Der Soziologe Robert Michels entdeckte schon 1911 in seiner „Soziologie
des Parteiwesens“ einen Charakterzug moderner Parteien: Das „eherne
Gesetz der Oligarchie“. Eine zahlenmäßig nicht unansehnliche Kaste von
Berufspolitikern, Mitarbeitern und Mulitfunktionären bestimmt den
politischen Willensbildungsprozess in den parteipolitischen
Massenorganisationen. Die traurige Wahrheit lautet: So läuft der Laden.
Der Politikwissenschaftler Franz Walter beschreibt diese Kaste durchaus
anschaulich als „politische Söldner“.
Alle Versuche das „eherne
Gesetz der Oligarchie“ zu unterlaufen sind kläglich gescheitert. Selbst
innerhalb der neu gegründeten Partei DIE LINKE wird zwar die
Mitgliederbeteiligung und die Kritik an der etablierten Politik groß
geschrieben, faktisch funktioniert die Partei allerdings wie jede andere
Partei auch. Das liegt nicht nur an der Kaste der Berufspolitiker, die
ein Interesse an der Wiederwahl und am möglichst reibungslosen
Funktionieren der Dinge haben. Auch diejenigen, die sich für eine sog.
„Basisdemokratie“ einsetzen tragen mitunter zur Verfestigung der
Oligarchie bei: In eher nörgelnd-moralischen als konstruktiven
Redebeiträgen setzen sie dem „ehernen Gesetz der Oligarchie“ einen
ultrapartizipativen Modus gegenüber, der anfällig für informelle
Herrschaft ist und der die Partei über kurz oder lang in die politische
Handlungsunfähigkeit manövrieren würde.
Wer trotzdem an einer
demokratischen Partei interessiert ist, sollte fragen, wie eine
effektive Öffnung und Demokratisierung der innerparteilichen
Willenbildung in Gang gesetzt werden könnte. Keine Aufhebung des
„ehernen Gesetzes der Oligarchie“, sondern seine partielle Unterbrechung
wäre das Ziel. Dazu fünf Vorschläge:
1. Mandatsträger und
Berufspolitiker dürfen keine Parteitagsdelegierten werden
Im
Gründungsprozess der Grünen als auch der LINKEN wurde sich immer wieder
auf die Höchstquotierung der Vorstände mit MandatsträgerInnen
kapriziert. So enthält – nach vielem Hin und Her – auch die Satzung der
LINKEN eine Regelung, die einen 50%-igen Höchstanteil vorsieht. Gut
gemeint, aber nicht gut gemacht: Die Erfahrung zeigt, dass dies die
Oligarchisierung des Parteiwesens weder verhindert noch begrenzt,
sondern allenfalls ein „Nebeneinander“ von Partei und Fraktionen
schafft, schlimmstenfalls die Übertragung der Beschlüsse zu den
Mandatierten sogar eher behindert.
Statt der
Mandatsträger-Quotierung der Vorstände schlagen wir daher vor, dass die
sie entsendenden Versammlungen, also die Parteitage bzw.
Delegiertenkonferenzen, nicht mit MandatsträgerInnen oder deren
MitarbeiterInnen besetzt werden dürfen. Denn bei Lichte betrachtet, sind
Parteitage damit überfordert, unter den Bedingungen von
Plenumscharakter, Zeitknappheit und Medienberichterstattung Beschlüsse
so zu diskutieren, formulieren und durchzusetzen, dass sie bis ins
Detail zur Ausführung gelangen. Faktisch bestehen (auch) Parteitage der
LINKEN zu etwa 30-40% aus den Mandatierten selbst sowie von ihnen direkt
abhängigen Personen, also MitarbeiterInnen von Partei oder
Abgeordneten.
Wirksamer erscheint daher die Betonung der Aufgabe
des Parteitags, politische Grundsatzentscheidungen treffen und diese
folgend zu kontrollieren. Temporär könnte hierdurch das „eherne Gesetz
der Oligarchie“ durchbrochen werden – eine Aussicht, die sicher einen
höheren Selbstdisziplinierungseffekt anhand der vermuteten Artikulation
der Parteibasis auf einem Parteitag auch bei den Mandatierten bewirkt.
Es würde darum gehen die „Veto-Macht“ des Parteitags zu stärken.
2.
Antragsdebatte in Arbeitsgruppen
Zur „Oligarchisierung der
Partei“ gehört zudem die Inszenierung der Parteitage als quasi
politische Theatershow: Markige Sprüche, effekthascherische Reden,
rhythmisches Klatschen, „Sehen-und-gesehen-werden“ der Parteischikeria
und ihrer Adlaten, taktisches small-talk an unbequemen Stehtischen,
kostspielige Frikadellen und Antragsberatungen, bei denen das Ergebnis
und sogar Zeit des Ergebnisausstoßes bereits vorher feststeht.
Parteitage sind kein Willensbildungsort, sondern ein Partei-Rummelplatz.
Eine
demokratische Vitalisierung der Partei erfordert eine politische
Vitalisierung der Parteitage. Statt Inszenierung schlagen wir daher vor,
Schwerpunktanträge zeitlich begrenzt in Arbeitsgruppen zu diskutieren
und (sofern überhaupt erforderlich) die Ergebnisse erst am Ende zur
Abstimmung durch den Gesamt-Parteitag zu stellen. Durch
Arbeitsgruppenatmosphäre werden konstruktive statt plakative politische
Diskussionen und im Übrigen auch „die einfachen Delegierten“ gegenüber
den EwigrednerInnen, CheckerInnen und TaktikerInnen gestärkt. Der
Parteitag könnte wieder verstärkt ein attraktiver Ort politischer
Willensbildung nach innen statt gezielter „Einschwörung“ auf Einigkeit
und Erfolg durch Parolenschleuderei werden.
3. Sachfragen per
Mitglieder-Entscheid abstimmen/Web-Abstimmung
Zur
Oligarchisierung des Parteiwesens gehört die Aufspaltung der Partei in
„Führung“, Mittelbau der Aktiven und Mitgliederbasis. Während „die
Führung“ in der Regel den Parteiapparat exekutiv dirigiert, bildet der
Mittelbau, bestehend aus den Parteiaktiven auf Bundes-, Landes- und
Ortsebene, hierfür die „interessierten Claqueure“. Meist ordnen sie sich
politisch einem Teil der Führung als Stichwortgeber und pressure-group
zu: Aus diesem Reservoir speist „die Führung“ oder ein bestimmter Teil
das notwendige Führungspersonal in spe; und hieraus wird der
innerparteiliche wie öffentliche Applaus abgerufen. Der Mittelbau bildet
also quasi den Humus der Partei.
Demgegenüber bleiben all jene
Mitglieder, aber auch AnhängerInnen der Partei aus der Willensbildung
ausgeschlossen, wenn sie – aus welchen Gründen auch immer:
Erwerbstätigkeit, Zeitknappheit, fehlende Möglichkeit oder Interesse
kontinuierlicher Mitarbeit usw… - lediglich „einfache zahlende
Mitglieder“ sind. Sie werden durch die Parteigliederungen lediglich als
Geldeinnahmeinstrument, bestenfalls noch als Adressat innerparteilicher
Meldungen, etwa zu Wahlzeiten, angesehen. Nicht umsonst sind reale
Möglichkeiten der Partizipation gerade dieser Mitglieder und
AnhängerInnen auch in der LINKEN dünn bemessen. Obwohl formal mit
gleichen Mitwirkungsrechten ausgestattet, wird mit ihnen in der
Alltags-Parteiaktivität nicht (mehr) gerechnet: Alle Gesichter
erstaunen, falls tatsächlich ein einfaches Parteimitglied sich in die
Versammlungen des Mittelbaus verirrt.
Ein Instrument, um diese
dritte Ebene der Parteimitglied- und –anhängerschaft verstärkt
einzubeziehen, ist der regelmäßige Mitgliederentscheid von bestimmten
politischen Fragen. Technisch und finanziell ist dies in Zeiten der
dritten industriellen Revolution, des Computers und der schnellen
Datenübertragung kein Problem. Die dänische Linkspartei SF hat
beispielsweise durch diese Mitgliederentscheide eine enorme
(Re-)Aktivierung ihrer Parteibasis erreichen können. Den politischen
Willen vorausgesetzt, könnte sich hierdurch Parteiführung und Mittelbau
gezwungen sehen, mehr mit dem Umfeld der Partei zu kommunizieren.
Unseres
Erachtens ist durchaus vorstellbar, dass die Entscheidung zu bestimmten
Sachfragen durch die Parteibasis zu durchaus überraschenden Ergebnissen
führen könnte – was mitunter eine anspruchsvolle Aufgabe für die
politische Willenbildung auch in der LINKEN wäre; positiv wie negativ.
4.
Personal- und Sachalternativen in Urabstimmungen/Vorwahlen
Analog
zu der Entscheidung von Sachfragen per Mitglieder-Entscheid halten wir
auch die Entscheidung von Personalfragen durch Urabstimmungen oder gar
eigene „Vorwahlen“ für durchaus anti-parteioligarchisch. Obwohl
Urabstimmungen auch in der LINKEN satzungsrechtlich möglich sind, werden
sie bisher nicht eingesetzt. Wichtig ist dabei, dass
Personalentscheidungen nicht „amerikanisiert“ als
Personensympathie-Bekundungen inszeniert, sondern innerparteilich mit
politischer Debatte und Auseinandersetzung, idealerweise mit einer
politischen Sachfrage verknüpft werden. Letztendlich bildet dann die
Urabstimmung die nahe liegende Verbindung zur Sachfragenentscheidung per
Mitgliedervotum.
Zugleich würde mit der oligarchischen Unsitte
gebrochen, jede Personalquerele als Seifenoper darzustellen und damit
sich von vornherein den medialen Super-GAU zu geben. Also so: Es ist in
der LINKEN normal und legitim, dass verschiedene politische Auffassungen
auch in verschiedenen Personalvorstellungen ihre Entsprechung finden;
und zwar transparent im Konsens /Dissens wie solidarisch im Umgang
miteinander.
Denkbar wäre zu bestimmten eingegrenzten
„gesamtgesellschaftlich bedeutsamen“ Fragen auch eine Ausweitung der
Mitgliederentscheide zu Vorwahlen, also unter Beteiligung auch von
AnhängerInnen ohne Parteibuch. Sie werden eingeladen mit abzustimmen,
auch wenn sie nicht Mitglied der LINKEN sind. Nebenbei dürften sich in
vielen Parteibüros durchaus spannende Diskussionen beim
Abstimmungsprozess ergeben.
5. Auf allen Ebenen diskutieren:
Demokratie ist mehr als: „wir hier „unten“ und ihr da „oben““
Statt
auf immer wieder auf obskure Basisdemokratiemodelle zu setzen
(Basisdemokratie ist, wenn ich besonders viel rede) und sie den
„Parteioberen“ entgegen zu setzen, geht es um eine Öffnung der
politischen Willensbildung in zwei Richtungen:
Zum einen sind
konfliktive und mobilisierende Willensbildungsprozesse zu einzelnen
Sach- und Personalfragen auszugestalten. Sind diese Prozesse gut
vorbereitet, können sie zu einer Stärkung der Partei, ihres
Zusammenhalts und zur Mobilisierung über die Parteimitgliedschaft hinaus
beitragen.
Zum anderen gilt es aber auch, verhandlungsbasierte
Willensbildungsprozesse in den gewählten Gremien zu intensivieren.
Unterschiedliche Erfahrungen zeigen beispielsweise, dass die
demokratische Qualität der Diskussion insbesondere auf den
Vorstandsebenen am ehesten einen Austausch von Argumenten befördert.
Dadurch, dass diese Gremien nicht im Zentrum der öffentlichen
Aufmerksamkeit stehen und mitunter geschlossen tagen, ist es für die
Beteiligten hier auch noch stärker möglich, Argumente des jeweiligen
Gegners zu würdigen, sich kontrafaktisch (also gegen etwaige
Blöd-Verflachungen) zu verhalten und auch gemeinsam anerkennungsfähige
Lösungen zu erzielen. Insofern stellt sich nicht nur die Frage nach oben
oder unten, sondern auch der demokratischen Qualität der Diskussion.
All
dies erfordert jedoch die Bereitschaft, innerparteiliche Diskussionen
und Kontroversen sichtbar zu machen und strukturell auszugestalten:
Nicht Konfliktverhinderung oder Konfliktentscheidung, sondern
partizipatives Konfliktmanagement zwischen Konflikt und Konsens lautet
das Zauberwort für eine linke Partei, die in sich und in ihrer
Wählerschaft zu heterogen ist, als dass man den Laden dauerhaft nur im
„Jargon der Eigentlichkeit“ („eigentlich“ wollen wir alle das Gute für
Erwerbslose, Rentner, Migranten, Studenten, Schüler, Sportler,
Kleinunternehmer, Köche, Lehrer, Beamte, also der Mehrheit usw.usf.)
zusammenhalten könnte.