum planerischen Drahtseilakt wird, weil der Schienenverkehr zwischen 18 Uhr abends und 5 Uhr morgens praktisch stillgelegt wird.
Berlin macht schon mal den Anfang …
Linke Reformpolitik in Berlin zeigt, dass es eine Alternative zur bloßen Verwaltung des Niedergangs gibt. Hier entsteht mit dem Elberskirchen-Hirschfeld-Haus ein Großprojekt für queere Kultur und Wissenschaft. Hier legt der Senat einen Schallschutzfonds für bedrohte Clubs auf, nach dem sich auch schon die Stadtregierungen von Barcelona oder Vilnius erkundigen. Der Mietendeckel wird, neben allen anderen auch die Teile der Community entlasten, die strukturell besonders von Armut und Lohndumping gefährdet sind, etwa Trans-Personen. Und auch der geringe Spielraum der Stadt hinsichtlich der Höhe von Gewerbemieten soll genutzt werden. Dabei geht es nicht darum, die Gesellschaft mit der anhaltenden Brutalität der kapitalistischen Verwertungslogik zu versöhnen. Es geht darum, dass wir Handlungsoptionen auch im Falschen nicht verstreichen lassen, wenn sie das Hier und Jetzt ein bisschen erträglicher machen. Auch im Kapitalismus geht schlimmer immer.
Das alles reicht natürlich nicht. Eine Gesellschaft lässt sich nicht allein aus Parlamenten heraus organisieren. Auch linke Parteien in Regierungsverantwortung sind darauf angewiesen, dass wir als Community mit den Hufen scharren und renitenter werden. Nicht immer erst dann, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist oder gerade mal Haushaltsverhandlungen anstehen. Sondern jetzt, und vermutlich auch noch eine ganze Weile darüber hinaus. Die diesjährige Pride Season wirft ihre Schatten voraus und sie sollte stärker als bisher ein Kampf um queere Frei- und Lebensräume werden.
Danie Bache ist Sprecher* der Bundesarbeitsgemeinschaft DIE LINKE.queer und twittert unter @teufelsmuehle.