Prager Frühling, Magazin für Freiheit und Sozialismus (www.prager-fruehling-magazin.de)
Redaktionsblog

Bericht vom Parteitag in Erfurt

Beitrag von Redaktion, geschrieben am 19.10.2011

prager frühling war live dabei und hat die Generaldebatte schon im Vorhinein mitgeschnitten.

Viele wollten, doch nur wenige konnten. Von den 80 Wortmeldungen, die beim Tagespräsidium abgegeben wurde, konnten schließlich nur zwanzig berücksichtigt werden

Die Debatte wurde durch Aline Müller eröffnet, die als Vertreterin des Frauenplenums sprach: Der Feminismus der Linkspartei dürfe nicht nur im Programm stehen, sondern die Praxis der Partei prägen. Auch deshalb unterstützt das Frauenplenum den Programmvorschlag des Parteivorstandes. Mit der quotierten Spitze mache die Linke deutlich, dass sie ein feministisches Profil habe. Müller nannte unter anderem die Forderung nach einer Abschaffung des Ehegattensplittings und einer kostenfreien Kita-Versorgung.

Ihr folgte Rainer Holzschuh aus dem Landesverband Mecklenburg-Vorpommern, der die parteiinternen Turbulenzen der letzten Monate in den Mittelpunkt rückte. Unter lautem Klatschen bedankte er sich nochmals beim ehemaligen Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch für seine Verdienste um die Partei. Holzschuh kritisierte die Diffamierungskampagnen gegen sog. Reformer, gleichzeitig plädierte er dafür, den Blick nach vorne zu richten: Die Linke sei ein Erfolgsprojekt. Eitelkeiten und persönliche Angriffe müssten jetzt zurücktreten. Die Linke wolle das Land verändern.

Hainer Wittelberg aus dem Kreisverband Krefeld knüpft an diese Forderung an. Die Linke habe deshalb Erfolg, weil sie die Interessen der Mehrheit der Menschen in Deutschland vertrete: Also gegen Hartz IV, die Rente mit 67 und gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr. Dieser Markenkern dürfe nicht aufgeweicht werden, diese Mindestbedingungen gelten auch in Regierungsverantwortung. Wittelberg trat dafür ein, die Bündnisbildung mit den Gewerkschaften auszubauen. Gegenwärtig seien SPD und Grüne noch auf Agenda 2010-Kurs und deshalb kein Bündnispartner.

Erschreckend wenig habe sie bisher über das Thema Wirtschaftspolitik und Finanzkrise gehört, erklärte die Delegierte Hella Bledemeier aus Wanne-Eickel. Die Bundesregierung mache Politik zu Gunsten der Finanzmanager und Bänker. Die Linke müsse deutlicher herausstellen, dass sie angesichts der Wirtschafts- und Finanzkrise für einen tatsächlichen Systemwechsel sei. Dies müsse in der Programmdebatte Berücksichtigung finden. Nur wenn die Linke eine Alternative zum Kapitalismus hätte, würde sie an Glaubwürdigkeit gewinnen.

Aus dem Kreisverband Neu-Ruppin trat dann Hans-Werner Böllinger ans Mikrofon. Mit einer Initiative für ein Sozialticket sei es vor Ort gelungen, ein Bündnis mit Kirchen und Gewerkschaften zu bilden. Die Kommunalpolitik sei das eigentliche Standbein der Linken und dürfe nicht vernachlässigt werden. Nur wer vor Ort und nah bei den Menschen Präsenz zeige, sei ein guter Linker, rief er dem Parteitag unter lautem Klatschen zu.

Daraufhin wurde der Parteitag kurz unterbrochen. Auf der Bühne wurde ein großes Transparent ausgerollt, auf dem der streikenden Belegschaft der Klärwerke Unterhachingen die Solidarität erklärt wurde. Als Gastredner berichtete der Betriebsrat Karl-Heinz Wildmoser über die Auseinandersetzung der Belegschaft und übergab dem Parteivorsitzenden Klaus Ernst eine Mitgliedserklärung in der Linken: „Ich bin dabei. Auf mich könnt ihr zählen.“

Nachdenklichere Worte stimmte Mandy Weissenbrunner von der Kommunistischen Plattform an. Gegen die Versuche, die DDR als Unrechtsstaat zu diffamieren, sei Wachsamkeit gefragt. Immerhin hätte es in der DDR kostenfreie Bildung und Gesundheitsversorgung gegeben. Kritik übte Mandy Weissenbrunner am vorliegenden Programmentwurf. Die Auswüchse des Kapitalismus müssten deutlicher und ungeschönter benannt werden. Schließlich sei DIE LINKE eine sozialistische Partei.

Ausgangspunkt für den Redebeitrag von Hans Katzenmeier, Mitglied in der AG Bildung des LV Hamburg, war das Tuchholsky-Zitat: „Es wird schlechter, wenn es besser wird und die Sozialdemokraten verrieten alles“. Schon damals sei die SPD kein Bündnispartner gewesen und die sonstigen Emanzipationsbestrebungen müssten in der Partei deutlich werden statt mit Makenkernen, Labeling usw... die Sprache der Bourgeoisie zu kopieren.

Dann sprach eine Vertreterin des Jugendverbandes zur Situation junger Menschen. Man könne die Generation schon als Generation Krise bezeichnen. Die Jugend warte auf deutliche Kapitalismuskritik und konsequente Politik der Linken. Insbesondere sei zu verhindern, dass DIE LINKE zu einem Anhängsel der SPD werde. Junge Menschen müssten ein stärkeres Gewicht in der Partei erhalten. Ein Mittel dafür sei eine Jugendquote für alle Gremien.

Antje Falluzi aus Schleswig-Holstein berichtete darauf hin von linker Politik im ländlichen Raum. Noch immer würde die Politik der LINKEN zu sehr aus Berlin gemacht. Nur eine Verankerung vor Ort könne das Überleben der Partei sichern.

Die Linke erkennt man an ihrem konkreten Gebrauchswert. Das ist die Forderung, die Maria Wollenberg vom Forum demokratischer Sozialismus (FDS) aufstellte. In Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, im Saarland und Thüringen: Die Linke wolle regieren und habe Erfolge in Regierungsverantwortung vorzuweisen. Sie sei auch auf Bundesebene bereit, gemeinsam mit SPD und Grünen Regierungsverantwortung zu übernehmen. Sie bemängelte, dass errungene Fortschritte der PDS wieder rückgängig gemacht würden: In der PDS sei man schon mal weiter gewesen. Sie habe Bauchschmerzen, weil die Ost-Landesverbände nicht angemessen repräsentiert seien.

Dem widersprach Marko Schupinski von der Antikapitalistischen Linken. Die Linke dürfe mit den Sozialabbau-Parteien nicht zusammenarbeiten. Die Regierungspolitik in Berlin und Brandenburg schade der Glaubwürdigkeit der Linken im Westen massiv. Nur eine kompromisslose und konsequente Politik sei die richtige Antwort auf den Neo-Liberalismus.

Darauf hin stellte ein Vertreter des Studierendenverbandes Die Linke.SDS den Bildungsstreik in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. In über 60 Städten hätten sich die SDS-Gruppen an Streikaktivitäten und Protesten beteiligt. Jetzt gelte es die Aktivitäten fortzusetzen. Außerdem habe der SDS im vergangenen Jahr 4 Zeitungen, 30 Lesekreise, einen Kongress mit 1500 Teilnehmern und ein Seminar organisiert. Das könne sich sehen lassen.

Gegen den drohenden Sozialkahlschlag durch schwarz-gelb sei Gegenwehr nötig, rief Herbert Hermanns von der sozialistischen Linken den Delegierten zu. In den kommenden Monaten gehe es darum, Protest auf der Straße zu organisieren und die Tarifauseinandersetzung solidarisch zu begleiten. Noch immer seien die Gewerkschaften in den Fängen der SPD. Die Linke müsse zur Zusammenarbeit bereit sein und die Gewerkschaften, die Kampforganisationen der lohnabhängig Beschäftigen als wichtigsten Bündnispartner begreifen. Ohne starke Gewerkschaften und ein Richtungswechsel bei der SPD, sei kein Politikwechsel machbar. Die Linke solle sich nur dann an Regierungen beteiligen, wenn kein Stellenabbau in öffentlichen Dienst stattfindet.

Marlies Maurenberger aus dem Ortsverband Eichsfeld begrüßte die Delegierten mit einem aufheiterndem: Glück auf, aus dem Eichsfeld! Sie freue sich auf die neue Linke und die anstehende Programmdebatte. Die Linke müsse den Bürgerinnen und Bürgern bessere Konzepte für eine vernünftige Politik anbieten. Dabei sei eine Reform der Kommunalfinanzen entscheidend. Man solle jedoch aufpassen: Es dürfe nicht nur geredet, es müsse auch gehandelt werden, damit bei den Bürgerinnen und Bürger Vertrauen wachsen kann.

Harry Neuvorländer von der emanzipatorischen Linken stellte die Sinnfrage: Im Zusammenhang mit der Programmdebatte müssten die Begriff deutlicher geschärft und herrschaftsfrei diskutiert werden: Welchen Begriff von Arbeit haben wir eigentlich? Welchen Begriff von Demokratie? Was heißt für uns eigentlich Bildung? Entscheidend sei, dass die Linke ihre Politik als emanzipatorischen Lernprozess begreift.

Aus dem Fraktionsvorstand der Bundestagsfraktion ergriff Peter Heinz das Wort. Er zeichnete ein düsteres Bild der schwarz-gelben Regierungspolitik und warnte vor der Einführung der Kopfpauschale. Das solidarische Gesundheitswesen werde so zerschlagen. Deshalb plane die Bundestagsfraktion eine große Kampagne dagegen und lädt alle Interessierten ein sich daran zu beteiligen.

Abschließend sprach Lieselotte Pulverfaß vom Parteivorstand. Die Generaldebatte zeige, dass die Linke zum kulturvollen Streit zurückfinden könnte, wenn sie nur wollte. Man dürfe sich nicht von den bürgerlichen Medien auseinanderdividieren lassen, entscheidend sei, dass die Herausforderungen der Zukunft angenommen würden. Es sei deutlich geworden, dass die Linke die passenden Antworten auf die Herausforderungen der Zeit und die nötige inhaltliche Substanz dafür habe.

Anmerkung der Redaktion: Die aufgeführten Aussagen sind natürlich frei erfunden. Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen und Gruppen sind rein zufälliger Natur und von der Redaktion nicht intendiert.

Wer schweigt, ist vielleicht nur unsicher

Beitrag von Peter Ullrich, geschrieben am 10.10.2011

Seit dem Frühjahr 2011 schwelt eine medienöffentliche und innerlinke Debatte über Antisemitismus in der Linkspartei. Sie basierte nicht zuletzt auf dem medialen Hype um eine bisher nur vorab veröffentlichte Studie von Samuel Salzborn und Sebastian Voigt, in der der Partei „Die Linke.“ ein konsensualer antizionistischer Antisemitismus vorgeworfen wird.

Die Debatte hatte sich schon beruhigt, da legte die Jungle World (Nr. 30/2011) nach. Hinter einem witzigen Titelblatt („Die Ein-Parteien-Lösung vor dem Durchbruch“), verbargen sich Beiträge, die im Grad ihrer Analysekraft stark variierten. Der Beitrag von Samuel Salzborn mit dem Titel „Wer schweigt, stimmt zu“ gehört sicher nicht zu den Glanzlichtern. Die von vielen Seiten massiv vorgetragene Kritik wird von ihm rundweg zurückgewiesen.

Wieder einmal wird – dies scheint mir konstitutiv für die gesamte Diskussion und viele der Beteiligten auf 'beiden' Seiten zu sein – mit Rechthaberei und identifikatorischem Beharren die Chance auf Beteiligung an einem kollektiven Diskussionsprozess verspielt, das kurzzeitig aufscheinende Potenzial für ein Innehalten, Nachdenken und Revidieren oder zumindest Annähern von Positionen vergeben. Leider bin ich selbst nicht ganz unverantwortlich für eine Steilvorlage, die es Salzborn erlaubt, sich der inhaltlichen Kritik zu entziehen.

Ich habe in der taz vom 14.6. in einem Kommentar die Debatte und der undifferenzierten Diskussion kritisiert, obwohl die Autoren tatsächlich kritikwürdige Vorfällen innerhalb der Linken ansprechen, die zumindest eine Grauzone zwischen Palästinasolidarität und Antisemitismus berühren.[1] Jedoch, so steht es da mit meinem Namen, würden die Autoren der Studie diese Beispiele fahrlässig verallgemeinern. Die im Kommentar aufgezählten Fälle problematisierbaren linken Verhaltens waren jedoch nicht in der Studie enthalten, sondern entstammten der späteren, ergänzenden Berichterstattung über diese. Ein etwas unglücklicher redaktioneller Überarbeitungsprozess hat das durcheinandergeworfen. Nun steht in der taz etwas, was faktisch falsch ist. Mein Argument ist durch dieses Missgeschick jedoch nicht beeinträchtigt und es lautet wie folgt:

Die Verfasser der Studie und die berichtenden Medien legen einerseits den Finger in eine Wunde, die dringend der weiteren kritischen Erörterung bedarf, indem sie darauf hinweisen, dass auch Linke nicht vor Antisemitismus gefeit sind und dass Antisemitismus von links sich in Gestalt des Antizionismus materialisieren kann. Dies haben Autoren wie Thomas Haury, Klaus Holz oder Martin Kloke für die Geschichte der insbesondere anti-imperialistischen Linken nicht nur in Deutschland nachgewiesen.[2] In meiner eigenen Arbeit „Die Linke, Israel und Palästina“[3] habe ich untersucht, wie der Israel-Palästina-Konflikt, aber auch andere Ereignisse wie der Irakkrieg zu Katalysatoren einer Radikalisierung von Positionen werden können, in denen die Identifikation mit Konfliktakteuren in eine Überidentifikation umschlagen kann.[4] Diese ist gekennzeichnet durch die Verwischung der Grenzen zwischen sich selbst und einer identifizierten Opfergruppe sowie die kritiklose Unterstützung dieser Seite und die ebenso homogenisierende Ablehnung der jeweiligen anderen Seite, was bis hin zu antisemitischen und rassistischen Differenzkonstruktionen reichen kann und damit zum Aufgeben des linken Universalismus. Ausgehend von einem in der Geschichte der Linken weit zurückreichenden zionismuskritischen Bias[5] kommt es zu solchen Positionen nicht zuletzt in der Palästina-Solidaritätsbewegung. Zu Recht wird Teilen der Linken daher eine Israel-Obsession vorgeworfen. Diese kann sich in Solidarisierungen mit der Hamas äußern – trotz ihres Antisemitismus (der dann bestritten oder bagatellisiert wird) und ihrer Mordanschläge. Sie zeigt sich in einer mangelnden historischen Sensibilität, die die moralischen Imperative und spezifischen, insbesondere jüdischen Befindlichkeiten, die von der Shoah ausgehen, ignoriert.[6] Sie zeigt sich in einer Dämonisierung Israels und in Verschwörungstheorien.

Ein großer Teil der Autor_innen, die sich mit dieser Obsession in kritischer Absicht befassen, ist jedoch selbst Produkt eines solchen Prozesses sukzessiver Radikalisierung der Identifikation mit einer Opfergruppe. Nur, dass sich die antideutschen/proisraelischen Positionen aus einer Kritik des linken Antisemitismus heraus gebildet haben und entsprechend die Annahme eines jüdischen Opferstatus konstitutiv für ihre Positionierung wurde und im Verlaufe der 90er Jahre bis kurz nach der Jahrtausendwende ebenso obsessiv wurde. Hauptmerkmal solcher identifikatorischer Positionierungen ist der andauernde Versuch, Ambivalenzen einseitig aufzulösen, was sich u.a. in selektiver Aufmerksamkeit niederschlägt. Und so erklärt sich, dass Antisemitismuskritiker_innen in einer Boykottforderung nur den diskursiven Anschluss an den nationalsozialistischen Judenboykott sehen können (und ihn entsprechend als antisemitisch denunzieren). Sie überlegen nicht, ob der Boykottgedanke aus einer anderen Perspektive betrachtet (Israel hält die palästinensischen Gebiete völkerrechtswidrig mit einer unerträglichen Politik besetzt und die gegen die Besatzung gerichtete Palästina-Solidarität muss sich eingestehen, dass sämtliches bisherige Agieren offensichtlich nicht dazu in der Lage war, Fortschritte in Richtung einer dauerhaften Friedenslösung zu erzielen) nicht auch verständlicher sein könnte.[7] Auch dies gelingt nur durch die Auflösung einer Ambivalenz der Hamas (die eine in ziemlich jeder Hinsicht reaktionäre Organisation ist und doch auch Ausdruck der palästinensischen Besatzungserfahrung). Indem der Antisemitismus, den es unbestritten im palästinensischen Widerstand gegen die Besetzung gibt, nicht als ein, sondern als das konstitutive Moment ausgemacht wird, kann Israel in dieser Konzeption v.a. Opfer bleiben, trotz seiner militärisch, politisch und wirtschaftlich klaren Überlegenheit.

Solcherart verfestigte Wahrnehmungsmuster ermöglichen es pro-likudistischen Strömungen einen antisemitischen Konsens in der Linken zu unterstellen, obwohl zwei gewichtige Gründe dagegen sprechen.

Zum ersten ist kaum eines der kursierenden Kriterien, wie das Boykottbeispiel zeigt, ein eindeutiger Indikator für Antisemitismus, sondern meist Ausdruck einer Grauzone, in der linke Positionierungen nach rechts anschlussfähig werden können – in Abhängigkeit von den Motiven der Akteure, den diskursiven Kontexten und Rezeptionsmöglichkeiten. Zum zweiten nehmen Salzborn und Voigt unzulässige Generalisierungen vor. Deren Unzulässigkeit resultiert aber nicht, wie Salzborn in der Jungle World ausführt, aus einem positivistischen Wissenschaftsverständnis oder einer quantitativen Methodologie, sondern daraus, dass die Autoren ohne methodische Aussagen zum Vorgehen und der Beispielauswahl zu ihrer These passende Einzelbelege aufführen (allerdings auch wichtige zum Verständnis erforderliche Kontextinformationen unterschlagen) und viele nicht passende (bspw. zur gegensätzlichen Beschlusslage der Partei) verschweigen oder bagatellisieren. Meine eigenen (ebenso der qualitativen Methodologie verpflichteten) Untersuchungen zeigen jedenfalls deutlich eines: wer schweigt, stimmt nicht unbedingt zu. Schweigen in der Nahostdebatte ist zum einen Resultat eines Rückzugs aus der Diskussion aufgrund von Diffamierungserfahrungen nach Äußerungen zur Thematik. Die seit Jahrzehnte geführte Debatte war immer auch von Diffamierungen, Ausgrenzungen, starken Vorwürfen (NS- & Antisemitismusvorwürfe gelegentlich bis zur absoluten Beliebigkeit inflationiert) und zum Teil auch physischer Gewalt geprägt.

Da die innerlinke Nahostdiskussion ein vom realen Nahostkonflikt abgelöstes Eigenleben führt, welches man als 'Nahostkonflikt' zweiter Ordnung begreifen kann, sich mit anderen innerlinken Konfliktlinien (in der Partei „Die Linke.“ bspw. mit dem Konflikt zwischen so genannten Reformern und antikapitalistischen Strömungen) und Grundkonflikten der deutschen politischen Kultur verbindet wird der Diskurs stark ritualisiert. Die ritualisierten Floskeln sollen die bestehenden Ambivalenzen und Konflikte (bspw. zwischen erinnerungspolitischer Sensibilität gegenüber jüdischen Befindlichkeiten und internationalistischer Anti-Besatzungs-Haltung) überspielen. Die Ritualisierung (und damit der Versuch, Themen der Reflexion zu entziehen) befördert jedoch einen Bekenntniszwang und kleinste Zweifel drohen das durch diese Ritualisierung stabilisierte Gebäude zum Einsturz zu bringen – mit dem Resultat umso heftigerer Kämpfe um das Festhalten am 'richtigen' Ritus und der großen Gefahr persönlicher Verletztheiten.

Wichtiger im Fall der Linkspartei ist vielleicht ein zweiter Grund für das häufige Schweigen, dass nämlich die Nahostdiskussion angesichts gänzlich anderer politischer Prioritäten als Nebenschauplatz begriffen wird. Und wenn dieser Diskurs für Teile der radikalen Linken antideutscher wie antiimperialistischer Provenienz noch so identitätsstiftend ist, hat sie doch sehr wenig mit der Realität politischer Auseinandersetzungen bspw. im sozial- und wirtschaftspolitischen Bereich zu tun, die für große Teile der Linkspartei aber eindeutig im Vordergrund stehen. Würde jedoch Nichtübereinstimmung in einem Thema, wie Salzborns Argumentation nahelegt, die Notwendigkeit sofortigen Parteiaustritts implizieren, wäre keine politische Organisation möglich, da Partei, wie Salzborn wissen sollte, heute immer mehr bestenfalls Interessenskoalitionen sind, aber zum Scheitern verurteilt wären, würde sie auf absolute Übereinstimmung in allen – auch in für sie nicht einmal vordergründig wichtigen Fragen – setzen.

Zum dritten kann das Schweigen aber auch in der Verweigerung einer deutlichen Positionierung gründen, weil die Komplexität des Feldes leichtfertiges Parteiergreifen oder Aburteilen eigentlich verbietet. Die gelaufenen Diskussionen hatten nämlich nicht nur verhärtete Frontenbildungen zur Folge, sondern auch immer größere Teile der Linken ergreifende Lernprozesse, die zur Ausbildung von komplexeren „Mittelpositionen“ führten, die die Widersprüchlichkeit der möglichen Sichtweisen und Handlungsoptionen akzeptieren. Die Crux von solchen ist jedoch, dass sie nicht so leicht zugespitzt kommunizierbar sind. Aber zum ex-post-Beweis sind die Schweigenden nun tatsächlich gefordert, ihre Ambivalenz in programmatische Beschlüsse und aktive, post-identitäre Politik umzusetzen.


[1] http://www.taz.de/!72395/.

[2] Haury, Thomas 2002: Antisemitismus von links. Kommunistische Ideologie, Nationalismus und Antizionismus in

der frühen DDR, Hamburg; Holz, Klaus 2001: Nationaler Antisemitismus: Wissenssoziologie einer Weltanschauung, Hamburg; Holz, Klaus 2005: Die Gegenwart des Antisemitismus, Hamburg; Kloke, Martin W. 1994: Israel und die Deutsche Linke. zur Geschichte eines schwierigen Verhältnisses, 2. erw. & akt. Aufl., Frankfurt.

[3] Peter Ullrich: Die Linke, Israel und Palästina. Nahostdiskurse in Großbritannien und Deutschland, Berlin: Dietz, online: http://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/Texte_48.pdf

[4] Vgl. dazu auch Ullrich, Peter 2010: Der Nahostkonflikt – Spielfeld für einen neuen Antisemitismus von links? Ein internationaler Diskursvergleich, in: Hawel, Marcus; Blanke, Moritz (Hrsg.): Der Nahostkonflikt. Befindlichkeiten der deutschen Linken, RLS-Texte 66, Berlin.

[5] Vgl. Haury, a.a.O., Keßler, Mario (Hrsg.) 1993: Arbeiterbewegung und Antisemitismus. Entwicklungslinien im 20. Jahrhundert, Bonn; Ullrich, Peter 2007: Begrenzter Universalismus. Sozialismus, Kommunismus, Arbeiter(innen)bewegung und ihr schwieriges Verhältnis zu Judentum und Nahostkonflikt, Kleine Texte 26, Berlin: Aphorisma

[6] Graumann, Dieter 2011: Befreiung aus dem Kerker des Israelhasses, http://www.sueddeutsche.de/politik/die-linke-und-die-juden-befreiungsschlag-missglueckt-1.1110274

[7] Zur Debatte um die Boykottbewegung vgl. Vogler, Kathrin; Forberg, Martin; Ullrich, Peter 2011: Königsweg der Befreiung oder Sackgasse der Geschichte? BDS | Boykott, Desinvestition und Sanktionen. Annäherungen an eine aktuelle Debatte. AphorismA Verlagsbuchhandlung, Berlin, Reihe: Kleine Texte, Nr. 38, ISBN 978-3-86575-538-4.

Ich muss mal austreten ...

geschrieben am 06.10.2011

Alexander Wallasch erklärt, warum er mal austreten muss ... bei facebook ... und was das mit ihm macht. Badbye facebook!

Badbye Facebook

Beitrag von Alexander Wallasch, geschrieben am 06.10.2011
R.I.P. facebook

Ich bin jetzt profillos. Ich bin abgemeldet. Bei Facebook. Ich bekomme jetzt Facebook second-hand: Die angeblich spannendsten Facebook-Postings und Kommentare via E-Mail von Ex-„FB-Freunden.“. E-Mails als Methadon vom Facebook-Entzug. Denn klar, den gibt es natürlich. Als ich zum Ausstieg aufrief lautete die verzweifelte Antwort: „Aber wohin sollen wir dann?“ Wie tief sitzt die Sucht? Ich bin mal ehrlich: Ich erinnere mich daran, sogar nachts aufgestanden zu sein, um etwas zu posten, zu kommentieren oder einfach nur um Reaktionen auf meine Postings oder Kommentare nachzuschauen.

Jetzt schreibe ich offline, in Word. Der kleine schmucklose Cursor blinkt. Also streng genommen „Bleistift und Papier“. Ein Gefühl wie bei Brot und Wasser? Nein, denn ein Gedanke entwickelt sich, weitere Gedanken kommen dazu. Eine Idee entsteht. Eine weitere. Und dann lese ich etwas, das mir so gefällt, wie mir früher Sachen gefallen haben, denen ich die Zeit gelassen habe, die sie eben brauchen. Und tatsächlich: Ich fange an, meine natürliche Geschwindigkeit wiederzufinden. Vielleicht hat das sogar etwas mit einem Biorhythmus zu tun. Mit natürlicher Geschwindigkeit. In meinem Format. In meinem Cluster. Jawohl: Der Ernstfall ist wieder eingetreten. Und das fühlt sich gut an. Facebook ist die Probebühne. Schreiender, lauter, vergesslicher. Oder einfach dümmer.

Per E-Mail klopfen mir Noch-Facebooker auf die Schulter. Klar: Süchtige muntern sich gegenseitig auf. Fast so, als gäbe es einen Ausstiegskonsens. Aber auf Methadon fehlt dieser spezielle Kick. Das weiß eben jeder. Das macht es so schwer. Diese rauschhafte Punktlandung eines schnellen Kommentars, der einen laschen Thread erst richtig zum Leuchten bringt. Ein vielfach ge-like-ter kurzer Kick mit einer Wirkzeit – typisch Sucht! – die mit der Zeit immer kürzer geworden ist. Immunität gegen Facebook? Oder reine Überlebensstrategie?

Facebook: Ein paar machen den Lead, andere orientieren sich. Und so bleibt es dann Thread für Thread. Alle sind süchtig nach ein bisschen Bekanntheit und das bedient Facebook eben leider perfekt. Omnipräsent. Ein übles Gesellschaftsgeschwür. In Zukunft will Facebook-Zuckerberg, das wir unser ganzes Leben auf das Facebook-Profil pressen. Aber Pustekuchen im Facebook: kein Aufschrei, kein panisches Verlassen, keine plötzliche Erkenntnis. Ja doch: Ein Verhalten wie im stillen Auge einer Massenpsychose. Das Schweigen der Lämmer. Freiwillige Aufgabe von Autonomien, die doch im Laufe des Erwachsenwerdens so mühevoll errungen wurden. Ich bin sicher: Wäre Facebook in Flaschen abgefüllt, hätten wir ein beängstigenden Maß an Beschaffungskriminalität, die hilflos machen würde. Ich bin jetzt nicht mehr im Facebook. Und ich bin auch sicher: Nein, man kann nicht nur ein bisschen Facebook sein. So wie man nicht ein bisschen heroinabhängig sein kann. Aber das Entscheidendste: Es geht um unsere Daten, es geht um Verwertung von Daten, es geht um Datenschutz, es geht um Auslieferung – und wer das alles zulässt, der stellt Freiheit in Frage. Freiheit ist in der Demokratie fest eingebettet. Aber Facebook steht mit der Demokratie auf Kriegsfuß. Facebook ist ein hässliches Kind unserer Zeit. Eine Zeit in der Demokratie kein absoluter Wert mehr und sie in Frage zu stellen längst kein Tabu mehr ist. China und Russland sollen gute „Freunde“ bleiben. Und was war mit der Facebook-Revolution? Wer an so einen Medien-Quatsch glaubt, der postet auch Bilder von seinen Katzen und wünscht seinen „Freunden“ jeden Abend drei Mal hintereinander „Gute Nacht!“ und steht dann trotzdem 25 Min. später wieder auf. Einsamkeit. Elend. Traurigkeit. Und das hundertfach ge-like-t.

Ich behaupte obendrauf noch – und auch davon bin ich zutiefst überzeugt: Das Alles ist auf kurz oder lang ein Vernichter von Meinungsvielfalt. Ein übler Gleichmacher. Nicht mal nur aus sich heraus, sondern noch viel mehr über vorauseilenden Gehorsam. Freiwillige Selbstkontrolle. Und die war schon immer der Feind der Vielfalt. Diese läppisch gleichförmigen Profile entwickeln sich zu Brutkammern für Blogwart-Charaktere. ‚Das ist antisemitisch, jenes rechtsradikal, anderes wieder Porno oder verdächtig kinderfreundlich.’ Die Denunziation als Volkssport einer andere – aber letztlich auch sich selbst – verachtenden Klientel. Was daraus folgt und sich immer mehr durchsetzt, ist ein wachsendes Bedürfnis nach Anti-Freiheit. Facebook als fiese Konzentrationsmaschine. Alles konzentriert sich in einem Facebook-World-Areal und die fleißigen Wächter-Bienen holen ihren sternschnuppigen Promistatus aus der Anklage. Was für eine Zukunft. Wenn der Blogwart drei mal schreit: VERWARNUNG ! ULTIMATUM! AUSSCHLUSS!

Nein, Facebook ist keine öffentlich-rechtliche Anstalt. Aber wer weiß heute überhaupt noch den Unterschied? Ja doch, ein Problem ist eben auch, das Jüngere heute überhaupt nicht mehr über die Erfahrung verfügen, was ist, wenn neuralgische Institutionen und Industrien in Gemeinschaftsbesitz sind: Straßenbahn, Stadtwerke, Badeanstalten, Telefonnetze, Bahnverkehr. Zukunftsforscher sind sich einig – Facebook wird zum Lebensmittelpunkt einer neuen Weltgemeinschaft werden. Aber diese neue Weltgemeinschaft wird sich in Privathand befinden.

Das ist doch das eigentlich Erschreckende. Die hohe Facebook-Akzeptanz läuft synchron mit einer Akzeptanz der fehlenden Kontrolle und fehlenden rechtsabgesicherten Einflussnahme auf so ein weltumspannendes Organ wie die Facebook-Plattform.

Jetzt, wo wieder Banken verstaatlicht werden mussten um dem Wahnsinn Einhalt zu gebieten, geht dem einen oder anderen jungen Bürger vielleicht doch noch ein Licht auf, das auch an anderer Stelle Potential für Schieflagen vorhanden sein könnte. Aber der Wutbürger in Deutschland ist über 45. Bei den Jüngeren verpufft das „Vorsicht!“-Signal auf einer mit Katzenbildern und „Guten Nacht“-Wünschen zugemüllten Pinnwand. Zwei, drei Kommentare, vielleicht sogar mit letzter Kraft ein Posting, und schon ist der ganze Druck vom Kessel. Und damit hat sich auch eine Erkenntnis verflüchtigt, die früher, als der Feind der Freiheit noch hinter dem eisernen Vorhang verborgen schien, elementar war: Wir haben in unseren westlichen Gesellschaften einen hohen Rechtsstandard – bzw. ein hohes Unrechtsgefühl – das ohne unsere penetrant andauernde Gegenwehr mehr und mehr auf ein niedriges globales Weltniveau eingeschmolzen wird. Ein verheerender Fehler. Und umso mehr eine der wichtigsten zukünftigen Staats- und Bildungsaufgaben: Auf diesen Missstand aufmerksam machen! Transparenz anstreben und sichern. Wir versündigen uns dabei übrigens nicht nur an unseren Nachfahren, sondern ebenso an unseren Vorfahren, die dieses Rechtsbewusstsein mühsam gegen die gekrönten Zuckerbergs der Vergangenheit erkämpft haben. Deshalb: Einen Zuckerberg sollte man als das darstellen, was er ist: Ein einzelner Mensch mit zu viel Machtfülle. Mit einer obszönen Form von Macht, die nicht in Privathände gehört. Kürzer gesagt: Facebook gehört unabhängig kontrolliert: Da hilft es nicht dubios und positivistisch von einer „Selbstkontrolle“ zu fabulieren oder gar anzunehmen, Probleme würde sich im Facebook aus sich heraus regulieren. Nein: Dafür braucht es eine verantwortliche Verwaltung, eine mit staatlicher Macht ausgestattete Kontrollbehörde. Eine, die Verantwortung trägt. Und eine die uns Rede und Antwort stehen muss. Oder noch kürzer: Austreten. Abmelden. Tatsachen schaffen. Nicht Profil sein, sondern Mensch mit Profil. Also Anti-Facebook.

Alexander Wallasch ist Autor, Journalist und Texter. Sein Roman „Hotel Monopol“ (Alexander Wall) beschreibt ein „erschreckend lebendiges Panoptikum“ (DIE WELT), bevölkert von Menschen auf ihrem Weg nach ganz unten. Wallasch ist Kolumnist für SUBWAY. Für die TAZ entdeckte er Andreas Baaders Plattenliste und besuchte einen Bauern, der überhaupt keine Frau sucht. Der fünffache Familienvater findet etwas anderes als eine linke politische Positionierung fast unanständig.

Das T-Shirt zum facebook-Austritt kann hier bestellt werden.

Was ist Recht?

Beitrag von Thomas Lohmeier, geschrieben am 22.09.2011

Schlagworte:

papst, religion

Wie wird Recht gesetzt, fragte Joseph Ratzinger heute vor dem Deutschen Bundestag. Durch ihn selbst natürlich, wäre die knappe und passende Antwort gewesen. Als Stellvertreter Gottes ist er unfehlbare, rechtsetzende Gewalt. Deshalb versteht sich der Staat, als dessen Oberhaupt er heute vor den Abgeordneten sprach, auch als „absolute Monarchie“ – „Staatsoberhaupt ist der Papst, der die volle Legislative, Exekutive und gerichtliche Gewalt ausübt“, steht auf der Webseite des Vatikans. Man fragt sich vor diesem Hintergrund natürlich schon, was das Staatsoberhaupt eines mittelalterlichen Staates dazu qualifiziert, vor einer demokratisch gewählten Volksvertretung darüber zu philosophieren, wie Recht gesetzt werden kann und soll.

Offen werben für die göttliche Staatsform des Vatikanstaates konnte der Monarch vor dem Bundestag natürlich nicht, das wäre unschicklich gewesen. Also wählte er das Terrain der Rechtsphilosophie und sprach über Naturrecht und Positivismus, Vernunft und Religion, suchte nach Wahrheit und Gerechtigkeit mit dem Ziel, den Abgeordneten eine göttliche Wahrheit hinter der menschlichen Vernunft aufzuzeigen. Der wissenschaftliche Vernunftbegriff führe zur „Kulturlosigkeit“ warnte der Oberhirte, als seien moralische und normative Regeln nur aus der Religion heraus ableitbar und nicht aus einer vernünftigen demokratischen Ordnung selbst heraus. Um seinen Gedanken zu veranschaulichen, wählte er die Ordnung der Natur, hinter der er einen hören Sinn vermutete. Dabei könnte man ihm mit Joumana Haddad, die heute in der konservativen Tageszeitung DIE WELT viele Gründe gefunden hat, nicht an Gott zu glauben, entgegnen: „Ich glaube nicht an Gott, weil dieses Universum ein Wunder ist, das jenseits seiner Möglichkeiten liegt.“

Aber ein deutscher Papst weiß eben, was seine Landsleute momentan beschäftigt. Fast hätte man bei dieser Passage daher glauben können, der Sinn der päpstlichen Rede bestünde darin, den GRÜNEN zu göttlichen Höhenflügen bei Wahlen verhelfen zu wollen. Aber „Propaganda“ für eine Partei wolle er natürlich nicht machen, stellte der Papst gleich klar. Den Hinweis, dass die Partei, für die Werbung er nicht machen wollte, einfach zu viel Unchristliches – denken wir nur an das Teufelszeug der eingetragenen Lebenspartnerschaft für Homosexuelle – angerichtet hat, um seinen Wahlsegen zu erhalten, brauchte es dafür nicht einmal.

Doch wollen wir an dieser Stelle nicht zu sehr über rechtsphilosophische Fragen streiten. Denn: Nicht an ihren Worten, an ihren Taten sollt ihr sie erkennen, sagte einst der Sohn vom Chef des Papstes. Aus dieser Perspektive fällt heute eine andere Nachricht auf: »Schluss mit den vordemokratischen Zuständen in kirchlichen Wirtschaftsunternehmen!« forderte ver.di-Bundesvorsitzender Frank Bsirske auf der gerade stattfindenen ver.di-Bundeskonferenz und kündigte eine »Aktionswoche Diakonie« an. Worum geht es da? In kirchlichen Einrichtungen – nicht nur in katholischen – ist das Streikrecht außer Kraft gesetzt, Mitarbeiter können entlassen werden, wenn sie aus der Kirche austreten oder werden gar nicht erst eingestellt, wenn sie konfessionell ungebunden sind. Meinte der Papst diese göttlichen Zustände, als er über Recht und Gerechtigkeit redete, weil in seinen Sozialkonzernen MitarbeiterInnen für einen höheren Zweck, die Liebe am Nächsten nämlich, arbeiten und nicht primär für ihren Arbeitslohn? Wer da streikt, so die christliche Logik, verstößt gegen den heiligen Sinn seiner Arbeit und gehört aus dem christlichen Sozialkonzern ausgestoßen. Das ist tatsächlich Recht – leider nicht nur göttliches, sondern weltliches in einem fundamentalistischen Deutschland, das von der Trennung zwischen Kirche und Staat nicht viel mehr hält als etwa der Iran. Das ist das Recht, wie es der Papst versteht und wie es – das muss hier auch gesagt werden – auch die protestantischen Christenmenschen richtig finden.

PS: Der Papst ist übrigens nicht zum ersten Mal Gegenstand unseres Blogs. Wir möchten daher noch auf zwei Beiträge hinweisen, die hier schon vor einiger Zeit veröffentlicht wurden:

Satire: Mummenschanz und schwule Schweine
Von Uwe Schaarschmidt

Wenn das der Papst gewusst hätte ...
Von Thomas Lohmeier

für ein neues zeitregime!

Beitrag von Katja Kipping und Kolja Möller, geschrieben am 22.09.2011

Schlagworte:

feminismus

Öffentlich sichtbar sind gegenwärtig Fragen der Geschlechtergerechtigkeit vor allem dadurch, dass erfolgreiche Frauen auf Blockaden stoßen. Sei es auf die Männerbünde in den Vorständen der DAX-Konzerne oder auf Probleme in der Vereinbarung von Karriere und Kindererziehung. Um diese Problemlagen entstehen in den Medien Role-Models, also Vorbilder, die sich seit einigen Jahren im Feuilleton im Begriff der Alpha-Mädchen kristallisieren. Den Männerbünden setzten die Alpha-Mädchen Frauennetzwerke entgegen. Auf die klassische Frauenbewegung jedoch guckt die Erfolgsfrau skeptisch. Zwar wurde viel erreicht, aber mit den klassischen Sujets sowie mit strukturellen Lösungsansätzen will man nichts zu schaffen haben.

Linke Beiß-Reflexe gegen Alphamädchen

Linke Kreise wiederum reagieren häufig mit einem Beiß-Reflex gegen die Alpha-Mädchen oder gegen Autorinnen wie Bascha Mika, deren Buch den provokanten Titel „Die Feigheit der Frauen“ trägt. Ihnen gehe es – so die Kritik – nur um individuellen Erfolg. Dabei gerieten Forderungen nach sozialen Infrastrukturmaßnahmen oder nach Lohngerechtigkeit ins Hintertreffen. Der aufstiegsorientierten Lebenskunst wird das kollektive Handeln solcher Frauen entgegengesetzt, die eben nicht auf dem Chefsessel, sondern an der Kasse bei Schlecker sitzen. Viel wichtiger als die Frage, wer im Chefsessel sitze, sei schließlich die Abschaffung der Chefsessel. Während die einen also darauf setzen, das Problem durch kollektive Infrastrukturmaßnahmen, wie ein flächendeckendes Kita-Netz, in den Griff zu bekommen, konzentrieren sich die anderen auf Lebensführungsmodelle, die Rollenmuster sprengen.

Unproduktive Frontstellung

Wir halten diese Frontstellung für unproduktiv. Beide Ansätze, sowohl der sozialdemokratische Feminismus als auch der rein individualistische Erfolgschauvinismus, tendieren dazu, in Spielarten der – wenn auch unbeabsichtigten – Komplizenschaft mit dem Patriarchat zu kippen. Denn die Alpha-Mädchen spielen mit der auf ihren individuellen Erfolg begründeten Absage an strukturelle Lösungen dem Patriarchat in die Hände. Da einige es ja geschafft haben, sind die anderen Frauen offensichtlich selber schuld. Während die Beiß-Reflexe gegen den Griff nach den Chefsesseln wiederum wunderbar die patriarchalen Ressentiments gegen Karriere-Frauen bedienen. Zudem lassen sie unberücksichtigt, dass der Widerstand gegen Aufstiegsblockaden kein individuelles Phänomen ist. Eventuell haben die Alpha-Mädchen ja ein kollektives Bewusstsein, auch wenn es sich nicht in den klassischen Formen der Politik artikuliert? Zentral ist also die Frage der politischen Artikulation. Es muss gelingen, einen gemeinsam geteilten Deutungshorizont zu etablieren, der Aufstiegs- und Vereinbarkeitsblockaden in eine Kritik der patriarchalen Gesellschaft einbettet. Vom italienischen Kommunisten Antonio Gramsci können wir lernen, dass die jeweilige gesellschaftliche Hegemonie nicht ausschließlich von Massenkämpfen herrührt. Vielmehr geht es auch um Lebensformen, um Fragen der Lebensführung und ihrer öffentlichen Repräsentation. Diese Lebensformen sind allerdings von der Kooptation, also ihrer Einbindung in den herrschenden Machtblock nicht gefeit. Kurzum: Ein zeitgemäßer Feminismus geht nicht ohne Modelle der Lebensführung und in diesem Kontext werden Frauen in Chefsesseln eine Rolle spielen müssen. Wenn linke Politik Karrierefragen beständig kollektiv beleidigt, gibt sie diese lediglich der neoliberalen Artikulation preis.

Arbeitsteilung und Zeitregime

In der Forderung nach einem neuen gesellschaftlichen Zeitregime, liegt eher das Potential, Fragen der Lebensführung von links her zu politisieren und Maßnahmen der sozialen Infrastruktur so kulturell einzubinden, dass sie auch tatsächlich eine anti-patriarchale Wirkung entfalten. Die letztlich entscheidende Frage stellt sich nun einmal – wie schon bei Marx – entlang der Arbeitsteilung und der Verfügung über die Zeit. Konkret geht es uns um die radikale Verkürzung der Arbeitszeit in Verbindung mit einer Umverteilung der verschiedenen Tätigkeitsformen zwischen den Geschlechtern. Dafür sind freilich politische Reformen erforderlich, aber ebenso eine kulturelle Revolution, die von der Zentralstellung der Erwerbsarbeitszeit abrückt. Solange die 70-Stunden-Arbeitswoche dominiert, sind Vereinbarkeiten unmöglich zu realisieren und werden aufs soziale Umfeld, etwa Lebenspartner_innen, abgewälzt – zumindest, wenn die Eltern pflegebedürftig werden oder die Kindererziehung ansteht. Das ist auch eine Frage der Intensität. Das Abhaken der zuvor von der Partnerin erstellten To-Do-Liste im Haushalt als auch Unterlassungssünden in Entscheidungsgremien, mit der Ausrede, man könne sich nun mal nicht gegen die Männernetzwerke durchsetzen, sind weit von wirklicher gemeinsamer Gestaltung der verschiedenen Produktionssphären entfernt. Gefragt ist vielmehr die Übernahme von wirklicher Verantwortung und wirklichem Gestaltungswillen im jeweiligen Produktionsbereich. Ein neues Zeitregime würde auch eine Emanzipation der Männer denkbar machen. Denn Infrastrukturpolitik alleine wird wenig daran ändern, wer die Windeln wechselt und die Einkäufe erledigt. Davon zeugen die Erfahrungen der DDR. Im neuen Zeitregime hätten hingegen alle etwas zu gewinnen: Karrierefrauen Aufsichtsratsposten, von Burn-Out-Syndromen geplagte männliche Workoholics eine Emanzipationsperspektive vom Steigerungszwang, Kassiererinnen bei Schlecker humanere Arbeitsbedingungen und Freiräume.

Würfel Dir deine Rede zusammen!

geschrieben am 14.09.2011

Du willst auf Parteitagen in der Generaldebatte so richtig mitmischen? Prager Frühling bietet Dir jetzt das ultimative Service-Tool an. Ob ReformerIn, KPFlerin, EmanzipatorIn oder Kommunalo: Einfach ein Image aussuchen und dann sechsmal den Würfel bemühen. Jeder Augenzahl ist ein Satz zugeordnet, die du in beliebiger Reihenfolge kombinieren kannst. Das spart Zeit und Aufwand!

Von der prager frühling Erfolgsgarantie profitieren: Der Phrasenwürfel hat mehrere Planungsstadien durchlaufen und ist von ExpertInnen und Experten des Instituts für Phrasendresch und Berechenbarkeit ausführlich geprüft worden.

Mach mit beim Phrasenwürfelgewinnspiel: Wer das Würfelspiel für eine Generaldebatte nutzt und das der prager frühling Redaktion per Foto, Ton- oder Textdokument dokumentiert, erhält ein prager frühling Geschenk Abo umsonst!

Auch beim Zuhören das Spiel nutzen! Wer lieber zuhört als zu reden: Einfach vor der Generaldebatte willkürlich sechs Phrasen aus dem Phrasenpool auf einen Zettel schreiben und die SitznachbarIn auffordern dies auch zu tun. Wird eine der Phrasen wortgleich oder sinngemäß vorgetragen: durchstreichen. Wer als erstes alle seine Phrasen durchgestrichen hat, darf sich PhrasenkönigIn nennen. Die prager frühling Redaktion bemüht sich in diesem Fall um eine Unterbrechung der Generaldebatte und trötet einen lauten Tusch in den Saal, es regnet Goldglitter von den Rängen der Mehrzweckturnhalle und stehende Ovationen!

Viel Spaß!

Die GewerkschafterInnen-Rede

Dresscode: Gewerkschafter: Jeans, Handygürteltasche, kariertes Hemd, graue Haare; Gewerkschafterin: eher Kurzhaarfrisur, zwei bunte Klunker-Ohrringe, flache Sandaletten, weite, bunte Bluse und Rock

Tonfall: kämpferisch, Männer: gern auch schreiend

Einstieg: Liebe Kolleginnen und Kollegen,

1 Die Gründung der neuen Linken ist ein Erfolgsprojekt.

2 Entscheidend ist, dass die Linke immer an der Seite der Gewerkschaften steht, denn die vertreten die Interessen der Mehrheit.

3 Die Linke darf sich nicht auf Stellenabbau im öffentlichen Dienst einlassen.

4 Gegen den Klassenkampf von oben, der Agenda 2010-SPD, setzen wir auf die Solidarität der Beschäftigten.

5 Ein Politikwechsel für mehr Binnennachfrage und gute Arbeit ist nicht nur möglich, er ist auch nötig.

6 Der Markenkern der Linken: Gegen Hartz IV, die Rente mit 67 und für den Mindestlohn darf nicht aufgeweicht werden.

Die ReformerInnen-Rede

Dresscode, Mann: grauer Rollkragenpullover, C&A-Jackett, dunkelblaue Jeans, Ring am Finger, moderne Brille, Frauen: Hosenanzug schwarz, goldene Ohrringe, Stöckelschuhe,

Tonfall: ruhig und manchmal belehrend

Einstieg: Liebe Genossinnen und Genossen

1 Wir dürfen nicht nur sagen, wogegen wir sind, sondern wir müssen sagen, wofür wir sind.

2 Ob in Berlin, in Brandenburg, in Thüringen oder im Saarland: Die Partei will regieren.

3 Unsere Politik erkennt man an ihrem Gebrauchswert im Hier und Jetzt.

4 Wir müssen mit unseren fachpolitischen Konzepten den Ideenwettstreit mit den anderen Parteien gewinnen.

5 Nicht da wo wir sein wollen, sondern da wo wir sind, ist der Ort, wo wir beginnen müssen.

6 Für uns ist die praktische Politik immer an den Idealen und am Wertesystem des demokratischen Sozialismus orientiert.

Die KPF-Rede

Dresscode: Kommunist: Flecht-Schuhe, helle Stoffhose, Stützstrümpfe, kurzärmliges Hemd mit eingestecktem Linkspartei-Kuli, glatt rasiert, Rasierwasser, Geheimratsecken und Seitenscheitel, schwarze Ledertasche um die Hand gebunden; Kommunistin: weit geschnittenes Kostüm mit Blümchenmuster, gefärbte Kaltwellenfrisur, Brille mit Metallgestellt und Nah-Sicht-Fensterchen.

Tonfall: nüchtern, sachlich, monoton

Lübe Genössinen und Gönössen,

1 Wir von der Kommunistischen Plattform haben die Entscheidung der 5. Parteivorstandssitzung der 7. Legislatur auf der 7. Tagung des 22. Sprecherrats der KPF kritisch und konstruktiv ausgewertet.

2 Die Entwicklung der Durchsetzung der Etablierung einer sozialistischen Partei in der sog. Bundesrepublik bleibt uns Aufgabe und Ziel.

3 Die Verfehlungen und Mängel des realexistierenden Sozialismus wollen wir nicht beschönigen, aber die erkämpften Errungenschaften der DDR müssen im Geschichtsverständnis der Partei Berücksichtigung finden.

4 Aggressive Fraktionen des Imperialismus und des Finanzkapitals gieren nach Einfluss und Profit.

5 Die Linke muss den Kapitalismus konsequent kritisieren und die Widersprüche ungeschönt benennen.

6 Anmerkungen und Hinweise zu einigen aufgeworfenen Problematiken der Programmatik werden wir dem Parteivorstand in Kürze zur Verfügung stellen.

Die Marx21-Rede

Dresscode: Rucki: betont jugendlich und trendy, Jeans, Bekenner-T-Shirt, Sportschuhe

Tonfall: aufgeregt, schrill, schnell, morgen ist schließlich Revolution

Einstieg: Liebe Genossinnen und Genossen,

1 Die Linke ist eine einmalige Chance, um die sozialdemokratische Stellvertreter-Politik zu Gunsten einer kämpferischen Politik im Interesse der Beschäftigen, Arbeitslosen, Frauen, Rentner, Studenten, Schüler und Muslime abzulösen.

2 Wir müssen von Sozialprotesten in anderen Ländern lernen.

3 Nur die Proteste auf der Straße können etwas verändern.

4 Entscheidend ist, dass die Linke kompromisslos an der Seite der Aktivisten steht.

5 Der Widerstand gegen Sozialabbau, Rassismus und Krieg muss gestärkt werden.

6 Der Kapitalismus führt immer wieder zu Krisen und Krieg.

Die Basisdemokraten-Rede

Dresscode: Basokrat: Lederjacke, Blouson-Hemd, weite Jeans-Hose; Basokratin: gefärbtes Halstuch, Batik-Oberteil oder Kleid, Gesundheitsschuhe, zusammengesteckte Haare

Tonfall: kritisierend

Keine Anrede

1 Ich bin eigentlich hier auf dem Parteitag, um etwas gegen den Kapitalismus zu tun und mich darüber auszutauschen.

2 Wir brauchen keine zentralistischen Kampagnen, sondern den freien Austausch der Parteibasis, denn wir sind die Partei!

3 Sozialismus heißt für mich auch, dass wir uns selbst von der Basis demokratisch organisieren und uns nicht von den Medien und vom Staat hineinreden lassen.

4 Ich sehe immer mehr Tendenzen, dass wir genauso werden wie die anderen Parteien. Das wäre der Tod der Linken und das wäre nicht mehr meine Partei.

5 Es kann nicht sein, dass wir Stellvertreter-Politik machen; alle Mitglieder müssen sich beteiligen. Das ist schwer, wenn die Informationen aus der Parteizentrale nur an ausgewählte Kreise gehen.

6 Mein Vorschlag: Geben wir das Geld für aufwendige Wahlkampagnen und Werbeagenturen doch direkt an die Kreisverbände und an die Basis. Plakate können wir auch selbst gestalten.

Kommunalpolitik-Rede

Dresscode: Kommunalpolitiker: Vertreter-Anzug, Schnauzbart, Handy am Gürtel, Opel-Autoschlüssel guckt aus der Jackettasche, weil drunter der Taschenkalender vom örtlichen Müllentsorgungsunternehmen ist

Tonfall: lebendig mit dialektaler Färbung

Einstieg: Liebe Gönössinen und Gönössen,

1 Die Kommunalpolitik ist das Standbein unserer Partei. Veränderung beginnt vor Ort.

2 Wir müssen für die Sorge und Nöte der BürgerInnen ein offenes Ohr haben.

3 Die Linke ist eine Partei für den Alltag, nicht nur für den Wahltag.

4 Ich wünsche mir, dass die Kommunalpolitik mehr Platz in der Partei bekommt.

5 Bei uns vor Ort wird der demokratische Sozialismus mal ganz real: Schließen wir die Schule oder die Bücherei?

6 Uns ist es gelungen, mit Kirchen und Sozialverbänden eine gemeinsame Kampagne für die neue Umgehungsstraße zu initiieren.

BewegungsaktivistInnenrede

Dresscode: jugendlich, starke Behaarung, leicht verschwitzt, Kampagnen-T-Shirt

Tonfall: kratzig, aufgeregt

Anrede fällt aus

1 Ich komme gerade von der Auftaktdemonstration gegen Sozialraub und Bildungsklau. Der Auftakt einer großen Kampagne in einem breiten Bündnis.

2 Im Demonstrationsaufruf gegen Sozialraub und Bildungsklau heißt es: „Wehren wir uns gemeinsam gegen Sozialraub und Bildungsklau!“

3 Ich rufe den Parteitag auf, sich solidarisch mit der Kampagne gegen Sozialraub und Bildungsklau zu zeigen. Setzen wir ein Zeichen!

4 Allen muss klar sein: Wir stehen an der Seite der Kampagne gegen Sozialraub und Bildungsklau.

5 Es wäre gut, wenn die Partei als Ganzes die Kampagne gegen Sozialraub und Bildungsklau unterstützt, auch mit Organisation und Geld.

6 Bei der Kampagne gegen Sozialraub und Bildungsklau gehen wir jetzt den ersten Schritt, aber wir müssen noch viel mehr werden.


Emanzipatoren-Rede

Dresscode: Emanzipator: ökomäßig, Lederschuhe, Hemd, Nickelbrille; Emanzipatorin: Jeans, Bluse, schwarz Plastikbrille

Tonfall: zurückhaltend

Einstieg: Liebe Genossinnen und Genossen,

1 Ich find’s gut, dass wir hier zusammengekommen sind.

2 Sozialismus ist für uns ein kollektiver Selbstaneignungs- und Lernprozess, in dem alles Gute zusammenkommt.

3 Bevor wir in die inhaltliche Debatte einsteigen, müssen wir uns zunächst über die Begrifflichkeiten verständigen.

4 Wichtig ist, dass wir einen gleichberechtigen und selbstbestimmten Diskurs führen.

5 Ich meine: Die verschiedenen Sichtweisen und Perspektiven können uns bereichern.

6 Ich will eine vollkommen neue Sichtweise einbringen: Nämlich die des Bedingungslosen Grundeinkommens (BGE).

Anmerkung der Redaktion: Die aufgeführten Aussagen sind natürlich frei erfunden. Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen und Gruppen sind rein zufälliger Natur und von der Redaktion nicht intendiert.

Nina Pauer: Wir haben keine Angst.

Beitrag von Bernd Hüttner, geschrieben am 09.09.2011

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rezension

Katja Kullmann stieß im Sommer mit ihrem Buch "Echtleben" auf viel und positive Resonanz. Sie beschreibt darin eindringlich die soziale und mentale Situation der heute 30 bis über 40jährigen aus den eher kreativen Berufen der neuen Selbständigkeit.

Die 28 jährige Nina Pauer beschreibt nun genauso offen und stellenweise ironisch das Innenleben eines bestimmten Teils der jüngeren Generation, der der unter 30 jährigen. Diese in den 1980er geborenen Enkel der Wirtschaftswunderzeit hatten alles: Gute Bildung, nette, hilfsbereite und pop-sozialisierte Eltern und jede Menge Katastrophen, an die sich sich aber schnell gewöhnten. Kein Grund also Angst zu haben, denn die Katastrophen sind und waren immer woanders. Trotzdem haben die jungen Leute, so Pauer, eine Scheiß-Angst. Angst zu versagen, Angst keine oder die falschen Freunde zu haben, Angst von wasauchmmer abgehängt zu werden. Darüber reden sie aber nicht. Die Angst wird unterdrückt. Pauer verarbeitet offensichtlich eigene Erlebnisse und hat in ihr Buch solche ihres Freundeskreises eingespeist.

Dies ist keines dieser Generationenbücher, die mittlerweile zuhauf erschienen sind. Es ist eher ein fragiler Versuch, am Beispiel von zwei ziemlich polarisiert und zugespitzt gezeichnteten Charakteren, Bastian und Anna, die Tücken des (neoliberalen?) Selbstverwirklichungsregimes zu zeigen. Der Satz "alles ist möglich" ist da Versprechen und Fluch zugleich.

Anna steht kurz vor dem Burnout, sie will alles richtig machen, arbeitet zuviel, sieht, obwohl es ihr köprerlich miserabel geht, gut aus und wirkt nach aussen immer zufrieden. Sie gibt alles und verliebt sich selten, sie ist aber auch getrieben und fürchtet abgehängt zu werden, wenn sie etwas ändert. Bastian dagegen, ist erst gar nicht Teil der Maschine, er kommt erst gar nicht dahin, von wo Anna schon wieder weg will. Er ist der sympathische und lethargische Loser, er gibt nichts, hat den Kopf voller Ideen, ist dauernd verliebt, fängt vieles an und bringt kaum etwas fertig. Bastian, das verkannte Genie, und Anna, die unter dem ihr zugeschrieben Genie-Status leidet, haben Angst vor den Sonntagen. Denn dann kommt sie, meist unangemeldet, und ohne etwas Nettes mitzubringen, zu Besuch: Die Sinnfrage.

Anna und Bastian sind Angehörige einer leicht verwöhnten Teilgeneration, die genug gesucht hat, die jetzt auch mal etwas finden will. Im Grunde sind das dann aber doch irgendwie family values also Sicherheit, Geborgenheit und rotbackige Kinder. All dies wird aber von der Unmenge an Selbstansprüchen erschwert, wenn nicht verunmöglicht: Beziehung leben, ohne langweilig zu werden, ohne sich selbst oder den anderen einzuschränken. Sich doch fest an jemand binden, und sich gleichzeitig weiter voll selbstverwirklichen. Bloss kein Durchschnitt oder gar langweilig sein. Daran kann man in the long run nur scheitern, und langsam merken sie es. Facebook ist auch keine Heimat, das haben diese Leute schon erkannt. Es erhöht den Kommunikationsstreß und den Zwang zur Selbstdarstellung und -vermarktung. Diese Generation ist anscheinend die erste, für die die eigenen Eltern wirklich Vorbilder sind.

Und was ist mit der Politik? Zu der wahrt man und frau Distanz, diese Generation ist eher still. Sie ist im postmodernen anything goes etwas durcheinander geraten und hat dabei eine Sichtweise kultiviert, die jedes ernsthafte politische Statement unter Pathos-Verdacht stellt. Was man tun könnte, weiss sie auch nicht.

Blind ist das Buch da, wo Pauer davon ausgeht, dass das "wir", das sie benutzt, für alle ihrer Alterskohorte gleich zutreffend ist. Nein, es haben nicht alle ein iPhone und Akademikereltern, nein, es haben nicht alle Eltern unbegrenzt Geld und es ist auch nicht jede_r bei Facebook.

Für die gleichaltrigen ist das angenehm unzynische Buch vermutlich deshalb interessant, weil es, wie das von Kullmann, vieles anspricht, und damit öffentlich macht, was sonst nie oder höchstens mit der besten Freundin angesprochen wird.

Für die älteren, also diejenigen, die ihre erste Zigarette rauchten oder ihren ersten Stein warfen, als Nina Pauer geboren wurde, ist es ebenfalls zu empfehlen. Es zeigt viel des Denken und Fühlens dieser Teilgeneration. Pauer zeigt keine Lösung auf, wie Anna oder Bastian sich und ihre Situation ändern könnten. Aber dass sie sich ändern muss, ist klar und das ist dann irgendwie wieder Politik, möchte man hinzufügen....

Der Blog zu Katja Kullmanns Buch Echtleben http://www.katjakullmann.de/bucher/

Ein Sommerloch in der Mauer

Beitrag von SG, geschrieben am 19.08.2011

Schlagworte:

junge Welt, linke

Die junge welt klaut bei der Titanic. Auf dem jw-Cover zum Tag des Mauerbaus stehen fünf Kampfgruppenangehörige vor dem Brandenburger Tor. Die Redaktion freut sich in der Bildunterschrift über 28 Jahre Frieden und Stabilität in Europa und 28 Jahre ohne Hartz IV. In der Wochenendbeilage interviewt IM Arnold Schölzel einen NVA-Oberst, der seine kleine Lebenslüge mit dem „Schwur von Auschwitz“ beginnt. Dagegen wirkt selbst Joschka Fischer blass und der hat schließlich nicht trotz, sondern wegen „Auschwitz“ Belgrad bombardiert. Man fragt sich, wann die junge welt die Wahlen zur Volkskammer wegen der Barrierefreiheit lobt. Die Auswahl war schließlich einfach und man musste noch nicht einmal ankreuzen können — das Falten des Wahlzettels genügte als Zustimmung.

Nun gibt es in und um die LINKSPARTEI eine Menge Leute, die diesen Geschichtsrevisionismus nicht lustig finden. Der AK Geschichte sozialer Bewegungen fordert die LINKE auf, sich von diesem reaktionären Rand zu distanzieren, die Strömung „Emanzipatorische Linke“ fordert einen konsequenten Bruch [1] mit den Neostalinisten. Gregor Gysi will keine Anzeigen der Bundestagsfraktion mehr im Blatt sehen und Andrej Hermlin zerreißt in der Printausgabe eines anderen Qualitätsmedium – der BZ – eine Ausgabe der jw. Offenbar wissen manche Linke noch: Wenn Stalinisten witzig sein wollen, ist man gut dran, wenn man zum Lachen noch selbst in den Keller gehen kann. Die Frage, warum gerade jetzt eine solch eine Aufregung entsteht, ist allerdings nur mit dem Sommerloch zu erklären. Schließlich hat die junge welt bereits vor zehn Jahren den Nationalisten und Bellizisten Slobodan Milosevic zum letzten Verteidiger des jugoslawischen Sozialismus umgelogen und Saddam Hussein zum lupenreinen Demokraten verklärt. Dass man das so lange als angemessenes redaktionelles Umfeld für eine Partei, die mit dem Stalinismus gebrochen hat, betrachtete, erstaunt zumindest. Stattdessen muss man sich nun wohl ein wenig um die Leute sorgen, die reflexhaft die junge welt in der Opferrolle sehen. Die Antikapitalistische Linke kann man jedenfalls beruhigen. Ihre Frage: „Wann haben diejenigen, die nun zum Boykott der jungen Welt aufrufen, jemals gefordert, jede Kooperation mit Medien einzustellen, die imperialistische Kriege in Afghanistan und andernorts propagieren, die den barbarischen Kapitalismus schönreden und Hartz IV verteidigen?“ ist schnell beantwortet: „Niemand hat die Absicht eine Anzeige im Manager-Magazin zu schalten.“

Aber im Ernst: bei Titelseiten von FAZ und Welt kommt sowieso niemand in Verdacht, dass dort die Position der LINKEN dargestellt wird, während bei der jungen Welt sowohl Teile der Partei wie die Öffentlichkeit außerhalb der Partei - fälschlicherweise - immer noch davon ausgehen, dass es sich um ein parteinahes Medium handelt.

Verweise:
Unter www.freiheit-und-sozialismus.de kann ein strömungsübergreifender Aufruf, der die LINKE auffordert, jeglich Kooperation mit der "jungen Welt" einzustellen, kommentiert und unterstützt werden.

prager-frühling-LeserInnenreise

Beitrag von Redaktion, geschrieben am 29.07.2011

FreundInnen & LeserInnen des prager frühling!


Die "Helle Panke" organisiert eine interessante Busexkursion anlässlich des 50. Jahrestages des Beginns der längsten biografischen Dokumentation der Filmgeschichte, "Die Kinder von Golzow". Die beiden Regisseure, Winfried und Babara Junge, werden bei der Fahrt anwesend sein. Die Doku-Reihe, in der DDR 1961 mit dem Ziel gestartet, die Entwicklung des "sozialistischen Menschen" von der Einschulung bis zur Bare zu zeigen – ein Versuch der herrlich gescheitert ist – zeigt sowohl die autoritär-miefige Seite der DDR, als auch Diskussionsmöglichkeiten über Fragen, die in der BRD qua Eigentumsordnung dem Diskussionsprozess entzogen waren. Bis in die 1990er Jahre wurden "Die Kinder von Glozow" dokumentiert. In den späten Folgen sieht man dann statt der miefigen DDR, die soziale Kälte des Westens unter den Bedingungen der neuen Freiheit.

Die "Kinder von Golzow" sind ein spannendes soziologisches Projekt, das einem interessante Einblicke vor allem in ost- aber auch in westdeutsches Leben gibt, das soziale Milieus einer vergangenen Gesellschaftsform einfühlsam porträtiert. Grund für uns, euch diese Veranstaltung zu empfehlen.

JETZT ANMELDEN!

Da der prager frühling bei dieser Veranstaltung Kooperationspartner der Helle Panke ist, habt ihr die Möglichkeit, euch vor der offiziellen Bewerbung der Reise bereits verbindlich(!) anzumelden. Der Teilnahmebeitrag (Fahrt, Eintritte, Mittagessen) beträgt nur 25 EUR. Wer mitfahren will, schreibt Bitte kurz per E-Mail an

thomas.lohmeier@prager-fruehling-magazin.de

mit dem Betreff: "Anmeldung Kinder von Golzow" mit Angabe der Telefonnummer für Rückfragen.

Mehr Informationen über die Langzeitdoku gibt es hier
http://www.kinder-von-golzow.de/

Der Ablauf der Reise nach Golzow:

9.00 Uhr:
Einführung in die Exkursion, Treffpunkt: Helle Panke, Kopenhagener Straße 9

9.30 Uhr
Abfahrt nach Golzow / Ausschnitte werden während der Fahrt gezeigt.

11.30 Uhr
Rundgang Gedenkstätte Seelower Höhen

13.00 Uhr
Mittagessen

14.00 Uhr
Filmmuseum „Kinder von Golzow“

Gespräch mit Dr. Manfred Großkopf, Leiter der Landwirtschaft Golzow Betriebs-GmbH

14.45 Uhr
Museumsrundgang mit anschließendem Gespräch mit Regisseur Winfried Junge und Barbara Junge über die Geschichte des Films und die Geschichten der Kinder von Golzow

16.30 Uhr
Rundgang durch Golzow

17.00 Uhr
Abreise nach Berlin

Ca. 19.00 Uhr Ankunft

„Die Kinder von Golzow“ ist eines der außergewöhnlichsten Projekte der Filmgeschichte. 1961 drehten Regisseur Winfried Junge und sein Team die ersten Meter und stellten vor 50 Jahren den ersten Film der Öffentlichkeit vor. Im Jahr des Mauerbaus, war damals noch nicht klar, dass es der Beginn einer Langzeitdokumentation war, die nicht nur internationales Ansehen erreichen würde, sondern auch zu einem bleibenden Zeugnis der DDR und der deutschen Geschichte werden sollte.

Die Busexkursion begibt sich gemeinsam mit Barbara und Winfried Junge auf die Suche nach den Kinder von Golzow, des Filmprojektes und der deutschen Zeitgeschichte. Der Bogen wird vom Jahr 1945 über das Leben in der DDR bis in die Gegenwart geschlagen.

Teilnehmergebühr 25,00 ¤ (inclusive Mittagessen und Eintrittsgelder)

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