Burn-out den Verhältnissen
… oder die Revolution kommt immer zu spät
Turbo Pascal (TP): Nö, die Zuschauer wahrscheinlich weniger, da sie ja zum Teil geschlafen haben. Wenn man aber das Ganze betrachtet, kann man eine im Theater verbrachte Nacht schon als widerständigen Akt betrachten. Viele scheuen sich zehn Stunden im Theater mit fremden Menschen zu verbringen. Nicht weil sie Angst vor den Menschen haben, sondern weil sie Angst vor dem nächsten Tag haben. Da müssen sie wieder fit für die Arbeit sein. Zusammenkünfte, Freizeit, Kultur, Diskussionen oder zweckfreies Denken werden in die weniger „wertvollen“ Abend- oder Nachtstunden verlagert, die Tagesstunden sind für die Arbeit reserviert. Wenn man eine Nacht gemeinsam im Theater verbringt, gleicht das einer Ansage: „Diese gemeinsam verbrachte Zeit ist es mir wert auch morgen müde zu sein.“ In diesem Sinne, stellen wir morgens für die Zuschauer auch Entschuldigungen und Krankschreibungen aus, in der ein kulturelles Ereignis als Entschuldigung beim Arbeitgeber dient.
TP: So gesehen, wäre beinahe jede Tätigkeit, auch Essen, soziale Kontakte pflegen oder Sport treiben nur als Beitrag zur Aufrechterhaltung unserer Leistungsfähigkeit und unseres Funktionierens zu deuten – das scheint uns doch eine sehr einseitige Sichtweise. Aber in der Tat gibt es beim Nachdenken über Schlaf, Müdigkeit und Leistung große Ambivalenzen: Wir haben beispielsweise in unserem Kollektiv eine gemeinsame Mittagsschlafkultur entwickelt. Das ist einerseits eine schöne Gruppenaktivität, die eben auch in der Erschöpfung verbindet und einen solidarischen Aspekt beinhaltet: Wir unterbrechen dann die Proben und legen uns gemeinsam auf Yogamatten und schlafen oder dösen. Andererseits holen wir so nochmal alles an Leistungsfähigkeit aus uns heraus – der Mittagsschlaf wird zum selbst-optimierenden Powernap. Der Unterschied findet vielleicht vor allem im Kopf statt: Wenn wir einen Arbeitgeber hätten, der uns Schlafecken einrichtet und uns regelmäßige Powernaps verordnet, wären wir vermutlich eher kritisch.
TP: Ja – das war während unserer Recherche eine der größten Überraschungen: Unsere Art zu schlafen ist überhaupt nicht natürlich, sondern kulturell geprägt. So schliefen die Menschen in Mittel- und Nordeuropa bis vor 200 Jahren einen zweigeteilten Schlaf: Man legte sich, in Ermangelung künstlicher Lichtquellen, relativ früh ins Bett, stand dann gegen 2 Uhr wieder auf, traf sich mit Nachbarn, unterhielt sich, und nach zwei bis drei Stunden legten sich die Menschen dann nochmal hin und nahmen den „zweiten Schlaf“ - einige germanische Sprachen hatten wohl sogar eigene Begriffe für die beiden unterschiedlichen Schlafphasen. Im Zuge der Industrialisierung wurde dieser Schlaf in eine einzige Schlafphase gepresst. Und heutige Menschen die nachts aufwachen, glauben gleich eine Schlafstörung zu haben. Und dann gibt es noch andere Schlafkulturen wie zum Beispiel die japanische Inemurie-Kultur: Der Nachtschlaf ist sehr kurz bemessen und dafür ist es völlig in Ordnung in der Öffentlichkeit oder auch während der Arbeit einzuschlafen. Das wird sogar als Ausdruck besonderen Fleißes gedeutet: Der Mitarbeiter hat sich bis zur Erschöpfung für seine Firma eingesetzt und darf dann auch eine Pause machen.
TP: Einerseits wird von modernen westlichen Arbeitnehmer_innen erwartet, zeitlich flexibel zu sein, nach Bedarf Überstunden zu machen oder im Schichtdienst zu arbeiten – andererseits werden Müdigkeit, aber auch die Erschöpfungskrankheiten Depression und Burn-out ins Private gedrängt. Wenn jemand nicht mehr kann, ist das ihr oder sein persönliches Problem. Insofern: Ja – wir müssen unsere Müdigkeit und Erschöpfung zeigen und zu diesem Zwecke überall schlafen. Aber dazu müssen wir erst wieder lernen in Gruppen, zusammen mit Fremden oder in der Öffentlichkeit zu schlafen – das ist gleichzeitig gelebte Vertrauenskultur.
TP: Was uns in der Recherche auch klar wurde: Schlafen ist ein hochaktiver Zustand, bei dem beispielsweise die Dinge, die wir tagsüber gelernt haben, ins Langzeitgedächtnis überspielt werden. Die gedankliche Verbindung von Schlaf und Faulheit, die in unserer Gesellschaft vorherrscht ist also totaler Unsinn. Außerdem ist der dem Schlaf vor- oder nachgelagerte Zustand der Müdigkeit äußerst spannend. Müde Menschen sind offener, entspannter – entsprechend weicher oder beweglicher im Denken und herzlicher im Umgang miteinander. Wer müde ist, mobbt nicht! Wir schlafen, seit uns das klar ist, ohne schlechtes Gewissen und auch gerne an ungewöhnlichen Orten. Das sollten noch viel mehr Menschen machen.
Turbo Pascal ist ein Theaterkollektiv mit Veit Merkle, Frank Oberhäußer, Luis Pfeiffer, Eva Plischke, Magda Willi, Anne Schulz und Angela Löer, die als Autor_innen und Performer_innen gemeinsam Projekte entwickeln. Turbo Pascal gründete sich 2004. Turbo Pascal interessiert sich dafür, wie Menschen heute ihr Zusammenleben organisieren. Für „8 Stunden (mindestens)“ richtete Turbo Pascal ein Schlaf- und Müdigkeitslabor ein – einen Möglichkeitsort des gemeinsamen Müde-Seins. Das Interview führte Tobias Schulze.
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Von wegen „schönste Nebensache“ der Welt. Sex ist diesmal der Schwerpunkt unseres Heftes. Während uns die Starsoziologin Eva Illouz über den Zusammenhang von Kapitalismus und Partnerwahl aufklärt, analysiert Kathy Meßmer Intimchirurgie als widersprüchliche Praxis. Außerdem im Schwerpunkt: ...
Ach diese Linken! Sie wissen genau, wie es Frieden zwischen Ramallah und Tel Aviv geben kann und sie brüllen es heraus – in Düsseldorf und Frankfurt. Während die Einen schreien: „Straßenschlacht in Ramallah, die Panzer sind die Antifa“, brüllen die Anderen: „Intifada bis zum Sieg ...
prager frühling stößt an: ein Prosit den Parallelgesellschaften! Schon klar, Integration fordert immer die Anderen. Deshalben sagen wir: "Erst wenn Efes sich ins deutsche Biersortiment eingegliedert hat und ein Hefeweizen anbietet, werdet ihr merken, dass man so etwas nicht trinken kann." Wie aber geht sozialistischer Antirassismus? Etienne Balibar, Nichi Vendola und viele andere versuchen sich in Antworten ...
Dissidenz und ziviler Ungehorsam sind die Hefe linker Politik. Kann Sie auch Schmiermittel des Kapitalismus sein? Wo schlägt Subversion in unpolitischen Abweichungsfetisch um? Unsere Autor_innen schauen nach, diskutieren und polemisieren.
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„Crossover“ ist der Versuch, eine Diskussion über politische Kooperation von sozialistischen, grünen und sozialdemokratischen Positionen in Gang zu setzen, deren Ergebnis hegemoniefähige progressive Reformprojekte werden sollen. So nahe liegend dies angesichts des Niedergangs der neoliberalen Ära ist, so blockiert ist diese Perspektive dennoch ...
Den politischen Gemütszustand unserer Welt beschreibt nichts besser als der alte Kalauer: „Öko? Logisch.“ Niemand schmunzelt mehr drüber, aber alle nehmen den Schenkelklopfer für sich in Anspruch. Dass alles irgendwie auch „öko“ sein müsse, also die Sache mit der Umwelt halt ein Problem sei, ist – logisch – Allgemeinplatz geworden ...
Die Linke und die Nation ist der Schwerpunkt der fünften Ausgabe des prager frühlings. Außerdem beschäftigen wir uns unter dem Motto "balkan beats" mit der Linken in Post-Jugoslawien. Mit dabei sind Thomas Seibert, Julia Bonk, Klaus Höpcke, Michel Albert, Christin Löchner, Lothar Bisky, Ringo Bischoff, Katja Kipping, Andreas Fischer-Lescano und die Band Ego-Tronic ...
Original sanktionsfrei: Weg mit Hartz IV! Her mit dem schönen Leben! Neben vielen investigativen und weniger investigativen Beiträgen zum Hartz IV-Regime, wollen wir Euch in dieser Ausgabe auch unseren Vorschlag vorstellen, dem Hartz IV-Regime die Forderung nach einem Infrastruktursozialismus entgegen zu setzen ...
Februar 2009 erschien die dritte Ausgabe des prager frühling. Das Schwerpunktthema ist "Demokratie und Herrschaft" mit Beiträgen und Artikeln von Chantal Mouffe (University of Westminster, London), Jürgen Peters (IG Metall), Colin Crouch, Franziska Drohsel (Juso-Vorsitzende), die Gruppe Soziale Kämpfe, Sonja Buckel (Universität Frankfurt) und viele andere mehr ...
Mitte Oktober 2008 kam die zweite Ausgabe von prager frühling, dem neuem Magazin für Freiheit und Sozialismus. Das nächste Heft widmet sich schwerpunktmäßig dem Verhältnis von Politik und Kultur. Ziel der Redaktion ist es, politisches Engagement und Kultur einander näher zu bringen. Dabei geht es nicht um eine Kolonisierung des einen Bereichs durch den anderen ...
Der Schwerpunkt der ersten Ausgabe des Magazins prager frühling heißt "Refound: NeuBegründung". Unsere Autorinnen erklären was der "Bruch nach vorn" ist. Mit dabei Frigga Haug, Thomas Seibert, Hans Jürgen Urban, Daniela Dahn und Michel Friedmann.