Prager Frühling, Magazin für Freiheit und Sozialismus (www.prager-fruehling-magazin.de)

„Früher gab es nur Plastik, helle Haut und Schwanz“

Sexpertin Laura Méritt über PorYES, PorNO, Sex und Arbeit

prager frühling: Frau Dr. Méritt, sie verkaufen Sextoys, sind Mitveranstalterin eines feministischen Pornofilmpreises, sie haben mehrere Bücher herausgegeben, wie sollen wir sie eigentlich bezeichnen?

Laura Méritt: Ich bin Sexaktivistin, Linguistin, Autorin und Lachforscherin. Ich arbeite zu allem, was mit Sex und Gender zu tun hat, also Aufklärung, das Schreiben von Büchern und die Weitergabe von Wissen. Oft sage ich kurz: Sexpertin.

pf: Sie verkaufen in ihrem Laden seit 20 Jahren Dildos und andere Sexspielzeuge bzw. „Toys“– was hat sich in ihrer Berufspraxis am stärksten verändert?

Méritt: Der Fokus hat sich von der männlichen heterosexuellen Sexualität, die wesentlich durch die Penis-Penetration geprägt ist, auf eine weibliche und eine verhandelbare Sexualität verlagert. Weibliche Sexualität wird als eine eigenständige anerkannt, Masturbation im übrigen auch. Und es wird mehr gesprochen. Die Leute sind besser informiert, wir haben die Sex-Industrie verändert. Vor 30 Jahren gab es nur Plastik, helle Haut und Schwanz. Heute werden auf internationalen Sexmessen schön designte Toys aus gesunden Materialien ausgestellt. Diese Entwicklung wurde maßgeblich von der Frauenbewegung bewirkt. Zu den Spielzeugen gab es in Frauen-Sexshops wie meinem immer Beratung, was Kommunikation über Sexualität zur Folge hatte. In den 70er Jahren hat die Frauengesundheitsbewegung ja erst mal angefangen, die sexuelle Anatomie der Frau zu benennen oder auch umzubenennen und aufzuwerten. Da hat ja die Hälfte gefehlt, war nach einem Mann benannt oder schambesetzt. Es gab dann Venus- statt Schamlippen, Spielzeug statt Ehehygiene oder Hilfsmittel. Sex-Spielzeuge wurde nicht nur als Begriff neu erfunden, gesunde Materialien eingesetzt, funktionale Formen verwendet.

pf: Unser Eindruck ist: Die Frauengesundheitszentren verschwinden und übrig bleibt, was kommerziellen Erfolg hat.

Méritt: Der Kapitalismus schluckt natürlich Anstöße schnell und doch ist es so, dass Frauengesundheitszentren weiter bestehen und mit den „Ladyfesten“ und der D.I.Y. — der Do-it-Yourself-Bewegung — junge Frauen sehr kritische Ansätze vertreten. Gerade weil frau im Internet nicht überall gute Informationen bekommt.

pf: Zum Beispiel?

Méritt: Weibliche Ejakulation. Sie wird immer noch angezweifelt, kommt in Anatomie- und oft auch in Sexbüchern nicht vor, wird im Medizinstudium nicht gelehrt. Die weibliche Prostata existiert nicht genau sowenig wie das Schwellgewebe, das bei Operationen schnell durchtrennt wird. Oder das Hymen, das nicht jede hat, und das daher auch nicht bei einer Entjungferung zur Blutung führt. Das ist kein Allgemeinwissen, und wird nicht an der Schule gelehrt.

pf: Formen der Aufklärung sollen spannender, Lehrpläne vielfältiger werden. Ist das alles, was von den Versprechen sexueller Revolution übrig geblieben ist?

Méritt: Nein. Wir kämpfen um die Bilder. Es gibt eine Pornografisierung der Gesellschaft, mit der wir umgehen müssen – es geht nicht um Zensur, sondern um die Entwicklung anderer, sexpositiver Bilder. Beim PorYes-Award hatten wir zum Beispiel ein Video von Amanda Palmer und Peaches: „Map of Tasmania“. Junge Mädchen werden ermuntert, sich nicht diesem genitalen Schönheits- und Rasur-Zwang zu unterwerfen. Sie ziehen den Rock hoch und entblößen stolz ihre Vulva als Blumenstrauß oder mit Lockenwickler oder ganz rot gefärbt oder als Bild von der Oma. Dazu ein guter Beat und sehr schöne Bilder

pf: Das klingt sehr künstlerisch und sehr unpornografisch. Benutzen sie das Label Porno nur?

Méritt: Wir heißen PorYes um zu zeigen „PorNO!“ …

pf: …die Kampagne der feministischen Zeitschrift EMMA…

Méritt: … ist wichtig. PorYes aber auch. Es geht um die Entwicklung einer anderen Wahrnehmung von Pornografie, wie sie von der Frauenbewegung ja schon lange gefordert wird. Wir sind erotisch normiert sozialisiert, so dass wir uns diesen industrialisierten Blick erst einmal abtrainieren dürfen. Mit dem Aufzeigen sex-positiver und gender-freundlicher Bilder können wir eine andere Sprache und eine andere Bildersprache entwickeln. Das bedarf aber Zeit und Übung, leider gibt es noch viel zu wenig Orte, an denen sexuelle Kommunikation im ernsthaften und tiefgreifenderen Sinne stattfindet. Mein Salon ist ein solcher Ort, der seit 20 Jahren existiert, der PorYes-Award ist eine andere Möglichkeit, sich näher zu informieren. Wie wird Pornografie überhaupt definiert, was bedeutet das für wen in welchem Zusammenhang?

pf: Sie sagen, dass sie mit vielem aus der PorNO!-Bewegung einverstanden sind, aber andere Schlüsse ziehen. Stoßen sie denn auf Gegenliebe? Was hält EMMA-Herausgeberin Alice Schwarzer von ihrem Treiben?

Méritt: Das ist ganz spannend! In den vergangenen Ausgaben der EMMA hat Alice Schwarzer den Frauen vom feministischen Missy-Magazin klar gesagt, dass feministische Pornos keine Pornografie nach ihrer PorNo – Definition sind, die ja sehr eng ist und sich gegen Degradierung, Sexismus und Rassismus wendet. Im neuen Heft schreibt sie sogar: „Wir haben die Lust erfunden!“ Das geht in die richtige, sexuell aufklärende Richtung! Es hat immer ein breites Spektrum an Feminismus gegeben. Leider kennt die sexpositive Bewegung kaum jemand.

pf: Wirklich? Ich hab den umgekehrten Eindruck, dass es außerhalb der EMMA-Redaktion niemanden gibt, der sich nicht auf Sexpositivität bezieht?

Méritt: Es gibt viele junge wie ältere Frauen, die gegen Porno sind. Und das ist ja nachvollziehbar, wenn man überall im Internet zugespritzt wird und sich nicht entziehen kann ...

pf: Uns scheint, dass es ein starkes Abarbeiten von Feministinnen an PorNo! als negativem Referenzpunkt gibt. Manchmal denke ich, dass bei der Pornografisierung der Gesellschaft so eine radikale Gegenposition gar nicht falsch wäre.

Méritt: Diese Gegenüberstellung der Positionen ist medial erzeugt. In Amerika wurde die Auseinandersetzung sehr hart geführt und als „Sex-Wars“ — Sexkriege — bezeichnet. Natürlich gab es unterschiedliche Positionen. Innerhalb der Bewegung wurde kritisiert, dass Zensur auf uns zurückfallen kann und es wurde angezweifelt, ob der Staat das richtige Instrument ist. Medial wurde das immer als Kampf zwischen zwei Flügeln des Feminismus ausgeschlachtet. Es setzte sich das durch, was sich am besten vermarkten ließ — zulasten einer differenzierten Darstellung der Thematik.

pf: Es gibt die These, dass die Zunahme der öffentlichen Verhandlung von Sexualität eher normierend wirkt. Jugendliche haben heute weniger und später homosexuelle Erfahrungen. Führt die Liberalisierung an der Oberfläche dazu, dass die Leute weniger experimentieren?

Méritt: Meine Erfahrung ist, dass Bewusstsein zu bewusster Wahl führt. Und wenn die Wahl dann ein konservatives Rollenbild ist, okay. Beispiel Polyamourösität: Dazu habe ich ein Buch mit herausgegeben, das zeigt: Leute leben eine Weile polyamourös, entscheiden sich aber auch ganz bewusst für eine monogame Runde. Prima. Eine sexpositive Grundregel ist ja: Wir brauchen keine Bewertung! Wähle, aber tue es bewusst!

pf: Zur letzten großen Veränderung. Die großen Sexunternehmen sind auf dem absteigenden Ast. Der Aktienkurs von Beate Uhse ist in den letzten zehn Jahren um 95 Prozent gefallen, der Konzern hat letztes Jahr 20 Mio. Euro Verlust gemacht …

Méritt: YES!

pf: Ist dieser Niedergang ausschließlich positiv? Oder garantieren große Betriebe ein Mindestmaß an Kontrolle der Arbeitsbedingungen? Anders gesagt, wie steht‘s mit Löhnen und Arbeitsbedingungen in alternativen Produktionen?

Méritt: Wenn Du in die alte Vertriebsstruktur reingehst, wird dir alles vorgesetzt: wir sind bei der Produktion dabei, machen die Werbung, schneiden bestimmte z. B. homo-bisexuelle Szenen raus, bestimmen das Cover, pressen die DVDs in großer Auflage. Die machen den großen Profit, du als Filmemacherin nicht. Du verkaufst dich.

pf: Also keine Selbstausbeutung bei den Alternativen?

Méritt: Bei den alternativen Produktionen ist das vielfältiger. Die ganz kleinen sind nur in der Subkultur unterwegs, es gibt aber auch queere und/oder feministische Pionierinnen wie Candida Royalle oder Shine Louise Houston, die kommerziell schon in einer anderen Liga sind und ihre MitarbeiterInnen entlohnen. In Deutschland läuft das noch nicht so gut, die Agierenden machen das oft nicht für Geld, sondern weil sie Bock drauf haben. Die Filmemacherin Petra Joy zahlt mittlerweile, aber anfangs konnte sie das auch nicht.

pf: Besteht die Gefahr, dass es das Bioladenphänomen gibt? Die Arbeitenden identifizieren sich auch politisch mit ihrer Arbeit und die Alternativunternehmen können wegen der emotionalen Bindung schlechter zahlen. Ist Ausbeutung in der Alternativindustrie nicht manchmal perfider?

Méritt: Wir neigen dazu, uns das stärker vorzuwerfen, obwohl alternative Betriebe ganz andere Voraussetzungen haben. Sich mit der Arbeit zu identifizieren, ist ja durchaus ein Wert für sich, der im übrigen zunehmend von großen Firmen eingefordert wird.

pf: Wie reflektieren das die Filmemacherinnen?

Méritt: Da wird viel experimentiert. Manche haben kein Geld, dann bekommen die Darstellenden einen Prozentsatz, wenn sich der Film verkauft. Der Vertrieb läuft übers Internet oder über Frauen- und andere qualitativ angesiedelte Sexshops. Die Filme kosten dann zwischen 30 und 45 Euro. Das ist viel Geld … Die Tendenz der kleineren FilmemacherInnen ist, sich nicht dem großen Vertrieb und den damit verbundenen Auflagen zu unterwerfen. Wenn sie selber vertreiben, verdienen sie natürlich mehr Geld, und das ist sinnvoll. Es wird nicht mehr lange dauern, bis es in den Videotheken Regale gibt, in denen es gehobene Pornografie oder „Fairporn“ auszuleihen oder zu kaufen gibt. Die Leute sind ja willig, mehr zu zahlen.

pf: Der PorYES-Award hat ja bei alternativen Produktionen eine mächtige Stellung. Wäre die Bezahlung der DarstellerInnen für die Zukunft auch ein Kriterium für ein Gütesiegel?

Méritt: Das muss sich noch zeigen. Die Szene ist bisher noch überschaubar. Jetzt geht es darum, der Öffentlichkeit zu zeigen, dass es eine Nachfrage nach guten, feministischen Pornos gibt. Vor 20 Jahren hieß es ja auch, dass es keine Nachfrage von Frauen nach Toys gibt. Die Zeit ist reif, dass Konsumierende ethische und Gender-Kriterien anlegen: Unter welchen Bedingungen ist der Film hergestellt, wie sind die Geschlechterrollen dargestellt, wie sexistisch ist das, ist Safer Sex dabei? All diese Fragen werden jetzt gestellt und wir zeigen, dass es Antworten gab und gibt. PorYes!

pf: Laura Méritt, danke für das Gespräch!

Dr. Laura Mérrit ist Linguistin. Sie hat in verschiedenen Sexualberatungsstellen und in der Aids-Prävention gearbeitet. Seit fast zwei Jahrzehnten vertreibt sie Sextoys aller Art. Seit drei Jahren ist sie Jurymitglied des von ihr mitbegründeten feministischen Pornofilmpreis — PorYes-Award. Mehr Infos über ihre Tätigkeiten finden sich auf www.poryes.de und www.sexclusivitaeten.de.

Das Interview führten Stefan Gerbing und Tobias Schulze.

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