Prager Frühling, Magazin für Freiheit und Sozialismus (www.prager-fruehling-magazin.de)
Redaktionsblog

Ein grünes Hegemonialprojekt?

Beitrag von Joachim Hirsch, geschrieben am 25.07.2011

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grüne

Der GAU im fernen Japan hat auch die deutsche politische Landschaft einigermaßen durcheinander gebracht. Der zeitliche Zusammenfall dieser Katastrophe mit den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz ließ eine ungeahnte politische Dynamik entstehen. Die allgemeine Stimmungslage hat den GRÜNEN einen überraschenden Wahlzulauf beschert, während sich die Regierungsparteien gezwungen sahen, ihren noch im letzten Herbst als alternativlos beschworenen Atomkurs zumindest verbal zur Disposition zu stellen. Genützt hat ihnen dieser populistische Schwenk allerdings nichts mehr.

Fast könnte man also annehmen, dass Wahlen doch etwas bewirken. Das wird sich indessen noch zeigen, wenn sich die neuen Kräfteverhältnisse im Regierungshandeln ausdrücken, Hoffnungen und Wünsche zum Machbaren kleingearbeitet werden und sich die Aufregung wieder etwas gelegt hat. Es ist aber deutlich geworden, dass die Ereignisse eine Entwicklung vorangetrieben haben, die sich schon länger abzeichnet, nämlich die Durchsetzung eines neuen hegemonialen Projekts, d.h. einer breiter akzeptierten Vorstellung von einer vernünftigen Ordnung und Entwicklung der Gesellschaft. Dieses Hegemonieprojekt fokussiert sich vor allem in der grünen Partei.

CDU/CSU, SPD und FDP sind programmatisch wie personell ausgeblutet. Nennenswerte intellektuelle Kapazitäten sind bei ihnen kaum noch zu finden. Beschränkt auf die Verwaltung des gesellschaftlichen Status Quo reduziert sich ihre Politik auf schlichte Machterhaltungsversuche. Bei der Linkspartei sieht das keineswegs besser aus. Das vor allem begründet das bei Wahlen und Meinungsumfragen zum Ausdruck kommende massive Legitimationsdefizit dieser Parteien. Die Frage ist allerdings, ob der Erfolg der GRÜNEN nur einer durch Fukushima verursachten vorübergehenden Konjunktur zuzuschreiben ist oder ob sich hier grundlegende Veränderungen im politischen System abzeichnen. Einiges spricht dafür, dass letzteres der Fall ist.

Die GRÜNEN und ihr politisches Umfeld haben es geschafft, so etwas wie ein alternatives Konzept für die Ordnung und Entwicklung der Gesellschaft vorzustellen, ein hegemoniales Projekt also, das zunehmend breitere Zustimmung findet. Inhaltlich geht es um eine ökologische Modernisierung des Kapitalismus, mit der dieses Gesellschaftssystem neuen Bedingungen angepasst werden soll. Es ist keine Frage, dass eine „Energiewende“ angesichts der drohenden Klimakatastrophe und eines absehbaren Endes des Ölzeitalters unabweisbar ist. Die GRÜNEN haben sie zu einem zentralen Programmpunkt gemacht und versprechen damit, das Land „zukunftsfähig“ zu machen, wie es so schön heißt. Das überzeugt immer mehr und legitimiert auch die Opfer, die der Bevölkerung für die industriellen Umstellungen abverlangt werden, wenn die Profite der dabei maßgeblichen Unternehmen nicht geschmälert werden sollen. Dazu gehört die Förderung der Elektromobilität ebenso wie eine Reform des Bildungssystems, die die inzwischen auch ökonomisch verheerende dreigliedrige Selektivität wenigstens abmildert. Es gibt auch ein paar Versuche, der massiven Erosion der liberalen Demokratie entgegenzuwirken, z.B. indem die Bevölkerung besser in die Planung infrastruktureller Umbauprojekte eingebunden werden soll, die ansonsten an deren Widerstand scheitern würden. Das Regierungsprogramm der neuen grün-roten Koalition in Baden-Württemberg lässt diese Konturen deutlich erkennen und der künftige Ministerpräsident Kretschmann verkörpert paradigmatisch, was die neue grüne Politik ausmacht: konservative Modernisierung, aber schrittweise, mit Augenmaß und nach Möglichkeit in Abstimmung mit den ökonomisch Mächtigen. Denen gilt es, ihre längerfristigen Interessen deutlich zu machen. Der „Grüne New Deal“ zielt auf einen Modernisierungskonsens, der den Kapitalismus für das 21. Jahrhundert fit machen soll, für die Zeit nach dem Öl, nach dem ungehinderten Raubbau an Naturressourcen und mit einer Bevölkerung, die nicht mehr alles hinzunehmen bereit ist, was von oben verordnet wird. Und er richtet sich darauf, die Selbstzerstörungskräfte eines entfesselten und sich allen politischen und sozialen Kontrollen entziehenden Kapitalismus durch etwas mehr Regulierung einzudämmen.

Die GRÜNEN präsentieren damit nicht nur ein wirtschafts- und gesellschaftspolitisches Programm, das künftigen Herausforderungen gerecht zu werden verspricht und damit hegemoniale Qualität hat. Sie stützen sich dabei auch auf eine soziale Basis, die zunehmend an Gewicht gewinnt. Sie sind zu der Partei der modernen Besserverdienenden geworden, einer Schicht, die durch den Wandel zur sogenannten High-Tech- und „Wissensgesellschaft“ nicht nur zahlenmäßig an Bedeutung gewinnt, sondern immer wichtigere gesellschaftliche Positionen einnimmt. Der Erfolg der GRÜNEN beruht nicht zuletzt darauf, dass es ihnen gelungen ist, zwischen dieser modernisierten Klein- (oder auch, wie Herrl sagt: Bionade-) Bourgeoisie und konservativen wie alternativen ökologischen Strömungen zu vermitteln. Die ökologische dominiert die soziale Frage in den Medien wie auch im öfffentlichen Bewusstsein deutlich. Insofern ist es folgerichtig, dass Sozialpolitik im grünen Programm eine eher untergeordnete Rolle spielt, wenn auch keinesfalls marktliberale Glaubensbekenntnisse das politische Handeln bestimmen sollen. Sozialpolitik bleibt auch da insofern bedeutungsvoll, als es darum geht, größere soziale Spaltungen und Ausgrenzungen zumindest abzufangen, den inzwischen deutlich bedrohten gesellschaftlichen Zusammenhalt zu sichern. Regulierte Ungleichheit also, oder auch Neoliberalismus light. Genau genommen folgt die grüne Politik den Prinzipien eines aufgeklärten Konservatismus, nämlich dass sich ziemlich viel verändern muss, wenn das Alte – die kapitalistische Gesellschaft – erhalten werden soll.

Und natürlich geht es auch darum, den modernisierten Kapitalismus des „Standorts Deutschland“ im verschärften internationalen Konkurrenzkampf abzusichern. Eine ökologische Modernisierungspolitik, die industrielle Innovationen antreibt und damit internationale Wettbewerbsfähigkeit gewährleistet, dient dem zweifellos besser als marktradikale Deregulierung. Es gehört dazu aber auch die Bereitschaft, die eigene Wohlstandsinsel, die Verfügbarkeit von Ressourcen und die Öffnung von Märkten notfalls militärisch abzusichern. Kaum einer Partei wie den GRÜNEN ist es so gut gelungen, wohlstandschauvinistischen Interventionismus menschenrechtlich zu legitimieren und dafür Akzeptanz zu beschaffen.

Wenn man so will, präsentieren die GRÜNEN ein modernisiertes „Modell“ Deutschland, nachdem das alte, sozialdemokratisch-fordistische der neoliberalen Politik zum Opfer gefallen war. Deren Scheitern wird immer offenkundiger, was heißt, dass weder ein Zurück zum Fordismus der Nachkriegszeit noch ein neoliberales Weiter so besonders erfolgversprechend erscheinen. Was damit angezielt wird, ist ein kapitalistisches Vergesellschaftungsmodell nach dem Neoliberalismus. Verglichen mit den anderen kapitalistischen Metropolen wird damit so etwas wie ein deutscher Sonderweg anvisiert, der allerdings den Vorteil hat, nicht reaktionär-rückwärtsgewandt, sondern durchaus fortschrittlich zu sein, der also tatsächlich wieder Modellcharakter erhalten könnte. Gegenüber dieser Kraft sehen die „alten“ Parteien, und dazu gehört ihrer Struktur und ihrem Personal nach auch die Linkspartei, ziemlich schlecht aus. Sie müssen damit rechnen, dass der Platz einer Modernisierungspartei, die verspricht, das Land in eine bessere Zukunft zu führen, bereits besetzt ist. Wenn es gelingt, diese Politik über konjunkturelle Situationen hinaus im allgemeinen Bewusstsein fester zu verankern, haben die GRÜNEN das Potential eines neuen Typus der Volkspartei. Dazu gehört auch, dass die durch sie veränderte Kräftekonstellation dazu führen könnte, den Staat nicht mehr nur als Beute einzelner Kapitalgruppen und als Dienstleister einiger Parteiklientele erscheinen zu lassen, ihm also das Maß an „relativer Autonomie“ zurückzugeben, die für die Gewährleistung einer längerfristigen Bestandsfähigkeit des Kapitalismus unabdingbar ist. Wenn die anderen Parteien nicht zunehmend an den Rand gedrückt werden wollen, wird ihnen nichts anderes übrigbleiben, als sich dem neuen hegemonialen Projekt zu unterwerfen. Auch insofern ist der Fall Baden-Württemberg exemplarisch.

Es ist allerdings nicht sicher, dass diese Entwicklung tatsächlich eintreten wird. Die Möglichkeit, dass auch die GRÜNEN an den etablierten ökonomischen Machtpositionen auflaufen und als Regierungspartei ihre Wählerschaft enttäuschen müssen, also das Schicksal erleiden, das vor allem die SPD, zunehmend aber auch CDU/CSU trifft, während die FDP, wichtige sozialstrukturelle und politische Veränderungen verkennend, ohnehin kaum mehr eine Zukunft hat. Zwar dient die grüne Politik den längerfristigen Interessen des Kapitals. Es ist allerdings fraglich, ob dieses, auf den Horizont von Shareholder Value und Vierteljahresbilanzen reduziert, dies auch zu erkennen vermag. Dass sich die deutsche Parteienlandschaft grundlegend verändern wird, ist sicher. Wie diese Veränderungen aussehen werden, wird heftig umkämpft sein.

Der Beitrag erschien zunächst bei linksnetz.de. Wir danken für die Erlaubnis, den Beitrag auch hier veröffentlichen zu dürfen.

Überlegungen zur demokratischen Organisierung in postdemokratischen Verhältnissen

Beitrag von Thomas Lohmeier/Jörg Schindler, geschrieben am 20.07.2011

“Der Begriff bezeichnet ein Gemeinwesen, in dem zwar nach wie vor Wahlen abgehalten werden, Wahlen, die sogar dazu führen, daß Regierungen ihren Abschied nehmen müssen, in dem allerdings konkurrierende Teams professioneller PR-Experten die öffentliche Debatte während der Wahlkämpfe so stark kontrollieren, daß sie zu einem reinen Spektakel verkommt, bei dem man nur über eine Reihe von Problemen diskutiert, die die Experten zuvor ausgewählt haben. Die Mehrheit der Bürger spielt dabei eine passive, schweigende, ja sogar ein apathische Rolle, sie reagieren nur auf die Signale, die man ihnen gibt. Im Schatten dieser politischen Inszenierung wird die reale Politik hinter verschlossenen Türen gemacht: von gewählten Regierungen und Eliten, die vor allem die Interessen der Wirtschaft vertreten. Genau wie das maximalistische Ideal ist auch dieses Modell eine Übertreibung. (...) Ich bin davon überzeugt, daß wir uns dem postdemokratischen Pool immer weiter annähern.”

Colin Crouch, in: Postdemokratie (2008)

Postdemokratische Regime zeichnen sich vielmehr durch ein komplexes und widersprüchliches Nebeneinander von demokratischen und expertogratischen, von staatlichen und privaten, von nationalen und globalen Formen des Regierens aus.
Dirk Jörke, in: Warum “Postdemokratie”?” (2006)
Gesellschaften sind demnach Postdemokratisch, wenn sie so agieren, als ob es das Volk geben könne, als ob die Mehrheit oder jene Wenigen, die sich in der Öffentlichkeit sicht- und hörbar machen, den einheitlichen Willen des Volkes repräsentieren könnten, und als ob es möglich wäre, die Handlungsmacht aller Akteure zu steigern. So kann der demokratische Anspruch, dem Volk die souveräne Herrschaft zu geben, direkt in die postdemokratische Verkehrung führen, wenn er die problematischen Annahmen der Volksherrschaft perpetuiert, ohne ihre Grenzen und Paradoxien zu thematisieren und einer demokratischen Aushandlung zugänglich zu halten. Unter dieser Perspektive wird deutlich, dass es irreführend ist, Postdemokratie nur als Anti-Demokratie oder Demokratie-Defizit zu verstehen. Dieser Begriff kann auch einen Demokratieüberschüss bezeichnen, wenn unter Demokratie die souveräne Machtausübung des Volkes ohne institutionell gesicherte Instanzen der Selbstbegrenzung und Selbstkontrolle verstanden wird.

Katrin Meyer, in: Kritik der Postdemokratie (2011)

Spricht das alles für eine pragmatische, handwerklich gut gemachte Umsetzung von Organizing, bleibt aus demokratietheoretischer Perspektive doch ein ungeklärter Rest. Bei allem Pragmatismus ist zu klären, aus welchen Gründen sich Beschäftigte überahaupt in Gewerkschaften organisieren und engagieren sollen. Diese zentrale Motivationsfrage lässt ein allzu enges Organizing-Verständnis unbeantwortet.

Klaus Dörre, in: Postdemokratie und Gewerkschaften (2008)


I. Das Gemeinwohl ist kein Freund der Demokratie

Das Ideal der Demokratie, die Volksherrschaft, verweist bereits auf ein Problem: Das Volk wird als ein homogenes gedacht. Auf dieses Homogene, das Gemeine, hat sich Politik zu beziehen. Sie hat sich am “Gemeinwohl” zu orientieren. Hiergegen setzen wir ein Verständnis von Demokratie, das Differenz, Interessengegensätze und Pluralität voraussetzt. Demokratie muss zudem als stetiger Prozess begriffen, jede Entscheidung auch wieder als veränderbar gedacht werden. Der Bezug auf das “Gemeinwohl” oder auch die “Interessen des Volkes” - was nur ein anderer Ausdruck hierfür ist - steht im Widerspruch zu diesem Demokratieverständnis.

These: Die Anrufung des Gemeinwohls und der Interessen des Volkes kann nicht unsere Sache sein.

II. Auch keine Freunde der Demokratie: Versachlichung, Verrechtlichung und Professionalisierung

Real erleben wir gegenwärtig eine Tendenz zur Expertokratie, zur Versachlichung und zur Verrechtlichung politischer Entscheidungen. Entscheidungen werden an so genannte fachliche und juristische Experten delegiert. Auch linke Parteien als staatsnahe Organisationsformen sind dieser doppelten Tendenz der Versachlichung massiv ausgesetzt. Der parlamentarische Regelbetrieb erfordert von ihnen geradezu sowohl die Expertise bei “Sachentscheidungen” als auch die praktische (!) Akzeptanz der Begrenzung der demokratischen Entscheidungsgewalt unter kapitalistischen Bedingungen.

These: Linke Politik setzt dem scheinbaren Zwang zur Expertokratie das normative Argument entgegen, weil es in der politischen Auseinandersetzung kein “richtig” und “falsch”, weil es letztlich nur Argumente gibt, die auf Interessen oder normativen Überzeugungen beruhen. Ihnen den scheinbaren Zwang der Sachlichkeit zu nehmen, das ist Aufgabe linker Aufklärung.

III. Gestern und im Hier und Jetzt: Der Kapitalismus begrenzt die Demokratie

Jenseits der Tendenzen zur Versachlichung und Verrechtlichung wird Demokratie unter den Bedingungen der kapitalistischen Ökonomie auch durch die Gesetze des Marktes begrenzt. Die bürgerliche Demokratie ist eine Herrschaftsordnung, die durch systematische Privatisierung der Produktionsverhältnisse und durch Naturalisierung ökonomischer Prozesse gekennzeichnet ist. Dies führt dazu, dass sich die ökonomischen Gesetzmäßigkeiten hinter dem Rücken der Menschen vollziehen und sich der bewussten demokratischen Steuerung entziehen. Sie führen zudem zu ungleichem Einfluss: Interessen können nicht mehr gleichberechtigt vertreten werden, wenn sie mit unterschiedlicher ökonomischer Potenz wahrgenommen werden. Diese Tendenz ist übrigens nicht neu.

These: Linke Politik ist sich der Grenzen bewusst, die die kapitalistische Ökonomie ihr setzt. Sie sucht deshalb nach Projekten, die sowohl an soziale Kämpfe anknüpft und die über diese Grenzen hinausweisen.


IV. Demokratie: Mittel und Zweck

Linke Politik hat die Emanzipation von Macht und Herrschaft zum Ziel. Sie ist deshalb auf die Beteiligung der Vielen angewiesen, weil sie mangels Geld und ökonomischer Potenz, die einzige Machtressource der Linken ist. Ohne die Kraft der Vielen ist sie chancenlos, ihre gegen herrschende Interessen gerichtete Politik durchzusetzen. Das Ziel emanzipatorischer Politik ist daher die Übereignung ihrer Anliegen an die Vielen – ein Prozess, der nur partizipativ denkbar ist. Linke Politik muss daher nicht nur in ihrem Inhalt, sondern auch in ihrer Form anders sein. Die notwendig andere (neue) Form der Partizipation ist auch der innere Grund für das notwendige Scheitern einer sich als “Avantgarde” o.ä. verstehenden Organisationsform - und zwar unabhängig davon, ob - kurzfristig - damit Erfolge (gesellschaftlich oder auch nur gegen innerorganisatorische Widerstände) erzielt werden. Eine Linke muss sich daher immer auch die Frage stellen, wie ihre Politik unter partizipatorischen Gesichtspunkten organisiert werden kann. Daraus ergibt sich, dass linke Organisationen mehr als bürgerliche Parteien o.ä. darauf angewiesen sind, als demokratische und partizipative Massenorganisation organisiert und strukturiert zu sein. Für eine linke Partei ist ihre demokratische Verfasstheit daher essentiell. Dieses Problem muss “überpersonal”, also strukturell bearbeitet werden.

These: Linke Politik begreift Demokratie als stetigen Prozess und Auseinandersetzung, in den die Vielen, die Menge, die Masse, involviert wird. Daraus erwächst ihre Gegenmacht zur Befreiung, ohne Gefahr zu laufen, sich Autoritär zu transformieren. Die innere Demokratie von Partei und Bewegung ist für Linke daher sowohl Mittel zum Zweck, als auch Selbstzweck.

V. Die Partei demokratisieren ...

Innerparteiliche und innerverbandliche Demokratie ist die Voraussetzung der politischen Demokratie (Abendroth). Insbesondere der Prozess der “Professionalisierung” grenzt aber gerade die eigene Anhängerschaft aus, weil sie nicht über hinreichend Möglichkeiten verfügen, daran teilzunehmen oder die Entscheidungs- und Diskussionsprozesse nachzuvollziehen. Dieses bedingt nämlich geradezu eine professionelle Beschäftigung und hohe politische Bildung. Schließlich spiegelt sich die Erosion der Demokratie in der Erosion der Mitgliederpartei, in deren Folge das Parteileben durch „straffe professionelle Führung“ ersetzt wird. Jedoch kann es im Umkehrschluss nicht um das bloße Einfordern von Basisdemokratie gehen, die häufig nur autoritäre durch eine informelle Herrschaft ersetzt.
Die Partei DIE LINKE muss auf die komplexen Anforderungen reagieren, die aus dem Zwang als staatsnahe Organisation professionell im politischen System zu agieren und aus der Notwendigkeit, sich selbst demokratisch und partizipativ zu verfassen, entsteht. Dazu gehört, dass wichtige Entscheidungen, wie z. B. die Kriterien einer Regierungsbeteiligung (“Haltelinien”) breit diskutiert und beschlossen werden.
Konkrete Vorschläge:
A) Eine demokratische Vitalisierung der Partei erfordert eine politische Vitalisierung der Parteitage: Mandatsträger und Berufspolitiker dürfen keine Parteitagsdelegierten werden.
B) Die Parteitagsdebatte wird in Arbeitsgruppen geführt.
C) Sachfragen werden per Mitglieder-Entscheid oder Web-Abstimmung abgestimmt oder vorbereitet.
D) Personalentscheidungen werden auch in Urabstimmungen oder Vorwahlen getroffen.
E) Verhandlungsbasierte Willensbildungsprozesse werden in den gewählten Gremien intensiviert. Statt auf knappe 51:49-Entscheidungen, wird auf qualifizierte Mehrheiten (80%+x) gesetzt.
F) Zentrale Entscheidungen (Partei- und Wahlprogramme, Kriterien für Koalitionen, etc.) werden breit diskutiert und beschlossen.

VI. … und ein, zwei, drei Partizipationsräume schaffen.

Allerdings sollte die LINKE als Partei als auch Organisationen wie die Gewerkschaften verstärkt zum Zweck der Organisation von Kampagnen oder politischen Aktivitäten parallele, offene, zur Mitarbeit einladende Strukturen einrichten. Zur deren Durchführung könnten finanziell und organisatorisch ausreichend ausgestattete, zugangsoffene Partizipationsräume geschaffen werden, in denen interessierte Mitglieder oder Aktivisten an den verschiedenen Phasen einer
Kampagne oder politischen Aktivität mitwirken können. Dies wäre ein wichtiger Schritt, um mehr Teilhabe zu ermöglichen. Voraussetzung hierfür ist, dass professionelle ÖffentlichkeitsarbeiterInnen, Funktionäre und PolitikerInnen sich auf eine unterstützende und beratende Rolle zurückziehen. Organisationen können dabei übrigens auf vielfältige Erfahrungen zurückgreifen: Sowohl in den sozialen Bewegungen als auch in den Organizing-Modellen der Gewerkschaften wurden Partizipationsmethoden entwickelt, die Menschen in die Lage versetzen, selbständig aktiv zu werden. Mittels dieser Methoden die Strukturen für partizipative Aktivitäten nutzbar zu machen, wäre ein wichtiger Schritt, um die Partizipation des Einzelnen wenigstens projektbezogen zu ermöglichen.
Konkrete Forderung: Es gilt in linken und fortschrittlichen Organisationen Partizipationsräume zu schaffen, die materiell gut ausgestattet sind und organisatorisch von machtpolitischen Einfluss der jeweiligen Funktionäre unabhängig sind.

Literaturempfehlungen:

Brumlik, Micha; Neoleninismus in der Postdemokratie, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, S. 105-116

Crouch, Colina; Postdemokratie, Frankfurt am Main, 2008

Dörre, Klaus; Postdemokratie und Gewerkschaften, in: Widerspruch 55/08, S. 95-109

Meyer, Kartin; Kritik der Postdemokratie; in: Leviathan 1/2011, S. 21-38

Jörke, Dirk; Warum `Postdemokratie`?`, in: Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen 4/2006, S. 38-46

Lohmeier, Thomas; Inhalt braucht Form; in: Reihe Standpunkt 1/2009 der Rosa-Luxemburg-Stiftung; Veröffentlicht im Web: http://www.rosalux.de/publication/28222/inhalt-braucht-form.html [Aufruf 15.7.2011]

Möller, Kolja / Schindler Jörg; Fünf Vorschläge für eine demokratische Partei, Veröffentlicht im Web: https://www.prager-fruehling-magazin.de/article/427. [Aufruf 15.7.2011]

prager frühling meets Sozialistische Linke

Beitrag von Thomas Lohmeier/Jörg Schindler, geschrieben am 20.07.2011

"democracy against the machine" - mit Thomas Lohmeier und Jörg Schindler gestalteten zwei Redaktionsmitglieder des Magazins prager frühling einen Workshop auf der Sommerakademie 2011 der Strömung "Sozialistische Linke" in der Linkspartei.

Auf dem Workshop diskutierten die knapp 30 Anwesenden lebhaft, kritisch und inhaltlich kontrovers unsere Thesen zur Postdemokratie.

Party ohne Anlass

Beitrag von Thomas Lohmeier, geschrieben am 01.07.2011

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atompolitik, grüne

Heute wurde das Ende der Atomkraft in Deutschland beschlossen - hoffen wir`s! Denn unumkehrbar ist dieser Beschluss natürlich nicht, weil GRÜNE und SPD ihre Zustimmung unter Wert verkauft haben. Würden wirklich alle - also auch die CDU/CSU, die FDP und die Atomlobby - unumkehrbar aussteigen wollen, hätte man auch einfach in´s Grundgesetz schreiben können: “Deutschland verzichtet auf die zivile und militärische Nutzung der Atomkraft. Übergangsweise kann die Atomkraft noch bis 2022 genutzt werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.” Warum das nicht passiert ist? Die Antwort erhalten wir möglicherweise erst im Jahr 2020. Die GRÜNEN feiern; Fraktionschefin Renate Künast ist gerührt. Es wäre kleinlich, ihnen nun vorzuwerfen, dass sie für 2022 gestimmt haben - und nicht, wie es Greenpeace, Umweltverbände oder andere den GRÜNEN noch verbundene soziale Bewegungen gewünscht haben, bereits 2015.

Den Ausstieg aus der Atomkraft erkämpfte aber einzig und alleine die Anti-AKW-Bewegung, deren Teil die GRÜNEN bis zum sogenannten rot-grünen Atomausstieg im Jahr 2001 waren. Deshalb ist es heute auch unredlich, den GRÜNEN Verrat vorzuwerfen: Damals haben sie die Chance zum Atomausstieg verpasst und nicht heute die Möglichkeit zum schnelleren Ausstieg verraten. Während die GRÜNEN vor zehn Jahren aus vorgeblicher Angst vor Entschädigungszahlungen der Atomwirtschaft darüber stritten, ob in 25 oder 30 Jahren der Ausstieg vollendet werden kann, sorgt Merkel heute dafür, dass er in gut zehn Jahren tatsächlich über die Bühne gehen kann. Zurecht haben weite Teile der Umweltbewegung der rot-grünen Regierung damals vorgeworfen, statt eines Atomausstiegs eine Bestandsgarantie für die Atomkraftwerke beschlossen zu haben. Es sei auch daran erinnert, dass wegen des rot-grünen “Atomausstieges” kein einziges Atomkraftwerk vom Netz gegangen ist - kurz, bevor das erste AKW hätte vom Netz gehen sollen, sorgte die schwarz-gelbe Regierung für den Ausstieg aus dem Ausstieg. Ohne die Hartnäckigkeit der Anti-AKW-Bewegung, die bereits sehr erfolgreich gegen Merkels Ausstieg aus dem Ausstieg mobilisierte und ohne den Unfall in Fukushima wäre es nie zum heutigen Beschluss gekommen. Letztlich war die Gefahr, die von den GRÜNEN für die Atomwirtschaft ausging, nicht größer als das atomare Restrisiko.

Als Partei der postfossilen Hegemonie, quasi als neue Staatspartei im Werden, die, so wie einst Adenauers CDU den postfaschistischen und antikommunistischen Konsens der jungen Bundesrepublik ausdrückte, den heutigen gesellschaftlichen Konsens repräsentieren möchte, mussten die GRÜNEN heute den Ausstieg für sich reklamieren und Merkels Ausstieg inklusive ihrer Ausstieg-aus-dem-Ausstieg-Option zustimmen. Denn vor nichts haben die GRÜNEN heute mehr Angst, als dass die “Dagegen-Partei”-Kampagne der Kanzlerin verfangen könnte.

Ihre Zustimmung zum Ausstieg heute war symbolisch, ihre Ablehnung der übrigen schwarz-gelben Energiegesetze ebenso. Die spannende Frage ist also nicht, wie sich die GRÜNEN in der Opposition verhalten, sondern ob sie ihre wohlfeilen Beschlüsse zur dezentralen Energieversorgung, zur Förderung von Bürgerkraftwerken und zur kommunalen Energieerzeugung ernst meinen. Sind sie zukünftig bereit, sich mit den mächtigen Energieversorgungsunternehmen anzulegen? Werden sie deren gigantische Gewinne aus dem Atomstrom für die Energiewende heranziehen oder werden die VerbraucherInnen diese bezahlen? Wer sich anschaut, wie die GRÜNEN vor zehn Jahren vor der Atomlobby einknickten, muss zweifeln, ob sie die Energiewende wirklich gegen die Wirtschaftslobby durchsetzen werden.

Schön, dass die LINKE gegen den verzögerten Ausstieg gestimmt hat, aber zur sozialen Greenpeace-Partei wird sie dadurch noch lange nicht. Eine ökologische und soziale Energiewende, die die Macht der großen Energiekonzerne bricht und damit den Weg für eine ökologische, bürgernahe und dezentrale Energieversorgung sichert, wird aber auch nicht von den GRÜNEN durchgekämpft werden. Jetzt, nachdem die große Schlacht gegen die Atomkraft scheinbar gewonnen wurde, muss die Linke - als Bewegung und Partei - diese Frage zur ökologischen Frage des 21. Jahrhunderts machen. Ob die GRÜNEN hier - also bei der Entmachtung der Energiekonzerne - Bündnispartner oder Gegner sein werden, wird letztlich von der Stärke der sozialen Linken abhängen. Wer sich in dieser Frage auf die GRÜNEN verlässt, wird hingegen so enttäuscht werden, wie die Anti-AKW-Bewegung vor zehn Jahren.

„Ein sozial verträglicher Umbau in der Energieversorgung ist nicht in Großstrukturen möglich“

geschrieben am 30.06.2011

Kornelia Möller, Du bist Mitbegründerin des Projekts „Energiebeiräte“. In einem gemeinsamen Appell mit der linken Stadträtin Dagmar Henn und dem Journalisten Mario Simeunovic bezeichnest Du Energiebeiräte als „Instrument für einen sozial-ökologischen Umbau“ der Gesellschaft „von unten“. Was sind Energiebeiräte und warum glaubst, dass diese ein machtvolles Instrument sein können? Energiebeiräte sind unserer Überzeugung eine notwendige Ergänzung zur Rekommunalisierung der Energieversorgung. Sie sind ein öffentliches Gremium, in dem alle Fragen von Energieerzeugung über –versorgung bis zur Einsparung von Energie wieder zusammengeführt werden, um dann in einem gesellschaftlichen Prozess entschieden zu werden.

Für die Gesellschaft gehören beispielsweise eine Umstellung der Energieerzeugung und Energieeinsparung zusammen. Energieerzeuger, selbst kommunale, haben aber ein Interesse daran, ihr Produkt abzusetzen. Sie werden also nichts in Einsparung investieren, selbst wenn das für das gesellschaftliche Problem, etwa die Bekämpfung des Klimawandels, die günstigere Lösung ist. Wenn die beiden Seiten der Frage wieder zusammengeführt werden und die Bürgerinnen und Bürger selbst entscheiden können, ist eine effiziente Lösung erst möglich.

Die Energiebeiräte sind ein Gremium für diese Entscheidungen. Im Moment wird ja kaum noch wahrgenommen, dass es tatsächlich um menschliche Bedürfnisse geht. Wir brauchen eine lebenswerte Umwelt, auch für kommende Generationen, aber wir brauchen auch den Zugang zu Energie, jeder einzelne von uns. Die Abwägung zwischen diesen unterschiedlichen Bedürfnissen nimmt der Markt nicht vor. Er geht über sie hinweg, und Marktmechanismen schließen immer größere Teile der Gesellschaft völlig aus. Wie das aussieht, kann man bei den Bio-Lebensmitteln beobachten. Für die einen sind sie ein Statussymbol, für die anderen schlicht unerreichbar. Das, worum es einmal ging, eine Umgestaltung der Landwirtschaft, gelingt so nie. Im Gegensatz dazu funktionieren demokratische Prozesse, ohne auszuschließen. Die Energiebeiräte sind ein partizipatives Modell, das einen bewussten Umbau ermöglicht. Das kann ganz andere Potentiale freisetzen als der autoritäre Umbau, der zur Zeit praktiziert wird und an dem die Menschen im besten Fall als Konsumenten teilhaben.

Wer engagiert sich in kommunalen Energiebeiräten?

Die Energiebeiräte sollen grundsätzlich für jeden offen, aber auch mit VertreterInnen der unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen besetzt sein. Also Rederecht für jede, damit ein echter gesellschaftlicher Diskurs möglich ist und Platz ist auch für zeitlich begrenztes Engagement der Bürgerinnen und Bürger, aber ein festes Stimmrecht für die Entscheidungen.

Bei den ständigen Mitgliedern denken wir sowohl an Umweltverbände wie an Beschäftigtenvertreter, Sozialverbände oder Handwerker und selbstverständlich auch Kommunalpolitiker. Solche Beiratsstrukturen sind ja grundsätzlich nichts Neues; jeder Kinder- und Jugendhilfeausschuss hat eine solche Struktur; und das sind hilfreiche Ergänzungen in einer repräsentativen Demokratie. Wir wollen aber eine partizipative Öffnung des Beirats, damit die Bedürfnisse aller, aber auch die spezifischen Kenntnisse einzelner engagierter Bürgerinnen und Bürger einen Raum finden. Und weil selbst bei partizipativen Prozessen ein Ausschlussrisiko besteht, das man als Mittelschichtbias kennt, hielten wir zumindest in größeren Kommunen eine Ergänzung durch Elemente aus der Planungszelle für sinnvoll.

Dass so viele Menschen die Forderung nach Rekommunalisierung der Energieversorger sympathisch finden, ist ja nicht nur eine Reaktion auf das Verhalten der großen Energiekonzerne und die Risiken der Atomkraft. Darin äußert sich auch der Wunsch, wieder selbst über die eigenen Bedürfnisse entscheiden zu können. Ich denke, es werden sich mehr Menschen in Energiebeiräten engagieren als wir jetzt ahnen.


Die Energiebeiräte auf kommunaler Ebene sind beratend tätig. Besteht die Gefahr, dass die Beiräte, wenn es hart auf hart kommt von den kommunalen Entscheidungsträgern einfach ausgebootet werden?

Die Erfahrung zeigt, dass eine offene Konfrontation mit Beiräten, die in der Kommunalpolitik bereits bestehen, eher selten ist. Man muss sich ja mit ungeheuer vielen verschiedenen Themen befassen und ist oft froh, wenn man sich auf spezifischeres Wissen beziehen kann. (Das ist ja auch der technische Grund für diese Flut von Expertenkommissionen, die man leider unter demokratischen Gesichtspunkten sehr kritisch sehen muss). Und dann spielt auch die Zusammensetzung des Beirats eine Rolle – je mehr gesellschaftliche Gruppen darin vertreten sind, desto unwahrscheinlicher wird es, dass das Votum des Beirats einfach übergangen wird. Da das Thema des Energiebeirats alle betrifft, muss er sehr breit aufgestellt sein. Damit ist auch klar, dass ein Votum dieses Beirats von vielen Bürgerinnen und Bürgern mit getragen wird und der Widerstand gegen eine völlig abweichende Entscheidung hoch sein dürfte. Ein „Ausbooten“ ist da eher unwahrscheinlich. Sollte das Votum des Beirates doch wider erwartend negiert werden, so scheint mir ein Veto der Beiräte sinnvoll. Ein kommunaler Bürgerentscheid kann dann für Klarheit im Sinne der Bevölkerung sorgen.


Insbesondere der Strommarkt ist in Deutschland sehr stark zentralisiert und unter einigen wenigen Quasi-Monopolisten aufgeteilt. Warum ist es sinnvoll ausgerechnet auf die kommunale Ebene zu setzen?
Wir denken, dass ein sozial verträglicher Umbau hin zu einer Energieversorgung auch für künftige Generationen nicht in Großstrukturen wie bundesweiten Stromkonzernen möglich ist. Selbst unter den besten Bedingungen, selbst wenn sie nicht gewinnorientiert arbeiten würden, entwickeln solche Strukturen ein Eigenleben und eigene Interessen, gegen die sich soziale Erfordernisse nur schwer durchsetzen können. Auf kommunaler Ebene ist es sowohl möglich, alternative Ressourcen optimal zu nutzen (ein Beispiel dafür ist etwa Geothermie) als auch den Interessen jener Geltung zu verschaffen, die auf dem Markt übergangen werden. Hier wird mehr ausgehandelt und weniger einfach durchgedrückt.

Wir stehen vor der Frage, ob eine Orientierung auf eine ökologische Energieproduktion die Gesellschaft noch weiter in Gewinner und Verlierer spaltet als es heute schon der Fall ist, oder ob die nötigen Veränderungen von Vorteil für alle sind. Letzteres setzt aber voraus, die Entscheidungsmechanismen zu demokratisieren. Große Veränderungen in einer Gesellschaft – und der sozial-ökologische Umbau ist eine große Veränderung – gelingen nur, wenn sie nicht nur viele wollen, sondern auch viele dabei mit entscheiden können. Die kommunale Ebene bietet dafür die besten Möglichkeiten.


In einigen Bundesländern gibt Energie- bzw. wie in Berlin Klimaschutzräte – welche Erfahrungen gibt es mit der Wirksamkeit dieser Institution?

Die Energiebeiräte, die wir vorschlagen, sind damit schwer zu vergleichen. Dort geht es um Expertengremien; uns geht es um Partizipation. Ein Expertenbeirat gibt Empfehlungen, die dann erst auf der politischen Ebene mit den unterschiedlichen gesellschaftlichen Interessen kollidieren, wenn es um die konkrete Umsetzung geht; unsere Energiebeiräte sind ein Ort, an dem diese gesellschaftlichen Interessen verhandelt werden. Uns geht ja gerade nicht um die abstrakte Ebene, also um Richtlinien, Grenzwerte oder Monitoring, sondern um die konkrete Entscheidung am Ort. Also: wollen wir Windräder, brauchen wir einen Sozialtarif beim Strom, was sollen unsere Stadtwerke tun oder lassen, wo investieren wir in Einsparungsmöglichkeiten.

Man könnte es so sagen – diese Expertengremien, die ja teilweise dann meist um ein paar Vertreter gesellschaftlicher Gruppen erweitert sind, erfüllen eine völlig andere Funktion. Sie sind einerseits für die Politik eine Form von Informationsbeschaffung, andererseits eine Art Trockendock für politische Vorhaben, ehe sie in die allgemeine gesellschaftliche Debatte gelangen, und zuletzt noch ein Hilfsmittel für die Politik, sich eine zusätzliche Legitimation in Bereichen zu verschaffen, in denen die konkreten Einwirkungsmöglichkeiten beschränkt sind.

Unsere Energiebeiräte sind der Ort der gesellschaftlichen Debatte, stehen also an einer völlig anderen Stelle im politischen Prozess. Hier geht es um einen Bereich, in dem die Politik die echten Entscheidungen fällt und nicht selbst appellieren muss. Wir reden hier ja auch von der Steuerung kommunaler Energieversorger. Klar, dass dieser Beirat dann wesentlich wirksamer ist und eine gestärkte Position, beispielsweise in einem kommunalen Bürgerentscheid, einnimmt.

Ja zu klaren Grenzen

Beitrag von Thomas Lohmeier und Jörg Schindler, geschrieben am 22.06.2011

Schlagworte:

antisemitismus, Israel, linke, Nahhost, Palästina

“Antisemitismus hat keinen Platz in der LINKEN, das war immer so und wird immer so bleiben!” beschloss die Linke in Duisburg und NRW, als ohne ihr Wissen ein Flugblatt auf ihrem Webserver landete, das Israel mit dem Nationalsozialismus auf eine Stufe stellte. So erfreulich die eindeutigen und kompromisslosen Distanzierungen waren, so zeigte die Erklärung aber doch auch, wo das Problem lag. Antisemitismus wurde verurteilt. Aber was das denn konkret bedeutet, ob ein (und wenn ja: welcher) Zusammenhang zwischen Antizionismus und Antisemitismus besteht, welche Implikationen das unumstrittene Postulat “Antisemitismus hat keinen Platz in der LINKEN” denn nun für die konkrete Politik, z. B. die konkrete Nahost-Politik hat - davon kein Wort.

ein politischer Konflikt

Dass diese genauere Bestimmung fehlte, war auch kein Zufall. Sondern es ist Ausdruck eines tiefen politischen Konflikts innerhalb der Linken - als Partei und als Bewegung. Dabei geht es übrigens nicht darum (was medial suggeriert wird), dass AntisemitInnen in der LINKEN ihr Unwesen treiben und es DIE LINKE nicht schaffen würde, sich von diesen zu distanzieren. Denn - mindestens verbal - geschieht das ohne jeden Zweifel. Vielmehr geht es um die Frage, welche konkreten Folgen eine konsequente Politik gegen Antisemitismus für DIE LINKE insbesondere im Nahostkonflikt hat: Welche Positionen sind - auch vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte - für deutsche Politik in Bezug auf den Nahostkonflikt möglich, welche nicht? Diese Frage, und das ist leider auch ein Teil der Polemik der bürgerlichen Medien und der konkurrierenden Parteien gegen DIE LINKE, wird auch in allen anderen Parteien mehr oder minder offen geführt. Erinnert sei an die “Tätervolk”-Rede des CDU-MdB Martin Hohmann, an die Ausfälle Jürgen Möllemanns (FDP) und Jamal Karsli (Grüne) und nicht zuletzt an die Auffassung Sarrazins, alle Juden teilten ein bestimmtes Gen. Mindestens letzterer meint bekanntlich bis heute, unwidersprochen durch den SPD-Vorstand, da gäbe es nichts zurückzunehmen. DIE LINKE führt also diesen Konflikt - totgeschwiegen in den anderen Parteien und gesellschaftlichen Gruppen - quasi für diese gleich mit.

Anlässe für Unklarheit

Aber es gab tatsächlich Anlässe, weshalb der LINKEN die Frage zur ihrem Verhältnis zum Antisemitismus gestellt werden durfte. Der schlechteste war da noch eine so genannte “Studie” zum sich angeblich verbreitenden Antisemitismus in der LINKEN. Da bleibt einen schon fast die Spucke weg, was heute alles als wissenschaftliche Leistung gilt. Nach diesen Maßstäben hätte von und zu Guttenberg auch seinen Doktortitel behalten dürfen. Aber das ist ein anderes Thema. Es gab aber durchaus Gründe, die deutliche Stopp-Zeichen gegenüber antizionistischen Positionen in der LINKEN notwendig machten. Konkret zu benennen sind: Das Tragen eines Schals durch eine MdB der LINKEN, auf dem der Nahe Osten ohne Israel dargestellt ist, oder diverse Aussagen eines linken MdB-Mitarbeiters auf einer Veranstaltung im Rahmen des Marx21-Kongresses mit dem vielsagenden Titel “Ist Kritik an Israel antisemitisch?”. Nur als Anmerkung: Wäre die Veranstaltung nach fünf Sekunden zu Ende gewesen, weil man die gestellte Frage einfach mit “Nein.” beantwortet hätte, gäbe es kein Problem.

Politik ist immer konkret.

Über Wochen aber war die Partei zu den verschiedenen Anlässen immer wieder nur in der Lage, ihr Sprüchlein aufzusagen, ohne zu definieren, was sie denn praktisch meint, wenn sie vom Kampf gegen Antisemitismus spricht. Dieser Zustand war unerträglich. Und deshalb hat die Fraktion der LINKEN im Bundestag am 7. Juni einen Beschluss gefasst und drei aktuelle Eckpunkte für die Positionierung im Nahostkonflikt beschlossen: Zwei-Staatenlösung und damit Nein zur Ein-Staatenlösung, Ablehnung von Boykottaktionen gegen israelische Produkte und keine Beteiligung an der „Gaza-Flottille“. Seitdem schlagen die Wellen hoch.

Verbindlichkeit statt falscher Pluralismus

Beschlossen hat die Linksfraktion allerdings mindestens zwei dieser Punkte schon länger. Sowohl die Zwei-Staatenlösung auf Basis der Grenzen von 1967 als auch die Ablehnung von Wirtschaftsboykotten gegen Israel, vielmehr die Einforderung der im Assozierungsabkommen zwischen EU und Israel enthaltenen Menschenrechtsklausel, waren bereits bisher geltende Beschlusslage der Linken im Bundestag. Neu kann also allenfalls die Nichtbeteiligung an der Gaza-Flottille sein, denn noch im letzten Jahr hatte LINKE samt Fraktion die Beteiligung von drei linken MdB noch entsprechend positiv gewürdigt.
Warum also die Aufregung? Neu ist die Verbindlichkeit des Beschlusses für die Fraktionsmitglieder und deren MitarbeiterInnen. Hier liegt auch der Hund begraben. Denn Papier ist geduldig und Positionspapiere der Linksfraktion erst recht. So hatte die schon bisher geltende Beschlusslage der Linksfraktion einzelne Abgeordnete nicht davon abgehalten, unverhohlen Gegensätzliches zu vertreten. Dass MdB Inge Höger nach der palästinensischen Konferenz in Wuppertal, auf der sie einen Schal trug, auf dem das historische Palästina ohne den Staat Israel abgebildet war, in einer als „Gegendarstellung“ benannten Stellungnahme noch verkünden durfte, „Erst in einem Friedensvertrag wird es eine Lösung für die Grenzfrage geben“, darf ebenso getrost als beschlusswidrig benannt werden wie die Statements eines MdB-Mitarbeiters, es sei „Blödsinn“, wenn man behaupte, die Existenz des Staates Israel sei eine Konsequenz der Shoah, und „die Juden hätten das palästinensische Land geklaut“, sei jedenfalls nicht antisemitisch gemeint. Mit dem jüngsten Beschluss sollte nun klar sein – im Gegensatz zu früher – dass, wer solche Positionen weiter vertritt, sich außerhalb einer gezogenen politischen Grenze befindet. Ebenso wie man leider auf Grund verschiedener Zwischenrufe davon ausgehen kann, dass ohne den aktuellen Beschluss sich LINKE-Promis auf einem Flottillen-Dampfer gen Gaza, sponsored by IHH, der türkischen Vorfeldorganisation von Hamas und Milli Görüs, befunden hätten.
Die Verbindlichkeit ist übrigens auch sinnvoll. Wer etwas gegen diese Eckpunkte hat, soll das inhaltlich in der Sache begründen, sich aber nicht hinter dem Pluralismus - oder gar hinter Formalia bei der Beschlussfassung - verstecken. Schließlich ist eine Partei ein Gesinnungsverein. Da muss bei wichtigen Punkten auch mal im Chor gesungen werden. Beim Mindestlohn oder den so genannten “roten Haltelinien”, Mindestanforderungen für eine Regierungsbeteiligung, ist das ja auch aus gutem Grund so.

Die Eckpunkte sind richtig.

Wir wollen hier festhalten: Die Beschlussfassung der drei Eckpunkte ist politisch richtig. Sowohl die Zwei-Staatenlösung, die Ablehnung der Boykotte als auch die Nichtbeteiligung an Aktionen, die von islamischen Fundamentalisten dominiert werden, sind ganz mehrheitlich durch DIE LINKE vertretene Positionen. Und so ist es nur folgerichtig, dass die Bundestagsfraktion dies auch in der Außendarstellung und ihrer Aktivität als ihre politische Position erkennbar macht – und auch ihre Mitglieder und MitarbeiterInnen auf die Einhaltung der Beschlusslage orientiert. Schließlich geht es hier nicht nur um Nuancen, sondern um Prinzipielles zum Thema.

Kein Denk-Verbot, sondern Anfang der Debatte

Richtig ist allerdings auch, dass mit diesem Beschluss weder die individuelle Meinung von Mitgliedern „erzwungen“ werden noch damit das Thema „abgehakt“ werden kann. Auch, wenn die Verfasser sowohl die Ein-Staatenlösung als auch die Unterstützung von israelischen Warenboykottaktionen für reichlich abwegig halten, nehmen wir doch zur Kenntnis, dass es sowohl in der deutschen, internationalen und israelischen Gesellschaft selbst Unterstützung hierfür gibt. Und natürlich: Wenn ein israelischer Linker zum Warenboykott aus den besetzten Gebieten aufruft oder in Haifa mit PalästinenserInnen über einen gemeinsamen bi-nationalen Staat redet, handelt er nicht gleich antisemitisch. Wichtig ist dennoch festzuhalten: Diese individuelle Position einer Mandatsträgerin oder eines Parteimitarbeiters ist explizit nicht die der LINKEN, und das muss im Handeln auch deutlich werden. Und umgekehrt: Die Position der Partei muss ebenfalls als solche deutlich sein. In der Öffentlichkeit wird regelmäßig eben nicht zwischen formaler Beschlusslage und persönlicher Haltung unterschieden. Es ist daher demokratischer Anspruch und auch Akt der Solidarität, die Partei nicht für die eigene Minderheitsposition im politischen Alltag quasi in Haftung zu nehmen.

Dennoch: DIE LINKE ist eine junge Partei. Und sie ist eine Sammlungspartei verschiedener linker Strömungen – solcher, für die die drei Eckpunkte selbstverständlich sind, wie von jenen, die – aus einem linken Grundverständnis heraus – sich explizit pro-palästinensisch positionieren. Eine nicht zu unterschätzende Aufgabe der neuen Parteibildung war und ist es auch, hier nicht bloß die Zersplitterung linker Fraktionierung zu reproduzieren, sondern sich in einen Austausch zu begeben; eine gemeinsame Suche nach neuen politischen Überzeugungen zu versuchen, aus denen mehr erwächst als die bisherige relative oder absolute Machtlosigkeit jeder einzelnen Fraktion. 51:49%-Beschlüsse lässt nur Verlierer zurück. Die Verpflichtung aller auf die gemeinsame Agitation einer nicht breit getragenen, sondern nur ertragenen Mehrheitsposition beschädigt die Partei. Denn die Minderheit ist nach dem Beschluss der Fraktion weder „weg“ noch sind die Mitglieder umfassend „auf Parteilinie“. Sondern vielfach stehen sie wohl bass-erstaunt vor der Härte des Konflikts. Deshalb kann der Fraktionsbeschluss nur der Anfang einer notwendigen nachholenden Positionsbildung in der Partei sein. Insbesondere müssen deshalb auch der Minderheit in der innerparteilichen Diskussion Räume für kritische Fragen zum Beschluss zur Verfügung gestellt werden – auch, wenn dies schwer erträglich erscheint.

Kritische Fragen an den Imperialismus und an den Antiimperialismus.

Klar ist dabei, dass mit der Debatte zur Nahostposition der deutschen Linken (und der LINKEN) letztendlich drei strittige Grundfragen mitverhandelt werden: Erstens die Frage der Imperialismusanalyse, zweitens die Frage der Faschismusanalyse und drittens die Frage der Demokratieanalyse. Das können und wollen wir hier nicht abschließend behandeln. Ein aktueller Anriss jedoch zur Frage des “Imperialismus” und des “Antiimperialismus”, verbunden mit der Aufforderung, in folgende Richtungen zu diskutieren: Wie gestaltet sich der Imperialismus heute eigentlich? Kann man wirklich davon ausgehen, dass einer (USA?) oder wenige (USA? EU? Russland? China? Japan?) die Welt dominieren und sich diese ökonomisch mittels militärischer Macht und/oder wirtschaftlicher Abhängigkeit gefügig halten? Und wenn ja: Sind deshalb bereits alle Kämpfe, die sich gegen diese imperiale Mächte richten, gleichsam eine fortschrittliche Befreiungsbewegung? Oder müssen wir nicht vielmehr auch auf den Charakter dieser Bewegungen schauen? Wollen diese Demokratie? Sozialismus? Oder wollen sie vielleicht nur andere autoritäre Herrschaftsverhältnisse implementieren? Und überhaupt: Warum ist im Nahen Osten denn Israel besonders“imperialistisch”? Hätten es die USA eigentlich nicht viel einfacher, den Staat Israel fallen zu lassen? Wenn es ihnen nur um die Sicherung ihres Zugangs zum Öl in der arabischen Welt ginge, wäre dies ohne den endlosen Nahostkonflikt, der die arabischen Staaten tendenziell eher eint und somit das beliebte Spiel “Teile und Herrsche” erschwert, nicht viel einfacher? Als “Flugzeugträger” brauchen die USA Israel zumindest nicht mehr. Militärbasen haben sie in der Region wahrlich genug. Unseres Erachtens erscheint die “klassische” antiimperialistische Analyse mit ihren Bildern aus “Vorposten”, Unterdrückung der arabischen Welt und Volksbefreiungsbewegungen den Nahostkonflikt nicht hinreichend zutreffend zu beschreiben - im Übrigen auch die palästinensische Gesellschaft und ihre Akteure von Fatah bis Hamas nicht.
Analytische Blindheit zeichnet aber nicht nur die “antiimperialisitische Linke” aus. Auch die “Antideutschen” um den Solid-Arbeitskreis BAK Shalom müssen sich einmal fragen, ob sie wirklich glauben, dass es in dieser Welt keinen Imperialismus mehr gibt, wenn sie etwa schreiben: „Eine kompromisslose Absage an den Antiimperialismus ist die Voraussetzung für die Neukonstituierung einer emanzipatorischen Gesellschaftskritik.” So richtig die Kritik an reaktionären Kräften in den Staaten der “Dritten Welt” ist, so falsch ist es doch, den Westen zum demokratischen Bollwerk gegen diese Kräfte zu erheben. Denn dies verkennt, dass nämlich weder USA noch EU per se ein Interesse an einer Demokratie im Nahen Osten haben. Die Kollaboration der westlichen Staaten mit diversen Diktatoren - auch arabischen - widerlegt den naiven Glauben, es ginge ihnen hierbei etwa um Menschenrechte und demokratischen Fortschritt.
Konkret zu Israel: Israel hat aktuell eine rechtspopulistische Regierung. Diese steht einem Frieden im Nahen Osten im Weg. Aber sind die demokratischen und individuelle Rechte, die Israel seinen BürgerInnen - selbst der arabischen Minderheit - gewährt, nicht vielmehr ein positiver Anknüpfungspunkt im Vergleich zu den autoritären Regimen der Region? Was für ein Faschismusbegriff liegt eigentlich zugrunde, wenn Israel, wie man in der antiimperialistischen Linken hört und liest, als faschistisch gekennzeichnet wird? Da würde sich wohl sogar Dimitroff im Grabe herum drehen. Kann man diesen Konflikt wirklich so einfach gut-böse zeichnen, wie es “Antiimperialisten” und “Antideutsche” tun? Wir meinen: Nein.

Aufräumen mit Mythen

Unschön ist, dass bei Konflikten in der LINKEN ein weiteres Mal die bekannten Codierungen hinzutreten. Nicht selten war zu lesen, es handele sich bei dem Fraktionsbeschluss um eine Anpassung für die Regierungsfähigkeit und ein Projekt der “Parteirechten”, denen es freilich gar nicht ums Thema gehe, sondern um die Macht. So zentral die Frage nach möglichen Regierungsbeteiligungen für die LINKE ist, so deutlich mischt doch gerade der Nahost-Konflikt die innerparteilichen Lager. Im Übrigen ist die Annahme, es handele sich bei allem nur um Anpassung, eventuell auch einfach der Vollzug eines Systemzwangs: Im politischen System und im Staat der BRD – so hatte der Systemtheoretiker Niklas Luhmann klug herausgearbeitet – ist jede Kommunikation nach dem Code Regierung/Opposition bzw. Macht/Nicht-Macht codiert. Hier steht der Staat in den Köpfen (diesmal wohl hauptsächlich der selbsternannten “Parteilinken”) einer vernünftigen Diskussion im Wege.

Auch im Umgang mit den Medien wurden wieder die bekannten ineffektiven Reaktionsmuster bedient: Alles sei nur eine Kampagne der bösen bürgerlichen Presse. Nun ja, mag man antworten, wer es über Jahre nicht hinbekommt, eine halbwegs akzeptable Parteiöffentlichkeit mit entsprechenden Publikationen aufzubauen, soll sich nicht wundern, dass die Meinungsbilder der sog. “bürgerlichen Medien” auch für die innerparteiliche Willensbildung maßgeblich sind. Das, für das die Linkspartei gehalten wird, ist zu einem großen Teil leider, leider durch die großen Meinungsmedien mitbestimmt. Umso mehr war es richtig, mit dem Fraktionsbeschluss ein klares symbolisches Zeichen und Stoppschild zu errichten: Wenn sich im öffentlichen Bewusstsein festsetzt, dass die LINKE beim Kampf gegen Antisemitismus nicht klare Kante vertritt, wer macht denn da bitteschön noch dauerhaft mit oder tritt etwa in den Laden ein?

Ob das “Regierungslager” in der LINKEN diese Frage tatsächlich dazu nutzen will, die Partei regierungsfähig zu machen, wäre übrigens unabhängig vom Wahrheitsgehalt der Behauptung egal, wenn der antiimperialistische Flügel der Partei diesen Zusammenhang nicht durch stetige Behauptung erst konstruieren würde. Diese Strategie der Reformer liefe schlicht ins Leere. Auch logisch ist das Argument inkonsistent: Selbst wenn es dem Reformerlager nur darum ginge - wäre damit das Argument, auch instrumentell verwendet, schon hieraus falsch?

Vermutlich ist der eigentliche Grund für den Anpassungs-Vorwurf ein anderer. Er schafft eine willkommene Ablenkung, weil die antiimperialistische Strömung sich auf diese Weise gegen die Problematiken ihrer Argumentation immunisiert. Dem Zusammenhang zwischen Antizionismus und linken Antisemitismus muss man auf diese Weise nicht mehr stellen, weil gleich auf die Interessensgeleitetheit des Gegenübers verweisen werden kann. Das ist, auch wenn es insbesondere im politischen Machtkampf praktisch ist, leider kein Beitrag zur inhaltlichen Fortführung der verfahrenen Debatte.

Außenpolitik. Außenpolitik. Außenpolitik.

Letztlich ist die Einschätzung, dass es sich bei dieser Frage um die Frage nach der Regierungsfähigkeit der Linken handelt, falsch. Zwar spricht aufgrund der handelnden Akteure und Gysis positiver Bezugnahme auf die "Staatsräson", die im Nahostkonflikt zu beachten sei, zunächst einiges dafür. Richtig ist auch: Die Frage der Regierungsfähigkeit wird in der Außenpolitik entschieden. Aber sie wird sich nicht am symbolischen Konflikt entscheiden, wie die LINKE zum Nahostkonflikt steht. Vielmehr wird sie an der Frage entschieden, sie es mit Bundeswehreinsätzen im allgemeinen und mit der NATO im besonderen hält. Die GegnerInnen von Regierungsbeteiligungen sollten sich daher lieber diesen Themen zuwenden - denn das sind auch Themen, in denen DIE LINKE - so sich die Frage einer Regierungsbeteiligung wirklich stellen sollte - sogar einen gewissen Einfluss hätte. Deshalb wird genau geprüft werden, wie sie sich in diesen Fragen verhält. Mal ganz davon angesehen, dass die Frage, ob es 2013 im Bund zu Rot-Rot-Grün kommt vor allem von einem ganz anderen Umstand abhängt. Wenn SPD und Grüne zusammen ein so gutes Wahlergebnis erzielen, dass es für Rot-Grün reicht, wird es sowieso kein Rot-Rot-Grün geben.

Eckpunkte verteidigen. Grenzen beachten. Frieden erkämpfen.

Der Fraktionsbeschluss zur Nahost-Debatte kann nur der Anfang sein; jetzt ist die Partei gefordert, die Eckpunkte praktisch zu füllen, über alle Differenzen hinweg. Maßgeblich ist dabei der Grundsatz der friedlichen Konfliktlösung und der Achtung der Menschenrechte, um die gegenwärtig grassierende Über-Identifikation mit einer Konfliktpartei zu vermeiden. DIE LINKE kann daher also beispielsweise eine Politik, die auf militärischen Sieg setzt, niemals unterstützen oder auch nur tolerieren - und zwar weder durch militärische Aktionen der israelischen Armee in die besetzten Gebiete, noch durch Guerilla-Aktionen militanter Palästinensergruppen. Ebensowenig kann DIE LINKE Verletzungen von Menschenrechten bis hin zu gezielten Tötungen durch die israelische Armee tolerieren wie sie Selbstmordattentate oder Raketenangriffe auf israelische Grenzstädte als eine Art fehlgeleitete Notwehr der Unterdrückten bagatellisieren kann. Zwei Staaten mit Friedensvertrag kann es nur geben, wenn in beiden Gesellschaften der Gedanke hegemonial ist, dass ein solcher Status auf Dauer unumgänglich, militärische Siege dagegen keinen dauerhaften Frieden bringen können. Deshalb kann im Übrigen auch weder die israelische Rechte noch die palästinensische Rechte, also weder Israel Beitenu noch Hamas, ein Bündnispartner für DIE LINKE sein. Denn beide sind explizite Gegner einer Friedens- und einer Zwei-Staatenlösung. DIE LINKE sollte vielmehr - etwa durch die ihr nahestehenden Parteien und Gruppierungen in der Region, ob Meretz oder Chadasch, und durch regelmäßige Kontakte über die ihr nahestehenden Stiftungsbüros der Region - aktiven Austausch mit fortschrittlichen Kräften der Region betreiben. Das wäre dann im Übrigen auch ein praktischer Beitrag gegen Antisemitismus und Teil der selbstverständlichen linken Solidarität mit Israel und einem künftigen Staat Palästina, die die Identifikationshoheit mit einer Konfliktpartei nicht den jeweils aggressiven Nationalisten und ihren ideologischen deutschen Freunden überlässt.

Ja zu klaren Grenzen

Beitrag von Von Thomas Lohmeier und Jörg Schindler, geschrieben am 22.06.2011

“Antisemitismus hat keinen Platz in der LINKEN, das war immer so und wird immer so bleiben!” beschloss die Linke in Duisburg und NRW, als ohne ihr Wissen ein Flugblatt auf ihrem Webserver landete, das Israel mit dem Nationalsozialismus auf eine Stufe stellte. So erfreulich die eindeutigen und kompromisslosen Distanzierungen waren, so zeigte die Erklärung aber doch auch, wo das Problem lag. Antisemitismus wurde verurteilt. Aber was das denn konkret bedeutet, ob ein (und wenn ja: welcher) Zusammenhang zwischen Antizionismus und Antisemitismus besteht, welche Implikationen das unumstrittene Postulat “Antisemitismus hat keinen Platz in der LINKEN” denn nun für die konkrete Politik, z. B. die konkrete Nahost-Politik hat - davon kein Wort.

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Was guckste, Linke?

Beitrag von Redaktion prager frühling, geschrieben am 20.06.2011

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Die Diskussionstische im Roten Salon der Volksbühne füllen sich.

Am Sonntag Abend diskutierten wir im Roten Salon der Volksbühne nicht nur mit unseren LeserInnen und Autoren sowie mit Darja Stocker (Theaterregisseurin), Sonja Buckel (Institut für Sozialforschung), Katja Kipping (Die LINKE, prager frühling), Thomas Seibert (Institut Solidarische Moderne), Silke van Dyk (Uni Jena), Franziska Drohsel (ehem. Bundesvors. Jusos), Robert Zion (Grüne), Tadzio Müller und Juliane Karakayali (Soziologin) über die Redaktionsthesen der zehn Ausgaben des prager frühlings, sondern präsentierten auch den Film zum Magazin. Den wollen wir euch natürlich auch nicht vorenthalten und ich aber auch nicht zeigen, ohne zuvor Vanessa Aab, der Regisseurin, herzlich zu danken.

Kolja Möller stellt die zehn Thesen der Redaktion vor.
Das Abschlussgespräch mit Juliane Karakayali, Tadzio Müller, Darja Stocker, Sonja Buckel, Robert Zion

Reinheitsverbot

Beitrag von Redaktion, geschrieben am 17.06.2011
Reinheitsverbot - Auf die Prallelgesellschaften! Prost!

prager frühling stößt an: ein Prosit den Parallelgesellschaften! Schon klar, Integration fordern immer die Anderen. Deshalben sagen wir: "Erst wenn Efes sich ins deutsche Biersortiment eingegliedert hat und ein Hefeweizen anbietet, werdet ihr merken, dass man so etwas nicht trinken kann." Wie aber geht sozialistischer Antirassismus? Etienne Balibar, Nichi Vendola und viele andere versuchen sich in Antworten.

Ein paar Artikel schon mal lesen? Ein paar Artikel unserer aktuellen Ausgabe haben wir bereits eingestellt. Wer das Heft ganz lesen will, muss es bestellen oder gar abonnieren.

Die Linke darf sich nicht auf eine Kritik um der Kritik willen, beschränken

Beitrag von Stefan Gerbing, geschrieben am 26.05.2011

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Postwachstum

pf: Auf dem Kongress „Jenseits des Wachstums!?“ von Attac haben sie unter anderem im Panel über Degrowth-Paradigmen im Kontext des globalen Südens diskutiert. Was sind die Möglichkeiten und die Beschränkungen dies Ansatzes.

Vishwas Satgar: Es gilt zwei Dinge zu reflektieren: Einerseits die Grenzen des Degrowth-Paradigma, zum anderen die Verwechslungen dieses Paradigmas mit zyklischen Krisen im Kapitalismus. Wir hatten solche Krisen im späten 19. Jahrhundert, in den 1930er jahren, im 21. Jahrhundert. Wir sehen eine Stagnation des Kapitalismus und dennoch: Das finanzkapitalistische Modell ist nicht tot. Es gibt eine Entkopplung von Finanzmärkten und Produktion. Leute verwechseln das zum Teil mit Degrowth oder ökonomischer Schrumpfung. Der andere Punkt ist die Ansicht, dass man den Ausstoß von Gütern und Dienstleistungen innerhalb der kapitalistischen Struktur von der Konsumptionsseite her mindern könne. So lange es aber auf der Produktionsseite weiter die Akkumulationslogik herrscht, würde ich sagen, dass eine Minderung des Konsums nicht ausreichend ist. Es bräuchte eine kulturelle Revolution um die Konsumptionsseite dazu zu nutzen, die Produktionsseite zu steuern. Wir leben in Gesellschaften, die eine Mediensphäre haben, wir erleben eine Bombardierung des Bewusstseins, es gibt Verdinglichung und eine warenförmige Produktion der Subjektivität, die damit Teil dessen wird, was wir sind. Die andere Beschränkung des Degrowth-Paradigmas ist seine häufig vorgenommene Verknüpfung mit der effektiveren Nutzung von Rohstoffen und Energie. Historisch hat man die Arbeitsprozesse effektiviert und Effizienzsteigerungen aus den Arbeitern herausgepresst: Wohin hat das geführt? – Zu mehr Produktion und mehr Konsumption. Wenn man das selbe mit Rohstoffen und Energie tut, wird man mehr Produktion und mehr Konsumption erreichen. Das ist die Logik: Technische Effizienzsteigerungen oder der Ersatz von bestimmten Stoffen, führt nicht zwangsläufig zu einer Senkung von Konsumption und Produktion. Das sind Verwechslungen und Begrenzungen des Degrowth-Diskurses als normativem Rahmen. Dieser Diskurs allein ist nicht in der Lage, Alternativen voranzutreiben. Er ist nicht antikapitalistisch. Die andere Beschränkung ist, dass er ein Ergebnis einer ausschließlich ökonomischen Debatte ist. Die Auseinandersetzungen, die ich kenne, bewegen sich weiterhin in den Grenzen der Makroökonomie als sozialwissenschaftlicher Disziplin. Sie ist, wenn sie sich mit dem Verständnis sozialer Prozesse befasst, auch in ihrer ökologischen Version in der Regel von der neoklassischen Ökonomie beeinflusst. Das ist wesentlich ein sozialtechnisches Konzept. Innerhalb dieser Paradigmen lässt sich eine Diskussion über Wachstum und Postwachstum nicht sinnvoll führen.

pf: Was genau sind die Annahmen, dieser sozialtechnischen Variante der Postwachstums-Debatten, die sie kritisieren?

Auch hier geht es um Wertbestimmungen. Zentrale Kategorien sind: Welchen Wert hat Natur? Wie kann der gemessen, gemanagt, genutzt und reproduziert werden? Das bleibt in der selben Rationalität gefangen. Es gibt einen blinden Punkt im abstrakten Diskurs über ökonomische Gegebenheiten. Wenn man über den globalen Süden spricht, ist das eine neue Mutation des neoliberalen Kapitalismus. Er wird gestärkt aus der Krise herauskommen. Es gibt keinen Versuch den Geist wieder in die Flasche zu bekommen. Es gibt Versuche, den Derivatemarkt zu regulieren. Aber das ist lediglich die Veränderung einiger Parameter des Finanzkapitalismus, die verhindern soll, dass es weitere Instabilität gibt. Mehr geschieht nicht. Der grüne Neoliberalismus ist die neue Frontline des Akkumulationsregimes. Man sieht das bei Mechanismen wie dem Emissionshandel, beim CO2-Abdruck … die ganze Green Economy dreht sich zunächst um Effizienzsteigerung – allerdings um die Maschine am laufen zu halten. Das ist Greenwashing, das ist die falsche Lösung. Damit beschäftigt sich der globale Süden, dass wir uns von einem barbarischen Neoliberalismus zu einem grünen Neoliberalismus weiterentwickeln. Die südafrikanische Regierung spricht in einem Atemzug von Klimaschutz und COP 17

pf: …der UN-Klimakonferenz im nächsten Jahr …

Satgar: … und auf der anderen Seite über Atomkraft und Kohlekraftwerke. Außerdem haben wir uns mit der Frage von Ernährungskrise und der letzten großen Enteignungswelle kleinbäuerlicher Landwirtschaft zu beschäftigen. Die Liberalisierung des globalen Lebensmittelmarkts und Existenz globaler Landwirtschaftsunternehmen hat eine ernsthafte Krise der Nahrungsproduktion im globalen Süden hervorgerufen. Zusammen mit anderen Faktoren wie der Ölknappheit, die mit dem Zugang zu Düngemitteln verknüpft ist, bis hin zur Spekulation mit Nahrungsmitteln hat das zu einer Verteuerung von Lebensmitteln geführt. Die Wachstums/Postwachstumsdiskussion hat daher auch hier einige Begrenzungen. Wenn man diese Beschränkungen im Kopf behält: Wenn diese Debatten über Postwachstum Anschlussfähigkeit im wohlhabenden Norden - im Herzen des Kapitalismus - entfalten, dann sind sie an sich keine schlechte Sache. Es ist keine schlechte Sache, wenn sie Teil einer programmatischen Politik werden, die zu einer Restrukturierung der Gesellschaften im reichen Norden führen. Sie müssen aber in weitere transformative Projekte eingebettet sein. Das führt mich zu der Frage einer größeren, systemischen Krise, in der wir leben – einer zivilisatorischen Krise. Die Wurzeln dieses zivilisatorischen Krise setzen sich aus verschiedenen Fragen zusammen: der Klimakatastrophe, der Nahrungskrise, Oil-Peak, der zunehmenden Militarisierung. Nur Schrumpfung zu fordern, reicht daher nicht. Es braucht eine Radikalisierung. Im Kontext des globalen Süden kann das Degrowthparadigma nur auf die Eliten angewendet werden. Die gibt es. Aber es ist kein Vorschlag für die ohnehin Exkludierten, in den Townships. Aber auch dort müssen wir uns mit den Implikationen der zivilisatorischen Krise auseinandersetzen. Auch dort müssen wir uns die Transformationsfrage stellen, wie man über den Kapitalismus hinauskkommt.

pf: Wie kann denn eine produktive Bezugnahme auf den Postwachstums-Diskurs aussehen?

Satgar: Wie ich sagte, diese Konzepte eines grünen Kapitalismus oder eines grünen Keynesianismus sind nicht die Lösung. Sie können dann hilfreich sein, wenn es gelingt, dass bestimmte gesellschaftliche Gruppen darüber einen Konsens finden und es darüberhinaus eine starke Linke gibt, die Druck ausübt und diese Konzepte weitertreibt. Ich werde mich mit Konzepten wie Degrowth oder grünem Keynesianismus nicht begnügen, aber ich werde schauen, welchen Beitrag sie leisten können. Es reicht nicht, sich allein auf eine kritische Position zurückzuziehen, die immer nur sagt: Das muss man ablehnen! Die klassische marxistische Theorie allein kann die aktuelle Krise nicht fassen. Man kann über Überakkumulation und fallende Profitraten reden. Aber die Verschränkung der verschiedenen Elemente: Die Ernährungskrise, die Klimakrise und die Militarisierung, dafür müssen wir andere Theorien finden. Die bisherigen Krisentheorien, die sehr beschränkt und ökonomistisch sind, können diese fundamentalen Beschränkungen des Kapitalismus nicht erklären. Die Linke muss eine kluge Transformationspolitik finden und darf sich nicht auf eine Kritik um ihrer selbst beschränken.

pf: Kommen wir einmal zur nationalen Ebene in Südafrika. In Deutschland gibt es eine klare Arbeitsteilung zwischen Grünen und politischer Linken, die nur selten in Frage gestellt wird. Die einen sind klar auf ökologische Fragen abonniert, die anderen widmen sich der sozialen Frage. Ökosozialistische Konzepte oder andere Strategien, die eine Verbindung herstellen, sind derzeit eher marginalisiert. In Südafrika gibt es mit der Democratic Left Front (DLF) den Versuch, eine radikaldemokratisch orientierte, ökosozialistische Bewegung aufzubauen. Woher kommt die Bereitschaft zu einem solchen Bündnis.

Satgar: Es gab zwei Bedingungen, die zur Gründung der DLF führten. Die erste lag in der Krise der nationalen Befreiungsbewegung in Südafrika. Dies war früher das zentrale Projekt einer politischen Alternative. Dieser Kampf um Hegemonie, in deren Zentrum der ANC stand und das vor allem im Kampf gegen Rassismus bestand, hat sich in der Zeit des Übergangs zur Demokratie verändert. In dieser Zeit wurden eine Reihe von politischen Grundsatzentscheidungen getroffen, die im Kern in einer Hinwendung zu einer neoliberalen Politik bestand. Das ist im Kern die Politik der letzten 17 Jahre – eine Entrassialisierung der Ökonomie bedeutete kurz gesagt, lediglich die Schaffung einer schwarzen Bourgeoisie. Die Kehrseite davon war eine hohe Erwerbslosenquote, die bei über 40 Prozent der schwarzen Bevölkerung liegt, und damit zusammenhängend: zunehmende Ungleichheiten auch innerhalb der schwarzen Bevölkerung. Es gibt eine soziale Krise, eine Reproduktionskrise. In vielen Haushalten haben Menschen nicht genug zu essen, sie verdienen nicht genug. Der andere Punkt ist, dass sowohl die Linke in der Befreiungsbewegung als auch die Linke außerhalb der Bewegung zu viele Kompromisse gemacht hat. Die Linke außerhalb hat zwar gekämpft, aber sie hatte auch ihre eigenen Schwächen: Während sie gegen die Neoliberalisierung eintrat, war sie nicht in der Lage ein Gegenprojekt zu entwerfen. Die Auseinandersetzungen waren sehr stark auf Einzelfragen konzentriert, oft sehr lokal und die Gruppen ideologisch zerstritten.

pf: Was sind Projekte, mit denen die DLF versucht, ein Gegenprojekt zu entwerfen.

Satgar: Der Organisierungsprozess begann im Oktober 2008. Es gab über sechzig Arbeitsgruppen von Leuten aus der Erwerbslosenbewegung, der Straßenhändlerbewegung, der Schwulenbewegung, den Klimagerechtigkeitsgruppen – all diese Gruppen kamen zusammen und beschlossen, dass es eine neue gemeinsame linke Politik, eine neue linke Identität geben müsse. Das führte uns zu einer Konferenz, die im Januar tagte und denen verschiedene lokale Konferenzen vorangingen. Was entscheidend ist, es gab eine starke Konzentration auf Alternativen. In diesem Zusammenhang wurde eine bahnbrechende Plattform realisiert. Eine der Kampagnen dreht sich um Klima-Jobs. Also die Verbindung von Exklusion in unserer Gesellschaft und ein transformatives ökologisches Projekt. Man verbindet damit sowohl die Arbeitskämpfe und die Auseinandersetzungen der Erwerbslosenbewegung.

pf: Führt dieser keynesianistische Ansatz einer Forderung nach Klima-Jobs nicht zu einer Staatszentrierung zurück, von der sich die DLF zunächst lösten wollte?

Satgar: Diese Forderungen stehen ja nicht allein. Es gibt natürlich noch weitere Elemente: zum Beispiel die Ansätze solidarischer Ökonomie. Viele von uns haben lange in diesem Bereich gearbeitet. Eine weiterer Punkt ist Ernährungssouveränität. Wir versuchen auf lokaler Ebene Strategien der Ernährungssouveränität zu entwickeln. Wohnen, sozialer Wohnungsbau und die Verknüpfung mit ökologischem Bauen sind weitere. Die Grundsätze unserer Aktionsplattform sind: Wir wollen nicht nur den Staat adressieren, sondern eine breitere gesellschaftliche Debatte anstoßen. Wir wollen klar machen, dass es Lösungsansätze gibt und dass man die auch durchsetzen kann. Wir wollen unsere Positionen in einer Art und Weise präsentieren, dass es möglich ist, einen breiten gesellschaftlichen Konsens darauf aufzubauen. Die zweite Frage ist der Aufbau von Bewegungen. Die Erwerbslosenbewegung in Südafrika hat das Potential die Gewerkschaftsbewegung zu überflügeln – wenn sie es schafft, ein klares Programm zu entwerfen. Wir sehen unsere Kampagnenarbeit als Stärkung und nicht als Konkurrenz von sozialen Bewegung. Wir wollen einen Block schaffen, einen Anziehungspol für linke Politik. Schließlich wollen wir den Bluff des südafrikanischen Staates aufdecken. Wir wissen, dass der südafrikanische Staat es nicht schaffen wird, eine eigene Solarindustrie aufzubauen. Man hat sich auf den fossilen Entwicklungspfad festgelegt. Man hat bereits Kapital in die Kohleindustrie investiert – Geld, das von den südafrikanischen Bürgern aufgebracht werden muss. Wir haben das viertgrößte Kohlekraftwerk der Erde – finanziert mit einem Kredit der Weltbank. Der größte Akteur im Energiesektor ist halbstaatlich. Wir versuchen natürlich Druck auf diese halbstaatlichen Akteure auszuüben – aber es ist natürlich nicht in deren Interesse, in erneuerbare Energien zu investieren. Das Thema Klima-Jobs soll vor allem das Thema auf eine lokale Ebene bringen. Die Zentralregierung wird ein solches Programm nicht verwirklichen. Die Lokalregierungen sind derzeit noch zu schwach. Das muss sich ändern, sie müssen arbeitsfähig werden.

pf: In der DLF engagieren sich auch die Gewerkschaften. Gerade die Industriegewerkschaften sind nach meiner Wahrnehmung häufig eher strukturkonservativ. Auf welchen Gemeinsamkeiten basiert das Bündnis.

Satgar: Es gibt da einige Unterschiede zu Deutschland. Die Gewerkschaften stehen auf Grund der neoliberalen Umstrukturierung, den großen Kündigungswellen unter großem Druck. Es sind häufig die gewerkschaftlich organisierten Arbeitskräfte, die das Gros des Haushaltseinkommens erwirtschaften. Es ist also eine einzelne gewerkschaftlich organisierte Person, die durchschnittlich vier andere Personen miternährt. Mit der Prekarisierung und der Ausdehnung von untypischen Beschäftigungsverhältnissen entsteht ein großer Druck auf die ErwerbsarbeiterInnen. Aus diesem Grund ist klar, dass auch erwerbsarbeitsbasierte Lösungen gefunden werden müssen. Die Gewerkschaftsbewegung COSATU hat außerdem eine lange Traditin des Dialogs mit verschiedenen sozialen Bewegungen. Mit den Kampagnen, die wir durchführen, haben wir verschiedene Partner in den Gewerkschaften gefunden. Uns unterstützt die Transportgewerkschaft, die Metallarbeitergewerkschaft, die kommunalen Angestellten genauso wie die Erwerbslosenbewegung. Das erste Mal gibt es eine Kampagne, die sich mit Beschäftigung nicht im Rahmen elitärer, korporatistischer Organisationen beschäftigt, sondern die von unten nach oben verläuft.

pf: Aber noch einmal konkreter, gibt es in Südafrika die Fixierung auf fordistische und fossile Akkumulationsmodelle bei den Gewerkschaften nicht?

Satgar: Es gibt eine progressive Tradition. COSATU hat eine Orientierung auf alternative Modelle. Das hat auch damit zu tun, dass das was wir seit 17 Jahren Demokratie hatten, nicht funktioniert. Es gibt ein Bedürfnis nach etwas Neuem. Wir reden über Jobs, aber auch über einen Übergang, der die Art und Weise wie Beschäftigung geschaffen wird, verändern soll. Das hat eine gewisse Anziehungskraft für die Gewerkschaften.

pf: Vielen Dank für das Gespräch.

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