Heute wurde das Ende der Atomkraft in Deutschland beschlossen - hoffen wir`s! Denn unumkehrbar ist dieser Beschluss natürlich nicht, weil GRÜNE und SPD ihre Zustimmung unter Wert verkauft haben. Würden wirklich alle - also auch die CDU/CSU, die FDP und die Atomlobby - unumkehrbar aussteigen wollen, hätte man auch einfach in´s Grundgesetz schreiben können: “Deutschland verzichtet auf die zivile und militärische Nutzung der Atomkraft. Übergangsweise kann die Atomkraft noch bis 2022 genutzt werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.” Warum das nicht passiert ist? Die Antwort erhalten wir möglicherweise erst im Jahr 2020. Die GRÜNEN feiern; Fraktionschefin Renate Künast ist gerührt. Es wäre kleinlich, ihnen nun vorzuwerfen, dass sie für 2022 gestimmt haben - und nicht, wie es Greenpeace, Umweltverbände oder andere den GRÜNEN noch verbundene soziale Bewegungen gewünscht haben, bereits 2015.
Den Ausstieg aus der Atomkraft erkämpfte aber einzig und alleine die Anti-AKW-Bewegung, deren Teil die GRÜNEN bis zum sogenannten rot-grünen Atomausstieg im Jahr 2001 waren. Deshalb ist es heute auch unredlich, den GRÜNEN Verrat vorzuwerfen: Damals haben sie die Chance zum Atomausstieg verpasst und nicht heute die Möglichkeit zum schnelleren Ausstieg verraten. Während die GRÜNEN vor zehn Jahren aus vorgeblicher Angst vor Entschädigungszahlungen der Atomwirtschaft darüber stritten, ob in 25 oder 30 Jahren der Ausstieg vollendet werden kann, sorgt Merkel heute dafür, dass er in gut zehn Jahren tatsächlich über die Bühne gehen kann. Zurecht haben weite Teile der Umweltbewegung der rot-grünen Regierung damals vorgeworfen, statt eines Atomausstiegs eine Bestandsgarantie für die Atomkraftwerke beschlossen zu haben. Es sei auch daran erinnert, dass wegen des rot-grünen “Atomausstieges” kein einziges Atomkraftwerk vom Netz gegangen ist - kurz, bevor das erste AKW hätte vom Netz gehen sollen, sorgte die schwarz-gelbe Regierung für den Ausstieg aus dem Ausstieg. Ohne die Hartnäckigkeit der Anti-AKW-Bewegung, die bereits sehr erfolgreich gegen Merkels Ausstieg aus dem Ausstieg mobilisierte und ohne den Unfall in Fukushima wäre es nie zum heutigen Beschluss gekommen. Letztlich war die Gefahr, die von den GRÜNEN für die Atomwirtschaft ausging, nicht größer als das atomare Restrisiko.
Als Partei der postfossilen Hegemonie, quasi als neue Staatspartei im Werden, die, so wie einst Adenauers CDU den postfaschistischen und antikommunistischen Konsens der jungen Bundesrepublik ausdrückte, den heutigen gesellschaftlichen Konsens repräsentieren möchte, mussten die GRÜNEN heute den Ausstieg für sich reklamieren und Merkels Ausstieg inklusive ihrer Ausstieg-aus-dem-Ausstieg-Option zustimmen. Denn vor nichts haben die GRÜNEN heute mehr Angst, als dass die “Dagegen-Partei”-Kampagne der Kanzlerin verfangen könnte.
Ihre Zustimmung zum Ausstieg heute war symbolisch, ihre Ablehnung der übrigen schwarz-gelben Energiegesetze ebenso. Die spannende Frage ist also nicht, wie sich die GRÜNEN in der Opposition verhalten, sondern ob sie ihre wohlfeilen Beschlüsse zur dezentralen Energieversorgung, zur Förderung von Bürgerkraftwerken und zur kommunalen Energieerzeugung ernst meinen. Sind sie zukünftig bereit, sich mit den mächtigen Energieversorgungsunternehmen anzulegen? Werden sie deren gigantische Gewinne aus dem Atomstrom für die Energiewende heranziehen oder werden die VerbraucherInnen diese bezahlen? Wer sich anschaut, wie die GRÜNEN vor zehn Jahren vor der Atomlobby einknickten, muss zweifeln, ob sie die Energiewende wirklich gegen die Wirtschaftslobby durchsetzen werden.
Schön, dass die LINKE gegen den verzögerten Ausstieg gestimmt hat, aber zur sozialen Greenpeace-Partei wird sie dadurch noch lange nicht. Eine ökologische und soziale Energiewende, die die Macht der großen Energiekonzerne bricht und damit den Weg für eine ökologische, bürgernahe und dezentrale Energieversorgung sichert, wird aber auch nicht von den GRÜNEN durchgekämpft werden. Jetzt, nachdem die große Schlacht gegen die Atomkraft scheinbar gewonnen wurde, muss die Linke - als Bewegung und Partei - diese Frage zur ökologischen Frage des 21. Jahrhunderts machen. Ob die GRÜNEN hier - also bei der Entmachtung der Energiekonzerne - Bündnispartner oder Gegner sein werden, wird letztlich von der Stärke der sozialen Linken abhängen. Wer sich in dieser Frage auf die GRÜNEN verlässt, wird hingegen so enttäuscht werden, wie die Anti-AKW-Bewegung vor zehn Jahren.