Die Linke und die Nation.
Hattu Nation, muttu entgrenzen
Lange Zeit galt es innerhalb der Linken als opportun, ja nahezu identitätsbildend, sich für unterdrückte Völker einzusetzen. Man bekämpfte den Imperialismus, ohne sich der selektiven inneren Repression von äußerlich emanzipatorischen Regimen zu stellen. Aus der Kritik an diesen Ansätzen ging die antideutsche Bewegung hervor. Ziel dieser Bewegung war es, eine linke Position zu entwickeln, die sich der nationalen Überformung bewusst entgegenstellt und sich kritisch mit dem herrschenden System des Landes, in dem man lebt, auseinandersetzt.
Antideutsche Positionen kommen zu Beginn der 1990er auf und sind direkt verbunden mit dem politischen Anschluss der fünf neuen Bundesländer. Mit dem national gewordenen Aufbruch („Wir sind das Volk“ zu „Wir sind ein Volk“) wurde die Furcht vor einem erstarkenden Deutschland offenbar. Unter dem Motto „Nie wieder Deutschland!“ mobilisierte die radikale Linke im Mai 1990 ca. 20.000 Menschen zu einer Demonstration und bereits im Februar 1990 hatte Jürgen Elsässer in der Zeitschrift „Analyse und Kritik“ den Artikel „Weshalb die Linke anti-deutsch sein muss“ verfasst. (Später sollte er zum größten Gegner der antideutschen Bewegung werden.)
Die Kritik der Antideutschen an der Linken war berechtigt. Antisemitische Konstrukte waren und sind in einem bedeutenden Teil der Linken verbreitet und bilden bis heute mehr als einen blinden Fleck in der Analyse der eigenen Bewegung. Die linke Bewegung selbst allerdings schließt aus, dass linke und antisemitische Ideen etwas miteinander zu tun haben könnten.
Die Bezüge der Friedensbewegung auf „unterdrückte Völker“ ist 2003 in Berlin Thema, als auf einer Demonstration kundgetan wird, dass zwei unterdrückte Völker unsere Solidarität bräuchten: Das irakische und das palästinensische, welches von einem Vernichtungskrieg (sic!) Israels betroffen sei.1 Genau diese „besondere Solidarität der linken Bewegungen in den Industrieländern mit jenen Bewegungen, die ihre nationale Souveränität verteidigen wollen“2 verlangen heute noch Imperialismustheoretiker/innen, die die Kritik am Nationalstaat nicht teilen. In dieser Vorstellung wird „Nation“ unreflektiert zum positiven Bezugspunkt linker, revolutionärer Politik. Wahrscheinlich liegt das Problem schon darin, dass seit 1920 nicht die inhaltliche Ausrichtung der Linken das Ziel war, sondern die Maximierung ihrer Erfolgschancen und sei es im Pakt mit national-revolutionären Bewegungen.3
Es ist keine geographische Angelegenheit zu definieren, wer antideutsch ist oder nicht, sondern eine inhaltliche. Es ist eine Frage, welches politische Gewicht auf eine israelsolidarische und antinationale Haltung gelegt wird. Insofern ist es fraglich, ob die Autor/innen der Zeitschrift „Bahamas“ diesen Begriff für sich beanspruchen. Justus Wertmüller, zentraler Akteur dieser Zeitschrift, tut dies jedenfalls nur bedingt: So erklärt er in der „Bahamas“ – Ausgabe 57 im Jahr 2009: „Antideutsch war nie mehr als eine Zuschreibung, die wir gern aufgegriffen haben, weil sie in den 90er Jahren noch ein, wenn auch diffuses Spektrum, einigermaßen gekennzeichnet hat.“ Wenn die „Bahamas“ mit der etymologischen Bedeutung des Begriffs „antideutsch“ Schwierigkeiten hat und ihn als zufällige Zuschreibung wahrnimmt, dann sollten wir ihn wieder „links“ besetzen.
Es ist möglich, sich für Frieden zu engagieren und zugleich die Friedensbewegung zu kritisieren. Es ist möglich, eine kritische Haltung zum Staat und antideutsche Positionen zu vertreten, ohne Israel als Staat anderen Staaten gleichzusetzen und dem Land eine besondere Bedrohung abzusprechen. Die Entwicklung einer progressiven linken Position verlangt ein Aushalten von sich widersprechenden Theorien und Grundsätzen. Diese Ambiguitätstoleranz bedeutet keinesfalls ein Aufweichen von linken Positionen, sondern es bedeutet, dass wir unsere Grundsätze transparenter begründen und in Kontexten diskutieren müssen. Es bedeutet ein „Mehr“ an Reflexion.
Für die Diskussion um antideutsche Haltungen heißt das, dass wir keine unserer linken Positionen auf Kosten einer anderen aufgeben. Es bedeutet, dass wir unsere Grundsätze gemeinsam auf den Prüfstand stellen müssen und abwägen, wie viel „Wert“ wir den Grundsätzen in politischen Konstellationen zumessen. Dass es beispielsweise keine umfassende Rückkehr palästinensischer Flüchtlinge geben kann, weil ansonsten der Staat Israel in seiner jetzigen Ausrichtung infrage gestellt wird, ist selbstverständlich – und gleichzeitig schwierig auszuhalten und im Kontext zu thematisieren. Und Diskussionen darum, inwiefern „man Israel kritisieren darf“ – warum wissen eigentlich die deutschen Linken genau, wie der Konflikt im Nahen Osten gelöst gehört? – haben sehr viel mit Deutschen und ihrer Identität, aber wenig mit Israel zu tun.
Daher plädiere ich als in Deutschland lebender Linker dafür, dass wir uns zunächst mit den Antisemitismen in Deutschland auseinandersetzen. Ich plädiere dafür, dies ohne die Ideologie des Belliszismus zu tun, die Krieg nicht als letztmöglichen Eingriff, sondern als legitimes Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele anerkennt. Die Begründung Israel vor einem neuen Holocaust zu schützen,4 ist politisch extrem vorsichtig einzusetzen. Gebrauchen wir ihn alltäglich, dann relativiert er sich selbst.
Veranstaltet Projekttage in Schulklassen, sichert die Finanzen von interkulturellen Begegnungen oder seid – in welcher Form auch immer – als Verantwortliche gegen Antisemitismus tätig. Viel Erfolg!
1 Am 21. April 2003, zitiert nach: Rensmann, Lars: „Demokratie und Judenbild“, Wiesbaden 2004, S. 298.
2 Gehrcke, Wolfgang; von Freyberg, Jutta; Grünberg, Harri: „Die deutsche Linke, der Zionismus und der Nahost-Konflikt“, Köln 2009, S. 234.
3 Lenin: „Leitsätze über die Bedingungen der Aufnahme in die Kommunistische Internationale, Manifeste, Thesen und Resolutionen“, in: Der II. Kongress der Kommunistischen Internationale, Bd. 1, Köln 1984, S. 164
4 Pünjer, Sören: „Möchtegern-Antideutsche als deutsche Avantgarde“, Vortrag am 2.10.2003, zitiert nach: www redaktion-bahamas.org.
Peter Bienwald ist Diplom-Politologe und lebt in Leipzig.
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In EU und Euroraum erleben wir wie der neoliberale, finanzgetriebene Kapitalismus einfach so weitermacht wie bisher. Was eine linke Antwort ist, kann als umstritten gelten: Rückzug in den nationalstaatlich organisierten Kapitalismus oder eine solidarische und demokratisierte Wirtschaftsordnung in Europa?
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Putinversteherin und Faschistenfreund – in Diskussionen über den Umgang mit bewaffneten Konflikten, wird schnell auch rhetorisch scharf geschossen. In seiner neuen Ausgabe fragt prager frühling wie eigentlich linke Weltinnenpolitik geht und wie eine Neuerfindung des politischen Pazifismus ins Werk zu setzen wäre.
Griechenland hat die Austeritätspolitik abgewählt - durchgesetzt hat dies eine linke soziale Bewegung auf den Straßen und Plätzen. Ohne die enge Verzahnung mit Syriza als parlamentarischer Verlängerung wäre dies nicht möglich gewesen. In Dresden hingegen marschiert mit Pegida eine neue APO von rechts und mit der AfD rückt eine neue Rechtspartei in die Parlamente ein. Genügend Gründe also sich mit den Formatierungen parlamentarischer Demokratie zu beschäftigen. Spielräume für emanzipatorische Kämpfe zu ergründen und Beschränkungen einer Politik im Zählverein zu analysieren.
Elendig lange scheint es her, dass Francis Fukuyama en passant mit dem Ende der Geschichte auch das Ende des Zukunftsdenkens ausgerufen hat. Elendig ist das gegenwärtige Zukunftsdenken auch nach dem Ende dieses „Endes der Geschichte“. In Politik, Wissenschaft und Literatur ist der Bedeutungshorizont von Zukunft auf die Begrifflichkeiten der Versicherungsmathematik zusammengeschrumpft. Der Versuch einer Rettung
Emanzipatorische Alternative jenseits von Markt und Staat oder nur Lückenbüßer für vormals staatlich organisierte Aufgaben? Unsere Autor*innen haben sich auf die Suche nach heutigen Commons gemacht. Im ersten Teil der Ausgabe haben sie die Kontaktzonen zum Markt, Staat und Care-Ökonomien besichtigt und theoretisch vermessen. Im zweiten Teil der Ausgabe haben sie Gemeinschaftsgärten durchstreift sowie an „Energietischen“ gesessen, um Kämpfe um Commons zu dokumentieren.
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Die neue Ausgabe des prager frühling erscheint am 26.10.2012 und kann hier bestellt werden.Im Schwerpunkt geht es diesmal um die „Neue soziale Idee“ und damit die Frage nach emanzipatorischen Potentialen, aber auch den Grenzen einer linken Sozialpolitik.
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Von wegen „schönste Nebensache“ der Welt. Sex ist diesmal der Schwerpunkt unseres Heftes. Während uns die Starsoziologin Eva Illouz über den Zusammenhang von Kapitalismus und Partnerwahl aufklärt, analysiert Kathy Meßmer Intimchirurgie als widersprüchliche Praxis. Außerdem im Schwerpunkt: ...
Ach diese Linken! Sie wissen genau, wie es Frieden zwischen Ramallah und Tel Aviv geben kann und sie brüllen es heraus – in Düsseldorf und Frankfurt. Während die Einen schreien: „Straßenschlacht in Ramallah, die Panzer sind die Antifa“, brüllen die Anderen: „Intifada bis zum Sieg ...
prager frühling stößt an: ein Prosit den Parallelgesellschaften! Schon klar, Integration fordert immer die Anderen. Deshalben sagen wir: "Erst wenn Efes sich ins deutsche Biersortiment eingegliedert hat und ein Hefeweizen anbietet, werdet ihr merken, dass man so etwas nicht trinken kann." Wie aber geht sozialistischer Antirassismus? Etienne Balibar, Nichi Vendola und viele andere versuchen sich in Antworten ...
Dissidenz und ziviler Ungehorsam sind die Hefe linker Politik. Kann Sie auch Schmiermittel des Kapitalismus sein? Wo schlägt Subversion in unpolitischen Abweichungsfetisch um? Unsere Autor_innen schauen nach, diskutieren und polemisieren.
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