Prager Frühling, Magazin für Freiheit und Sozialismus (www.prager-fruehling-magazin.de)
Redaktionsblog

Sport frei?

Beitrag von Lars Kleba, geschrieben am 09.02.2012

Die letzte Tour de France ist eigentlich Geschichte und kehrte doch heute mit den Presseberichten zur Zweijahressperre für Alberto Contador zurück. Den es vergeht doch kaum eine Berichterstattung ohne Diskussionen über die sogenannte Dopingtour und ähnliches. Die Tour taumelte immer wieder von einem Skandal in den nächsten. Der komplette Radsport stand am Pranger. Doch der Blick auf die Radler greift zu kurz. Gern wird übersehen, dass auch in anderen Sportarten kräftig manipuliert wird. Der gesamte Leistungssport steckt doch in der Krise.

Es ist an der Zeit, die Förderung des Sports durch den Staat grundsätzlich in Frage zu stellen. Ist es nicht gerade der deutsche Staat, der Sportler dazu anhält, immer wieder an die Grenzen der menschlichen Leistungsfähigkeit zu gehen? Nach dem Haushaltsplan des Bundesinnenministeriums, das auch für den Sport zuständig ist, sollen in einem Jahr über 80 Millionen Euro in den Spitzensport fließen. Um die bestehende Spitzenposition im Wintersport zu sichern und im Sommersport wieder eine Position in der Weltspitze zu erreichen wird die Förderung des deutschen Spitzensports jährlich um Millionen erhöht. Das erklärte Ziel ist, damit möglichst viele WM- und Olympiamedaillen für Deutschland zu ermöglichen. Von einem Umdenken, wie es der ehemalige Sportminister Wolfgang Schäuble gerade vom Radsport fordert, ist im übrigen Leistungssport so gut wie nichts zu spüren. Das aber wäre dringend nötig. Denn für eine Demokratie gehört es sich eigentlich nicht, ständig bloß auf einen möglichst guten Platz im Olympia-Medaillenspiegel zu schielen. Solange der Staat die Athleten antreibt, macht er sich mitschuldig am Phänomen der pharmazeutischen Manipulation, die immer mehr um sich greift. Die Bundesrepublik verhält sich in der Tat kaum anders als die DDR, die ihre hochgezüchteten Athleten einst als "Botschafter in Trainingsanzügen" auf die oberen Podestplätze der internationalen Wettbewerbe dopte. Als die Mauer noch stand und westdeutsche Athleten schon lange nicht mehr mitkamen mit ihren Konkurrenten aus dem Osten, da wurden die Sportfunktionäre der BRD nicht müde, auf einen Wettbewerbsvorteil der Konkurrenten aus der DDR hinzuweisen. "Das sind doch alles Staatsamateure", hieß es damals - eine von Staat ausgehaltene Profitruppe also, deren Mitglieder nichts anderes zu tun hatten, als ihre Körper zu optimieren. Und heute? Ein Großteil der deutschen Olympiakaderathleten ist bei der Bundespolizei oder der Bundeswehr angestellt. In speziellen Sportkompanien werden sie von beinahe allen normalen Verpflichtungen eines Soldaten oder Polizeibeamten freigestellt. Sie haben nur eine Aufgabe: durch Medaillen und Siege den Ruhm ihres Vaterlandes zu mehren.

Der Leistungsgedanke in der Sportförderung führt dazu, dass es für viele Vereinstrainer, aber auch für Eltern Sport treibender Kinder wichtiger ist, Siege einzufahren, als die Fitness der Jugend zu fördern. Erst der konsequente Rückzug des Staates aus der Spitzensportförderung könnte an dieser Stelle zum Umdenken führen. Der Profisport, von Sponsoren unterhalten, muss deshalb nicht untergehen. Solange sich Geldgeber finden, die glauben, dass sich ihr Engagement für die Unterhaltungsindustrie Sport lohnt, und solange es gelingt, Fans für den Profizirkus zu gewinnen, so lange wird es die großen Fußball-Ligen, aufgeblasene Box-Events und den Rennzirkus der Radsportler geben.
Der Staat aber sollte sich von dieser Szene fernhalten. Seine Aufgabe liegt in der Förderung des Breitensports. Statt in den Spitzensport, sollten Gelder in den Gesundheitssport fließen oder in Sportangebote in den Problemvierteln großer Städte, in gesundheitliche Aufklärung durch Sport und in den Ausbau des Sportangebots an Schulen. Wer sich den Mitgliedsbeitrag für einen Sportverein nicht leisten kann, dem könnte geholfen werden. Gefordert wäre ein neues Sportverständnis.


Lars Kleba, fährt Fahrrad und Ski, läuft und spielt Squash. Das alles ohne Sportförderung.

merkozy auf links stricken!

Beitrag von S.G., geschrieben am 07.02.2012

Merkozy, der zweiköpfige Talkshowgast, macht Wahlkampf gegen den französischen Sozialisten Françoise Hollande und der deutsche Außenminister Dr. Westerwelle muss sich überlegen, hinter welchen Schrank er die Besuchsanfrage des linken Franzosen fallen lassen soll. Eigentlich schon eine tolle Idee von Kanzlerin und Monsieur le président: postnationaler Wahlkampf! Nur leider mal wieder von den Falschen. Immerhin, einige LINKE haben sich auch schon mal Griechenland blicken lassen oder Zeit auf dem Puerta del Sol verbracht. Dennoch — wie genau eigentlich die Linke in Frankreich aufgestellt ist, darüber herrscht bei deutschen Linken oft genug Ahnungslosigkeit. Wir helfen gern. Unsere Autorin Susanne Götze stellt die linken Akteure von Françoise Hollande über Jean-Luc Mélenchon bis Philippe Poutou vor.
Vielleicht klappt es ja beim nächsten Mal mit einem sozialistischen Wahlkampf, der über die nationalen Grenzen hinweg geht. Und vielleicht wird daraus ja ein „Voulez-vous coucher avec moi?“ oder noch besser: ein „Voulez-vous résister avec moi?“

Zum Artikel: „Weg mit Sarko, aber was dann?“

weg mit sarko aber was dann?

Beitrag von Susanne Götze, geschrieben am 07.02.2012

Seit 1995 hat Frankreich keinen sozialistischen Präsidenten gesehen. Die letzten Jahre wurde das Land von einem der umstrittensten Präsidenten seiner Geschichte regiert. Eine derartige Abscheu gegen Monsieur le président kennt man höchstens noch aus Jahren unter Charles de Gaulle. Michel Rocard, Minister unter Mitterrand, schrieb in einer Biographie, dass die Studenten im Mai 1968 nur noch lachten, als sie bei einer Straßenbesetzung die Ankündigung de Gaulles vernahmen, ein Referendum durchzuführen. Diesen Grad an Delegitimierung hat „Sarko“ noch nicht erreicht. Für erlösendes Gelächter ist es noch zu früh. Sarkozy ist noch immer ein ernster Gegner für seinen aussichtsreichsten Gegenkandidaten, den Sozialisten François Hollande (Parti Socialiste, PS). Der bemüht sich das Bild eines ernsten, vernunftlinken Biedermannes abzugeben. Bis jetzt mit Erfolg: In den ersten Monaten lag der Kandidat in den Umfragen vor Sarkozy. Hollande will vor allem nicht die Fehler seiner Ex-Frau Ségolène Royal wiederholen, die 2007 als Präsidentschaftskandidatin unterlag. Eine Strategie ist, sich Partner zu suchen, um sich möglichst breit aufzustellen. So versuchte Hollande mit den Grünen anzubändeln. Der Preis für den Pakt ist allerdings hoch: Er muss als erster Präsident das Wagnis des Atomausstiegs eingehen. Nach der Vereinbarung mit den Grünen soll der Anteil des Atomstroms von 75 auf 50 Prozent sinken. Das gab nicht nur im konservativen Lager einen Aufschrei. Atomkraft gilt in Frankreich als sozial und ökologisch – zwei Tugenden, die sich Kandidat Hollande eigentlich geben will und nun aufs Spiel setzt. Bei verschiedenen Gelegenheiten hat er deshalb durchblicken lassen, dass er den Pakt mit den Grünen nicht so genau nehmen will. Zuletzt drohten die Ratingagenturen den Sozialisten sogar indirekt, Frankreich herabzustufen, sollten diese den Atomausstieg wirklich anpacken. Solche Drohungen wiegen in Zeiten der Eurokrise schwer. Hollandes Kritik an den „bösen“ Finanzmärkten und seine Appelle zur „Wiederbelebung der französischen Wirtschaft, des öffentlichen Sektors und der republikanischen Werte“ entlocken den meisten Linkssympathisanten und auch seinen Gegnern dagegen nur ein müdes Gähnen.

Friendly Fire: Linke Intimfeinde

Die Schlacht wird jedoch nicht nur gegen den amtierenden Präsidenten, sondern vor allem in den eigenen Reihen ausgetragen. So stellt die PS sich als einzige Partei dar, die fähig sei, die Wahl zu gewinnen und fordert alle anderen auf, uneingeschränkte Solidarität zu üben. Ein Beispiel ist der Aufruf der sozialistischen Parteivorsitzenden Martine Aubry im Vorfeld bei den nötigen Unterschriftensammlungen für den Präsidentschaftswahlkampf allein für die PS zu stimmen. Das sehen die Parteien links von der PS nicht ein. Sie bescheinigen Aubry und der PS ein mangelndes Demokratieverständnis, schließlich sei Frankreich kein Zwei-Parteien-System. Links von der PS mangelt es nicht an Alternativen. Seit 2008 gibt es eine Opposition aus den eigenen Reihen: Die Parti de Gauche (PG) von Jean-Luc Mélenchon kommt aus dem Lager der „Non“-Sozialisten, die 2005 den europäischen Verfassungsvertrag ablehnten und sich gegen ein neoliberales Europa aussprachen. Der ehemalige PS-Politiker gründete vor vier Jahren nach dem Vorbild von DIE LINKE die PG. Die ideologischen und real-politischen Verbindungen zur deutschen Linken sind eng. Ähnlich wie DIE LINKE versucht auch die PG, die Lücke links von der Sozialdemokratie zu schließen und sich zum wahren Erbe der sozialistischen Gründerväter zu erklären. So hat sich der Parteivorsitzende Mélenchon in einem Pariser Atelier schon mal eine Büste von Jean Jaurès anfertigen lassen – ein Symbol für die Verortung seiner Opposition. Am ehesten könnte man Jaurès mit August Bebel oder Karl Kautsky vergleichen: Er stand für einen gewaltfreien Weg zum Sozialismus, demokratische Wahlen und stand der Arbeit im Parlament nicht grundsätzlich ablehnend gegenüber. Der Pazifist Jaurès lehnte die Kriegskredite für den ersten Weltkrieg ab und wurde daraufhin von einem Nationalisten erschossen. Seitdem ist Jaurès zum Symbol für einen ehrlichen und humanen Weg zum Sozialismus geworden. Dass die „Parti de Gauche“ sich auf die sozialdemokratischen Wurzeln beruft, ist kein Zufall. Mélenchon und seine Anhänger sehen sich als Bewahrer des Erbes Jaurès’, das durch die Politik der PS in Verruf geraten ist. Denn wie die SPD kämpft auch die PS damit, traditionelle Werte und die „Herausforderungen und Zwänge“ der Globalisierung, Energiewende und der neoliberalen Politik der EU-Institutionen unter einen Hut zu bekommen, was nicht so recht gelingen will.

Mélenchon hingegen ruft seine „Landsmänner“ dazu auf, „Frankreich zu retten“ und Widerstand gegen neoliberale Enteignung zu üben. Angestellte und Arbeiter sollten die Betriebe übernehmen und Kooperativen bilden, um sich gegen das Spardiktat des „Merkel-Sarkozy-Europas“ zu wehren. Das trifft in der Krise den Nerv vieler Linker. Tatsächlich ist auch Mélenchon kein wirklicher Reformer im profunden Sinne: Beim alten Kampf zwischen der „ersten Linken“, den Anhängern von Mitterand, und der „zweiten Linken“, den Getreuen von Michel Rocard, stand der Ex-PSler auf der Seite der ersteren. Während Mitterand für eine traditionell-konservative sozialistische Politik stand, die auf Bewahrung und Modellierung statt auf Sozialismus setzte, stand Rocard für den reformsozialistischen Weg der Dezentralisierung, Selbstverwaltung und Mitbestimmung von Arbeitern und Angestellten. Rocard ist heute längst nicht so radikal wie in den 1960er und 70er Jahren. Mélenchon kommt aus der „konservativen“ Linken, die nun versucht, ihre Werte gegen den Angriff von Globalisierung und neoliberaler Politik zu verteidigen. Die Betonung liegt aber eben deshalb auf Verteidigung. Das erinnert nicht ohne Grund an deutsche Sozialdemokraten und den Gewerkschaftsflügel der Linkspartei, die nach Jahrzehnten der SPD-Mitgliedschaft den eigenen Genossen kündigten, um einen politischen, jedoch keinen theoretischen Neuanfang zu wagen.

Mélenchon und Hollande: Schnee von gestern für die radikale Linke

Die Sozialisten der PS ihrerseits empören sich über die scharfe Kritik des abtrünnigen Sozialisten an Hollande. Vorrangiges Ziel müsse sein, Sarkozy zu schlagen. So denken Mélenchon wie Hollande an Koalitionen. Die Parti de Gauche schloss sich 2009 mit den Kommunisten zur Front de Gauche (Linksfront) zusammen, mit der sie auch in den Wahlkampf zieht. Seitdem hat die Front Zulauf von kleinen Parteien und Intellektuellen erhalten, aber auch Absagen einstecken müssen. Mit den Kommunisten hat sich Mélenchon einen schwachen Partner gesucht. Die Kommunistische Partei Frankreichs (KPF) ist heute eine marginalisierte Partei, die bei den letzten Präsidentschaftswahlen unter zwei Prozent erreichte und nur noch in traditionellen Hochburgen wie der Banlieue Seine-Saint-Denis punkten kann. Noch bis in die 1970er Jahren hatten die Kommunisten eine der größten Anhängerschaften im westlichen Europa, erreichten bei den Wahlen über 20 Prozent und waren für die Sozialisten seriöser Konkurrent und schließlich wichtiger Partner. Diese Allianz trug dazu bei, 1981 dem ersten sozialistischen Präsidenten der V. Republik an die Macht zu verhelfen und der konservativen Epoche seit de Gaulles Machtantritt 1958 ein Ende zu bereiten. Diese Zeiten sind vorbei. Die Front de Gauche knüpft an diese Allianz an, erscheint allerdings wie eine nostalgische Miniaturausgabe.

Für die radikale Linke stellt weder Mélenchon noch Hollande eine Alternative dar. Sie werfen Mélenchon Karrierismus und Nationalismus vor. Zudem nehmen sie dem ehemaligen Sozialisten seine Radikalität nicht ab. So gründete sich 2009 die NPA (Nouveau Parti anticapitaliste), ein Zusammenschluss von Globalisierungskritikern, radikalen Linken und Mitgliedern der ehemaligen trotzkistischen LCR (Ligue communiste revolutionaire). Ihr Kandidat Philippe Poutou wurde schon im Juni gekürt, steht allerdings im Schatten seines populären Vorgängers Olivier Besancenot. Den Antikapitalisten ist die Front de Gauche zu gemäßigt und zu nahe an den Sozialisten: Kandidat Poutou wirft Mélenchon vor, er wolle „nur“ die PS von außen reformieren. Die Anhänger der NPA hingegen können mit den etablierten Sozialisten nichts anfangen. Die Partei ist ein Sammelbecken all jener, die mit dem System der V. Republik sowie der repräsentativen Demokratie im Allgemeinen nichts mehr am Hut haben. Ihre Antworten sind: Verstaatlichung des Bankensektors, Streichung aller Schulden und der Aufruf zum sozialen Kampf über alle Grenzen hinweg. Ihre Arbeit findet vor allem an der Basis statt, in Gewerkschaften, Arbeitskämpfen, für Migranten und in den Université Populaire (Volksuniversitäten), die von NPA-Mitgliedern wie dem Politikwissenschaftler Philippe Corcuff betrieben werden.

Gemeinsam einsam – gemeinsam isoliert

Bei deutschen Betrachtern könnte die Frage aufkommen, warum sich die sogenannte „antiliberale“ Linke in Frankreich – von dem PS-Linken Montebourg über Mélenchon bis zum NPA-Kandidat Poutou - nicht gegen die etablierte Politik zusammenschließen, wie es der linke französische Philosoph Michel Onfray einmal gefordert hat. Diese Frage wird wohl auch in diesem Wahlkampf unbeantwortet bleiben, eine Aussicht auf weitere Zusammenschlüsse gibt es derzeit kaum, Zwietracht dagegen gibt es mehr als genug. Sarkozy muss weg, sind sich alle einig. Ob jedoch der Sozialist Hollande irgendetwas besser machen wird, daran zweifeln viele. Schließlich haben Staatsmänner wie Schröder, Papandreou oder auch Brown die „sozialdemokratische“ Weste in den letzten zehn Jahren nicht mit Ruhm bekleckert. Ein erlösendes Gelächter wird es deshalb vielleicht so oder so nicht geben.

„Wir reden über einen eindimensionalen Arbeitsbegriff“

Beitrag von Thomas Lohmeier und Stefan Gerbing, geschrieben am 06.02.2012

prager frühling: Sie haben die Initiative „Gewerkschafterdialog Grundeinkommen“ mitbegründet. Warum?

Fadime Pektas: Weil ich der Meinung bin, nachdem unser Finanzsystem ein Tsunami nach dem anderen erlebt, unsere Politik immer unfähiger wird und es an der Zeit ist, endlich den Menschen das zukommmen zu lassen, was ihnen immer verwehrt wurde. Ein Leben in Würde zu leben, seine Existenz und Grundbedürfnisse zu sichern. Einen besseren Zugang zu vernünftig bezahlte Arbeitsverhältnisse und vor allem eine selbstbestimmte Zukunftsplanung in Angriff zu nehmen — ohne existenzielle Bedrohung durch eventuell wegfallende Einkommen. Wie es bereits auch in unserem Aufruf steht, die gesicherten, geschützten, auskömmlichen und menschenwürdigen Arbeitsverhältnisse erodieren immer weiter. Arbeit wird immer schlechter entlohnt, Arbeitsrechte und Sozialordnung werden durchlöchert, die Flucht aus Tarifen hat zugenommen. Daher ist nun eine neue Offensive u.a. zu Humanisierung der Arbeitswelt erforderlich.

pf: In Ihrem Aufruf heißt es: „ein solidarisches Grundeinkommen hat viele Vorteile für ArbeitnehmerInnen.“ Was meinen Sie damit konkret?

Pektas: Ein solidarisches Grundeinkommen kann sehr, sehr viele Vorteile für ArbeitnehmerInnen nach sich ziehen. Es wäre zum Beispiel damit eine finanzielle Unabhängigkeit gewährleistet, die gleichzeitig eine verbesserte Ausgangsbasis bei Verhandlungen um ein gerechtes Einkommen/ Entgelt ermöglicht. Zudem hätten ArbeitnehmerInnen eine verbesserte Voraussetzung bei Inanspruchnahme befristeter Auszeiten im Betrieb für berufliche Weiterbildung z.B. für ein Abendstudium, den Meisterbrief oder Ähnliches — ohne existenzielle Bedrohung! Mit einem solidarischen Grundeinkommen wird ein Sockelbetrag fortlaufend gezahlt und ermöglicht somit eine Grundfinanzierung der Auszeit. Oder besonders arbeitslose Menschen wären davon positiv betroffen, die aufgrund der Überschreitung der Einkommensgrenzen des Partners KEINEN Anspruch auf das ALG II haben.

pf: Das Grundeinkommen wird ja nicht nur von linker Seite gefordert. Kritiker befürchten, ein Grundeinkommen könnte zu einer Ausweitung von Kombilöhnen führen, wie wir es jetzt teilweise schon bei Hartz IV sehen. Teilen sie diese Befürchtungen?

Pektas: Das Risiko besteht natürlich und deswegen sehen wir das Thema bGE für ArbeitnehmerInnen ganzheitlich. Das heißt, wir reden auch über weitere flankierende Säulen, wie z.B. Mindestlohn und Bürgerversicherung.

pf: Lohnarbeit ist ja nicht nur relevant, um Einkommen zu erzielen. Lohnarbeitslosigkeit wird ja von vielen betroffenen auch als Ausgrenzung erlebt. Auch gesellschaftliche Anerkennung, die in unserer Gesellschaft oftmals über Lohnarbeit generiert wird, fällt. Schafft ein Grundeinkommen neue Zugangsbarrieren zur Lohnarbeit und stellt Menschen, die gerade keinen Lohnarbeitsplatz haben, einfach ruhig?

Pektas: Lohnarbeit gehört zur derzeitigen typischen Darstellungsform der Menschen in unserer Gesellschaft. Es werden aber auch viele andere Arbeiten erledigt, die derzeit nicht so im Fokus der Gesellschaft stehen und dennoch genauso wichtig sind. Vielleicht gelingt es uns auch eine Diskussion über den Begriff Arbeit anzustoßen. Das ein Grundeinkommen neue Zugangsbarrieren zur Lohnarbeit schafft, ist eher nicht anzunehmen, da ja die neue Freiheit eines bGE die Arbeitgeber zwingen wird, keine neue Hürden aufzustellen.

Auch eine sogenannte Stillhalteprämie sehen wir nicht, da endlich existenzsichernd Geld bei den Menschen vorhanden sein wird, welches auch Initiativen auslösen wird, an die wir heute noch gar nicht denken.

pf: Wirklich? Familienministerin Schröder ist für das geplante Erziehungsgeld nicht nur von FeministInnen scharf kritisiert worden. Wirkt das Grundeinkommen wie eine Art Erziehungsgeld oder Herdprämie für nicht erwerbstätige Frauen?

Pekats: Wir reden eindimensional über den derzeitigen Arbeitsbegriff. Frauen und auch Männer leisten eine hervorragende Arbeit mit Kindern und in der Familie. Das ist Arbeit, die in unserer Gesellschaft gebraucht wird. Warum wird das nicht gesehen?

pf: Sie sind nicht die Ersten, die versuchen Debatten um das Bedingungslose Grundeinkommen in die Gewerkschaften zu tragen. Vor fünf Jahren gab es einen Beschluss z. B. des Ver.di-Bundeskongresses, der die Initiierung eines Diskussionsprozesses forderte. In Berlin gab bereits vor Jahren eine Arbeitsgruppe der IG Metall zum Thema. Hat es einen Diskussionsprozess gegeben oder sind diese Initiativen gescheitert?

Pektas: Uns sind keine groß angelegten Debatten in der Mitgliedschaft unserer Organisationen über das bGE bekannt. Wir möchten mit unserer Initiative ja gerade in den Gewerkschaften eine Debatte zum bGE und über die Vor- und Nachteile anstoßen. Insofern kann man immer mal Anträge auf Kongressen der ver.di und IG Metall wahrnehmen, neben sehr vielen anderen Anträgen, Aber eine mitgliedernahe Diskussion hat bisher, so unsere Wahrnehmung, nicht stattgefunden. Das lag sicherlich auch daran, dass bei Kongressen z.T. über 1000 Anträge diskutiert worden sind.

pf: Alle Mitglieder des Initiativkreises kommen aus Ver.di oder der IG Metall, gab es Reaktionen aus den anderen Teilgewerkschaften?

Pektas: Auf unserer Website gewerkschafterdialog-grundeinkommen haben wir bereits weitere Unterzeichner auch aus anderen Gewerkschaften z. B. der IG Bau gegeben.

pf: Viele der bisherigen Denkanstöße im gewerkschaftlichen Grundeinkommensdiskurs kamen aus dem Spektrum von innergewerkschaftlichen Erwerbsloseninitiativen oder von Arbeitskreisen, die sich mit prekären Beschäftigungsverhältnissen beschäftigten — ist das symptomatisch? Anders gefragt: Die Kritik dieser Initiativen an einer sozialpolitischen Orientierung, die sich an fordistischen Erwerbsarbeitsarbeitsmustern orientiert, leuchtet ein. Was sollte für z. B. eine klassische Industriegewerkschaft wie der IG Metall der Anlass für eine Auseinandersetzung mit dem BGE sein.

Pektas: Die Innovationszyklen in den klassischen Kernbereichen der IG Metall werden immer kürzer. Insofern kann der Begriff von "fordistischen Erwerbsarbeitsmustern" so nicht mehr in Größenordnungen, wie z.B. bis in den 60er Jahren, festgestellt werden. D.h. es werden, sich permanent weiterbildende und mitdenkende, Mitarbeiter gesucht. Die Gewerkschaften inkl. der IG Metall haben durch Hartz IV und Leiharbeit permanenten Druck auf Erwerbsarbeitslöhne feststellen müssen. Gerade diese Situation veranlasst uns zu der Annahme, dass durch ein bGE der Druck auf die guten Löhne abnimmt und damit die IG Metall sich dann auch um die wirklich wichtigen Dinge, zum Beispiel Arbeitsbedingungen der mit Erwerbsarbeit beschäftigten Menschen kümmern kann — zum Beispiel mit dem Projekt „Gute Arbeit“.

Mehr Informationen über die Initiative finden sich auf der Webseite: www.gewerkschafterdialog-grundeinkommen.de.

Der Sozialismus und die CDU

geschrieben am 03.02.2012

Die jüngst bestätigte Beobachtung linker Parlamentarier bietet Verfassungsschützern sowie Hinter- und Vorderbänklern aus CDU und CSU die Gelegenheit, sich u. A. im Ersten bei Günther Jauch und in den Dritten Programmen gehörig aufzuplustern. CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt, meint, die Linke müsse endlich flächendeckend geheimdienstlich beobachtet werden und die frühere CDU-Abgeordnete Vera Lengsfeld sekundiert, man erkenne den verfassungsfeindlichen Charakter der Partei bereits daran, dass sie einen Systemwechsel fordere, die Gesellschaft grundlegend verändern- und einen anderen Staat schaffen wolle. In einem kurzen Einspieler bei Günther Jauch werden Zitate von LINKEN-Chef Klaus Ernst gezeigt, in denen kapitalismuskritisch äußert. Suggeriert wird: Wer von Sozialismus oder einer anderen Wirtschaftsordnung spricht, ist antidemokratisch und gehört geheimdienstlich überwacht.
Es ist ein beliebter rhetorischer Kniff, den politischen Gegner dafür zu loben, dass er früher schlauer war. Wenn aber heute die CDU an Positionen, die sie noch vor einigen Jahrzehnten vertreten hat, erinnert werden muss, so schon deshalb tun, um die falsche Annahme, dass der Kapitalismus grundgesetzlich geschützt sei zu korrigieren. Mittlerweile muss man dies aber auch tun, um ehrenwerte Konservative vor ihren heutigen Parteifreunden zu schützen. Dier Erinnerung an das Ahlener Programm der CDU könnte ein guter Anlass zur Reflexion sein.
Heute vor 65 Jahren, am 3. Februar 1947 verabschiedete der Zonenausschuss der CDU für die britische Zone das sogenannte Ahlener Programm. Es beginnt mit den Worten: „Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden. Nach dem furchtbaren politischen, wirtschaftlichen und sozialen Zusammenbruch als Folge einer verbrecherischen Machtpolitik kann nur eine Neuordnung von Grund aus erfolgen.“ Es wurde „die Vergesellschaftung der Bergwerke“ gefordert und die Notwendigkeit Machtkonzentrationen in großen Unternehmen, „die die Freiheit des Staates gefährden kann“ zu begegnen, formuliert. Das Ahlener Programm war kein Ausreißer, sondern das Ergebnis einer Diskussion über die Folgerungen aus dem Nationalsozialismus für ein künftiges demokratisches Staatswesen. Diese Diskussion begann teilweise noch in den Konzentrationslagern der Nazis. Eugen Kogon, wegen seines bahnbrechenden Werks „Der SS-Staat“ eher Historikern als Autor bekannt, hatte bereits in seiner Haftzeit in Buchenwald und beeinflusst durch Diskussionen mit sozialdemokratischen Mithäftlingen Ideen eines „christlichen Sozialismus“ entwickelt. Bereits 1945 verfasste er mit weiteren Persönlichkeiten die Frankfurter Leitsätze der CDU. Auch in diesen heißt es klar: „Wir bekennen und zu einem wirtschaftlichen Sozialismus auf demokratischer Grundlage, und in folgender Form: Wir erstreben die Überführung gewisser großer Urproduktionen, Großindustrien und Großbanken in Gemeineigentum […] Sinn und Zweck aller sozialistischen Maßnahmen ist nicht die Verstärkung der Macht des Staates oder gar seiner Kriegsmacht, wie es in den nationalsozialistischen und anderen Wirtschaften der Fall war, sondern ihr unmittelbares Ziel ist die Schaffung eines […] ,möglichst hohen Wohlstandes der breiten Massen unseres Volkes.“
Letztlich setze sich diese „linke“ Strömung in der CDU nicht durch. Es waren neben Linken gerade auch die progressiveren Anhänger der katholischen Soziallehre, die für die in Artikel 14 des Grundgesetzes formulierte Offenheit der Wirtschaftsordnung eintraten. Männer wie Alexander Dobrindt könnten etwas mehr Demut zeigen, wenn Sie gegen Sozialisten wettern. Schließlich befindet sich sein Berliner Bundestagsbüro in einem Haus, das ebenfalls nach einem benannt wurde, der sich zum „Sozialismus aus christlicher Verantwortung“ bekannte: Paul Löbe. Das Haus wird noch stehen, wenn Dobrindt einiges Tages kein Abgeordneter mehr ist.

Was sich der Demokrat Dobrindt wünscht …

Beitrag von Thomas Lohmeier, geschrieben am 30.01.2012

Schlagworte:

demokratie, dobrindt, geheimdienst, linke

Dobrint lebt seine Unterdrückungsfantasien aus.

Volker Beck, Parlamentarischer Geschäftsführer der GRÜNEN Bundestagsfraktion spricht aus, was offensichtlich ist: Die Erwägungen von CSU-General Dobrindt, DIE LINKE je nach Erkenntnisstand des Geheimdienstes verbieten zu lassen, wären Ausdruck seiner Unterdrückungsphantasien. Würde Dombrindt seine Phantasien ausschließlich in konsensualen SM-Spielchen ausleben, müssten diese allerdings nicht weiter interessieren. Doch leider beherrschen sie auch seine politische Agenda.

Betrachten wir seine am Sonntag im Ersatzparlament “Günter Jauch” vorgetragenen Erwägungen, DIE LINKE bei Bedarf verbieten zu lassen, also politisch. Dann wird deutlich, dass es sich bei Dobrindt nicht um den Psychopathen handelt, für den Beck ihn hält - er outet schlicht seine antidemokratische Gesinnung. Ein Verbot der LINKEN zielt nämlich letztlich weniger auf die Partei DIE LINKE als vielmehr darauf, gewerkschaftliche, linksliberale und klassisch-sozialdemokratische Positionen, gerade auch innerhalb der SPD und des DGB, außerhalb der demokratischen Ordnung zu stellen und Bündnisse mit der LINKEN zu deligitimieren.

Dobrindt will nicht DIE LINKE treffen, sondern eine politische Strömung, die politisch gewerkschaftsorientiert und ökonomisch keynesianistisch ist und die im Grunde nichts anderes fordert als die Sozialdemokratie der 1970er und 1980er Jahre (vielleicht sogar bis zum Regierungsantritt Schröders). Dies ist auch der eigentliche Grund, weshalb sich entgegen der landläufigen Meinung nicht die K-Gruppen-verdächtigen Bundestagsabgeordneten, sondern in der überwiegenden Mehrheit ostdeutsche LinkssozialdemokratInnen der LINKEN unter Überwachungsstatus des Geheimdienstes wiederfinden. Es geht ihm, wie einst Bismarck, um die Einführung eines “Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie” - welche sich heute parteipolitisch allerdings nicht mehr in der SPD, sondern in der LINKEN organisiert.

Der Kampf um die Demokratie, die durch die Erpressungen der Finanzmärkte schon geschwächt genug ist, geht nun offenbar in die entscheidende Phase. Und dass es darum geht, bestätigt letztlich sogar die Kritik des FDP-Generals Döring an Dobrindt, der sich mit den Worten, dass durch ein Verbot noch lange nicht die Gesinnung aus der Gesellschaft verbannt würde, zitieren lässt - Dörings Formulierung erinnert nicht zufällig an bekannte Argumente gegen ein NPD-Verbot.

Wenn es Dobrindt und die CSU schaffen, politische Opposition (und nicht das Verbot von politischer Opposition) als undemokratisch zu markieren, sind alle Elemente eines legitimen, politikfähigen antidemokratischen Diskurses vorbereitet. Käme es zum Verbot der LINKEN, könnte man von Deutschland schwerlich noch von einer Demokratie sprechen. Deshalb ist es höchst irritierend, dass bisher weder SPD noch Grüne Dobrindts Rücktritt forderten. Finden sie es normal, dass eine Regierungspartei einen Generalsekretär haben darf, der offen zur geheimdienstlichen Bespitzelung und zum Verbot einer demokratischen Partei aufruft? Kann man jemanden, der eine demokratische Partei verbieten lassen will, einen Demokraten nennen? Es mag sein, das Dobrindt nur als bayerischer Bauer vorgeschickt wurde, um die Möglichkeiten der Transformation der Demokratie in einen autoritären Krisenbewältigungsstaat, wie ihn die Griechen schon erfahren dürfen, auszutesten. Nun ist ein Bauer nicht die entscheidende Figur im Schachspiel - aber dennoch kann er sehr gefährlich werden, wenn man ihn nicht abräumt oder gar bis zur Grundreihe kommen lässt.

Jetzt mag es noch absurd anmuten, aber früher oder später wird es, wenn solche Positionen im demokratischen Diskurs als sagbar gelten, dazu kommen, dass jedwedes gewerkschaftliche oder sozialstaatliche Engagement außerhalb des "Konsens der Demokraten" gestellt, wenn nicht gar kriminalisiert wird. Dobrindts Überlegungen zeigen daher eine neue Qualität der politischen Auseinandersetzung an, die nur sehr bedingt etwas mit der LINKEN als Partei zu tun hat. Sollte sich dieser Diskurs verfestigen, also nicht nur die Überwachung der LINKEN als legitim gelten, sondern sogar ihr Verbot erwogen werden, befinden wir uns in einem Kampf um die demokratische Verfasstheit des Landes, die vielleicht nur noch mit jener zu Zeiten der Spiegel-Affäre zu vergleichen ist. An Dobrindts Verbleib im Amt wird sich zeigen, ob diese Runde der Schlacht um die Demokratie an die Demokraten oder an die Antidemokraten geht.

Brief an alle Geheimleser

Beitrag von Deckname Dennis, geschrieben am 23.01.2012

Der Spiegel berichtet, dass prager-frühling-Mitherausgeberin und Redakteurin Katja Kipping vom Verfassungsschutz beobachtet wird, da sie bekanntermaßen der Partei DIE LINKE angehört. Sieben Mitarbeiter beschäftigen sich beim Bundesamt mit der Partei, Personalkosten von rund 390.000 Euro entstehen jedes Jahr. Allerdings werde Kipping nicht nachrichtendienstlich „überwacht“, lediglich öffentlich zugängliche Quellen wie Zeitungen oder Redemanuskripte würden ausgewertet. Toll, dass wir aufmerksame Geheimleser haben. Dachten wir zumindest bis zum Blick in die AbonnentInnendatei. In Köln abonnieren nur altgediente Genossinnen, eine Hand voll Freundinnen aus der Ökobewegung, zwei ehemalige AutorInnen, ein stadtbekannter Kleinkünstler sowie eine öffentliche Bibliothek. Niemand aus der Meridianstraße 100 wo das Amt residiert.

Enttäuschend! Da schreiben wir tagein, tagaus und die Geheimdienstler lesen entweder nur die Onlineausgabe oder blockieren das einzige Bibliotheksexemplar. Wir wollen ja gar nicht, dass wir wie führende Thüringer Kameradschaftsnazis jede Woche 800 DM, respektive 400 Euro zugesteckt bekommen. Aber so viel Geiz ist nicht geil. Ein Abo könnte schon mal drin sein, liebe Spitzel.

In Dresden, dem Wohnort von Kipping ist man Schnüffelei gewohnt – die im Volksmund liebevoll „Staasi“ genannte Staatsanwaltschaft schneidet gern die Handydaten von ganzen Antinazidemonstrationen mit. Und auch das historische Vorbild, hat in den 1980er sich einiges Einfallen lassen, um die Überwachten zumindest vorübergehend bei Laune zu halten. (Ein Stasispitzel sang im Dresdner Underground und sorgte sogar für die Entstehung des ersten ostdeutschen Punkalbums im Jahr 1983.) Die Konsequenzen für die Überwachten waren allerdings auch deutlich krasser. Also ist es vielleicht doch ganz gut, wenn die einzige geheime Verschlusssache, in welcher unser kleines Magazin vorkommt, die Darmverschlusssache – als Klolektüre in der WG - bleibt.

Wo bleibt die europäische Linke?

Beitrag von Redaktion, geschrieben am 18.12.2011

"Doch was tut die europäische Linke? Wo ist sie? Man sieht sie nicht, man hört sie nicht", so Alban Werner in seinem neuestem Beitrag zum Thema EU-Finanz- und Wirtschaftskrise. Der EU-Raum sei mittlerweile ein System "Postdemokratie 2.0.", in der die Finanzmärkte der Souverän sind und erbarmungslos Austerität und Sozialabbau durchsetzen; allen Regierungen, ob sozialdemokratisch oder konservativ, bliebe nur der Vollzug dieses Regimes. Mit seinem Befund "Keynesianismus oder Barbarei" knüpft Werner an den Toppik unserer Redaktion nach einem "Eurosozialismus" als Alternative zum Neoliberalismus und Nationalkeynesianismus an, wie er auch von linksgewerkschaftlicher Perspektive in unserem Magazin bereits diskutiert wurde.

"Deswegen hilft nur eins: die europäische anti-neoliberale Linke muss das Recht an sich reißen, die BürgerInnen Europas wieder zum Souverän zu machen, und sei es nur symbolisch. Alle anti-neoliberalen Gewerkschaften und Parteien könnten ein »wildes Referendum« ausrufen", ist Alban Werners Vorschlag für ein gemeinsames europäisches Handeln der linken Kräfte - als Notbremse. Alban Werners Beitrag findet ihr hier: "Der Griff nach der Notbremse".

Der Griff nach der Notbremse

Beitrag von Alban Werner, geschrieben am 18.12.2011

1. So viel Krise war nie!

Wenn es jemals eine Zeit gab, in der die radikaldemokratischen Alarmglocken der politischen Linken links von Sozialdemokratie und Grünen (»la gauche de gauche«, wie man in Frankreich sagt) zu recht laut geschlagen haben, jetzt ist sie da. Wie Albrecht von Lucke schmittianisch zum Ausdruck gebracht hat, sind nicht mehr die BürgerInnen der Souverän, von dem doch eigentlich die Staatsgewalt ausgehen sollte. Nein, Souverän sind die Finanzmärkte, denn sie entscheiden über den Ausnahmezustand. Und der Ausnahmezustand ist heute auch nicht mehr zu erkennen an Panzern, die proletarische Barrikaden blutig einreißen oder an Bombardements des Präsidentenpalastes. »Counter-Revolution used to come with tanks. Today, it comes with banks« (Darko Suvin). Wenn die Rating-Agenturen den Daumen nach unten senken, dann wird schon mal so eben ein Regierungschef beiseite geschafft, dem alle Generalstreiks, Strafprozesse, internationale öffentliche Empörung und selbst ekelerregende Sex-Skandale nichts anhaben konnten. Dem Kapital ist nicht egal, wer unter ihm regiert.

2. Postdemokratie 2.0

Gerade erst konnten viele Menschen in den Politik zugeneigten sozialen Schichten die Konstellation der vergangenen zwei Jahrzehnte auf einen Begriff bringen – den der Postdemokratie. Damit bezeichnet der britische Wirtschaftssoziologe Colin Crouch eine Situation, in der die Demokratie zwar formal intakt bleibt oder sogar gestärkt wird, allerdings inhaltlich ausgehöhlt wird. Denn die Masse der Menschen hat im Grunde keine Wahl mehr – es macht keinen Unterschied, ob Konservative oder SozialdemokratInnen regieren, weil sie alle ohnehin nur reale oder vermeintliche Sachzwänge des kapitalistischen Weltmarktes als dessen treue Magd in praktische Politik umsetzen. Der neoliberal-kapitalistische Einheitsbrei regiert die Welt mit seinem Rezept einer Deregulierung der Wirtschaft, von Privatisierung öffentlicher Güter und von Sozialversicherungen, Umbau des Sozialstaates zu einem »Wettbewerbsstaat«, der sich zunehmend repressiv und stigmatisierend gegen Unterstützungsbedürftige wendet. So weit, so schlecht. Doch wie uns die Gegenwart aufzeigt, geht es immer noch schlechter. Wir sind, um es mit der Sprache unserer Zeit auszudrücken, in der Postdemokratie 2.0 angekommen.

3. Wo Recht das Kapital beschränkt, wird Unrecht zur Pflicht

Inzwischen wird auch vor Recht und Gesetz kein Halt mehr gemacht. Selbst die formale Struktur der Demokratie – von manchen linksradikalen KritikerInnen schon immer als bloße Fassade kapitalistischer Klassenherrschaft entlarvt – muss und darf jetzt beiseitegeschoben werden, wenn es daran geht, die Souveränität der Finanzmärkte durchzusetzen. Wie schrieb schon Marx im »Kapital«: Wo Recht gegen Recht steht, entscheidet die Gewalt. Sie entscheidet sich jetzt dazu, lächerlich gewordene, aber zumindest mit einem Mandat ihrer Wählerschaft ausgestattete Regierungen auszuwechseln gegen die Marionetten von Merkozy, um das Drehbuch des radikalen Staats- und Demokratieumbaus Satz für Satz durchzusetzen. Und das Drehbuch sagt: »Deregulierung der Wirtschaft, Privatisierung von öffentlichen Gütern und Sozialversicherungen, Umbau des Sozialstaates zu einem ‚Wettbewerbsstaat‘, der sich zunehmend repressiv und stigmatisierend gegen Unterstützungsbedürftige wendet«. Kommt uns das nicht bekannt vor?

4. Wo bleibt die europäische Linke?

Doch was tut die europäische Linke? Wo ist sie? Man sieht sie nicht, man hört sie nicht. Dabei wäre nichts dringender, als dass man sie sieht und hört. Niemals war eine starke, anti-neoliberale Allianz dringender als jetzt. Niemals wurde mit mehr Recht behauptet, dass ein »ein Weiter so« die Katastrophe ist – die soziale Katastrophe für Millionen von Menschen, die jetzt schon begonnen hat. Von den Hoffnungsschimmern der Bewegungen wie »Occupy« oder den »Empörten« alleine darf sich die partei- und gewerkschaftspolitisch organisierte Linke nicht zu viel erhoffen. Es ist gut, dass es »Occupy« gibt – aber sie haben bei weitem nicht die politische Durchschlagskraft entwickelt wie ihr reaktionäres Gegenstück, die Tea Party. Und außerhalb der USA werden sie es auch nicht schaffen, weil ihnen überall sonst die Voraussetzungen des amerikanischen Parteiensystems fehlen, in dem auch ein Halbverrückter wie Ron Paul es zum anerkannten Berufspolitiker mit einer organisierten Basis bringen kann. Nein, in Europa muss das organisatorische Gerüst eines anti-neoliberalen Widerstandes von der partei- und gewerkschaftspolitisch formierten Linken kommen. Die Gegen-Hegemonie entsteht in der Fabrik, in den Büros und Betrieben, nicht auf den Zeltplätzen.

5. Brüning reloaded - europaweit

Mit den Beschlüssen des EU-Rates in der zweiten Dezemberwoche soll der Neoliberalismus in allen Mitgliedstaaten Verfassungsrang erhalten. Wenn Merkel und Sarkozy sich damit durchsetzen, drohen dunkle Jahrzehnte. Das dumme Gewäsch um Haushaltskonsolidierung haben wir lange durchschaut – Schuldenbremsen dienen in Wahrheit zur Kastration der Wirtschaftspolitik. Sie unterbinden die Möglichkeit, Vollbeschäftigung durch gute Arbeit für alle durchzusetzen, selbst wenn es dem Kapital nicht schmeckt. Übrig bleibt allein der Brühning’sche Weg des Kürzens, bis es überall quietscht und kracht. Es ist kein neuer Faschismus, der uns dann droht – jede marxistische Analyse verbietet eine solche Analogie. Aber der innere Zerfall der Gesellschaften mit massiver Ghettoisierung, dauerhaftem Ausschluss ganzer Bevölkerungsteile, deutlich zunehmender Kriminalität und einer Polarisierung von arm und reich, wie wir sie bislang nur von Bananenrepubliken kennen – all das ist kein hysterisches Schreckensszenario mehr, sondern steht schon in Umrissen vor der Tür.

6. Die Rezepte haben wir, was uns fehlt, ist das Volk

Noch nie so richtig war die von Linken oft gerne benutzte Vokabel des Scheidewegs. Heute heißt sie: Keynesianismus oder Barbarei. Die Linke links von Sozialdemokratie und Grünen ist jetzt tatsächlich die einzige Kraft, die über ein politisches Programm verfügt, das die absehbare Spirale von autoritärer Austerität, sinkendem Wachstum, mehr Armut, noch höheren Schulden, noch mehr Austerität, noch mehr Armut, noch weniger Wachstum usw. stoppen kann. Sie hat bislang das große Problem: sie kommt oft nicht vor. Die bundesdeutschen Medien üben sich in einer phänomenal konsequenten, geradezu kriminellen Ignoranz und Dummheit gegenüber den politischen Vorschlägen, die nicht in ihr freiwillig neoliberal gleichgeschaltetes Weltbild passen. Dabei ist das einzige, was jetzt helfen kann, ein öko-sozialer Keynesianismus 2.0, und zwar nicht zu knapp. Ökologisch muss das Programm der Linken sein, weil in den »grünen« Sektoren noch erhebliche Wachstumspotentiale stecken. Sozial muss er sein, weil es an vielen Dienstleistungen für die Menschen fehlt, die für PrivatanbieterInnen nicht profitabel sind und für Geringverdienende nicht bezahlbar sind; weil es massive Sofortprogramme zur Bekämpfung der Erwerbslosigkeit bei jungen älteren Menschen braucht; und: sozial muss er auch sein, weil die Postdemokratie nur noch dann zu überwinden ist, wenn die überall fiskalisch notwendigen Investitionsprogramme sich bei den sozial Benachteiligten positiv niederschlagen, die bislang faktisch von der Politik aufgegeben und gedemütigt worden sind.

7. The Revolution will not tweeted – jetzt nach der Notbremse greifen!

Die Grünen haben nicht den Rückhalt und die Sozialdemokratie weder das Rückgrat, noch das intellektuelle Rüstzeug, um die Rettung, nein, die Rückholung der Demokratie anzustoßen. Sigmar Gabriel und Cem Özdemir streben keine wirkliche Alternative zu Angela Merkel an, sondern nur eine Austerität »mit menschlichem Antlitz«. Diesen Soundtrack kennen wir schon zu genüge. Der wichtigste Hinweis kommt vom »gefährlichsten Mann Europas«, Oskar Lafontaine, und von Jean-Luc Mélénchon, dem Präsidentschaftskandidaten der französischen Linksfront. Sie fordern eine Volksabstimmung zu den EU-Verträgen, deren schlechte wirtschaftspolitische Ordnungsbestimmungen dank Merkozy auf dem Weg zwischenstaatlicher Verträge weiter verschlechtert werden sollen – natürlich ohne Befragung des Pöbels, versteht sich.

Die beiden haben völlig recht: Die Menschen in Europa sind zusammengebunden, ob sie wollen oder nicht. Sie sollten gemeinsam die Wahl haben – nicht nur bei der Wahl des ohnehin viel zu schwachen Europäischen Parlaments. Doch Merkozy wollte noch nicht einmal die griechische Bevölkerung zwischen Pest und Cholera abstimmen lassen. Erst recht werden sie keine Abstimmung über wirkliche Alternativen dulden.

Deswegen hilft nur eins: die europäische anti-neoliberale Linke muss das Recht an sich reißen, die BürgerInnen Europas wieder zum Souverän zu machen, und sei es nur symbolisch. Alle anti-neoliberalen Gewerkschaften und Parteien könnten ein »wildes Referendum« ausrufen, wie der Linksblock vor zwei Jahren in Frankreich gegen Privatisierungspläne zur staatlichen Post. Die BürgerInnen der EU würden alle für den gleichen Tag zur Abstimmung aufgerufen, alle zur gleichen, wirklich politischen Entscheidungsfrage: Wollt Ihr weiter das Austeritätsregime von Sarkozy und Merkel? Oder wollt Ihr die Alternative der Linken, namentlich einen öko-sozialen Keynesianismus plus (Re)Demokratisierung?

Wenn alle linken Formationen von Portugal bis Griechenland mit diesem Angebot an die Menschen gehen, können ihre Inhalte nicht mehr einfach ignoriert werden. Die sterile Forderungslosigkeit der »Occupy-Bewegung« würde ebenso überwunden wie das deprimierende Sprechmonopol des Neoliberalismus und seiner weichgespülten Scheinalternativen. Wenn linke Formationen mit einem Programm um die Köpfe und Herzen der Menschen kämpfen, um sie zu mobilisieren, haben sie wenig Zeit, sich um Nichtigkeiten zu streiten oder zu spalten. Plakate müssen (legal oder klandestin) aufgehängt, Flugblätter verteilt, Infostände besetzt, Wahllokale eingerichtet und alle BürgerInnen benachrichtigt wählen. Gegen die zu erwartenden Diffamierungen der bürgerlichen Presse muss sich gemeinsam zur Wehr gesetzt werden. Unnötig zu sagen, dass eine Linke, die ihren Namen verdient, auch alle hier lebenden MigrantInnen mit abstimmen lässt.

Dass ein »wildes Referendum« nicht verbindlich ist, ist kein Argument – denn dass selbstz Generalstreiks in den einzelnen Ländern es alleine nicht bringen, hat sich schon gezeigt.

Mein Vorschlag ist bestimmt nicht der Bestmögliche dafür, was die Linke tun könnte. Aber zumindest bringt er sie europaweit an einen Tisch. Wenn die europäische Linke es nicht schafft, sich auf ein Programm zu einigen und die Rettung der Demokratie in Gang zu bringen, kann sie sich für die nächsten Jahrzehnte gleich im dunklen Loch verkriechen. Besser wäre es, sie versucht, das Ruder herumzureißen.

Walter Benjamin schrieb in einem seiner letzten Manuskripte:

»Marx sagt, die Revolutionen sind die Lokomotive der Geschichte. Aber vielleicht ist dem gänzlich anders. Vielleicht sind die Revolutionen der Griff des in diesem Zuge reisenden Menschengeschlechtes nach der Notbremse«.

In Europa wird es Zeit, die Bremse zu ziehen.

Germany´s next Parteivorsitzender

Beitrag von Tim Tiger, geschrieben am 11.12.2011

Parteien sind oligarchisch strukturiert. Das gilt auch für DIE LINKE. Stets bestimmen Berufspolitiker_innen die Agenda. Sie sind vom politischen System der BRD, von der Wiederwahl oder vom Haushalt der Partei abhängig. Reden halten, Gegner denunzieren, Mehrheiten organisieren – das gehört für Abgeordnete und Mitarbeiter_innen, Geschäftsfüher_innen und Strömungsfunktionäre zur Routine. Sie dominieren die innerparteiliche Willensbildung oder vollziehen Zwänge des politischen Systems nach. Um wählbar zu bleiben, muss man die Drogenlegalisierung aufweichen (Gysi) und den Ordoliberalismus und die soziale Marktwirtschaft gut heißen (Wagenknecht). Und selbst bei so genannten „basisdemokratischen“ Bestrebungen nistet sich das oligarchische Moment ein: Sollen diejenigen, die in Bürgerhäusern und Mehrzweckhallen ihre Freizeit mit Sitzungen verbringen, nun einfach die Letztentscheidung über alle sonstigen Mitglieder erhalten, die leider nicht am innerparteilichen Sitzungsmarathon teilnehmen können oder wollen? Was also unter dem „ehernen Gesetz der Oligarchie“ – wie der Soziologe Robert Michels die Tendenz in modernen Parteien kennzeichnet – eine demokratische Entscheidung darstellt, ist schwer zu bestimmen. Erst recht, wenn es um die Führungsfrage geht, wenn Personen, Programme, Qualität und Umfang der medialen Präsenz zusammentreten und heruntergekocht werden, dass ein einfaches Ja oder Nein zur Person X oder Y die Kardinalentscheidung ist, wenn Verfahren von den Funktionären meistens schon so bestimmt werden, dass ihre Favoriten jeweils bevorteilt sind: Gestern war man noch spontan für große Mitgliederentscheide, um dann nach kleinen mathematischen Übungen im Zählen der erwartbaren Stimmen, ganz dagegen zu sein.

Für die Bestimmung der nächsten Parteivorsitzenden in der Partei Die LINKE liegen konkret zwei Vorschläge auf dem Tisch: Die einen favorisieren einen Mitgliederentscheid, die anderen wollen die Entscheidung auf dem Parteitag. Welchem Verfahren wird es eher gelingen das oligarchische Moment zumindest kurzzeitig etwas zurückzudrängen?

Der Parteitag als Ausdruck der Oligarchie

Entgegen landläufiger Auffassung sind die Parteitage der deutlichste Ausdruck innerparteilicher Oligarchie. Die Delegierten, gerade von Bundesparteitagen, bestehen größtenteils auf Abgeordneten, Mitarbeiter_innen und Kommunalparlamentarier_innen, aus Funktionären also, die direkt vom politischen System abhängig sind und sich keine eigene Urteilskraft leisten können, weil sie auf Wiederwahl und Loyalität ihres Unterstützernetzwerks angewiesen sind. Das Perfide an Parteitagen ist, , dass sie diesen Umstand systematisch verdecken: Auf dem Parteitag verkleiden sich Berufspolitiker_innen als einfache Mitglieder, inszenieren sich als demokratischer „Souverän“, üben sich in sozialistischer Folklore und Volkstümlichkeit, um Entscheidungen, die vorher verhandlungsbasiert getroffen wurden, nochmal „demokratisch“ nachzuvollziehen. Natürlich wird es möglich sein den nächsten Parteivorsitzenden einfach auf einem Parteitag zu wählen. Die Oligarchie wird jedoch schön verschleiert und die Mitentscheidungsmöglichkeiten für die Mitglieder der Partei bleiben außen vor.

Probleme des Mitgliederentscheids

Deshalb ist ein Mitgliederentscheid eine attraktive Alternative. Hier könnten alle Mitglieder mitentscheiden. Klassisch stellt sich bei solchen Verfahren allerdings das Problem der Mehrheitsbildung: Ist auf diesem Wege eine breit getragene Entscheidung möglich, die mehr als 55% der Partei hinter sich vereint und zur Stabilisierung beiträgt? Und vor allem stellt sich die Frage der Qualität: Wie gestaltet die Partei den Vorlauf eines Mitgliederentscheids? Ist es für die Mitglieder möglich sich umfassend über die Kandidaten zu informieren, selbst Anforderungen an mögliche Kandidaten zu formulieren und gemeinsam über die Zukunft ihrer politischen Heimat zu beratschlagen? Bisher ist es der LINKEN nicht gelungen breit getragene Willensbildungs- und Diskussionsprozesse zu organisieren, wieso sollte es ihr bei der sensiblen Führungsfrage gelingen?

Alternative: Planungszellen

Eine mögliche Alternative zu diesen beiden Verfahren würde in aleatorischen Planungszellen, im losbasierten Zwang zur Beratung bestehen. Und zwar könnte nach einer Vorlaufphase, in der die jeweiligen Kandidaten für den nächsten Geschäftsführenden Vorstand ihre Vorstellungen zur Zukunft der Partei durchs Land tragen, ein Losverfahren stattfinden: In den Landesverbänden werden entlang einer Losziehung Planungszellen zusammengesetzt, die bspw. aus 20 Mitgliedern bestehen könnten. Hier könnten weitere Quotierungen greifen, etwa eine Frauenquote von 50% und eine Funktionärsquote, die besagt, dass nur max. 5 Mitglieder der Planungszelle in materieller Abhängigkeit zu Partei und politischem System stehen dürfen. Die rein zufällig, nach Losverfahren zusammengesetzten Planungszellen hätten einen Vorschlag für die Parteiführung zu unterbreiten und zu begründen. In einem weiteren Schritt könnte eine Bundesplanungszelle über die Personalien beraten und einen gemeinsamen Vorschlag für den Parteitag vorbereiten. Damit wäre eine Loslösung der Beratung von den Großkopferten gewährleistet, Dieter Bohlen wäre durch Gerda Müller abgesetzt, eine Ent-Oligarchisierung der Verhandlung also. Damit würden die mobilisierenden Aspekte des Mitgliederentscheids allerdings entfallen.

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