Democracy against the machine
Radikaldemokratie statt FdGO
Berlin im Februar 2008: Während der laufenden bundesweiten Tarifauseinandersetzung im Einzelhandel kündigt die Supermarktkette Kaiser’s der Kassiererin Barbara E. – genannt Emmely – fristlos. Sie hatte, anders als viele andere im Einzelhandel Beschäftigte, einen unbefristeten Arbeitsvertrag. Seit 31 Jahren arbeitete sie als Kassiererin der Kaiser's-Tengelmann AG. Der Kündigungsgrund: Sie soll angeblich Pfandbons im Wert von 1,30 ¤ falsch abgerechnet haben. Emmely bestreitet die Vorwürfe und geht auch gerichtlich gegen die Kündigung vor. Der vermutete tatsächliche Grund der Kündigung: ihre Beteiligung am Streik im Einzelhandel. Obwohl sie vor und während des Streiks massiv eingeschüchtert und gemobbt wurde (unter anderem durch „Vieraugengespräche“ mit Vorgesetzten) organisierte sie den ver.di-Streik für höhere Löhne und gegen die Streichung der Sonderschichtzulagen.
Kaiser’s begründete den Rausschmiss mit der sogenannten „Verdachtskündigung“: Diese im deutschen Arbeitsrecht verankerte Klausel ermöglicht es Unternehmen die einseitige Kündigung auszusprechen – es reicht die Begründung, dass das Vertrauensverhältnis zwischen Beschäftigter und Unternehmen zerstört sei. Die im Strafrecht geltende Unschuldsvermutung ist hier ausgehebelt und haben Unternehmen ein Instrument zur Verfügung, Rechte von Beschäftigten auszuhebeln und unbequeme Beschäftigte loszuwerden.
„Die Prekarität ist Teil einer neuartigen Herrschaftsform, die auf der Errichtung
einer zum allgemeinen Dauerzustand gewordenen Unsicherheit fußt und das Ziel hat, die Arbeitnehmer zur Unterwerfung, zur Hinnahme ihrer Ausbeutung zu zwingen.“ (1)
Der Fall Emmely steht exemplarisch für Strategien von Einzelhandelsunternehmen, Prekarisierung und erweiterte betriebliche Herrschaft zu kombinieren. Betriebliche Herrschaft zielt darauf, die Entstehung von kollektiven Interessen und Solidarität unter Beschäftigten zu verhindern. Sie kombiniert Fragmentierung der Belegschaften mit der Anrufung einer betrieblichen Gemeinschaftsideologie, umfassender Kontrolle und Überwachung am Arbeitsplatz (nicht nur im Falle des bekannt gewordenen Videoüberwachungsskandals bei Lidl) sowie der gezielten Repression gegen widerständige und gewerkschaftliche aktive Kolleg_Innen und Betriebsräte. Hinzu kommen geschlechtsspezifische Herrschaftsstrategien: sexistische Anmache durch überwiegend männliche Vorgesetzte und Manager, gezieltes Ausnutzen segmentierter Arbeitsmärkte, um eine gefügige und gespaltene Belegschaft zu erzeugen: Untern den Beschäftigten sind viele befristet beschäftigte Allein-Erziehende mit ‚geringer Qualifikation’ oder MigrantInnen mit geringen Arbeitsmarktchancen.
Der Organisierungsgrad im Einzelhandel ist gering, gesellschaftlicher Druck und eine kritische Öffentlichkeit sind schwach. So können Unternehmen oft erfolgreich auf das Arbeitsrecht zurückgreifen, um kollektive Schutzrechte (wie den Kündigungsschutz) außer Kraft zu setzen. Unternehmen wie Kaiser’s setzen auf eine systematische Politik der Einschüchterung und Erzeugung von Unsicherheit, um das Streik zu unterlaufen und die Organisierung von Beschäftigten zu verhindern (in diesem Fall mit Erfolg, da Emmely eine der Wenigen war, die in ihrer Filiale den Streik aufrecht erhielt).
Der Handel war als klassischer Ort von „Frauenarbeit“ ein Vorreiter der Prekarisierung. Unternehmen wie Kaiser’s ersetzen in den letzten Jahren verstärkt Festangestellte durch befristet Beschäftigte und Aushilfen. So arbeitet inzwischen ungefähr ein Drittel der Verkäufer_innen bei Kaiser’s als Aushilfen, Leiharbeiter_innen, 400-Euro-Jobber_innen, Praktikant_innen für 6,25 Euro oder 7,50 Euro brutto die Stunde, in Spät- und Nachtschichten ohne Zuschläge. In der mehrere Monate dauernden Tarifrunde 2007 bis 2008 setzten die Unternehmen unter anderem auf den Einsatz von Leiharbeiter_innen um den Streik zu brechen.
Emmely hat sich durch die Kündigung nicht mundtot machen lassen und kämpft weiter für Wiedereinstellung und eine angemessene Entschädigung. Sie klagt, nachdem sie in erster Instanz verlor, vor dem Landesarbeitsgericht Berlin gegen die Verdachtskündigung. Zur Unterstützung von Emmely hat sich ein Solidaritätskomitee aus linken Aktivist_innen, Gewerkschafter_innen und Beschäftigten gegründet, das durch Aktionen und Veranstaltungen versucht, die Öffentlichkeit für eine Solidarisierung zu gewinnen. Auch ver.di soll so zu einem verstärkten Engagement bewegt werden und dazu, Fälle von Verdachtskündigungen und Repression gegen Streikende im Einzelhandel und anderen Branchen in Zusammenhang zu bringen.
Die Unterstützung von widerständigen Kolleg_innen ist ein Ansatz, um gegen betriebliche Herrschaft und prekäre Lohnarbeit vorzugehen. Während des Einzelhandelsstreiks wurden in Berlin neue Bündnisse zwischen streikenden Beschäftigten, Gewerkschafter_innen aus unterschiedlichen Bereichen, linken Gruppen und Kund_innen eingegangen, um den Streik zu unterstützen. An diesen Erfahrungen muss angeknüpft werden, um langfristig Gegen-Macht zur Herrschaft durch Prekarisierung aufzubauen. Entscheidend ist dabei, ob es gelingen kann, die konkreten Kämpfe durch solidarische Bündnisse zu verstärken und auf ein zu findendes Gemeinsames auszurichten: gegen die verallgemeinerte Prekarität, Herrschaft und den alltäglichen Raub der Würde in unterschiedlichen Arbeitsverhältnissen.
Informationen zum Stand des Emmely-Prozesses, Widerstands und Spendenkontos: http://emmely.org
(1) Pierre Bourdieu (1998a): Prekarität ist überall. In: Gegenfeuer. Wortmeldungen im Dienste des Widerstands gegen die neoliberale Invasion. Konstanz: UVK, 96-102.Hat Ihnen der Beitrag gefallen? Dann abonnieren Sie unseren Newsletter.
Radikaldemokratie statt FdGO
Liebe LeserInnen,
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Gegenwart und Zukunft des Sozialstaats
Über betriebliche Herrschaft, Prekarisierung und Widerstand
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Welche Serien sehen Linke, und warum? Warum gehört Beckenbauer aus dem DFB geschmissen und was machen Feine Sahne Fischfilet in Paris? Was haben Soccer und Sozialismus miteinander zu tun und welche Musik würde der klassische Pianist Igor Levit gern bei einer Demo hören? Diese Fragen beantwortet die neue Ausgabe des Magazins für Freiheit und Sozialismus.
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Ob PASOK in Griechenland oder die Parti Socialiste in Frankreich, in vielen Ländern sind die Sozialdemokraten zu Kleinstparteien geworden. Auch hierzulande geht’s der SPD alles andere als gut. Was bedeutet die Schwäche der SPD für die Linke? Was für eine sozialistische Europapolitik? Eine Ausgabe über Glanz und Elend der realexistierenden Sozialdemokratie.
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In EU und Euroraum erleben wir wie der neoliberale, finanzgetriebene Kapitalismus einfach so weitermacht wie bisher. Was eine linke Antwort ist, kann als umstritten gelten: Rückzug in den nationalstaatlich organisierten Kapitalismus oder eine solidarische und demokratisierte Wirtschaftsordnung in Europa?
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Terror, Gewalt, Kriminalität — SicherheitspolitikerInnen behaupten darauf eine Antwort zu haben. Aber was war eigentlich noch mal die Frage? Unsere AutorInnen haben versucht herauszufinden, was das eigentlich ist: Sicherheit. Sie haben sich an Antworten darauf versucht, ob es eine linke und emanzipatorische Sicherheitspolitik geben kann und worin diese eigentlich bestehen sollte.
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Putinversteherin und Faschistenfreund – in Diskussionen über den Umgang mit bewaffneten Konflikten, wird schnell auch rhetorisch scharf geschossen. In seiner neuen Ausgabe fragt prager frühling wie eigentlich linke Weltinnenpolitik geht und wie eine Neuerfindung des politischen Pazifismus ins Werk zu setzen wäre.
Griechenland hat die Austeritätspolitik abgewählt - durchgesetzt hat dies eine linke soziale Bewegung auf den Straßen und Plätzen. Ohne die enge Verzahnung mit Syriza als parlamentarischer Verlängerung wäre dies nicht möglich gewesen. In Dresden hingegen marschiert mit Pegida eine neue APO von rechts und mit der AfD rückt eine neue Rechtspartei in die Parlamente ein. Genügend Gründe also sich mit den Formatierungen parlamentarischer Demokratie zu beschäftigen. Spielräume für emanzipatorische Kämpfe zu ergründen und Beschränkungen einer Politik im Zählverein zu analysieren.
Elendig lange scheint es her, dass Francis Fukuyama en passant mit dem Ende der Geschichte auch das Ende des Zukunftsdenkens ausgerufen hat. Elendig ist das gegenwärtige Zukunftsdenken auch nach dem Ende dieses „Endes der Geschichte“. In Politik, Wissenschaft und Literatur ist der Bedeutungshorizont von Zukunft auf die Begrifflichkeiten der Versicherungsmathematik zusammengeschrumpft. Der Versuch einer Rettung
Emanzipatorische Alternative jenseits von Markt und Staat oder nur Lückenbüßer für vormals staatlich organisierte Aufgaben? Unsere Autor*innen haben sich auf die Suche nach heutigen Commons gemacht. Im ersten Teil der Ausgabe haben sie die Kontaktzonen zum Markt, Staat und Care-Ökonomien besichtigt und theoretisch vermessen. Im zweiten Teil der Ausgabe haben sie Gemeinschaftsgärten durchstreift sowie an „Energietischen“ gesessen, um Kämpfe um Commons zu dokumentieren.
Die heilige Dreifaltigkeit der Linken ist die Trinität aus Protestieren, Opponieren, Mitregieren. Bei der Frage, in welcher Beziehung die drei stehen, gerät die Gemeinde oft ins Stammeln und die politischen Theologen antworten mit dürren Dogmen. Unsere AutorInnen haben zunächst gefragt, wo er ist, der ominöse Ort der Macht und sind ihm dann mit steilen Thesen auf den Leib gerückt.
Unsere AutorInnen fragen sich, ob die Schwarmintelligenz den Cybersexismus überwinden kann und wo genau die Grenzen des digitalen Medienbaukastens verlaufen. Kai van Eikels analysiert die Ideologie des „Nerds“ und Mathias Schindler erklärt, wie es mit Wikipedia weitergeht. In den Feminismen gibt Dr. Lady Bitch Ray dem Feminismus der ersten Welle einen fetten Zungenkuss, während Stefan Gerbing in der ersten Hurenzeitung der Weimarer Republik geblättert hat.
Nein, ihr habt’s wieder falsch verstanden! Entschleunigung heißt nicht Breitbandrossel, liebe Telekom. Und Du, Frankfurter Polizei: Die Entdeckung der Langsamkeit meint nicht, zehn Stunden Zwangsentschleunigung im Kessel. In der Stress-Ausgabe prager frühling geht’s, darum wie man es richtig macht.
Der Realsozialismus ist auch auf der Speisekarte gescheitert: Als Diktatur des schlechten Geschmacks. Die Verhältnisse an kapitalistischen Tafel sind nicht weniger ungenießbar. Tausch von ökonomischem und sozialem Kapital geht vor. Wenn Renate Künast eine Flasche fairen Bio-Orangensaft kauft, geht locker das Tagesbudget eines Hartz-IV beziehenden Kindes über die Theke ...
Die neue Ausgabe des prager frühling erscheint am 26.10.2012 und kann hier bestellt werden.Im Schwerpunkt geht es diesmal um die „Neue soziale Idee“ und damit die Frage nach emanzipatorischen Potentialen, aber auch den Grenzen einer linken Sozialpolitik.
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Von wegen „schönste Nebensache“ der Welt. Sex ist diesmal der Schwerpunkt unseres Heftes. Während uns die Starsoziologin Eva Illouz über den Zusammenhang von Kapitalismus und Partnerwahl aufklärt, analysiert Kathy Meßmer Intimchirurgie als widersprüchliche Praxis. Außerdem im Schwerpunkt: ...
Ach diese Linken! Sie wissen genau, wie es Frieden zwischen Ramallah und Tel Aviv geben kann und sie brüllen es heraus – in Düsseldorf und Frankfurt. Während die Einen schreien: „Straßenschlacht in Ramallah, die Panzer sind die Antifa“, brüllen die Anderen: „Intifada bis zum Sieg ...
prager frühling stößt an: ein Prosit den Parallelgesellschaften! Schon klar, Integration fordert immer die Anderen. Deshalben sagen wir: "Erst wenn Efes sich ins deutsche Biersortiment eingegliedert hat und ein Hefeweizen anbietet, werdet ihr merken, dass man so etwas nicht trinken kann." Wie aber geht sozialistischer Antirassismus? Etienne Balibar, Nichi Vendola und viele andere versuchen sich in Antworten ...
Dissidenz und ziviler Ungehorsam sind die Hefe linker Politik. Kann Sie auch Schmiermittel des Kapitalismus sein? Wo schlägt Subversion in unpolitischen Abweichungsfetisch um? Unsere Autor_innen schauen nach, diskutieren und polemisieren.
Ist geistiges Eigentum Diebstahl? Stellen Raubkopien das Ergebnis von Aneignung oder eine besonders perfide Ausbeutung des Kreativproletariats dar? Darüber diskutieren in unserem Heft u.a. Michael Hardt, Cornelia Koppetsch, Sabine Nuss und Stefan Meretz. Digital Natives diskutieren die Implikationen der Digitalisierung von Demokratie ...
„Crossover“ ist der Versuch, eine Diskussion über politische Kooperation von sozialistischen, grünen und sozialdemokratischen Positionen in Gang zu setzen, deren Ergebnis hegemoniefähige progressive Reformprojekte werden sollen. So nahe liegend dies angesichts des Niedergangs der neoliberalen Ära ist, so blockiert ist diese Perspektive dennoch ...
Den politischen Gemütszustand unserer Welt beschreibt nichts besser als der alte Kalauer: „Öko? Logisch.“ Niemand schmunzelt mehr drüber, aber alle nehmen den Schenkelklopfer für sich in Anspruch. Dass alles irgendwie auch „öko“ sein müsse, also die Sache mit der Umwelt halt ein Problem sei, ist – logisch – Allgemeinplatz geworden ...
Die Linke und die Nation ist der Schwerpunkt der fünften Ausgabe des prager frühlings. Außerdem beschäftigen wir uns unter dem Motto "balkan beats" mit der Linken in Post-Jugoslawien. Mit dabei sind Thomas Seibert, Julia Bonk, Klaus Höpcke, Michel Albert, Christin Löchner, Lothar Bisky, Ringo Bischoff, Katja Kipping, Andreas Fischer-Lescano und die Band Ego-Tronic ...
Original sanktionsfrei: Weg mit Hartz IV! Her mit dem schönen Leben! Neben vielen investigativen und weniger investigativen Beiträgen zum Hartz IV-Regime, wollen wir Euch in dieser Ausgabe auch unseren Vorschlag vorstellen, dem Hartz IV-Regime die Forderung nach einem Infrastruktursozialismus entgegen zu setzen ...
Februar 2009 erschien die dritte Ausgabe des prager frühling. Das Schwerpunktthema ist "Demokratie und Herrschaft" mit Beiträgen und Artikeln von Chantal Mouffe (University of Westminster, London), Jürgen Peters (IG Metall), Colin Crouch, Franziska Drohsel (Juso-Vorsitzende), die Gruppe Soziale Kämpfe, Sonja Buckel (Universität Frankfurt) und viele andere mehr ...
Mitte Oktober 2008 kam die zweite Ausgabe von prager frühling, dem neuem Magazin für Freiheit und Sozialismus. Das nächste Heft widmet sich schwerpunktmäßig dem Verhältnis von Politik und Kultur. Ziel der Redaktion ist es, politisches Engagement und Kultur einander näher zu bringen. Dabei geht es nicht um eine Kolonisierung des einen Bereichs durch den anderen ...
Der Schwerpunkt der ersten Ausgabe des Magazins prager frühling heißt "Refound: NeuBegründung". Unsere Autorinnen erklären was der "Bruch nach vorn" ist. Mit dabei Frigga Haug, Thomas Seibert, Hans Jürgen Urban, Daniela Dahn und Michel Friedmann.