Prager Frühling, Magazin für Freiheit und Sozialismus (www.prager-fruehling-magazin.de)
Redaktionsblog

banken müssen langweiliger und kleiner werden

geschrieben am 29.06.2012

"Verantwortlich sind die drei U: Ungleichgewichte in der Leistungsbilanz, Ungleichgewichte bei Vermögensverteilung und Unterregulierung der Finanzmärkte.", so Sven Christian Kindler über die Gründe der Finanzkrise. Über diese Analyse herrschte weitgehende Einigkeit im prager-frühling-Gespräch mit den Abgeordneten Hilde Mattheis (SPD), Sven-Christian Kindler (GRÜNE) und Axel Troost (DIE LINKE). Aber dem Fiskalpakt zustimmen? Und wie aus der Krise herausfinden?

Hier das vollständige Interview zum Krise zur Einschätzung des Fiskalpakts und zur Krise in Europa.

Bordieu durch den Lattenzaun

geschrieben am 25.06.2012

Unsere Autorin Katalin Gennburg – im zivilen Leben Parteitagsdelegierte für die BAG Städtebau- und Wohnungspolitik und Stadtsoziologin — hat den sozialen Raum des Parteitags vermessen, die tragenden Pfeiler analysiert und geschaut, ob noch alle Latten am Zaun sind.

Das Ergebnis gibt es hier zu lesen.

Auswertung des 3.Bundesparteitages

Beitrag von Katalin Gennburg, geschrieben am 21.06.2012
Schön anzuschaun, dieser Zaun!

Es war einmal ein Lattenzaun

Dieser auch ...

mit Zwischenraum, hindurchzuschaun.

... es scheint so Brauch.

Ein Architekt der dieses sah,

stand eines Abends plötzlich da –

Und nahm den Zwischenraum heraus

Und baute draus ein großes Haus.

Ein Anblick grässlich und gemein.

Drum zog ihn der Senat auch ein.

Der Architekt jedoch entfloh

Nach Afri- od- Ameriko

[Christian Morgenstern,

aus „Die Galgenblätter“ (1905)]

Katja Kipping beschreibt den Bundesparteitag und seinen Ausgang als „Bruch nach vorn“. Hiervon ausgehend möchte ich einen theoretischen Exkurs wagen und im Folgenden die Idee der sozialen Konstruktion von Raum und Diskurs dazu befragen.

Pierre Bourdieu entwarf in seiner Arbeit „Die feinen Unterschiede“ eine Theorie über die soziale Konstruktion von Raum und deren Abbild. Dazu gehört auch die Verteilung der Einwohner_innen im städtischen Raum entsprechend ihrer jeweiligen Klassenlage und –zugehörigkeit. Die heute vielerorts diskutierten Phänomene „Segregation“ oder „Gentrification“, also die Verdrängungsprozesse im städtischen Raum aufgrund vor allem ökonomischer Disparitäten in einer rassistischen Gesellschaft, müssen in Anbetracht der von Bourdieu dargestellten mikro-sozialen Prozesse diskutiert werden. Das Prinzip der „Distinktion“, also der bewussten materiellen und/oder sozial-räumlichen Abgrenzung, und der „Stigmatisierung“, also der Kenntlichmachung „des Anderen“ innerhalb einer Gesellschaft sind wesentlich für Bourdieus Theorie.

An diesen Gedanken anknüpfend, spreche ich nun über die vielfach bereits in den Medien und auf dem Parteitag selbst diskutierten Dynamiken und Spannungen innerhalb der Partei; der Bundestagsfraktion und auf dem Bundesparteitag. Es ist ein offenes Geheimnis, dass sich innerhalb der Partei Die Linke. Gruppen gegenüber stehen und Machtkämpfe austragen und dabei so tun als vollzögen sich diese Auseinandersetzungen entlang ideologischer und/oder geografischer Grenzen. Ja, es sind auch ideologische Fragen die sich gegenüber stehen, ich meine aber, dass Machtinteressen diese überwiegen und politische Positionen so geopfert werden. Solche Prozesse vollziehen sich klassischer Weise überall wo es um Geld und Macht geht. Sowohl in der freien Wirtschaft, als auch in einer Partei unterliegen die besten Ideen und Forderungen, gegenüber Zugehörigkeiten zu Netzwerken und deren Zugriff auf Machtstrukturen. Und weil genau das Abbild gesellschaftlicher Verhältnisse ist und die immer wieder aufgerufene Forderung nach einer „neuen Kultur“ in logischer Konsequenz die Antwort auf die bisherige Un-Kultur ist, macht es Sinn die soziale Konstruktion des Partei-Raumes und die gesellschaftlichen Verhältnisse in ein Verhältnis zu setzen.

Dazu schrieb Bourdieu: „Der in bestimmter Weise von uns bewohnte und uns bekannte Raum ist sozial konstruiert und markiert. Der physische Raum lässt sich nur anhand einer Abstraktion (physische Geografie) denken, das heißt unter willentlicher Absehung von allem, was darauf zurückzuführen ist, dass er ein bewohnter und angeeigneter Raum ist, dass heißt eine soziale Konstruktion und eine Projektion des sozialen Raumes, eine soziale Struktur im objektivierten Zustand, die Objektivierung und Naturalisierung vergangener und gegenwärtiger sozialer Verhältnisse.“[1]

Der Exkurs besteht nun darin, Bourdieus Vorstellung von der sozialen Konstruiertheit des Raumes generell, auf den politischen Raum in dem wir uns erklärter Maßen gemeinsam bewegen wollen, zu übertragen. Martina Löw unterstreicht diese Möglichkeit indem sie sagt: „Sozialer Raum ist für Bourdieu eine relationale (An)Ordnung von Menschen und Menschengruppen im permanenten Verteilungskampf, das heißt auch in permanenter Bewegung. Ein sozialer Raum ist also ein Raum der Beziehungen. Er bezeichnet eine (An)Ordnung von Personengruppen auf der Basis gleicher bzw. unterschiedlicher Verfügungsmöglichkeiten über ökonomisches, soziales und kulturelles Kapital, welches sich in einem ähnlichen oder verschiedenen Habitus zeigt. Der soziale Raum ist eine Abstraktion. “[2]

Dietmar Bartsch war lange der einzige Kandidat und auch Favorit einer großen Gruppe innerparteilicher Akteure. Ich möchte den Blick noch einmal auf die Nichtwahl Bartschs richten. Unabhängig davon was geworden wäre, wäre er gewählt worden, muss rückblickend konstatiert werden, dass Bartsch von einem Parteitag nicht gewählt wurde, dessen Delegiertenschlüssel nicht dem realen Mitgliederproporz entspricht. Man kann also nicht sagen, dass die Mehrheitsverhältnisse innerhalb der Partei gegen Bartsch sprechen. Man muss vielmehr anerkennen, dass die Mitglieder jener Landesverbände, die deshalb auf dem Bundesparteitag unterrepräsentiert waren und nicht zufrieden sind mit dem Wahlergebnis, eine Integrationsleistung für die Partei vollbringen, wenn sie die Wahl mindestens anerkennen. Das ist nicht selbstverständlich. Insbesondere ist das nicht selbstverständlich angesichts der thematisierten Un-Kultur, wozu auch die inzwischen gängigen Diffamierungen politischer Gegner als „Rechte“ anzuführen wären. Die Rede der Genossin Goltze aus Brandenburg, die genau das anprangerte und unmissverständlich klar stellte, dass sie keine „Rechte“ sei nur weil sie aus Brandenburg komme, aber auch Gysis Rede, sprachen für diese bislang praktizierte Un-Kultur in innerparteilichen Frontkonstruktionen und Scheindebatten. Diese Un-Kultur ist kaum mehr zu übersehen und baut noch immer ideologische Fronten auf, anstatt Dissense in Debatten zu überführen und diskursiv zu lösen. Das diese Normalität der Abgrenzung und Stigmatisierung auf dem Parteitag endlich thematisiert wurde, war eine Erleichterung. Diejenigen die nun eine neue Kultur und, wie Katja Kipping, den „Bruch nach vorn“ fordern greifen genau diesen Missstand auf und erheben den Anspruch auf eine solidarische und demokratische Debatte. Das ist wirklich ein Erfolg des Parteitages und es bleibt zu hoffen dass sich die innerparteilichen Koordinaten, um im räumlichen Vokabular zu bleiben, zugunsten des gegenseitigen Respekts und eines Interesses an der jeweils anderen politischen Sozialisation und Arbeit verschieben.

Apropos „politische Sozialisation“ und deren physische und psychische Koordinaten: Bezogen darauf gilt es auch zu sagen, dass eine neue Kultur auch die unterschiedlichen politischen Sozialisationen in Ost wie West anerkennen muss. Den Glauben „der Ossis“ an „ihren“ sozialistischen Staat in dem sie qua Geburt zu Anti-Faschist_innen wurden, muss man mitdenken um zu verstehen, warum politische Handlungsspielräume in den neuen Bundesländern hauptsächlich in staatlichen Einrichtungen erkannt werden. Die permanente Opposition, in die man als West-Linker“ politisch gedrängt wurde, weil der Staat in dem man lebte, Feind war und ist, steht dem zumindest konzeptionell gegenüber und erklärt, warum linke Politik in der BRD, spätestens seit den Grünen, vor allem außerparlamentarisch lokalisiert wird. Beides ist zeithistorisch begründbar. Dennoch ist es arrogant und apolitisch diesen Dualismus vor sich herzutragen und damit die inhaltlichen Auseinandersetzungen zu vermeiden. So wie es bisher praktiziert wird.

Wie kann also eine neue Kultur innerhalb der Linken tatsächlich entstehen?

Mit Bourdieu lässt sich eine Perspektive aufzeigen, dass es vor allem um die „wechselseitige Anerkennung“ und das „gemeinsame Sich-Wiedererkennen“ geht.

„Mit anderen Worten, die Erfolgschancen der zur Schaffung einer geeinten Gruppe notwendigen Konstituierungs- oder Konsekrierungsarbeit (Abzeichen, Stempel und Mitgliedskarten) sind umso größer, je größer bei den so bearbeiteten sozialen Akteuren aufgrund ihrer Nähe im Raum der sozialen Positionen und auch aufgrund der mit diesen Positionen verknüpften Dispositionen und Interessen die Neigung zur wechselseitigen Anerkennung und zum gemeinsamen Sich-Wiedererkennen in ein und demselben (politischen oder sonstigen) Projekt ist.“[3]

Die Wahlen zum Parteivorstand zeigen, dass dies vielleicht doch möglich ist. Der neu gewählte Vorstand ist der jüngste Vorstand aller Zeiten. Nicht zu vergessen ist auch, dass insbesondere die außerparlamentarische Linke die Wahl Kippings und Riexingers als positives Signal wertet, wie bspw. Eintrittsaufrufe aus der radikalen Linken belegen. Nun beginnt die eigentliche Arbeit, nämlich miteinander politisch zu arbeiten, statt die eigene politische Sozialisation zu verteidigen.

In der Absicht die Ergebnisse des letzten Bundesparteitages als Aufbruchssignal dargestellt zu haben, verbunden mit der Überzeugung, dass jede und jeder sich eine eigene Meinung über die Wahlergebnisse bereits gebildet hat, möchte ich abschließend noch Michel De Certeau zitieren, aus dessen Arbeit „Berichte von Räumen“ ich auch das eingangs zitierte Gedicht von Morgenstern übernommen habe:

„Einerseits wird die Erzählung nicht müde, Grenzen zu ziehen. (...) Im Dunkel ihrer Unbegrenztheit unterscheiden sich die Körper also nur dort, wo die „Berührungen“ ihres Liebes- oder Kriegskampfes auf ihnen eingeschrieben werden. Das Paradox der Grenze: da sie durch Kontakte geschaffen werden (sic!), sind die Differenzpunkte zwischen zwei Körpern auch ihre Berührungspunkte. Verbindendes und Trennendes sind hier eins. Zu welchen von den Körpern, die Kontakt miteinander haben, gehört die Grenze? Weder dem einen noch dem anderen. Heißt das: niemandem?

Das theoretische und praktische Problem der Grenze lautet: zu wem gehört sie?“[4]


1 Pierre Bourdieu (1991); „Physischer, sozialer und angeeigneter physischer Raum“, in M.Wentz „Stadt-Räume“; Suhrkamp 2001; S.32

2 Martina Löw; Raumsoziologie; Suhrkamp 2001; S.181

3 Pierre Bourdieu; "Sozialer Raum und Feld der Macht" in Praktische Vernunft. Zur Theorie des Handelns; Suhrkamp 1998; S.50

4 Michel De Certeau; „Berichte von Räumen“; in: Die Kunst des Handelns; Merve Verlag 1988; S.233

Eine Zahl zum Merken

Beitrag von Uwe Schaarschmidt, geschrieben am 18.06.2012

Am 16. Juni 2012 gab die zwei Wochen zuvor gewählte Vorsitzende der LINKEN, Katja Kipping, der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung ein Interview. Es ging ums Geld. Nebenbei natürlich auch um Arbeit – das übliche. Nichts ungewöhnliches also, auch der zweifelnde Unterton in den Fragen nicht, mit dem man alle Politiker_innen, die ihre Partei ernsthaft in der Tradition der Arbeiterbewegung verstehen, stets wortlos unterstellt: Dass sie endlich lernen müssten, dass es ohne Arbeit keinen Reichtum gäbe. Als ob man denen das erzählen müsste! Ebenso könnte man eine zweifache Mutter fragen, ob sie denn wirklich noch ein drittes Kind möchte und ob sie nicht wüsste, wie schmerzhaft so eine Geburt sei. Nun gut.

Gegen Ende des Interview kam schließlich eine Frage, die es in sich hatte:

F.A.S.: „Sie sagten einmal, niemand müsse mehr als 40.000 Euro im Monat verdienen. Ist das ein praktisches politisches Ziel?“

Dies hatte Katja Kipping in der Tat nicht erst einmal gesagt, sondern mehrmals. Sowohl in dem von ihr mit herausgegebenen Magazin „prager frühling“, in der Sendung „Menschen bei Maischberger“, sowie auch in einer großen Anzahl von Parteiveranstaltungen, Demo-Reden und Podiumsdiskussionen. Sie bestätigte auch diesmal:

„Ja, es gibt da gute Vorbilder. Der französische Linkskandidat Mélenchon hat für Jahreseinkommen von mehr als 360.000 Euro einen Steuersatz von 100 Prozent gefordert. Er war damit sehr erfolgreich. Ich sage: ab 40.000 Euro im Monat gibt es kein Mehr an Lebensgenuss. Wenn es dann noch Einkommenszuwächse gibt, fließen sie in die Beeinflussung von politischen Entscheidungen durch Bestechung – oder in zerstörerische Finanzspekulationen.“

Wie Eingangs erwähnt, ist Katja Kipping allerdings seit zwei Wochen Parteivorsitzende der LINKEN – und in dieser Funktion sagte sie dies erstmalig. Das mediale Echo war entsprechend. Die ARD startete sogar umgehend eine Online-Umfrage, bei der die User die Möglichkeit hatten, dieser Aussage zuzustimmen oder sie abzulehnen. Enthalten konnte man sich auch, dies taten allerdings nur 2,5 % der 28.655 (!) Menschen, die innerhalb von 36 Stunden am Voting teilgenommen hatten. Der Rest teilte sich in zwei fast gleich große Hälften: 48,2% fanden Kippings Idee gut, 49,4% lehnten sie ab.

Für Katja Kipping ist das – gelinde gesagt – ein schöner Erfolg, auch wenn die Umfrage natürlich nicht repräsentativ war. Es ist ein Stimmungsbild der deutschen Zustände im Jahre 2012. Betrachtet man es pessimistisch, könnte man sagen: die Hälfte der Deutschen sind hoffnungslos vom Leistungschauvinismus der Herrschenden infiziert. Positiv hingegen ließe sich feststellen, dass es immer noch eine erstaunliche Widerständigkeit der Menschen gegen den moralischen Verfall der Eliten im Spätkapitalismus gibt.

Letzteres zählt für die LINKE - und rechtfertigt Kippings Anstoß, der ohnehin kein wirklich steuerpolitischer Vorschlag ist, sondern der Versuch, so etwas wie eine ethische Ebene überhaupt wieder in die politische Diskussion einzuziehen. Rein fiskalisch kann man die Idee natürlich auf ihre Sinnhaftigkeit untersuchen und vermutlich tausend Gründe finden, „warum das so nicht geht“. Umgehend meldeten sich auch verschiedene „Verfassungsexperten“ in all ihrer bestellten Einfalt zu Wort, um Kipping unter dem Vorwurf verfassungsketzerischer Blasphemie zur neuen Hexe wider die neokonservative Kirche zu brüllen. Rote Haare hat sie obendrein!

Auf Katja Kippings Facebook-Account wurde das denn auch ebenso ausführlich getan, wie in den einschlägigen Foren, den Kommentarspalten der Online-Ausgaben von Zeitungen und Zeitschriften und vermutlich wird sie auch E-Mails, Briefe und Faxe en masse bekommen haben – voller Dank und Zustimmung ebenso, wie voller Hass und Beleidigung.

Auf jeden Fall jedoch hat sie eine Diskussion angestoßen, die längst überfällig war. DIE LINKE hatte sich – wie schon die PDS – in den Jahren seit ihrem Bestehen auf Sacharbeit eingelassen – das war gut und richtig und Katja Kipping hat sich dabei mit enormem Engagement, sozialpolitischem Sachverstand und ihrem geballten Charme eingebracht. Gleichzeitig hat sich ihre Partei jedoch innerlich in einen Krieg begeben, der mitunter an Dämlichkeit nicht mehr zu überbieten war – beiderseits der Gräben. Was die einen mit alttestamentarischer Gnadenlosigkeit aufrissen, versuchten die anderen mit aufklärerisch-hochnäsiger Bescheidwisserei zu kompensieren – einig allein darin, dass der jeweilige Gegner dem gemeinsamen Feind in die Hände spielt – oder gar von ihm gekauft sei! Diesen Unfug – und seine vorgeschobenen Begründungen - verstand nicht einmal mehr die Mitgliedschaft der LINKEN – wie sollte es also ihre geneigte Wählerschaft verstehen?

Mit ihrer Forderung nach einer Deckelung von Spitzeneinkommen hat Katja Kipping nun etwas getan, was beide Seiten in in ihrer Partei – und gleichzeitig die einfachen Menschen, wie auch den bürgerlichen Harmonisten - zum Nachdenken bringen sollte: Warum so kompliziert, wenn es auch einfach geht? Statt durchzurechnen, ob 21.580 oder 42.450 Euro als Maximalverdienst einen fiskalischen Sinn ergeben, hat sie einfach eine Zahl genannt, die man sich leicht merken kann.

Eine Zahl, angesichts derer der Chefarzt einer Klinik sagen kann: „Richtig so – hab ich zwar längst nicht, aber hunderttausend mehr im Jahr machen mich kein bisschen glücklicher – da mir die Zeit zum Genuss jetzt schon fehlt.“ Die Putzfrau hingegen kann kichernd meinen: „Richtig, dass man diesen Arschlöchern in selbiges guckt, mir würden tausend Euro mehr im Jahr schon sehr dabei helfen, nicht ständig überhöhte Dispo-Zinsen an die Banken abzudrücken!“

Die Forderung nach einer Deckelung der Höchsteinkommen ist übrigens wesentlich älter als Katja Kipping. Dies lässt sich nachlesen. Man ist dieser Forderung nie nachgekommen und das Ergebnis ist die Welt, so wie sie jetzt ist. Beherrscht von Menschen, die in gigantischem Umfang gestohlen haben und immer weiter stehlen, sich die Grundlagen dieses Diebstahls aber gewiefter Weise als zu respektierendes Naturgesetz in Verfassungen und Gesetzbücher schreiben ließen, so dass die Bestohlenen inzwischen jede Anzeige des Diebstahls tunlichst unterlassen. Eine Welt voller irrsinnigem, dekadentem Reichtum und voller Elend, von dem die Irrsinnigen glauben, sich seines Gestankes mittels medial aufgepimpter Charity entziehen zu können. Katja Kipping glaubt das nicht – weder in ihrem Lande und schon gar nicht global. Dafür gebührt ihr Beifall.

In einem Forum ätzte ein User in grenzenloser geistiger Umnachtung: „Frau Kipping! Meinen nächsten Ferrari werde ich mir also woanders kaufen.“ Als LINKER kann man da nur erleichtert sagen: „Sehr schön, geht doch!“

Die Krise von E bis U

Beitrag von SG, geschrieben am 18.06.2012

Veranstaltung am 20.6.2012 / Beginn: 19 Uhr / Regenbogenfabrik Berlin /Lausitzer Straße 22

Mehr als zwei Jahre dauert die „Euro-Krise“ nun an. Die Debatten über ihre Ursachen und über Krisenlösungen sind unübersichtlich und widersprüchlich. Eine klare linke Perspektive lässt sich kaum erkennen. Die Veranstaltung nimmt die Publikation des Sammelbandes „Die EU in Krise“ und die neue prager frühling- Ausgabe zum Anlass, um nachzufragen, welche Probleme und Analysen Bewegungslinke und kritische Wissenschaft umtreiben. Kolja Möller stellt die Juni-Ausgabe des prager frühlings vor. Er fasst die zentralen Thesen der Redaktion zu den autoritären Tendenzen in der Krise zusammen und skizziert Umrisse eines linken europäischen Gegenprojekts, eines popularen Programms in der Euro-Krise. Fabian Georgi präsentiert das neue Buch der Forschungsgruppe ‚Staatsprojekt Europa‘: „Die EU in der Krise. Zwischen autoritärem Etatismus und europäischem Frühling“. Er beschreibt den theoretischen Ansatz der Forschungsgruppe und analysiert die hegemoniestrategischen Konfliktlinien hinter der Krise der EU. Anna (IL) reflektiert und bewertet die Krisenproteste der letzten Monate, von M31 bis Blockupy, und sie stellt Ideen zur Diskussion, wie es für die sozialen Bewegungen in Deutschland nach Blockupy aktivistisch und organisatorisch weitergehen kann.

Forschungsgruppe ‚Staatsprojekt Europa‘ (Hg.): Die EU in der Krise. Zwischen autoritärem Etatismus und europäischem Frühling. Im Auftrag der Assoziation für kritische Gesellschaftsforschung, Verlag Westfälisches Dampfboot, 2012, 165 Seiten, ¤ 15,90

prager frühling Nr. 13 (Deutsche Euros rollen wieder … )

Ein Mann, ein Buch

Beitrag von Redaktion, geschrieben am 09.06.2012

Der Titel der 1999 von Alex Demirović veröffentlichten Habilitationsschrift ist gleichzeitig die treffendste Beschreibung ihres Autors. Ließe man den Untertitel „Die Entwicklung der Kritischen Theorie zur Frankfurter Schule“ weg, stände auf dem suhrkampschlichten Einband: „Alex Demirović: Der nonkonformistische Intellektuelle.“ … und genau das ist er. Ein Intellektueller, der sich nicht über die Art der Tätigkeit im Rahmen der gesellschaftlichen Arbeitsteilung definiert, sondern Text und Theorie als politische, als intervenierende Praxis begreift. Anders als manch lebenslanger „Adorno-Schüler“ fanden seine theoretischen Interventionen immer in- und außerhalb der Universitäten statt. Würde man eine Liste all der Artikel außerhalb wissenschaftlicher Journale, all der Podien und Veranstaltungen außerhalb akademischer Konferenzen erstellen, sie wäre wohl weitaus länger als die beeindruckende Aufzählung seiner Arbeiten, die in etablierten und akzeptierten Strukturen akademischer Wissensproduktion entstanden. Egal ob Bildungsstreik, ob Bloccupy oder Kapitalismuskongress, Demirović war da. Egal ob Fantômas, Freitag, Prokla, spw oder eben unser kleines Magazin, prager frühling - Alex Demirović schrieb, wenn er etwas zum Thema zu sagen hatte und man ihn fragte.

In seiner Lehrtätigkeit lässt er sich von einem Anspruch leiten, der in den verschulten Post-Bologna-Universitäten vollkommen aus der Mode gekommen ist: Der radikaldemokratische Anspruch seine Studierenden zur Kritik und zum Widerspruch zu erziehen, sie selbst zu nonkonformistischen Intellektuellen auszubilden. Dass so einer in Deutschland keine reguläre Professur bekommt — klar. In Frankfurt hat das Präsidium seine Berufung hintertrieben. So blieb er Gastprofessor – mal in Frankfurt, mal in Berlin, mal in Wien. Die kritische Theorie blieb seine theoretische Heimat, doch anders als die Nachlassverwalter suchte er nach Anschlüssen und borgte sich manches Werkzeug bei den Franzosen Foucault und Bordieux, bei Gramsci oder bei Poulantzas. Will man sein umfassendes Wirken und die vielfältigen Beiträge zur Krisen-, Rassismustheorie und Staatstheorie angemessen würdigen läuft man Gefahr, dass dies nach Nachruf klänge. Die Beiträge von Alex Demirović reichen für zwei Leben. Wie dies einer in nur 60er Jahren so viel kluges denken und schreiben konnte … wir wissen es nicht. Wir freuen uns stattdessen auf die kommenden und gratulieren herzlich.

Eine Kandidatur weniger

Beitrag von Lena Kreck, geschrieben am 29.05.2012

Nach Oskar Lafontaine erklärt nun auch Karsten Krampitz, nicht für den Parteivorsitz kandidieren zu wollen:

Liebe Genossinnen und Genossen,

als ich am Dienstag, den 22. Mai, auf der Berliner Regionalkonferenz meine Kandidatur für den Bundesvorsitz der Linken bekannt gegeben habe, wollte ich den Delegierten in Göttingen die Möglichkeit einer wirklichen Wahl eröffnen. Mittlerweile hat sich aber herausgestellt, dass dies gar nicht mehr notwendig ist. Mit der Kandidatur anderer Genossinnen und Genossen hat der Parteitag nun tatsächlich eine Wahl. Außerdem hat sich gezeigt, dass die Partei nicht geschlossen hinter meiner Person steht. Das zu erwartende knappe Votum hätte die Gräben nur noch weiter vertieft.
Unter diesen Umständen nehme ich – schweren Herzens – von meiner Bewerbung Abstand und mache den Weg frei für eine Konsenslösung.
Karsten Krampitz,
Berlin, den 27. Mai 2012

Ein schwerer Schlag für die Linke! Folgend ist seine Bewerbungsrede, die nun nicht gehalten werden wird, zu lesen - weise Worte eines nicht-Vorsitzenden.

Ungehaltene Rede zur Kandidatur für den Bundesvorsitz der Partei Die Linke beim 3. Parteitag Göttingen, 1. Tagung

Linke für andere

Den wenigen, die mich nicht kennen, möchte ich mich kurz vorstellen: Mein Name ist Karsten Krampitz. Ich bin in der BO Valentin in Pankow organisiert. Pankow liegt in Berlin. Ich kandidiere für den Bundesvorsitz der Linken. Ich bin 42 Jahre alt. Von Beruf Statistiker, Betriebswirt, Historiker und freier Autor.

Zur Sache: Der römische Geschichtsschreiber Sallust schrieb einst im „Bellum Iugurthinum“: „aut quem alienum fidum invenis, si tuis hostis fueris?“ Ich weiß, der Politiker Sallust ist in der Linken umstritten, dennoch will ich dieses Zitat meiner Rede voranstellen:

„Welchen Fremden wirst du gewinnen, wenn du den Deinen ein Feind bist?“

In unserer Partei bin ich Mitglied geworden, in erster Linie aus Unzufriedenheit über die Politik der CDU, SPD und FDP. Um an deren Politik konkret etwas zu ändern, hätte ich wohl besser dort eintreten sollen? Von der Basis in Pankow aus kann ich das immer sehr gut beobachten: diese unglaubliche Energieverschwendung. Ich muss das jetzt nicht konkret benennen, um wen es geht. In der Regel kämpfen die Guten gegen die Gerechten. Das Ergebnis sehen wir. Vielleicht ist es an der Zeit, ein paar Selbstverständlichkeiten wieder ins Gedächtnis zu rufen:

  • Aufgabe der Partei ist es zuerst, die Schwachen stark zu machen; dabei zu helfen, dass in unserem Land so viele arme Leute wie möglich ein halbwegs anständiges Leben führen können. (Hartz IV-Empfänger, Behinderte, Flüchtlinge usw. )
  • Nicht jeder in unserer Partei, der anders denkt, ist ein Falschdenker. Auch der anders Denkende oder Redende besitzt ein Stück von der Wahrheit, mindestens.
  • Es macht einen himmelweiten Unterschied, ob ich mich in einem Konflikt durchsetze oder ob ich überzeuge.
Damit kein Missverständnis aufkommt: Ich sehe Streit als etwas sehr Wichtiges an; Streit muss sein – auch und gerade in der Linken – allerdings wünsche ich mir mehr Streit um Ideen, nicht um Einfälle. Und ich glaube, dass es an der Zeit ist, dass wir uns eine ganz bestimmte Idee von den Konservativen und Liberalen zurückholen: Freiheit.

Ich sehe unsere Partei als Seismographen für gesellschaftliche Veränderungen. In einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung ist es ihre Aufgabe, Staat und Gesellschaft immer wieder daran zu erinnern, dass Freiheit zuerst die Freiheit von Angst ist. Die Freiheit von Angst ist keine Nuance, keine Spielart der Freiheit, die neben anderen Formen von Freiheit existiert – etwa der Reisefreiheit, der Pressefreiheit usw. Die Freiheit von der Angst ist die Voraussetzung für alle anderen Freiheiten (ausgenommen vielleicht die Religionsfreiheit, aber lassen wir das).

Ein Hartz IV-Empfänger lebt nicht nur in materiell sehr bedrückenden Verhältnissen. Diese Frauen und Männer am Existenzminimum leben in ständiger Angst, dass man ihnen das bisschen Stütze auch noch streicht, weil sie irgendwelchen Anforderungen nicht nachgekommen sind, nicht entsprechen. Diesen Menschen müssen wir die Angst nehmen.
„Furcht macht unmündig“, lesen wir bei Heino Falke, dem vielleicht wichtigsten Theologen in der DDR. „In der Angst um sein Leben macht der Mensch aus vergänglichen Dingen Götzen, die ihm Sicherheit geben sollen (...) Konsum, Verhaltensnormen und Ideologien werden zu Götzen der Angst. Sie sollen Leben garantieren, aber sie machen hörig. Wer Angst hat, ist beherrschbar, man kann ihn gefügig machen und benutzen.” (Heino Falcke: „Christus befreit - darum Kirche für andere. Hauptvortrag bei der Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR in Dresden 1972“. In: Heino Falcke: „Mit Gott Schritt halten“ , Wichernverlag Berlin 1986, S.14-15.)

Den Angstmachern müssen wir entgegentreten.

Für die Freiheit von der Angst! Ich bin mir sicher, dass wir im Ringen um mehr Freiheit in unserem Bundespräsidenten – dem „grün, links-konservativ Liberalen“, der wie kein anderer nach dem Fall der Mauer für die Bürgerrechte in der DDR gekämpft hat – einen treuen Verbündeten haben. Gauck, der nicht müde wird, von zwei Diktaturen in der deutschen Geschichte zu sprechen, weiß sicher auch, wohin soziale Unfreiheit und Angst führen können.
Die Freiheit aber in unserem Sinne ist eine völlig andere als jene, die uns täglich begegnet: Freiheit als Beliebigkeit, als Alibi für soziale Verwerfungen. Die kapitalistische Freiheit ist die Freiheit voneinander, wir wollen die Freiheit füreinander. Voraussetzung dafür aber ist, wie gesagt, ein Leben ohne Angst. – Das heißt aber auch, dass wir selber den Leuten keine Angst machen dürfen! Das war ja mal eine Erscheinung des Mittelalters: Wanderprediger, die über die Marktplätze gezogen sind und den Weltuntergang beschworen haben, der aber offensichtlich nie eingetreten ist. Ich will das jetzt gar nicht weiter ausführen, all die Bedrohungen durch den Weltimperialismus und die Springerpresse oder auch durch Fremdarbeiter. Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Ich bin nicht gegen Populismus. Im Gegenteil, ich bin sogar für noch mehr Populismus! Dem Volke aufs Maul schauen und die Menschen auch emotional anzusprechen, sie zu berühren, ihre Herzen zu gewinnen, ist eine hohe Kunst. In Berlin haben wir die Abgeordnetenhauswahl verloren, nicht so sehr wegen unserer Regierungspolitik, sondern weil die Linke die Menschen nicht mehr auf emotionaler Ebene erreicht. – Andere waren authentischer, hatten die besseren Plakate, die besseren Themen.

Anderes Beispiel: Die Grünen und ihre relativ hohen Umfragewerte. Jeder weiß, dass die Grünen die Agenda 2010 mitbeschlossen haben. Sie tragen Verantwortung für Hartz IV. Die Grünen waren und sind bei allen Kriegen dabei, sozusagen an vorderster Front. Die Tür, die ein Joschka Fischer aufgestoßen hat, ist seither nie wieder geschlossen worden. Schon bei Erich Kästner lesen wir: „Kennst du das Land wo die Kanonen blühn? (...) / Dort reift die Freiheit nicht, dort bleibt sie grün!“ Die Grünen in der Regierung haben ihren eigenen Mitgliedern verboten, am Anti-Castor-Protest teilzunehmen. Das alles ist bekannt, trotzdem werden die Grünen im linken Spektrum geortet und gewählt. Warum? Weil sie für ein bestimmtes Lebensgefühl stehen. Und da sage ich: Das können wir auch.

Wir verlieren Wahlen, nicht weil wir keine Antworten haben auf drängende Fragen, sondern ganz offensichtlich aus ästhetischen Gründen. Das eigentliche Problem liegt m. E. in der Performance, in der Darstellung. Aber auch das ist alles schon oft genug gesagt worden. Nur ist es so: Viele Menschen, die uns früher gewählt haben und uns heute vom Gefühl her ablehnen, vom Hören- Sagen oder auch vom Fernsehen oder aus sonst welchen Gründen, die lesen keine Parteiprogramme – diese Leute werden wir mit Flugblättern nicht erreichen.
Linke Politik muss populistisch sein. Wie im normalen Leben: Solange meine Freundin mich liebt, verzeiht sie mir, sieht sie über meine Schwächen und Fehler hinweg. Jedoch nur bis zu einer bestimmten Grenze.

Allerdings plädiere ich für einen neuen Populismus, für einen konstruktiven Populismus:
Gute Politik wird nicht in Phone oder Dezibel gemessen. Gute Politik heißt: die richtigen Sachen zur richtigen Zeit zu sagen und zu tun, ganz einfach. Als Linke müssen wir uns so langsam von den tradierten Erziehungsmethoden verabschieden. Es reicht nicht aus, eine Wahrheit nur zu kennen und diese einem Mantra gleich ständig zu wiederholen. Der Mensch ist – philosophisch gesehen – kein leeres Gefäß, in das jedermann seine Gedanken, Programme usw. füllen darf. Der Mensch ist ein vollkommenes Wesen. Als Erwachsener bedarf er keiner pädagogischen Hilfe, keiner Erziehung und auch keiner Belehrung. – Was uns aber nicht davon abhalten darf, mit den Menschen mitzuleben, ihnen auf Augenhöhe immer wieder Angebote zu machen. Kurzum: Linke für andere zu sein.

Meine Utopie ist die: dass wir einander aushalten, der Einklang von Politik und Leben. Deshalb: Lasst uns Populisten sein!

Allerdings verstehe ich unter einem modernen Populismus, dass die positiven Handlungsoptionen deutlicher zur Sprache kommen. Es gibt immer Alternativen. Und die Benennung dieser Alternativen setzt selbstverständlich die Bereitschaft voraus, an deren Umsetzung mitzuwirken. Dieser neue, positive Populismus befreit von der Angst. Er führt weg von billiger Totalkritik oder vom Zwang zur Anpassung und zeigt den Weg hin zur aktiven und mündigen Gestaltung gesellschaftlicher Verhältnisse. Ich weiß, das klingt jetzt sehr dialektisch: Wir überwinden den Kapitalismus in dem wir ihn erst einmal verbessern, menschlicher machen. Schon im Alten Testament steht: „Ein Jegliches hat seine Zeit.“ Und die Zeit ist mit uns. Nur Geduld! Der Gedanke ist so neu nicht, hieß nur früher Wandel durch Annäherung.

Guter Sozi, böser Sozi.

Beitrag von Jörg Schindler, geschrieben am 21.05.2012

Sarrazin vs. Steinbrück?

Fiskalpakt hier, "raus aus dem Euro" da. Rechte SPD hier, rechtsradikale SPD da. - Offenbar ist das die Spannbreite, in der Fernseh-Erklärbären wie Günther Jauch Politik wahrnehmen. Doch verfolgte man dieses so genannte "Streitgespräch" bei Günther Jauch am letzten Sonntag abend etwas genauer, konnte man erkennen, dass die EU-Wirtschaftskrise zwischen diesen Polen gar nicht strittig diskutabel ist. Da pflichtete der Ex-Finanzminister dem Ex-Bundesbanker zu - "Der Fehler ist gemacht" -, wenn es um die Euro-Einführung in Griechenland und vor allem um die Frage ging, ob man die Pleitegriechen nicht schon viel eher, nämlich im Mai 2010, aus der Verbundwährung Euro hätte rausschmeißen sollen. Und einträchtig nicken sie sich zu, als sie darüber räsonieren, dass sich seit vielenvielen Jahren diese dekanten Südeuropäer von unserem deutschen Steuergeld eine fette Sause machen - jeder Staat könne zwar EU sein, müsse aber letztendlich für sich selber sorgen.

Euro vs. DM?

Der einzige Unterschied zwischen Sarrazin und Steinbrück taucht dann auf, als Sarrazin Konsequenzen zieht: Dann sei auch der Euro für Griechenland nicht zwingend erforderlich. Steinbrück widerspricht pflichtgemäß, nicht ohne auf die Einhaltung der Troika-Verpflichtungen zu pochen. Wie jedoch - ohne Massenarmut - diese Verpflichtungen durch Griechenland eingehalten werden sollen, kann auch er nicht erklären. Statt dessen müssen wohlfeile europäische Bekenntnisse herhalten. "Fundamentale Kritik", wie angekündigt, sieht anders aus.

Steinbrück-PD vs. Sarrazin-PD

Das ist die Krux, wenn man über Fiskalpakt nicht reden, aber Sarrazin kritisieren will. Wollte Steinbrück nicht mehr nur seine eigene logische Inkonsequenz zur Schau stellen, hätte er das Aufgeben nationaler Währungssouveränität mit der Aufgabe nationaler Wirtschafts- und Sozialstaatssouveränität verbinden, damit eine wirkliche europäische Sozial- und Investitionsunion fordern müssen. Das hätte Günther Jauch schier um den beschränkten Talkmasterverstand gebracht. - Aber damit wäre der Fiskalpakt nicht vereinbar. Und Steinbrück wäre kein guter Sozi mehr.

Ein Vorschlag zur Personaldebatte

Beitrag von Lena Kreck, geschrieben am 16.05.2012

Seit der Fusion von PDS und WASG träume ich davon und nun scheint mir der beste Zeitpunkt zu sein, um meine Idee in den Ring zu werfen: Ich schlage für den Parteivorstand zumindest für die kommende Legislatur einen reinen Frauenvorstand vor. Der Grund ist nicht darin zu suchen, dass es Frauen qua Geschlecht möglicherweise besser machen (Gott bewahre!), sondern in den folgenden beiden Punkten:

1. Katharina Schwabedissen hat gezeigt, wie man innerhalb weniger Wochen zu einem Gesicht der LINKEN werden kann. Erst heute wird sie samt Bild neben Klaus Lederer, Katja Kipping und Bodo Ramelow in der Frankfurter Rundschau zitiert. Es gibt genügend Parteimitglieder, die bereits seit Jahren in der zweiten Reihe für ihre Partei Politik machen, den Laden im Grunde aber nach außen viel besser repräsentieren können, als jene Menschen, die sich seit Jahr(zehnten) nur noch mit dem Fahrdienst durch die Weltgeschichte transportieren lassen.

2. Ein Frauenvorstand verhindert zentrale altgediente Protagonisten, die bis auf wenige Ausnahmen männlich sind, und ist also ein Instrument, um die verfahrene Situation jenseits eines komplexen Ost-West-Mann-Frau-Manövers aufzulösen. Wer’s schlussendlich machen wird, darüber können wir noch zur Genüge – oder zumindest die nächsten zwei Wochen, bis dann endlich der Parteitag entscheiden darf – streiten. Die eine oder andere Schablone wird dann aber zum Glück nicht mehr so gut passen.

PS: Die Idee ist von den Grünen der 1980er Jahre geklaut. Aber von denen haben wir ja auch die von uns zumindest angedeutete Trennung von Amt und Mandat.

Harald Werner: Offene Fragen in der geschlossenen Abteilung. Das erfolgreiche Scheitern einer Kaderperspektive; 155 Seiten, 14 EUR; Papyrossa Verlag, Köln 2011

Beitrag von Bernd Hüttner, geschrieben am 15.05.2012

Der 1943 geborene Harald Werner legt, obwohl er dies nicht beabsichtigt, mit diesem Buch eine Art Lebensrückblick vor. Er montiert in seinem Buch zwei parallele Erzählstränge. Zum einen sein Leben und politisches Wirken, zum anderen seinen einjährigen Aufenthalt 1987 als Hauptamtlicher und Funktionär der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) an einer SED-Parteischule in Berlin-Biesdorf.

Brennpunkt und Schwerpunkt des Buches sind die Konflikte um die Erneuerung des orthodoxen westdeutschen Parteikommunismus, die sowohl unter den Teilnehmern des Kurses in Biesdorf wie in der gesamten DKP in der Zeit von Perestroika und Glasnost für mehr als nur Gesprächsstoff sorgten. Der DKP wohlgemerkt, die die meiste Zeit vor 1989 eine weit höhere Verankerung in der Arbeitswelt hatte, als die heutige LINKE. Nachdem er aus politischen Gründen seinen Job als Lokalredakteur bei einer Tageszeitung verliert, studiert er in den 1970er Jahren und wirkt an der Gremienarbeit an der neu gegründeten Universität Oldenburg mit. Nach der Promotion schlägt er sich mit Lehraufträgen durch und wird 1983 schließlich hauptamtlicher Vorsitzender des Kreisverbandes Oldenburg, der damals 500 Mitglieder hat. Die DKP erreichte 1981 bei Kommunalwahl in der niedersächsischen Universitätsstadt beachtliche 7,8 Prozent der abgegebenen Stimmen. Im Zuge der Debatten um die politische Neuausrichtung der DKP und nach seinem Aufenthalt in Biesdorf wird er nicht Beschäftigter am Institut für marxistischen Studien und Forschungen (IMSF), wie er hofft. Statt am Think Tank der Partei wie der Erneuerer zu arbeiten, wird er von der Partei gekündigt. Was er danach arbeitet, wird nicht recht deutlich. Werner engagiert sich jedenfalls zusammen etwa mit Wolfgang Gehrcke, schon in den frühen 1990er Jahren in der PDS-West, da er, wie er lakonisch schreibt, seine Trauerarbeit schon geleistet habe, als 1989 die DDR und damit auch die DKP zusammengebrochen sei.

Spannend ist das Buch da, wo Werner aus seiner Sicht die Vorgänge in der Gruppe der Erneuerer innerhalb der DKP beschreibt – und ihre inneren Widersprüche. Einer ist zum Beispiel, dass man Transparenz und Demokratie fordert, aber lange selbst im geheimem agiert. Von den Erneuerern ist aus heutiger Sicht nicht viel übrig geblieben, viele engagieren sich in der LINKEN und als institutionelles Instrument existiert bis zum heutige Tag die Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung, in der Werner als einer der Mitherausgeber wirkt.

Das Buch zeigt, wie ohnmächtig und ratlos das politische Spektrum der DKP den Veränderungen der Gesellschaft gegenüberstand. Also der Dynamik die später von vielen und von einzelnen auch schon damals, als Siegeszug des Neoliberalismus gedeutet wurde. Dass politische Menschen wie Werner nicht einfach mal bei anderen, eher undogmatischen Strömungen – wie etwa dem Sozialistischen Büro – geschnuppert haben, zeigt, wie mächtig die Organisationsdisziplin war. Werner schreibt selbst, dass die Selbstdisziplin der Mitglieder der DKP stärker gewesen sei als die Disziplinierung durch die Führung: Die „Einheit der Partei“ ist oberstes Gebot und verinnerlicht. Als dieses Gehäuse der Hörigkeit zusehends zusammenbricht, wissen viele – es dürften weit über 20.000 Personen sein - keinen anderen Ausweg als ihren Rückzug ins Privatleben. Dieser Verlust an Menschen und Ideen ist ein Teil der Tragik dieses bislang noch nicht wirklich erforschten Zeitabschnittes in der Geschichte der westdeutschen Linken.

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