Prager Frühling, Magazin für Freiheit und Sozialismus (www.prager-fruehling-magazin.de)
Redaktionsblog

Sein Kampf

Beitrag von Jörg Schindler, geschrieben am 05.05.2011

Überraschung. Wer hätte das gedacht? Gerade hat die SPD-Führung das Parteiausschlussverfahren gegen Sarrazin kalkuliert abgeblasen, da kommt er auf seinem ersten (!) darauf folgenden öffentlichen Auftritt mit dem nächsten Kracher aus dem neuen national-sozialdemokratischen Programmkatalog um die Ecke: "Je migrantischer diese Leute eingestellt sind, desto weniger neigen sie dazu, Probleme oder Schwierigkeiten objektiv zu sehen." Und, so zitiert ihn die Süddeutsche: Wer die Erblichkeit von Intelligenz leugne, sei “strohdumm oder auf kriminelle Weise denkfaul”.

Triumpf des Wählerwillens

Es geht in diesem Blog nicht darum darzustellen, weshalb diese Intelligenz-ist-vererblich-These Sarrazins so bodenlos blöd ist, dass die Spucke förmlich wegbleibt. Dass es sich bei Intelligenz nicht um einen biologischen, sondern wesentlich sozialen Zusammenhang handelt, wird man spätestens dann bemerken, wenn man den Ex-Bundesbanker für eine Woche z.B. auf eine Südsee-Insel aussetzen würde und ihn dann mit seinem VWL-Abschluss alleine ließe.

Vielmehr geht es um folgendes: Als der Verfasser dieses Blogs vor einigen Tagen hier schrieb, dass die Rücknahme des Parteiausschlussverfahrens eiskaltem sozialdemokratischen Kalkül folge, um am faschistoiden Rand der Gesellschaft zu fischen und so Stimmen für die Sozialdemokratie zu fangen, damit also faktisch eine neue Rechts-Partei entstehe, kommentierten LeserInnen dies als Polemik. Die jüngsten Äußerungen Sarrazins zeigen aber: Nein, war es nicht. Denn zu Recht lässt Sarrazin uns wissen: In seiner Erklärung vor der SPD-Spitze habe er von den Aussagen seines Buches kein Wort zurückgenommen. Dies habe auch niemand von ihm verlangt.

Niemand aus der SPD verlangt Rücknahme

Jedenfalls letzteres ist ihm aufs Wort zu glauben, denn anders macht das Verhalten von Nahles & Konsorten auch keinerlei Sinn. Nur durch die weitere gezielt-geduldete nazionale Provokation ist Sarrazin für die SPD und die SPD für Sarrazin wertvoll. Wir dürfen uns also in den kommenden Monaten auf weitere derartige Ein- und Ausfälle einrichten.

von Bremen über Berlin nach Nürnberg

Der neuen national-sozialdemokratischen Partei Deutschlands ist wiederum herzlich zu diesem Coup zu gratulieren. Immerhin bewerten etwa die Hälfte der SPD-AnhängerInnen die Rücknahme des Parteiausschlusses als richtig, nur 38% wären für einen Ausschluss gewesen. Man mag sich gut vorstellen, wie die Stimmungslage in der konservativen Wählerschaft insgesamt ist. Abzurunden wäre der anstehende Wahlkampf in Bremen und Berlin durch einen schönen Programmparteitag der neuen NSPD. Als Ort erschiene dafür Nürnberg ganz geeignet.

Save the date: 12. Mai, 19.30

geschrieben am 26.04.2011

Die soziale und ökologische Linke in der BRD ist tief gespalten. Ihr Verhältnis ist von Misstrauen und lebensweltlicher Fremdheit geprägt. Beispielhaft ist das Verhältnis von Linkspartei und der Partei der Grünen: Die einen rümpfen die Nase über Bionade und Wellness-Lifestyle im sozialliberalen Bürgertum, die anderen erheben „Linkspopulismus“ zum Schimpfwort und wollen mit den Exkludierten und Enttäuschten nichts zu tun haben. Spätestens seit den Wahlen in Baden-Württemberg, der starken Anti-Atom-Bewegung und den Protesten gegen Stuttgart 21 steht fest: Es gibt eine grüne Herausforderung, an der die soziale Linke in der BRD und insbesondere die Linkspartei nur zum Preis des eigenen Bedeutungsverlusts ignorant vorbeiziehen kann. Nur ein konstruktiv-kritischer Dialog mit dem grünen Milieu wird den Boden für ein mögliches linkes Reformprojekt bereiten. Perspektivisch geht es um die Alternative von einem Mitte-Unten-Bündnis, das seinen politischen Ausdruck in der Kooperation von Linkspartei und Grünen findet oder einem Mitte-Oben-Bündnis, das politisch auf eine schwarz-grüne Option hinausläuft.

Es diskutieren: Katja Kipping (Vize-Vorsitzende der Partei Die Linke) und Steffi Lemke (Bundesgeschäftführerin Bündnis 90/Die Grünen)

Moderation: Stefan Reinecke (taz)

Im TAZ-Cafe

12. Mai

19.30 Uhr

Ein Kessel Buntes. Die Linke und der Sex

Beitrag von Bernd Hüttner, geschrieben am 26.04.2011
Hier im Bild: Kessel Buntes, ja. Anfassen, ja. Sexualität, nicht wirklich.

Die Linke ist sicherlich ein Ort der Erfüllung bewusster und unbewusster emotionaler und sexueller Bedürfnisse. Für viele hat die Kritik an beengt empfundenen Verhältnissen am Beginn ihrer Politisierung gestanden. Insofern darf ein Buch mit dem neutral und enzyklopädisch klingenden Titel „Die Linke und der Sex“ mit Interesse rechnen.

Aber: Es enthält zwar in der 28 Seiten umfassenden Einleitung einige lesenswerte Gedanken, sonst ist es aber eher eine Zumutung. Erstens präsentieren Barbara Eder und Felix Wemheuer ihr Buch im stramm antizionistisch-antiimperialistischen Wiener promedia-Verlag. Sie dokumentieren 13 Texte der Linken von den 1920er Jahren bis heute. Das Spektrum reicht dabei von der Kritik Lenins an Sigmund Freud bis zum Programm einer kontrasexuellen Dildoisierung der Gesellschaft. Es enthält Texte u.a. von Alexandra Kollontai, Herbert Marcuse, Clara Zetkin, Michel Foucault oder Beatriz Preciado. Den Herausgeber_innen kann in der Regel zugestimmt werden, wenn sie schreiben: „Die Überwindung von autoritären Formen der Kindererziehung und monogamen, eheähnlichen Zweierbeziehungen war immer wieder integraler Bestandteil utopischer Gesellschaftsentwürfe auf Seiten der politischen Linken. Ebenso waren viele AktivistInnen der 1968er-Bewegung der Überzeugung, soziale Revolution sei nicht ohne ‚befreite‘ Sexualität denkbar. Die Hoffnungen, die mit der Idee einer ‚sexuellen Revolution‘ verbunden wurden, haben sich jedoch nicht erfüllt“.

Es stellt sich nur die Frage, was heißt das dann? Und was haben die ausgewählten Texte genau damit zu tun? Was bedeutet es heute, wenn die Repressionshypothese überwunden wird, also die Befreiung des Sex und der Körper sich als ein Mythos entpuppt und in der Praxis auch nicht so erfolgreich herausgestellt hat? Wie kann die Linke mit der Re-Okkupation ihrer Ideen und Praxen umgehen? Sich auf ein ewiges Ping-Pong-Spiel einlassen und versuchen, schneller zu sein als „die“ Gegenseite, die es so homogen ja gar nicht (mehr) gibt? Ich weiß nicht, ob es dazu Texte gibt, aber im Buch sind sie jedenfalls nicht zu finden.

Die zunehmende Affektivierung von Lohn- und anderer Arbeit ist ebenso eine Leerstelle – hier gibt es definitiv Texte, die nachgedruckt werden könnten. Schließlich stellt sich beim Thema „Sex“ die Frage, was ist eigentlich mit Kindern? Wer ist für sie verantwortlich, wenn die beteiligten merken, dass es mit der im Buch propagierten „erotischen Freundschaft“ unter KommunistInnen doch nicht so richtig klappt?

Bei der Lektüre dieser Dokumentenedition wird deutlich, dass Sozialismus eine Kulturfrage und -bewegung ist und war, und nicht nur eine der Ökonomie. Solche Ansichten, die sich auch der Mikropolitik des Alltags widme(te)n, waren aber historisch und sind bis heute in der Linken tendenziell minoritär.

Das Buch ist nur für die ein Gewinn, für die Kapitalismus heute vor allem mit Finanzmärkten zu tun hat und die vergeschlechtliche Arbeitsteilung für einen Nebenwiderspruch halten. Wer und welche sich mit Feminismus, Queer, Reproduktionsarbeit und Alltagsforschung schon beschäftigt hat, wird darin vermutlich nur die Texte aus der Weimarer Zeit noch nicht kennen - oder sich gar ärgern.


Neue Rechts-Partei gegründet

Beitrag von Jörg Schindler, geschrieben am 23.04.2011

Am Abend des 21.April 2011 wurde in Deutschland eine neue Rechts-Partei aus der Taufe gehoben. Gegründet wurde die Partei vom Führungskreis ehemaliger Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten um Andrea Nahles an der Spitze. Es war der Moment, als die Bundes-SPD, vertreten durch ihre Generalsekretärin Nahles, den Ausschlussantrag gegen Sarrazin zurückzog.

neo-sozialdemokratischer Pluralismus: dummer Araber, genetischer Jude, kinderreicher Gemüsehändler, Kopftuch-Gör

Damit war es amtlich: Selbst Menschen, die finden, dass alle Juden ein bestimmtes Gen teilen, sind in der SPD herzlich willkommen. Jene, die finden, dass Deutschland aufgrund der Zuwanderung aus der Türkei, dem Nahen Osten und Afrika "durchschnittlich dümmer" werde, werden ab sofort mit sozialdemokratischem Handschlag begrüßt. Und selbstverständlich haben alle HasserInnen kinderreicher türkischer Ost- und Gemüsehändler mit ihren produzierten Kopftuchmädchen ab Donnerstag abend in der SPD allerbeste Karrierechancen.

Denn damit habe er, so Sarrazin, "zu keiner Zeit die Absicht gehabt, mit meinen Thesen sozialdemokratische Grundsätze zu verletzen." Na, das war ja dann auch nur ein dummes Missverständnis im Hamburger SPD-Parteiprogramm. In dem steht etwas von der "gleichen Würde des Menschen, die Ausgangspunkt und Ziel unserer Politik" sei, weshalb sich die SPD "jeder Form der Diskriminierung widersetzt". Diskriminiert und entwürdigt wird durch Sarrazin niemand, so hat Sarrazin erklärt. - Bis auf den dummen Araber, den kinderreichen Gemüsehändler ohne volkswirtschaftliche Funktion und sein von ihm produziertes Kopftuch-Gör. Thema erledigt, alles geklärt, Ausschlussantrag zurückgezogen. Deutlicher gehts kaum, die Einladung der sozialdemokratischen Bundesspitze an alle bekennenden Ausländerfeinde, mitzutun an der von Schröder-Abrissbirne, Anhängerflucht und elektoraler Zweitklassigkeit arg gebeutelten Sozialdemokratie.

Nationalsozialdemokratie

Nun ist die Empörung über diese Ausschlussantrags-Farce nach dieser windigen Erklärung Sarrazins, diesem nichts zurücknehmenden Rechthaber-Wisch - Zitat: "Sollten Mitglieder der Partei sich in ihrem sozialdemokratischen Verständnis beeinträchtigt fühlen, bedaure ich dies, auch wenn ich meine, dass mein Buch hierzu keine Veranlassung gegeben hat." - das eine. Jede Partei hat letztendlich die Parteimitglieder die sie verdient, und jede Mitgenossin, jeder Sozi-Parteifreund den Rassisten mit gleichem Parteibuch. Das andere, politisch entscheidende, ist, dass die Sozialdemokratie damit ganz klar gemacht hat, welche Parteimitglieder - und: welche WählerInnen - sie zukünftig gerne hätte. Während der Unvereinbarkeitsbeschluss der Partei etwa mit der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) weiterhin gilt, kann sich jetzt jeder Dorftrottelnazi, aber auch jeder geistige KZ-Wärter mit Hochschulabschluss darauf berufen, der Sarrazin habe das doch auch schon so ungefähr gesagt; das passe also alles doch gut zum innerparteilich-sozialdemokratischen Verfassungsbogen.

Kein Fehler, sondern Strategie

Die Entscheidung der SPD-Bundesspitze ist kein Fehler, sondern kühl kalkuliert. Dafür spricht zuviel: Die Verweigerung von Nahles, Wowereit und Gabriel, nach der Entscheidung einen Kommentar abzugeben - in den Medien kommt das nicht gut, aber die Bürger werden es nur zu gut verstehen. Die anstehenden Wahlen, am 22. Mai in Bremen und am 18. September in Berlin, beides Länder mit hohem Migrationsanteil, sind ein erster Test, wie die neue nationalsozialdemokratische Methode zieht. Kommen die Stimmen des rassistisch geprägten Bürger-Bodensatzes endlich wieder Heim ins sozialdemokratische Reich? Nachdem die Sozialdemokratie ja wegen der linken Konkurrenz im underdog-Bereich nur noch schwer reüssieren kann und zudem mit der politischen Bratpfanne namens Linkspopulismus auf diese eindrischt, hat offenbar der Flirt mit dem Rechtspopulismus für die Wahltechnokraten im Willi-Brandt-Haus einigen Charme. So erklärten 2010 immerhin 56 Prozent der Deutschen, dass Sarrazin mit seinen Thesen Recht habe und nur 28 lehnten diese ab. Gute Chancen also für die neue sozialdemokratisch Rechts-Partei, aus dem Stand über die 5%-Hürde zu kommen. Alle SozialdemokratInnen, ob mit, ohne oder anderem als SPD-Parteibuch, sind nunmehr aufgerufen, dafür zu sorgen, dass sie drunter bleibt.

Freiheit, Gleichheit, Ökologie für die LINKE

Beitrag von Ulrich Schachtschneider, geschrieben am 18.04.2011

Die Reaktorkatastrophe von Fukushima beschleunigte einen Wandel, der in der öffentlichen Meinung und in den Köpfen der politischen Klasse der bundesdeutschen Gesellschaft ohnehin längst vorangeschritten war. Zwar gibt es aktuell noch durchaus starke Gegenkräfte und mächtige alte Kapitalfraktionen, die Idee einer Energiewende hin zu Erneuerbaren aber ist längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen, gestritten wird nur noch über Zeiträume und Übergangsszenarien. Nicht nur die Energieversorgung, ein grundlegender technologischer Wandel, eine vierte industrielle Revolution hin zu besserer Ressourcenausnutzung (Effizienz), hin zu Kreislaufwirtschaften und damit zu mehr Verträglichkeit technischer mit natürlichen Kreisläufen (Konsistenz) soll einen riesigen Innovations- und Investitionsschub auslösen.

Die Idee eines Green New Deal – eine gesellschaftliche Übereinkunft, mit der Stützung innovativer Öko-Technik die ökologische und ökonomische Krise gleichzeitig lösen zu wollen – ist inzwischen hegemonial, auch wenn der Begriff nur von den grünen Urhebern gebraucht wird. Erst der ökologisch orientierte Umbau der Produktion macht neues Wachstum möglich, das mit der Weiterführung der erschöpften alten Produktlinien und Produktionsparadigmen nicht mehr zu erreichen ist, so dass die Kapitalanleger immer wieder aus der Realwirtschaft fliehen und ihr Glück in der abgehobenen Sphäre der Finanzspekulation versuchen. Doch der Green New Deal soll nicht nur Anlegern helfen. Auch die von Ausschluss betroffenen oder bedrohten Schichten sollen wieder in die Gesellschaft hereingeholt werden, indem ihnen eine neue Arbeits- und Qualifikationsperspektive geboten wird.

Diese Konzeption einer neuen Regulation des Kapitalismus ist prägend in der gesamten politischen Klasse, großen Teilen der Wirtschaft und der öffentlichen Meinung. Es reicht ein Blick in Branchengazetten, Messeprogramme oder beliebige Tageszeitungen. Sie alle sind voll von lobenden Beispielen für innovative Ideen, Firmenerfolge und Bildungsbemühungen in umwelttechnischen Branchen. Deutlicher Ausdruck des Durchbruchs der Idee eines Greening of Industry ist auch der Aufstieg der Grünen zur Volkspartei. Sie haben nicht nur die Ablehnung der Atomkraft in der Geburtsurkunde, sondern in der Folge die Idee des Green New Deal – zunächst gegen Widerstände – groß gemacht, vertreten sie am entschiedensten und werden daher zu Recht heute als originäre Urheber und Vorantreiber dieses Reformprozesses mit Wählerstimmen und Regierungsverantwortung bedacht.

Sozial-ökologisches Defizit der LINKEN

Diesem Trend konnte die LINKE bisher keine eigene Antwort entgegensetzen. Das Defizit ihrer bisherigen Strategie im Westen mit der Konzentration auf Sozialproteste wird nun mit den schweren Rückschritten in Baden-Würtemberg und Rheinland-Plalz vollends deutlich. Aber auch in Sachsen-Anhalt mit weitaus höherer Verankerung und ausgeprägteren Aktivitäten fiel die LINKE gegenüber der Bundestagswahl weit zurück, während auch dort die Grünen enorm zulegten.

Die LINKE kann die Grünen nicht durch ökologisch radikalere Forderungen in der ökologischen Glaubwürdigkeit überholen. Im Gegenteil: Auf den großen Anti-AKW-Demos am 26.03., zu der die LINKE mit „Atomausstieg sofort“ antrat, war das „Paradox, dass die LINKE durch eigenes Handeln Gefahr lief, die Wähler/-innenbewegung in Richtung Grüne selbst zu unterstützen“ (Hoff/Kahrs), spürbar. Die Hilflosigkeit eines Radikalökologismus der LINKEN wurde dann am Wahlabend einen Tag später amtlich bestätigt.

Auch das Verharren auf dem Zurückweisen des Green New Deal als mehr oder weniger trickreiche Erneuerung des Kapitalismus, die ohnehin nicht klappen wird, bleibt „hilfloser Antikapitalismus“ (W.F.Haug). Die Kritik an der neuen Regulationsidee mag zutreffen oder nicht – wir können die Grenzen der Flexibilität dieses Wirtschaftssystems, das geschichtlich schon verschiedenste Krisen und Erneuerungsphasen durchlaufen hat, nicht genau voraussagen. In jedem Fall aber verdrängt der Verweis auf eine Reformunmöglichkeit des Systems jede kritische linke Gegenbewegung auf das Feld eines revolutionären antikapitalistischen Umschwungs, der nach den geschichtlichen und gegenwärtigen Erfahrungen mit einer gewissen Berechtigung nicht sonderlich attraktiv erscheint und nicht ansatzweise absehbar ist. Allenfalls für überzeugte linke Theoretikerinnen und Aktivistinnen mit Durchhaltevermögen dürfte das Setzen auf einen wie immer gearteten Systemwechsel ein Grund zur Stimmabgabe für eine linke Partei sein. Die Mehrheit der Bürger ist inzwischen gegenüber dem Kapitalismus kritisch, aber ohne ihn einfach abschaffen zu wollen, etwa zugunsten eines besseren oder echten Kommunismus. Dies erscheint selbst der Mehrheit der Wählerinnen der LINKEN mehr als Gefahr denn als Hoffnung.

Für die LINKE existenziell gefragt ist eine „Verknüpfung von Energie- und Umweltpolitik mit ihrem Kompetenzkern soziale Gerechtigkeit“ (Hoff/Kahrs). Das ist in der Tat die Kernaufgabe, soll sich nicht der Vertrauensvorschuss der LINKEN weiter aufzehren. Diese Verknüpfung muss anschlussfähig an bestehende gesellschaftliche Strömungen sein, aber die Unzulänglichkeiten bisheriger Antworten aufgreifen. Eine solche „revolutionäre Realpolitik“ hätte durchaus auch transformatorisches Potenzial. Sie wird über ihren eigenen Reformgegenstand dann hinausweisen, wenn etwa durch ihre Realisierung zwangsweise Umverteilung erforderlich wird, Profite beschnitten und Herrschaftsverhältnisse verändert werden müssen.

Soziale Schieflage: Defizite herrschender Umweltpolitik

Linke sozial-ökologische Transformationsprojekte müssen drei Grundanforderungen erfüllen: Sie müssen zu mehr individueller Freiheit, zu mehr sozialer Gleichheit und zu mehr Ökologie führen, sie müssen in Richtung „Freiheit, Gleichheit, Ökologie“ leuchten.

Dies ist bei den bisherigen Antworten auf die ökologische Krise, die im Rahmen der neoliberalen Regulation von der herrschenden politischen Klasse gebracht wurden, nicht der Fall. Das EEG (Erneuerbare Energien Gesetz) etwa hat zwar zum Durchbruch erneuerbarer Energien entscheidend beigetragen, weist aber eine soziale Schieflage auf. Einspeiser von regenerativ erzeugtem Strom erhalten eine garantierte Vergütung, die deutlich über dem Marktpreis liegt. Die Differenz wird über einen zentralen Fond auf alle Stromverbraucher umgelegt. Dieser Aufschlag auf den Strompreis betrug 2011 bereits 3,5 Ct/kWh und trifft Arme überproportional. Mit dem jetzt zu Recht geforderten beschleunigten Ausbau erneuerbarer Energien wird dieses Problem erst richtig zu Tage treten.

Auch die von Rot-Grün 1999 eingeführte Energiesteuer („Ökosteuer“) belastet Arme am meisten. Die Einnahmen werden zwar zum Teil zur Senkung der Rentenversicherungsbeiträge verwendet, davon profitieren jedoch besserverdienende sozialversicherungspflichtig Beschäftigte am meisten. Geringverdiener, Jobber und Kleinselbständige zahlen unterm Strich dazu. Zudem hat die Ökosteuer aufgrund der geringen Höhe kaum eine ökologische Wirkung, kann aber wegen der drohenden Verschärfung sozialer Ungleichheit auch nicht auf relevante Höhen angehoben werden. Sie beträgt bei Benzin 15 Cent/Liter (12% des Preises) bei Gas 2 Cent/m³ (3% des Preises) und bei Strom 2 Cent/kWh (10% des Preises). Die Energiepreisschwankungen sind deutlich höher und bestimmen das Verhalten von Produzenten und Konsumenten daher eher als diese Ökosteuer. In ihrer bisherigen Form steckt dieses für einen sozial-ökologischen Umbau nicht unwichtige Steuerungsinstrument in einem Dilemma: Ist sie zu hoch, ist sie zu unsozial. Ist sie zu niedrig, wirkt sie ökologisch nicht.

Als Alternative zu diesem Dilemma werden von linker Seite häufig verstärkte Vorschriften eingefordert. Energetische Gebäudesanierungen im riesigen Altbaubestand etwa sollen den Hausbesitzern verbindlich vorgeschrieben werden. Doch auch hier lauert das gleiche Problem. Die Vermieter werden sich die Kosten früher oder später über höhere Mieten hereinholen. Da viele dieser energetischen Sanierungen beim aktuellen Energiepreisniveau nicht in gleichem Maße zu verringerten Heizkosten führen, droht wieder die Verschärfung sozialer Ungleichheit bei ökologischem Fortschritt. Die Liste ließe sich fortsetzen, es zeigt sich ein ganz allgemeines zentrales Problem: Die Verknappung von Umweltverbrauch erhöht die Preise und verschärft soziale Ungleichheit. Auf diese zentrale Entwicklung eines fortgeschrittenen Kapitalismus mit verknappten Naturressourcen muss die LINKE eine soziale Antwort geben können.

Ausweg Verbieten?

Natürlich kann die LINKE zunächst auf ihre Umverteilungsziele verweisen. Bei gerechterer Einkommensverteilung, wie sie nur die LINKE anstrebt, wäre das Problem entschärft. Doch dahin ist es noch ein langer Weg. Die LINKE muss hier und heute Lösungen anbieten, die für die Betroffenen Fortschritt bedeuten, gleichzeitig aber einen Schritt in die richtige Richtung von mehr ökologischer Steuerung und mehr Gleichheit darstellen.

Ein Ausweg aus diesem bisherigen Dilemma ökonomischer Instrumente der Umweltpolitik ist für viele Linke eine staatliche Ordnungspolitik. Mit höheren Auflagen und Grenzwerten soll der Umweltverbrauch gemindert werden. Dieses Vorgehen ist durchaus erfolgreiche Praxis in der Umweltpolitik. Sie hat in vielen Bereichen zur Verringerung schädlicher Substanzen, zur Verbesserung der Qualität von Wasser, Luft etc beigetragen.

Weniger erfolgreich ist die Grenzwertsetzung bei den sogenannten Umweltproblemen zweiter Ordnung, den Mengenproblemen. Oft kompensieren Mengeneffekte Effizienzfortschritte, die durch verschärfte Vorschriften erreicht wurden. Die Häuser verbrauchen weniger Heizenergie pro Quadratmeter, die Wohnfläche pro Person nimmt aber zu. Die Motoren werden effizienter, die Menschen fahren aber mehr Kilometer und kaufen sich schwerere Fahrzeuge. Die Kilowattstunde Strom verursacht weniger Emissionen, es werden jedoch immer mehr Elektrogeräte verkauft. Zwar gibt es Fortschritte bei einzelnen Stoffen, die Ressourcenentnahmen und die Belastung natürlicher Senken mit schädlichen Rückständen, der „ökologische Fußabdruck“ ist insgesamt aber nicht kleiner geworden.

Ökologisch engagierte Linke fordern daher häufig, dass die Politik umweltschädliche, unnötige Konsumtionen schlicht und einfach verbietet. Ins Visier genommen werden dabei zuallererst die mit einem hohem symbolischen Luxus-, Schwachsinns- und Schädlichkeitsfaktor belegten Produkte wie Geländewagen, Fast Food oder Flugreisen. Aber tendenziell alle ökologisch fraglichen Konsumtionen von unnötigen Autofahrten bis hin zu farbigem Toilettenpapier sollen für alle untersagt werden. Das ist sozial, weil es jeden gleich trifft und ist möglicherweise auch ökologisch zielführend, schränkt aber die individuelle Freiheit unzulässig ein. Von welchem Standpunkt aus aber kann welcher Lebensstil untersagt werden? Ist etwa die Haltung eines mittelgroßen Hundes, der durch seinen Fleischkonsum genauso viel CO2-Emissionen bewirkt wie 20.000 Autokilometer im Jahr, akzeptabler als das Beziehen einer größeren Wohnung oder der häufige Wechsel von Schuhmode? Sollen bestimmte Sport- oder Kulturveranstaltungen nur dann verboten werden, wenn die Anfahrt zu ihnen zu viel Emissionen verursacht oder vielleicht ganz, weil sie eigentlich fürs Leben unnötig sind? In welchen auch nur halbwegs demokratischen Verfahren sollte dies geregelt werden?

Für eine sozial-ökologische Transformation sind Lösungen und Projekte gesucht, welche die Ratlosigkeit, die ökologische, soziale oder emanzipatorische Schieflage bisheriger bzw. anvisierter Politiken vermeiden und eine integrierte Antwort bieten: Sie müssen gleichzeitig ökologisch, sozial und emanzipativ sein. Aus der Akzeptanz der Pluralität der Lebensstile in der Moderne folgt, dass Regeln abstrakter werden müssen. Wenn wir nicht alles im Detail regeln können und wollen, kann eine Grenzsetzung jenseits einer freiwilligen Selbstbeschränkung nur über den Preis gehen. Nur er ermöglicht den Individuen eine der Modernen angemessene Handlungsfreiheit bei gleichzeitiger Setzung einer Grenze seines Gesamt-Umweltverbrauchs. Eine Regelung über den Preis widerspricht linker Politik? Im Folgenden möchte ich zeigen, dass eine solche ökologische Steuerung mit Umverteilung kombiniert werden kann und dies anhand einiger praktischer Beispiele konkretisieren.

Mehr Gleichheit durch mehr Ökologie: Umverteilung durch Ökobonus

Ausgangspunkt ist die Annahme, dass die natürliche Umwelt mit ihrer Atmosphäre, ihren Ressourcen und ihren Senken ein Gemeingut aller Erdenbürger darstellt. Wer dieses Gemeingut nutzen will, so die von Peter Barnes („Kapitalismus 3.0“) u.a. dargelegte Schlussfolgerung, hat die Eigentümer um Erlaubnis zu fragen. Die Nutzung vieler basaler Umweltressourcen wie etwa Wasser, Atemluft, der Zugang zu Naturräumen wie Seen etc. soll natürlich weiter kostenlos sein bzw. es werden. Aber bei ökologisch problematischen Nutzungen werden Gebühren erhoben, die die Eigentümer erhalten. Das Aufkommen dieser Nutzungsentgelte, also etwa eine Öko-Steuer auf nicht erwünschte bzw. nur begrenzt akzeptable Substanzen und Verbräuche (CO2, Rohstoffe, Flächenverbrauch u.a.) wird daher gleichmäßig unter der Bevölkerung zurückverteilt. Jedem Bürger vom Säugling bis zum Greis, vom Inder bis zum Norweger wird ein „Öko-Bonus“ bzw. ein „ökologisches Grundeinkommen“ (ÖGE) ausgezahlt. Da diese Steuer im Durchschnitt in alle Produkte einfließt, werden Wohlhabende mit hohem Konsum im Saldo belastet, Kinderreiche und Ärmere gewinnen. Für alle bleibt aber der preisliche Anreiz bestehen, mit weniger Umweltverbrauch hergestellte und daher billigere Güter vorzuziehen. Der Vorteil der Begrenzung von Umweltnutzung über Steuern ist der Freiheitsgrad, kein Lebensstil wird verboten. Bestimmte Konsumtionen werden zwar unattraktiver, können aber einzeln bzw. in Maßen weiter vollzogen werden. Eine solche Öko-Steuer mit Rückerstattung kann auf Höhen angehoben werden, die einen relevanten Einfluss auf Produktionsverfahren, die räumliche Struktur der Arbeitsteilung (Regionalisierung) und die Konsumtionsmuster haben werden. Der „Öko-Bonus“ bzw. das „ökologische Grundeinkommen“, vermeidet das bisherige Dilemma rein ökonomischer Instrumente der Umweltpolitik ohne Sozialausgleich: Ist der Ökosteuer-Satz zu niedrig, bewirkt er nichts. Ist er zu hoch, wird er unsozial. Hier ist es umgekehrt: Je höher die Sätze werden, desto größer wird der Umverteilungseffekt, und zwar international genauso wie intranational. Das Verfahren kann auf jeder räumlichen Ebene angewendet werden. Solange es etwa keine global verbindlichen Übereinkünfte gibt, kann auch eine Nation alleine damit beginnen, ihre zulässige Umweltnutzung durch Steuern bzw. Zertifikateverkauf zu begrenzen und durch die Rückverteilung der Einnahmen einen Umverteilungseffekt bei sich erreichen.

Ein ÖGE führt gleichzeitig zu mehr sozialer Gleichheit, ökologischer Steuerung und mehr individueller Freiheit. Letztere wird nicht nur durch die Akzeptanz verschiedenster Lebensstile gewahrt, die im Rahmen der ökologisch-monetären Beschränkung gelebt werden können. Sie wird auch gefördert durch die Verbesserung der Position des Einzelnen auf dem Arbeitsmarkt. Wer schon ein Grundeinkommen hat, und sei es zunächst nur ein geringer Betrag, hat dort eine stärkere Position, kann eher unzumutbare Kontrakte ablehnen. Freiheit steigt mit der Möglichkeit, Alternativen wählen zu können, ohne gravierende Nachteile zu erlangen.

Eine Ökosteuer bzw. seine positive Kehrseite, das ökologische Grundeinkommen, kann sukzessive angehoben werden und immer wieder neu justiert werden entsprechend der ökologischen Ziele, aber auch anhand sozialer Erwägungen. Der Preis für die Umweltnutzungen kann sich nicht nur nach den akzeptierten Emissionseinträgen oder Ressourcenentnahmen richten, sondern auch nach dem gewünschten Ertrag. Ein ÖGE eignet sich hervorragend zur schrittweisen Einführung. Es kann klein beginnen, um zunächst das Prinzip als solches zu verankern und erst einmal Erfahrungen mit seiner Wirkung zu sammeln.

Wir Linken sollten – im Unterschied zu P. Barnes – bei der Erhebung von Gebühren für die Nutzer einer Ressource jedoch nicht nur an den Konsumenten denken, sondern auch die davon profitierenden Unternehmen. Sie generieren schließlich aus der Nutzung der gemeinsamen Ressourcen ihren Gewinn. Auch von ihm muss ein Teil den Besitzern, also allen Bürgern, direkt erstattet werden.

Im folgenden möchte ich exemplarisch zeigen, wie ein solches Prinzip ÖGE bei drei zentralen Konsumfeldern Energie, Flächenverbrauch und Ernährung konkretisiert angewandt werden könnte.

Erstes Beispiel: Energieverbrauch

Ein erstes einfaches und auch leicht zu popularisierendes Beispiel ist ein obligatorischer sozial-progressiver Energietarif, z.B. bei Strom. Die ersten 250 kWh sind für jeden Bürger kostenlos. Eine vierköpfige Familie würde also anhand ihrer Meldedaten einen Strombonus in Höhe von 1000 kWh bzw. etwa 250 ¤ pro Jahr ausgezahlt bekommen. Bezahlt wird dies mit einer Abgabe auf den Stromverbrauch der Konsumenten und einem nach Emissionen gestaffelten Abgabe auf Stromerzeugung durch die Versorger. Leichter durchzusetzen sein wird letzteres, wenn diese öffentlich sind, aber auch private Unternehmen können auf eine solche Abgabe auf ihren Gewinn gesetzlich verpflichtet werden. Im Saldo würde jeder, der unterdurchschnittlich bzw. höchstens leicht überdurchschnittlich verbraucht, gegenüber dem jetzigen Zustand gewinnen, vor allem Familien mit vielen Kindern. Verschwenderische Konsumenten würden dazu bezahlen ebenso wie die Versorger, deren Erzeugung am schädlichsten ist. Dasselbe kann bei anderen Energieverbräuchen, z.B. Gas angewandt werden. Die Auszahlungen solcher Ökoboni erfordern keinen großen administrativen Aufwand, wenn die Regeln für alle gelten, also nicht etwa Einkommensgrenzen geprüft und beantragt werden müssen und im Rahmen der bestehenden Lieferverträge verrechnet werden können. Die Stadtwerke Basel haben z.B. eine solche Besteuerung mit Rückzahlung an alle Kunden eingeführt, allerdings auf niedrigem Niveau und ohne kostenlose Grundversorgung.

Zweites Beispiel: Flächenversiegelung

Die fortschreitende Flächenversiegelung und die Zersiedelung durch Wohnen und Gewerbe auf der grünen Wiese wird von Ökologen zu Recht beklagt. Die sozialen Ursachen dafür werden weniger in den Blick genommen. Die Mietpreise für Wohnen und Gewerbe in den Innenlagen sind für Menschen mit geringen Einkommen oft un- erschwinglich. Die Ansiedlung auf die grüne Wiese ist auch eine Ausweichbewegung vor den Extragewinnen der Besitzer innerstädtischer Immobilien. Ein rein ökologisch orientierter ordnungspolitischer Ansatz, etwa ein Stopp dieser Ausweichmöglichkeit durch restriktive Bauleitplanung, würde eine soziale Schieflage generieren. Eine ökologisch und sozial orientierte Steuerung hingegen müsste auch die Preisverhältnisse ändern. Dies könnte so aussehen: Wer als Bauunternehmer oder als Bauherr mit der Bebauung neuer Flächen Naturgüter in Anspruch nimmt, zahlt eine Flächenversiegelungsabgabe. Die Einnahmen können zum einen direkt an alle Bewohner und Gewerbetreibenden in Innenlagen, sozusagen als ökologisches Grundwohngeld, ausgezahlt werden. Zum anderen könnten sie zur Subventionierung innerörtlicher Verdichtung verwendet werden.

Drittes Beispiel: Ernährung

Ernährung aus biologischer Landwirtschaft ist immer noch deutlich teurer, für Ärmere teilweise unerschwinglich. Die Preisverhältnisse können durch das Prinzip Öko-Bonus auch hier geändert werden. Wenn die Nutzung der gemeinsamen Ressource Boden etwa durch Dünger beansprucht wird, muss dafür eine Abgabe gezahlt werden. Entweder fließt sie direkt ins ökologische Grundeinkommen ein, sozusagen als ein Boden-Grundeinkommen. Dann wird ökologische Steuerung direkt mit Umverteilung kombiniert. Oder biologisch erzeugte Lebensmittel werden mit der Abgabe subventioniert, so dass sich die Preisverhältnisse umdrehen: Bio wird günstiger als konventionelle Nahrungsmittel und damit für alle, die es wollen, möglich.

Eine neue soziale Idee

Diese Beispiele sollen nur exemplarisch zeigen, was an linker sozial-ökologischer Programmatik jenseits eines System Hopping möglich wäre, aber einen kräftigen Hops in Richtung eines sozialeren und ökologischeren ökonomischen Systems bedeutet. Es gibt sicher noch viele weitere Ideen, genauere Ausprägungen, prägnantere Bezeichnungen für Reformprojekte dieser Art. Auch das EEG etwa ist so zu reformieren, dass die richtige ökologische Subvention durch Steuern auf hohe Einkommen und Unternehmensgewinne von den Wohlhabenden getragen wird und Arme nicht zusätzlich belastet werden. Das Prinzip ist immer das gleiche: Eine Besteuerung unerwünschter Ressourcenverbräuche führt mit der LINKEN gleichzeitig zu Umverteilung, lässt individuelle Gestaltungsmöglichkeiten und wird dadurch akzeptabel. Die Grünen als kommende führende Volkspartei stehen für eine Verteuerung von Umweltverbrauch ohne Umverteilung und werden dafür den berechtigten Unmut – nicht nur von „unten“ – zu spüren bekommen. Die LINKE sollte diesen aufgreifen, aber nicht im Grünen-Bashing ihr Heil suchen. Eine linke Alternative muss Konzepte mit der Stoßrichtung „Umweltschutz gleich Umweltverteilung“ anbieten können, in Opposition wie Koalition.

Ein solches Reformprogramm ist dann möglich, wenn die LINKE akzeptiert, dass Markt und eine Steuerung über Geld nicht per se verkehrt ist und der Weg zu einer besseren Gesellschaft nicht ausschließlich über unmittelbare Vergesellschaftung in direktdemokratisch selbstbestimmten kleinen Einheiten führt, wie es sich viele linke Ökologen vorstellen. Durch politische Rahmenbedingungen, zu denen natürlich weit mehr gehört als die hier beschriebenen Vorschläge zur Kombination ökologischer Steuerung mit Umverteilung, kann die Herrschaftsförmigkeit von Markt entscheidend herabgesetzt, seine emanzipativen Potenziale besser zur Geltung gebracht werden. Die Möglichkeit von Kapital und Konsumenten, unsere Umwelt unverantwortlich zu übernutzen, kann stark eingeschränkt werden. Und ihre Macht, Menschen zu ungünstigsten Verträgen zu drücken, kann gleichzeitig gemindert werden. Wer mit diesen Ausgleichszahlungen (und über andere Wege wie etwa öffentlichem Eigentum) einen Anteil am gesellschaftlichen Reichtum sicher und selbstverständlich zugesprochen bekommt, dessen Entscheidungsfreiheit auf dem Arbeitsmarkt wächst: Er braucht nicht mehr jeden schlechten Arbeits- oder Werkvertrag annehmen

„Freiheit, Gleichheit, Ökologie“ als herrschaftsmindernde Kombination von ökologischer Steuerung und Umverteilung: Das wäre eine “Neue soziale Idee“. Sie könnte einem Green New Deal, der an der Reichtumsverteilung nichts Wesentliches ändert, Konkurrenz machen und ihn in die richtige Richtung drängen.


Der Autor:

Ulrich Schachtschneider (Oldenburg), Freier Sozialwissenschaftler, Autor und Energieberater, Mitglied der BAG Umwelt, Energie, Verkehr der LINKEN und des Gesprächskreises Nachhaltigkeit der Rosa Luxemburg Stiftung. Sein Beitrag erschien zuerst auf der Seite von Forum Demokratischer Sozialismus.

Es reicht nicht, wenn Linke nur eine Antwort auf die soziale Frage geben

Beitrag von Pascal Beucker, geschrieben am 15.04.2011

Schlagworte:

grüne, linke

Als Journalist sich in eine innerparteiliche Debatte einzumischen, ist ein ungewöhnlicher Vorgang. Aber es gibt Ausnahmen, die das rechtfertigen können. Diese ist so eine. Dass ich mich als parteiloser Linker nicht jenen Rücksichtnahmen eines innerparteilichen Diskurses unterwerfe, wie sie allzu häufig üblich sind, dafür bitte ich schon vorab um Verständnis.

I.

Mit großem Interesse habe ich Eurer Redaktionspapier „Die grüne Herausforderung: Für eine öko-soziale Paradoxie“ gelesen. Es hebt sich intellektuell deutlich von so manchem Murks ab, der derzeit in der Linkspartei fabriziert wird. Besonders schlimm finde ich das aktuelle und äußerst geschwätzige „Reformer/-innen-Papier“, das vollgestopft ist mit dämlichen Phrasen wie dieser: „Wir plädieren dafür, die LINKE stärker zu machen, damit ein Politikwechsel und nicht nur ein Regierungswechsel zu Stande kommt.“ Gibt es jemanden in Eurer Partei, der für etwas anderes plädiert? Aber die „Antikapitalistische Linke“ ist ja auch nicht besser, hat sie doch als einzige Konsequenz aus den jüngsten Wahldesastern in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Hessen die Losung ausgegeben: „Weiterkämpfen! Jetzt erst recht!“ Wie das gesamte FdS-Papier vom Geist der Sozialdemokratie durchströmt ist, ist der AKL-Text von einem befremdlichen K-Gruppen-Slang durchzogen - hilfreich für die Linkspartei, einen Ausweg aus ihrer schweren Krise zu finden, sind beide nicht. Denn es fehlt ihnen an auch nur einem einzigen originellen, neuen Gedanken.

Das ist bei dem Papier des „Prager Frühlings“ anders. Klug löst Ihr Euch von der starren Fixierung auf die SPD, die das Forum Demokratischer Sozialismus mit der Sozialistischen und der Antikapitalistischen Linken bei allem Streit verbindet, jedoch - so oder so - eine Orientierung auf die Vergangenheit ist. Euer Plädoyer für eine Rationalisierung des Verhältnisses von Linkspartei und Grünen nimmt demgegenüber gesellschaftliche Veränderungen und damit verbundene Chancen für eine emanzipatorische Linke wahr - auch wenn ich das Reden von „einer im Werden begriffenen grünen Hegemonie“ für übertrieben halte. Gleichwohl spricht vieles für Eure Feststellung, dass es perspektivisch um die Alternative geht: entweder Mitte-Unten-Bündnis oder Mitte-Oben-Bündnis.

II.

Für problematisch halte ich allerdings Eure Herangehensweise an die von Euch richtig beschriebene Spaltung von sozialer und ökologischer Linker. Hier seid Ihr doch noch zu sehr „altem Denken“ verfangen. Eure Herangehensweise erscheint mir zu taktisch, zu instrumentell. Ihr schreibt: „Die soziale Linke muss sich der grünen Herausforderung stellen.“ Aber der ökologischen Frage stellt ihr Euch leider nicht. Selbstverständlich stimmt es, dass es sich bei der Linkspartei und den Grünen „um grundverschiedene Formationen handelt“. Die einen verstehen sich als sozialistisch-proletarisch, die anderen sind eine bürgerlich-liberale Partei. Diesen gravierenden Unterschied anzuerkennen, kann zu einer sinnvollen Entspannung des Verhältnisses beider Parteien beitragen. Und die Linkspartei muss sich nicht mehr darin verbeißen, „gerade die Grünen in Regierungsbeteiligung als neoliberale Partei zu entlarven“ (AKL-Papier). Es würde reichen, konkret zu kritisieren, was zu kritisieren ist. Und es ließe sich an jenen inhaltlichen Punkten die Zusammenarbeit suchen, wo es sinnvoll ist.

Nur: Auch wenn Linkspartei und Grüne grundverschieden sind, gilt das deshalb auch für soziale und ökologische Linke? Und falls dem praktisch so wäre, würde es sich dann nicht um ein dringend zu überwindendes Problem handeln? Meines Erachtens wird eine moderne Linke nur bestehen können, wenn für sie eben auch der entschlossene Einsatz gegen die Vernichtung der natürlichen Lebensgrundlagen ebenso integral gehört wie der Kampf für Grund- und Freiheitsrechte. Das gehört doch sowohl zu den Lehren aus den verdientermaßen tragisch geendeten realsozialistischen Experimenten in Osteuropa als auch aus dem Scheitern der Traditionslinken in Westeuropa.

III.

Die Erkenntnis, dass es nicht nur eine Klassen-, sondern auch eine sogenannte Gattungsfrage gibt, die zusammen beantwortet werden müssen, führte Ende der Siebziger-/Anfang der Achtzigerjahre in Westdeutschland viele undogmatische Sozialisten - wie beispielsweise Rudi Dutschke - zur grünen Bewegung. Für die meisten war das keine Entscheidung von heute auf morgen, sondern ein komplizierter und auch schmerzhafter Prozess der Loslösung von alten Weisheiten. Etliche der damaligen Texte aus dem - in der Anfangsphase starken - ökosozialistischen Flügel der Grünen sind heute vergessen. Dabei sind sie alleine schon lesenswert wegen der Grabungsarbeiten mancher Autoren, wie zum Beispiel Thomas Ebermann und Rainer Trampert, die es in ihrem 1985 erschienenen Buch „Die Zukunft der Grünen“ sogar schafften, Marx und Engels noch als frühe Ökologen zu outen.

Der Untertitel des Buches von Trampert und Ebermann war selbstverständlich quatsch: „Ein realistisches Konzept für eine radikale Partei“. Die Ökosozialisten waren taktisch-strategisch zu blauäugig, unterschätzten den Anpassungssog des bürgerlichen Parlamentarismus - und pflegten bisweilen untereinander Umgangsformen, die nicht gerade nachahmenswert sind. So verloren sie Ende der Achtzigerjahre auch selbstverschuldet den innerparteilichen Machtkampf gegen die „Realos“ und zogen sich anschließend in Zynismus (Ebermann) oder Sektierertum (Ditfurth) zurück. Ein paar wenige, wie den heutigen „Neues Deutschland“-Chefredakteur Jürgen Reents, verschlug es nach ihrem Scheitern in den Grünen zur PDS. Wie auch immer: Sie haben Ansätze für eine Verbindung zwischen sozialer und ökologischer Frage aufgezeigt, die heute eine zeitgemäße Linke wieder aufgreifen sollte.

IV.

Die Linkspartei und ihre Vorgängerinnen haben das nicht getan. Ich kann mich noch gut an ein Ereignis im Jahr 1990 erinnern. Seinerzeit, um konkret zu sein: am 28. und 29. Juli 1990, fand in Köln eine Konferenz statt, an der auch ich teilnahm. Auf der verkündete Gregor Gysi die Gründung der Linken Liste/PDS. Das war der erste - und aus diversen Gründen gescheiterte - Versuch einer Verbindung der aus der SED übriggebliebenen Reste mit relevanten Teilen der Westlinken. Auf der Konferenz wurde ein Aufruf für „eine linke Opposition in Deutschland“ verabschiedet. Dieser begann mit den Worten: „Zur ersten gesamtdeutschen Wahl tritt die Linke Liste/PDS als Oppositionskraft an. Wir wollen denen Rückhalt geben und Mut machen, die von einer rigorosen Anschlusspolitik sozial, kulturell und politisch ins Abseits gedrängt werden. Gegen den herrschenden Trend wollen wir erkämpfte demokratische, soziale, ökologische und frauenrechtliche Standards sichern und ausbauen.“ Klingt gut, aber ist gerade mit Blick auf die „ökologischen Standards“ nur die halbe Wahrheit.

Es gab damals eine aufschlussreiche Diskussion zwischen Gregor Gysi und Michael Stamm, einem der vormals führenden Denker des ökosozialistischen Flügels in den Grünen. Und zwar über die Atomkraft. Selbstverständlich war auch Gysi für den Ausstieg, er wusste schließlich um die Befindlichkeiten seines westlinken Publikums. Aber Stamm insistierte: Aufgrund der unkalkulierbaren Risiken der Atomenergie müsse der sofortige Ausstieg auch dann gefordert werden, wenn den in den Kraftwerken Beschäftigten unmittelbar keine Ersatzarbeitsplätze geboten werden können, sie also erwerbslos zu werden drohten. Zu dieser Konsequenz war Gysi seinerzeit nicht zu bewegen. Die Erwerbsarbeitsplatzfrage hatte letztlich doch Vorrang. Die Ökologie musste dahinter zurücktreten.

Wer nicht zum Selbstbetrug neigt, muss feststellen: Aller Rhetorik zum Trotz hat sich an dieser Haltung insbesondere - aber nicht nur - in den östlichen Landesverbänden substanziell bis heute nicht viel geändert. Auch im Westen gibt es etliche, für die der Atomausstieg nicht wirklich einen vorderen Platz auf ihrer Prioritätenliste einnimmt. Das ist auch ein Grund dafür, warum die Wählerinnen und Wähler die über den katastrophalen rot-grünen „Atomkonsens“ hinausgehende Forderung der Linkspartei nach einem sofortigen Ausstieg nicht goutiert haben: Sie wirkt schlicht unglaubwürdig. Schließlich drängt sich der unangenehme Verdacht auf, dass die Linkspartei den nur deshalb fordert, um Grüne und die SPD zu überbieten - und nicht, weil er ihr wirklich wichtig wäre. „Systemfrage und Ökologie gehören zusammen“, schreibt jetzt die AKL. Wenn es denn so einfach wäre! Seit Harrisburg und Tschernobyl weiß nicht nur die aufgeklärte Linke, dass es eben nicht so einfach ist. Das Problem ist nicht nur das jeweilige gesellschaftliche System und die jeweilige Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel, sondern vor allem die unbändige systemübergreifende Fortschrittsgläubigkeit, für die ein Restrisiko nur eine vernachlässigbare statistische Größe darstellt. So wichtig die Eigentumsfrage ist: Atomkraftwerke sind nicht nur wegen der Profitgier der Konzerne gefährlich.

V.

Es kann nicht verwundern, wenn überzeugte AKW-Gegner sich daher trotz alledem lieber für die Grünen entscheiden. Deswegen zielt auch der etwas beleidigte Hinweis der "Prager Frühling"-Redakteure Jörg Schindler und Thomas Lohmeier in ihrer Wahlauswertung unter dem Titel "kein schönreden." ins Leere. Nein, die Grünen haben nicht von der „Vergesslichkeit der WählerInnen, die die Anti-Atom-Sonne ausschließlich mit den Grünen assoziieren“, profitiert. „Schlicht vergessen“ haben sie auch nicht, „wer den halbherzigen ‚Atomausstieg‘ zu verantworten hatte, den die schwarz-gelbe Regierung problemlos im vergangen Herbst wieder einkassieren konnte“. So dumm sind die gar nicht. Die meisten wissen genau, dass die von Rot-Grün gewährten Restlaufzeiten de facto Bestandsgarantien für die AKWs waren.

Aber: Dem grünen Image als Anti-Atom-Partei hat das aber deswegen nicht geschadet, weil die Wählerinnen und Wähler den Grünen abnehmen, im Rahmen ihrer Möglichkeiten alles für den AKW-Ausstieg unternommen zu haben, letztlich jedoch nur das durchsetzten konnten, was machtpolitisch zum damaligen Zeitpunkt gegen die SPD und die Atomindustrie durchsetzbar war. Das war verdammt wenig. Goutiert wird jedoch, es wenigstens versucht zu haben. Weswegen zwar jetzt die Grünen von Fukushima „profitieren“, nicht jedoch die SPD - und schon gar nicht die Linkspartei. Seid ehrlich: In vergleichbarer Situation wäre der Linkspartei die AKW-Frage doch scheißegal gewesen. Daran hätte sie nie etwas scheitern lassen. Als sich die Grünen im Jahr 2000 den miesen Deal mit der Atomindustrie von der SPD abpressen ließen, war das der damaligen PDS nicht einmal eine kleine Protestmahnwache vor dem Reichstag wert. Deshalb würde „eine scharfe Kritik an den Grünen und deren halbherzigem Atomausstieg sicherlich nicht geschadet“, aber eben auch wahlpolitisch nicht genützt haben.

VI.

Was heißt das für die Linkspartei? Dass sie sich in einem Dilemma befindet. Ihr Wählerklientel insbesondere im Westen rekrutiert sich vorranging aus jenem deklassierter Teil der Gesellschaft, der in der Wissenschaft als Prekariat bezeichnet wird und für den die Verbesserung seiner sozialen Lage im Zentrum steht. Wie Ihr richtig schreibt, ist es deshalb auch „die vornehmste Aufgabe der Linkspartei, den Unmut der Exkludierten und Enttäuschten ‚gegen die da oben‘ zu mobilisieren“. Allerdings fehlt es diesem Klientel aus nachvollziehbaren Gründen an ökologischem Bewusstsein. Wer angewiesen ist auf die Angebote einer „Tafel“, darf nicht wählerisch sein und auf Bioprodukte bestehen; wer nicht weiß, wie er seine Stromrechnung bezahlen soll, wird nicht zu „Lichtblick“ wechseln.

Doch das ist nicht das Einzige, was fehlt. Diese Menschen sind in jeder Hinsicht abgehängt. Denn sie sind nicht einmal mehr in der Lage, ihre eigenen unmittelbaren Interessen wahrzunehmen, wie ihr am Beispiel des Hamburger Volksentscheids ganz richtig aufzeigt. Zutreffend stellt Ihr fest, dass „das größte Problem“ darin bestand, „dass es der sozialen Linken nicht gelungen ist, diejenigen, die eigentlich ein Interesse an einer Gemeinschafsschule haben sollten, an die Wahlurnen zu bringen“. Für den Antrag der reaktionären Reformgegner stimmten im Juli 2010 276.304 Bürger, 218.065 dagegen - weniger als der Bürgerschaftswahl Mitte Februar ihre Stimme für die Linkspartei abgaben.

Auch ein Volksentscheid über das von Euch präferierte bedingungslose Grundeinkommen würde gegenwärtig übrigens keine Chance haben, ja sogar zuvorderst an jenem Klientel scheitern, für die Ihr es einführen wollt. Denn die Debatte um ein „existenzsicherndes Einkommen als soziale Demokratiepauschale“, da solltet Ihr Euch nichts vormachen, war schon immer und ist bis heute eine unter Intellektuellen. Für eine „Massenorientierung“ ist diese Forderung gänzlich untauglich. Das macht sie keineswegs überflüssig oder gar verkehrt. Ich bin da sogar ganz bei Euch - weil ich dazugelernt habe. Es ist ein Grundsatzstreit: Was soll im Mittelpunkt der Gesellschaft stehen – die Erwerbsarbeit oder der selbstbestimmte Mensch? In den Achtzigerjahren, als ich selbst noch Mitglied einer Partei war, gehörte ich in den Grünen zu jenen ökosozialistischen Gegnern des bedingungslosen Grundeinkommens, die schon deshalb nicht dafür sein konnten, weil es von den Falschen kam: Damals waren es noch zuvorderst „Ökolibertäre“ wie der heutige erzreaktionäre Herausgeber der „Welt“, Thomas Schmid, die für die Selbstbestimmung stritten. Anders als heute vertrat er damals in dieser Frage eine progressive Position. Ich hingegen vertrat seinerzeit leider eine, wie sie heute intellektuell stehengebliebene Gewerkschaftsfunktionäre wie Klaus Ernst vertreten.

VII.

Ihr kritisiert die „Abklatsch“-Theorien zur Präferenzbildung, die behaupten, dass aufgrund unterschiedlicher sozio-ökonomischer Lage keine politischen Schnittmengen entstehen. Ich glaube, damit liegt Ihr richtig. Eurer Klientel wird die Schnittmengen jedoch nur erkennen, wenn Ihr es eindringlich darauf aufmerksam macht. Und vielleicht könnte die Linkspartei dann auch manch heimatlosen Linken für sich gewinnen.

Für Linke ist das Eintreten für soziale Gerechtigkeit konstitutiv, keine Frage. Das manifestiert sich jedoch nicht an der einen oder anderen Detailforderung. Wenn beispielsweise die AKL schreibt, es schade der Linkspartei, „wenn wir in unseren Kernthemen unglaubwürdig werden: wenn die Forderung nach einem Mindestlohn in Höhe von 10 Euro auch aus der Partei infrage gestellt wird, wenn nicht in aller Konsequenz am Nein zur Rente erst ab 67 festgehalten wird“, dann halte ich das für völligen Blödsinn. Denn 12 oder 14 Euro Mindestlohn fände ich genauso in Ordnung wie die Rente ab 60.

Ohnehin reicht es nicht, wenn Linke nur den Anspruch haben, eine Antwort auf die soziale Frage zu geben. Zu den Anforderungen an eine emanzipatorische linke Partei gehört auch, dass sie sich konsequent gegen die Ausgrenzung gesellschaftlicher Minderheiten stellt - und zwar nicht nur theoretisch, sondern praktisch. Auch da beschleicht mich ebenfalls manch Zweifel. Denn in ihren Hochburgen, also dort, wo sich die SED zur PDS zur Linkspartei transformiert hat und für sich in Anspruch nimmt, so etwas wie „Volkspartei“ zu sein, tümelt es doch ganz schön deutsch. Wer sich die Landtagsfraktionen von Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Brandenburg anschaut, wird dort jedenfalls keinen einzigen Abgeordneten mit Zuwanderungsgeschichte entdecken können. Ich bin zu weit weg, um fundiert beurteilen zu können, ob dieser blamable Zustand schlicht den gesellschaftlichen Realitäten in den sogenannten fünf neuen Ländern oder einem fehlenden Problembewusstsein geschuldet ist. Und vielleicht gibt es ja sogar in einigen ostdeutschen Kreisverbänden eine tolle antirassistische Politik, die sich nicht nur darauf beschränkt, gegen Nazi-Aufmärsche zu mobilisieren (so richtig und wichtig das auch ist), sondern die sich auch in einem multikulturellen Zusammenleben manifestiert, von der ich im tiefsten Westen nur leider nichts mitbekomme. Gleichwohl erschreckt es mich. In den Landtagsfraktionen im Westen der Republik sieht es übrigens besser aus. Aber dort spielt die Linkspartei auch keine so große Rolle, ist ohnehin mehr „Randgruppenpartei“.

VIII.

Es gibt darüber hinaus eine Grundposition, die beispielsweise für meine persönliche Entscheidung bei einer Bundestagswahl ausschlaggebend ist: Parteien, die im Bundestag für die Beteiligung deutscher Soldatinnen und Soldaten an irgendwelchen Kriegshandlungen in der Welt eintreten, können nicht mit meiner Stimme rechnen. So habe ich es gehalten, seitdem ich 1985 zum ersten Mal in der Bundesrepublik an einer Wahl teilnehmen durfte. Und so halte ich es bis heute. Im Gegensatz zu manch anderem weiß ich noch sehr gut, warum ich einst den Kriegsdienst verweigert habe. Entsprechend freut es mich, wenn es in dem Papier des „Prager Frühlings“ heißt, Ihr tretet ein für „eine menschenrechtsorientierte, der Charta der UN verhaftete und auf Ausgleich in der Weltwirtschaft ausgerichtete Außenpolitik, die pazifistisch und internationalistisch ausgerichtet“ ist.

Allerdings habe ich den Eindruck, Ihr befindet Euch hier schon in einem Rückzugsgefecht. Ich bin mir äußerst unsicher, wie lange Linkspartei noch bei ihrer strikten Ablehnung deutscher Militäreinsätze bleiben wird. Es ist schon auffällig, dass beispielsweise das FdS nur noch den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan als eines der „wichtigen Themen“ bezeichnet - und nicht mehr die generelle Ablehnung jeglicher Auslandseinsätze der Bundeswehr. Wie für die Grünen gilt schließlich auch für die Linkspartei: Bedingung für ihr Entrée in die Bundesregierung ist, ihren Frieden mit dem Krieg zu machen. Der Preis könnte allerdings hoch sein: Es mag nicht mehr viele Pazifistinnen und Pazifisten in der BRD geben. Aber reichen könnten sie durchaus noch, um die Linkspartei wieder aus dem Bundestag zu befördern ...

IX.

Wenn sie nicht schwer aufpasst, ist die Linkspartei bald wieder das, was sie vor der Fusion mit der WASG war: im Osten verankerte Regionalpartei mit ein paar politisch unbedeutenden Westsplittern. Doch statt schonungsloser Analyse der schweren Niederlagen bei den jüngsten Landtagswahlen setzt die Führungsmannschaft im Karl-Liebknecht-Haus auf Durchhalteparolen. „Für dieses Ergebnis ist einzig und allein das Thema Atomkraft verantwortlich“, bilanzierte der Bundesvorsitzende Ernst. Ähnlich äußerte sich auch seine Co-Vorsitzende Gesine Lötzsch. Wenn sich die blöde Atomwolke erst wieder verzogen hat, wird es schon wieder aufwärts gehen, lautet die schlichte Botschaft. Wenn’s denn so einfach wäre. Schon vor dem japanischen Super-GAU taumelte die Linkspartei im Westen bedenklich. Die Hamburger Bürgerschaftswahl, bei der sie unter für sie politisch optimalen Bedingungen bei 6,4 Prozent verharrte und in absoluten Zahlen sogar Stimmen verlor, hätte bereits alle Alarmglocken erschallen lassen müssen.

Die Linkspartei wird nicht darum herum kommen: Neben der strategischen und programmatischen Debatte wird sie zwangsläufig auch über Personalien zu sprechen haben. Man muss kein Anhänger von ihm sein, trotzdem ist mehr als offenkundig: Die Linkspartei hat den Rückzug Oskar Lafontaines nicht kompensieren können. Der saarländische Politzampano, der der SED-Nachfolgetrümertruppe erst den Weg in den Westen öffnete, fehlt sowohl als strategischer Kopf als auch als wahlpolitisches Zugpferd. Mit seiner durch und durch westgeprägten Biografie als auch mit seiner kämpferischen Attitüde und seinem Populismus konnte Lafontaine jene proletarischen und sozial deklassierten Zielgruppen in der alten Bundesrepublik ansprechen, die die alte PDS mit ihrem Post-DDR-Mief nie hat erreichen können. Mit seiner bisweilen brachialen Präsenz übertünchte Lafontaine gerade auch jene graue Garde von sozialdemokratischen Ex-FDJ-Funktionären, die in den östlichen Landesverbänden den Ton angeben und für die - wie aktuell das Beispiel Mecklenburg-Vorpommern zeigt - innerparteiliche Pluralität nur solange ein Wert ist, wie sie sich in der Minderheit sehen. Gleichfalls überstrahlte Lafontaine aber auch den desolaten Zustand etlicher westlicher Landesverbände, deren Mitgliedern oft jene gemeinsame politische Identität fehlt, die sie davor bewahren könnte, ihre Kämpfe um Pöstchen und Mandate bis zum Äußersten zu führen.

X.

Anstatt ein eigenes Profil zu entwickeln, beschäftigen sich die einen in der Partei damit, wie sie möglichst schnell mit der SPD ins Geschäft kommen können, die anderen mit sich selbst - und dann gibt es noch jene, die sich an ihrem Verbalradikalismus ergötzen. Nichts passt wirklich zusammen. Die Folge ist eine Kopf- und Substanzlosigkeit, die schnell zu einem gefährlichen Glaubwürdigkeitsproblem und (nicht nur) in die Wahlniederlage führen kann. Wer meint, mit dem alten PDS-Personal aus dem Osten im Westen reüssieren zu können, hat nichts aus den vergangenen zwei Jahrzehnten gelernt - oder leidet an einem gravierenden Realitätsverlust.

Es mag weder von dem einen noch dem anderen Flügel in der Partei gerne gehört werden: Beide stehen auf ihre Weise für jene SED-Nachfolgepartei, die die PDS vor dem Zusammenschluss mit der WASG war und von der sie danach behauptete, es nicht mehr zu sein. Das Forum Demokratischer Sozialismus und die Antikapitalistische Linke stellen die Linkspartei in der Konsequenz vor die Alternative: sozialdemokratische ostdeutsche Regionalpartei oder „klassenkämpferische“ Kleinpartei á la DKP der Siebzigerjahre in der BRD. In der Bundespolitik wäre die eine wie die andere Variante unbedeutend. Es wäre ein Verlust. Die Chance, die eine moderne, also undogmatische, emanzipatorische und ökologische linkssozialistische Partei böte, werden jedenfalls beide nicht nutzen können. Es wird spannend sein, zu beobachten, ob die Mitglieder der Linkspartei das noch früh genug erkennen werden.

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ZUR PERSON: Pascal Beucker ist Journalist und Publizist. Zuletzt veröffentlichte er im vergangenen Herbst gemeinsam mit Anja Krüger das Buch „Die verlogene Politik. Macht um jeden Preis“ (Knaur Taschenbuch Verlag). Er lebt in Köln.

Es reicht nicht, wenn Linke nur eine Antwort auf die soziale Frage geben

geschrieben am 15.04.2011

Pascal Beucker, Journalist und Publizist aus Köln, hat unser Diskussionspapier "Die grüne Herausforderung: Für eine öko-soziale Paradoxie." kritisch kommentiert und dabei der LINKEN die Flügel gestutzt: “Das Forum Demokratischer Sozialismus und die Antikapitalistische Linke stellen die Linkspartei in der Konsequenz vor die Alternative: sozialdemokratische ostdeutsche Regionalpartei oder ‘klassenkämpferische’ Kleinpartei á la DKP der Siebzigerjahre in der BRD. In der Bundespolitik wäre die eine wie die andere Variante unbedeutend”, warnt der Co-Autor des Buches „Die verlogene Politik. Macht um jeden Preis“. Seinen leidenschaftlichen Kommentar findet ihr in unserer Lesbar.

Die grüne Herausforderung: Für eine öko-soziale Paradoxie.

Beitrag von Redaktion prager frühling, geschrieben am 11.04.2011

Die soziale und ökologische Linke in der BRD ist weiterhin tief gespalten. Ihr Verhältnis ist von Misstrauen und lebensweltlicher Fremdheit geprägt. Beispielhaft ist das Verhältnis von Linkspartei und der Partei der Grünen: Die einen rümpfen die Nase über Bionade und Wellness-Lifestyle im sozialliberalen Bürgertum, die anderen erheben „Linkspopulismus“ zum Schimpfwort und wollen mit den Exkludierten und Enttäuschten nichts zu tun haben. Spätestens seit den Wahlen in Baden-Württemberg, der starken Anti-Atom-Bewegung und den Protesten gegen Stuttgart 21 steht fest: Es gibt eine grüne Herausforderung, an der die soziale Linke in der BRD und insbesondere die Linkspartei nur zum Preis des eigenen Bedeutungsverlusts ignorant vorbeiziehen kann. Nur ein konstruktiv-kritischer Dialog mit dem grünen Milieu wird den Boden für ein mögliches linkes Reformprojekt bereiten. Dabei geht es nicht um willfährige Anpassung an die grüne Partei und ihre teilweise problematische Politik (etwa in der Außen- oder Haushaltspolitik), sondern darum, sich in eine im Entstehen begriffene grüne Hegemonie einzuschreiben und sie nach links zu radikalisieren. Perspektivisch geht es um die Alternative von einem Mitte-Unten-Bündnis, das seinen politischen Ausdruck in der Kooperation von Linkspartei und Grünen findet oder einem Mitte-Oben-Bündnis, das politisch auf eine schwarz-grüne Option hinausläuft. Dazu einige Thesen:

1. Grüne Hegemonie und ihre Herausforderung

Wir sind Zeugen einer im Werden begriffenen grünen Hegemonie. „Hegemonie“ meint hier gerade nicht nur die machtpolitische Vorherrschaft, die etwa die grüne Partei in Baden-Württemberg sogar erreicht hat, sondern einen gesellschaftlichen Konsens darüber, was möglich und erstrebenswert ist. Das betrifft eben auch Fragen des Lebensstils und der Verhaltensmuster, genauso wie damit assoziierte politische Reformforderungen und Visionen. Es zeichnet sich ein Netzwerk ab, das sich kulturell aus dem aufgeklärten und ökologisch bewussten Lebensstil eines sozialliberalen Bürgertums, den Forderungen nach einer ökologischen Modernisierung und der Vision eines grün-liberalen Kapitalismus zusammensetzt. Gegen dieses Netzwerk wird keine andere gesellschaftspolitische Orientierung mehr durchsetzbar sein, jede Politik (selbst die konservative) wird zumindest auf die passive Duldung durch das grüne Milieu angewiesen sein. Das zeugt von der Stärke eines Spektrums, in dem sich selbstbewusste Bürger_innen wieder finden, die in Produktion (erneuerbare Energien) und Ideologieproduktion (etwa Bildung, Medien, Wissenschaft) wichtige Machtpositionen einnehmen. Gleichzeitig ist diese Dominanz aber auch das Zeichen von der Schwäche anderer gesellschaftlicher Milieus (bspw. der Gewerkschaften), die gegenwärtig nur auf schwache hegemoniepolitische Ressourcen zurückgreifen können. Kurzum: Die soziale Linke muss sich der grünen Herausforderung stellen. Sie muss sich entscheiden, ob sie sich konstruktiv-kritisch auf die entstehende grüne Hegemonie bezieht (was nicht affirmativ sein muss!) und sie nach links radikalisiert oder die entstehende Hegemonie einem Mitte-Oben-Bündnis überlässt.

2. Sackgassen

Eine notwendige Vorbedingung für eine solche konstruktiv-kritische Bezugnahme ist die Anerkennung, dass es sich bei sozialer und ökologischer Linker und insbesondere bei Linkspartei und den Grünen tatsächlich um grundverschiedene Formationen handelt, die notwendig fremdeln und konfligieren. Bisher ist das Verhältnis dadurch geprägt, dass sich die Milieus gegenseitig für das bezichtigen, was sie sind. Die Grünen werden wegen ihrer Bürgerlichkeit beschimpft, die LINKE wegen ihres Linkspopulismus. Beides ist unproduktiv. Tatsächlich besteht die Rolle der Grünen darin, das sozialliberale Bürgertum zu repräsentieren und es ist die vornehmste Aufgabe der Linkspartei, den Unmut der Exkludierten und Enttäuschten „gegen die da oben“ zu mobilisieren. Daran wird sich nichts ändern. Auch Verweise auf „objektiv“ nicht vereinbare Interessenslagen sind zu einfach. Sie dienen eher dazu, mit geringstem Aufwand, Beifall im jeweils eigenen Milieu zu erheischen. Solche „Abklatsch“-Theorien zur Präferenzbildung argumentieren, dass aufgrund unterschiedlicher sozio-ökonomischer Lage keine politischen Schnittmengen entstehen: Trotz sozialer Rhetorik optierten die Grünen-Wähler_innen im Zweifel für ihre nackten bürgerlichen Interessen und die Linken-Wähler_innen für ihren Geldbeutel. Solche Überlegungen verkennen zentrale Einsichten marxistischer Klassenforschung: Denn auch unmittelbare Interessen müssen erst einmal politisch organisiert und artikuliert werden (klassisch bei Gramsci der Übergang korporatistischer Interessensübereinstimmung zu politischer Organisierung). Nur so lässt sich erklären, dass das Bürgertum einen Staat und z.B. politische Parteien braucht, denen es gelingt bürgerliche Interessen überhaupt zusammen zu setzen und politisch handlungsfähig zu machen. Der negative Volksentscheid zur Gemeinschaftsschule in der Stadt Hamburg kann beispielsweise nicht als eindeutiger Beleg für die notwendig leistungschauvinistische Orientierung der Grünen-Wähler_innen herhalten: Das Problem ist auch, dass es den Grünen nicht gelungen ist, in ihr Milieu zu vermitteln, dass die Gemeinschaftsschule für eine moderne Gesellschaft die soziale und auch volkswirtschaftlich sinnvollere Option ist. Und im Übrigen besteht das größte Problem darin, dass es der sozialen Linken nicht gelungen ist diejenigen, die eigentlich ein Interesse an einer Gemeinschafsschule haben sollten, an die Wahlurnen zu bringen.

3. Doppelstrategie: sozialökologischer Umbau und linkspopulistische Ressourcen

Die einzig aussichtsreiche Möglichkeit für die soziale Linke in der BRD und damit für die Linkspartei besteht aktuell darin, die grüne Herausforderung anzunehmen. Das heißt nicht sich willfährig an das grüne Milieu zu assimilieren. Im Gegenteil: Es geht darum, Konflikte in das grüne Milieu und die grüne Partei hineinzutragen: Ist es eine menschenrechtliche und wirklich friedenssichernde, nachhaltige Außenpolitik, jede Diktatur mit militärischen Mitteln im transatlantischen Bündnis unter Bruch des Völkerrechts zu bombardieren? Ist ein ökologischer Umbau notwendig mit anderen, demokratischen Eigentumsverhältnissen verbunden oder im Gegenteil mit einer Konsolidierung eines ökologischen Mittelstandes? Ist der Schuldenabbau wichtiger oder gute Schulen und Universitäten für alle? Die grüne Herausforderung annehmen, bedeutet für die soziale Linke auch, das grüne Milieu bewusst mit den sozialen Spaltungslinien zu konfrontieren, für die in der neuen grün-volksparteilichen Allgemeinwohl- Prosa kein Platz ist. Es geht perspektivisch um eine Doppelstrategie: Erstens gilt es die grüne Herausforderung anzunehmen und auf ein Mitte-Unten-Bündnis hinzuarbeiten.

Zweitens bedeutet dies eigene Mobilisierungsressourcen zu schaffen, die in der Lage sind, Druck zu entfalten. Paradoxerweise muss das konstruktiv-kritisch Verhältnis zur grünen Hegemonie damit einhergehen, das eigene Standbein — nämlich die linkspopulistische Mobilisierung und das Bündnis mit sozialen Bewegungen — auszubauen. Um Missverständnissen vorzubeugen: Linkspopulismus meint nicht die Mobilisierung von Ressentiment wie es der europäische Rechtspopulismus erfolgreich vormacht. Gemeint ist in einem radikaldemokratischen Sinne: das Wecken von politischen Leidenschaften und die auch emotionale Bedürfnisse ansprechende Formulierung grundsätzlicher Alternativen gegen immer ununterscheidbarere Postulate des politischen Mainstreams. Es ist ein Gerücht und Phantasma alteuropäischer Berufspolitik, dass parteipolitische Strategien immer möglichst „einheitlich“ und „nicht-widersprüchlich“ funktionieren müssen. Das „Doppel“ einer so verstandenen öko-sozialen Paradoxie erkennt im Vergleich zu vielen anderen historischen Varianten der Doppelstrategien an, dass beide Ansatzpunkte nicht notwendig dialektisch miteinander verbunden sind. Die Bezugnahme muss aktiv hergestellt werden, es geht um die Institutionalisierung von Konfliktverhältnissen: Damit zumindest zeitweise zusammen wächst, was nicht notwendig zusammen gehört. Wieso also nicht sozialökologischen Umbau mit einer populistischen und bewegungsorientierten Politik kombinieren und die offen liegenden Widersprüche dieses Doppels produktiv machen?

4. Konkretere Vorschläge

Für die Linkspartei ist eine neue Positionsbestimmung angezeigt. Sie muss sich entscheiden, ob sie die grüne Hegemonie annimmt oder weiter das bekannte Medley aus dem Jahr 2005 anstimmt (Mindestlohn, Rente, Hartz IV). Für ein konstruktiv-kritisches Verhältnis zur grünen Hegemonie wäre es erstens zentral, Reformforderungen in den Mittelpunkt zu stellen, die eine reale Resonanz beim grünen Milieu haben. Dazu zählen eine reformierte Energieversorgung als Einstieg in die Wirtschaftsdemokratie, die Forderung nach umfassender Bildungsteilhabe für alle, durch ein gemeinsames gebührenfreies Lernen, nach einem Grundeinkommen zur Existenzsicherung, eine menschenrechtsorientierte, der Charta der UN verhaftete und auf Ausgleich in der Weltwirtschaft ausgerichtete Außenpolitik, die pazifistisch und internationalistisch ausgerichtet ist sowie längerfristig die Übergangsforderung eines „Red New Deal“, der den „Green New Deal“ der Grünen um die soziale Frage erweitert. Auch das Trias aus der Forderung nach Mindestlöhnen, Sanktionsfreiheit und einer radikalen Arbeitszeitverkürzung könnte hier eine Perspektive eröffnen.

Zweitens die weitere Stärkung des Standbeins als Protestpartei der Exkludierten und Enttäuschten sowie die Bündnisarbeit mit sozialen Bewegungen. Dass das politische System ausnahmsweise bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz funktioniert hat, es also eine reale Auseinandersetzung nach dem Muster „links“ und „rechts“ gab, die entlang von Regierung und Opposition bearbeitet wurde, heißt noch nicht, dass die postdemokratischen Zustände und die Verselbstständigung der politischen Klasse generell aufgehört hat. Die Wahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg erinnern daran, dass die Linkspartei in solchen Situationen ein grundsätzliches Problem hat, für das sie noch Antworten finden muss. Darüber hinaus eröffnet eine konstruktiv-kritische Bezugnahme auf die grüne Hegemonie auch die Spielräume für ein aktives Verhältnis zu den entstehenden Demokratie und Ökoprotestbewegungen. Denn tatsächlich profitieren die Grünen (oft zu Unrecht) direkt von der Arbeit sozialer Bewegungen und aktivistischer Netzwerke. Hier kann die Linkspartei mit einem kritisch-konstruktiven Verhältnis zu grünen Hegemonie auch zu einem realen Instrument werden, um machtpolitischen Druck auf die Grünen zu machen.

Drittens erfordert eine Neuausrichtung der linksparteilichen Strategie sich von schematischen Politikansätzen (Wir vertreten die Bürger_innen, die Arbeiter_innen, die Bäuer_innen, die Studenten_innen und Sportler_innen usw. usf.) zu verabschieden. Gefragt ist eine Führungs- und Vermittlungsleistung, der es gelingt perspektivisch auf ein solidarisches Mitte-Unten-Bündnis hinzusteuern und selbst auf die Konstitution von Interessenslagen und Solidaritäten Einfluss zu nehmen. Während das Nasenrümpfen mancher Grünen-Parteigänger_innen über den „Populismus“ der Linkspartei von einer bestimmten Realitätsvergessenheit zeugt, ist umgekehrt darauf zu bestehen, dass die Linkspartei im Eifer des Gefechts nicht regelmäßig die kulturellen Türen zum sozialliberalen Bürgertum dadurch schließt, dass sie ihre Kraftmeiereien unbändig steigert. Auch innerhalb der Linkspartei wird ein solidarischer Umgang und eine Rücksichtnahme zwischen denen erforderlich sein, die sich für das Projekt eines sozialökologischen Umbaus engagieren und jenen, die an der Profilierung als Protestpartei interessiert sind. Diese Rücksichtnahmen und Solidaritäten müssen praktisch hergestellt werden, sie ergeben sich nicht aus natürlicher Verbundenheit.

Das eigene politische Lager formieren – den sozial-ökologischen Umbau vorantreiben

Beitrag von Andreas Hallbauer und Sascha Schlenzig, geschrieben am 11.04.2011

1. Aus unserer Sicht markiert die Wahlniederlage unserer Partei bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz eine Zäsur. Ein Trend, der bei allen Umfragen (Sonntagsfrage) auf Bundes- und Länderebene, in Ost und West seit über zwei Jahren zu registrieren war, jedoch nicht diskutiert wurde, hat sich jetzt mit aller Macht, gegen uns gewandt. Im Westen verlieren wir deutlich an Rückhalt in der Wählerschaft und im Osten stagnieren wir bestenfalls auf dem Niveau der Landtagswahlen von vor 4 oder 5 Jahren. In einigen Ländern geht sogar auch hier die Unterstützung zurück. Bis auf die Stadtstaaten Hamburg und Bremen befinden sich seit einiger Zeit alle westdeutschen Bundesländer an der, häufig sogar unter, der 5-Prozent-Hürde. Ein Prozess, der sich seit der Jahreswende 2010/2011 noch einmal deutlich verstärkt hat, also klar vor der japanischen Atomkatastrophe. Das weist darauf hin, dass die Partei im Westen noch kein stabiles Fundament hat, dass sie tragen kann. Im Osten hat unsere Partei zwar ein Fundament, hier geht es mit ihrem Einfluss leider aber auch nicht voran.

2. Wenn wir unser sehr gutes Ergebnis bei den Bundestagswahlen 2009 von 11,9 zugrunde legen und unseren steten Abwärtstrend bzw. die Stagnation dagegen halten, dann müssen die Gründe für unsere schwindende gesellschaftliche Ausstrahlungskraft tiefer liegen und von uns entsprechend grundlegender analysiert werden.

3. Für solch eine Analyse muss sich die Partei Zeit nehmen und dem Druck widerstehen, jetzt zu schnellen Antworten kommen zu wollen, die sich nur als Schnellschüsse herausstellen können. Die Logik des innerparteilichen Wettkampfs um Einfluss und Posten trägt aus unserer Sicht nicht dazu bei, eine qualitativ hochwertige Strategiedebatte zu führen. Die Überlagerung der notwendigen politischen Debatte mit Personaldebatten über den Parteivorsitz schadet einer ernsthaften Diskussion zusätzlich außerordentlich.

4. Wir kritisieren zugleich eine politische Haltung, die bei dem aktuellen Umfragetief bestenfalls von einem „Unfall“ und einer „Abweichung“ vom vorgezeichneten Erfolg der Linken ausgeht. Denn wenn wir erfolgreicher wären, dann wäre der Wahltrend ein anderer und wir wären am 27.März in die Landtage eingezogen. Diese „Weiter-so“-Haltung wird ebenfalls in die politische Sackgasse führen.

5. Wir denken, dass niemand in unserer Partei etwas dagegen hat, das die Mitglieder unserer Partei in den Stadtteilen, die besonders von Armut und Ausgrenzung betroffen sind, oder auch in außerparlamentarischen Bewegungen zielgenauer und engagierter mitwirken. Hier könnte und müsste sicherlich mehr geschehen, um die Protest- und Nichtwähler mit unseren politischen Inhalten bekannt zu machen und gemeinsam für soziale Gerechtigkeit und für Frieden zu kämpfen. Auch stellen wir seit langem fest, dass unsere Partei nur auf einem sehr bescheidenen Niveau eigene Kampagnen starten und gemeinsam führen kann. Auch hier könnte noch viel verbessert werden. Aus unserer Sicht wären das jedoch bestenfalls Teilaufgaben im Rahmen eines Gesamtkonzepts. Und dieses politische Gesamtkonzept fehlt der Linken unseres Erachtens. Solch ein politisches Gesamtkonzept jetzt auszuarbeiten, zu popularisieren und auf allen Ebenen zu vertreten – das ist unseres Erachtens die entscheidende Herausforderung für unsere Partei. Nur eine qualitativ hochwertig geführte Strategiedebatte unter Einbeziehung aller in der Partei Engagierten, aber auch interessierter Kräfte von außerhalb, kann aus unserer Sicht diese Herausforderung meistern.

6. Im Rahmen einer gründlichen Strategiedebatte sollten vor allem folgende Fragen geklärt werden: a) was sind die Hauptgründe für unseren schwindenden Einfluss ? b) In welcher gesamtgesellschaftlichen Situation befinden wir uns gegenwärtig c) Welche programmatischen Konsequenzen müssen daraus gezogen werden ? d) Was folgt aus der Analyse für die Bündnispolitik ? e) Was heißt das für den Modus des Politikmachens - bis hin zu den Strukturen der Partei - ?

7. Unser schwindender Einfluss lässt sich nur so erklären, dass unser politisches Angebot für weniger Menschen interessant ist, unser Spitzenpersonal weniger ausstrahlungskräftig und auch unsere Arbeit in Länderregierungen nicht in dem Maße überzeugt als etwa noch zur Zeit der letzten Bundestagswahl. Es ist uns offensichtlich nicht gelungen die Wähler, die wir zu diesem Zeitpunkt erreichten, vollständig an uns zu binden.

8. Dabei müsste dies eigentlich die Stunde einer linken Partei sein, da es offenkundig ist, dass der Kapitalismus sich in einer komplexen Krise befindet , einer Krise der Ökonomie, hier vor allem der Finanzsphäre, der Beschäftigung und des sozialen Zusammenhalts, der Ökologie, der Demokratie und des friedlichen Zusammenlebens. Diese komplexe Krise verlangt allerdings komplexe Antworten, programmatisch, bündnispolitisch, sowie den Modus des Politikmachens betreffend. Wir benötigten dementsprechend ein entsprechend komplexes Gesamtkonzept, über das wir allerdings noch nicht verfügen.

9. Unter einem komplexem Gesamtkonzept verstehen wir ein integriertes mittelfristig ausgerichtetes Konzept, dass den notwendigen sozial-ökologischen Umbau mit Hilfe eines „rot-grünen New Deal“ in den Fokus unsere politischen Arbeit stellt. Die verschiedenen daran interessierten gesellschaftlichen Bewegungen müssten für ein solches Konzept mobilisiert und zusammenführt werden. Unter dem Aspekt der Wählerkonkurrenz betrachtet, haben die Wahlen in BaWü übrigens gezeigt, dass Die LINKE. 33 000 Wähler an die Grünen verloren hat. Daran wird aus unsrer Sicht deutlich, dass die Partei nicht nur mit der SPD, sondern auch vermehrt mit den Grünen um Wähler konkurriert. Für die Berliner Abgeordnetenhauswahlen gab es im Herbst 2010 eine Umfrage die hervorhob, dass sich 40 Prozent der Linken-Wähler vorstellen könnte, die Grünen zu wählen. Ein beachtlicher Wert finden wir. Es ist also aus unserer Sicht falsch, die Ökologie-Thematik lediglich mit richtigen Forderungen zu thematisieren, jedoch unser Engagement weit unterhalb des Niveaus unseres Einsatzes für die soziale Frage zu halten. Hier muss sich etwas grundlegend verändern in unserer Partei. Die LINKE. muss grüner werden, ohne ihr Rot zu verleugnen. Im Gegenteil, beide Farben sollten noch kräftiger leuchten.

10. Der Forderung nach Entwicklung und Verbreiterung eines "rot-grünen New Deal" ist an verschiedenen Stellen entgegengehalten worden, dass darüber schon vor 20 Jahren debattiert wurde und dass es einen solchen ja schon gäbe, bei den Grünen nämlich und das die LINKE, wenn sie dies auch thematisiere, nur noch zum Abklatsch der Grünen werden würde. Richtig ist, dass über einen "rot-grünen New Deal" schon seit längerem immer wieder mal diskutiert wird, nicht erst seit heute. Das sagt aber natürlich noch gar nichts über die Qualität eines solchen Konzeptes aus. Man muss da schon genauer hinsehen. Tut man das, dann wird man feststellen das es einen rot-grünen New Deal als mittelfristiges Politikkonzept einer Partei eben noch nicht gibt. Die Grünen nennen ihren Vorschlag ja übrigens auch “Green New Deal”. Wie bei den Grünen, die im wesentlichen eine Mittelschichtspartei sind, nicht anders zu erwarten, ist das Soziale – im engeren wie im weiteren Sinne - völlig unterbelichtet. Die Grünen kämpfen für einen grünen Kapitalismus. Aus linker Perspektive kann der sozial-ökologische Umbau jedoch nur ein Projekt zur Überwindung der Profitdominanz und Transformation des Kapitalismus sein.

11. Eine linke Partei müsste für den sozial-ökologischen Umbau deshalb natürlich ein Konzept vorlegen, dass vor allem Ökologie und Soziales integriert, die Demokratie wesentlich erweitert und ihn auch außenpolitisch durch eine entsprechende Friedenspolitik flankiert, einen “rot-grünen New Deal” eben.

Wie die Konturen eines “rot-grünen New Deal” unseres Erachtens aussehen:

Ein solches Politikkonzept sollte die verschiedenen gegen das kapitalistische System und seine Auswirkungen gerichteten Bewegungen zusammenführen, also etwa gewerkschaftliche, Sozial- und Umweltbewegung. Des weiteren sollte es programmatisch und aktionsorientiert sein und last but not least sollte es einerseits im Hier und Heute ansetzen und zugleich Türen für weitergehende gesellschaftliche Veränderungen aufstoßen. Zu den programmatischen und politischen Elementen eines solchen Politikkonzeptes gehörten etwa die folgenden Bausteine:

1. Der Ausbau des Sozialstaats auf das ursprüngliche skandinavische Niveau mit den Zielen Vollbeschäftigung, Ausbau des öffentlichen sozialen Dienstleistungssektors, Arbeitszeitverkürzung sowie soziale Grundsicherung und Mindestlohn.

2. Der ökologische Umbau insbesondere des Energie- und des Verkehrssystems, darunter auch die Einführung eines Ökoautos an Stelle der Benzinschleuder. Hierzu gehört natürlich auch die Durchsetzung des Ausstiegs aus der Atomenergie. Der Klimaschutz durch energetische Sanierung und generell eine ökologische Wirtschafts- und Industriepolitk bedürfen einer starken staatlichen Steuerung und der Eingriffe in die privaten Eigentumsrechte. Auch die öffentlichen Investitionen und das Vergaberecht müssen noch stärker nach ökologischen Gesichtspunkten ausgerichtet werden.

3. Die Re-Regulierung der Finanzmärkte und die Umverteilung des Reichtums von oben nach unten durch eine soziale Steuerpolitik. dazu gehört auch und insbesondere eine dauerhafte Erhöhung der Staatsquote.

4. Die Ausweitung der Demokratie insbesondere der Wirtschaftsdemokratie. dazu gehörte vor allem die früher vom DGB geforderten Wirtschafts- und Sozialräte, die um Umwelträte zu erweitern wären.

5. Eine Friedens- und Außenpolitik, die dem sozialen und friedlichen Ausgleich der Interessen verpflichtet ist und an die besten Traditionen Willy Brandts anknüpfen sollte

6. Die Verbindung von parlamentarischem und außerparlamentarischem Kampf. Darunter die Installation eines dauerhaften Austauschs zwischen Partei und außerparlamentarischen Bewegungen.

In der Geschichte der Arbeiterbewegung sind solche Etappenkonzepte immer wieder einmal diskutiert worden. Aus der sozialistischen und kommunistischen Bewegung sind z.B. bekannt die “Strategie der Übergangsforderungen”, die “Arbeiterregierung”, bzw. “Arbeiter- und Bauernregierung”, die “Volksfrontpolitik”, die “antimonopolitische Demokratie” und als ein wichtiger Debattenbeitrag Ende der 80-iger Jahre die “Reformalternative” von Jörg Huffschmid und Heinz Jung.

12. Eine umstrittene Frage in unserer Partei ist in diesem Zusammenhang, welchem politischen Lager wir uns zuordnen ? Seitdem wir auf Bundesebene gemeinsam mit SPD und Grünen in Opposition zum schwarz-gelben Lager stehen, wurde lange Zeit über ein gemeinsames rot-rot-grünes Lager diskutiert, dass es zu formen gelte. Diskussionen gab und gibt es darüber, welche politischen Ansätze die besten wären, damit ein rot-rot-grünes Lager einen Politikwechsel bewerkstelligen könnte. Aus unserer Sicht gab und gibt es hier gegenwärtig viel Wunschdenken in unserer Reihen. Denn bis zum heutigen Tag ist unklar, welche inhaltliche Grundlage solch ein rot-rot-grünes Bündnis haben könnte. Zudem ist die SPD der Auffassung, dass Die LINKE. - aus ihrer Sicht nachvollziehbar - in einer politisch abhängigen Position gehalten werden muss. Aufgrund der schwachen Stellung der schwarz-gelben Bundesregierung und dem erstarken der Grünen ist eine Wiederbelebung des rot-grünen Regierungslagers nicht nur möglich, sondern im Hinblick auf die Bundestagswahlen 2013 auch wahrscheinlich. Um überhaupt Einfluss auf die Ausrichtung der rot-grünen Politik nehmen zu können, muss die Partei daher daran gehen ihr eigenes „drittes Lager“ zu formieren. Solch ein politisches Lager könnte, eine entsprechende Stärke vorausgesetzt, einerseits Bündnispartner von SPD und Grünen und damit Bestandteil des rot-grünen Lagers sein und müsste andererseits zugleich darüber hinaus weisen. Nur so könnte die LINKE Motor progressiver Veränderungen werden.

13. Wenn es bei Konzepten des sozial-ökologischen Umbaus Schnittmengen mit Vorstellungen der Grünen oder auch der SPD gäbe, dann wäre das natürlich gut. Denn aus unserer Sicht bedarf es einer progressiven Allianz wahrscheinlich aus SPD, Grünen und Linkspartei um die Realisierung des sozial-ökologischen Umbaus durch parlamentarische Mehrheiten abzusichern. Wenn also Elemente einer richtigen Politik bei Grünen und SPD auftauchen, kann das für die gesellschaftliche Verankerung von progressiven Konzepten des sozial-ökologischen Umbaus natürlich nur nützlich sein.

14. Zur Formierung ihres eigenen Lagers muss DIE LINKE aus unserer Sicht mit ihrem Sympathisanten und den Bewegungen, die ihre Themen befördern, dringend in einen engeren Austausch treten und das regelmäßig. Die außerparlamentarischen Bewegungen müssen wissen, dass sie auf unsere Partei zählen können. Warum nicht einmal im Jahr einen oppositionellen Ratschlag auf Bundesebene organisieren, mit Vertretern aus Gewerkschaften, Sozial- und Umweltbewegungen und kritischer Intelligenz ? Beginnen sollten wir mit einer Konferenz zu Konzepten des sozial-ökologischen Umbaus.

15. In diesem Kontext sollte die Partei auch ihre eigenen Arbeitsstrukturen überdenken: Um der Komplexität der gegen die Auswirkungen des Kapitalismus gerichteten Bewegungen gerecht zu werden, sollten den verschiedenen Politikbereichen, den Arbeitsgemeinschaften in der Partei und aus der Partei hinaus eine größere Bedeutung eingeräumt werden. Diese Arbeitszusammenhänge sind es schließlich, die mit den außerparlamentarischen Bewegungen am besten kommunizieren können. Die Partei sollte also im besten Sinne auch selbst zu einer „Mosaik-Linken“ (Hans-Jürgen Urban) werden.

16. Wenn erste Aktivitäten in die von uns skizzierte Richtung auch noch nicht den Zuspruch erfahren, den wir uns erhoffen, darf man sich dennoch nicht abschrecken lassen. Wir sind fest davon überzeugt, dass zumindest auf mittlere Sicht kein Weg an einem solchen Vorgehen vorbeiführt. Es gibt für entsprechende Aktivitäten ein Zeitfenster, wo dem zwar niemand weiß, wie lange es auf ist. Ewig wird das aber nicht der Fall sein. Sollte das von uns umrissene Vorhaben jedoch nicht in Angriff genommen werden, droht aus unserer Sicht der Partei der weitere Absturz. Da wäre es doch besser, die Krise als Chance zu nutzen.

Berlin, im April 2011

Andreas Hallbauer und Sascha Schlenzig sind Mitglieder der Partei DIE LINKE im Landesverband Berlin

keine Häme.

Beitrag von Thomas Lohmeier, geschrieben am 04.04.2011

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FDP, Schwarz-Grün

Eigentlich wäre es ein Grund zu frohlocken. Westerwelle, neoliberaler Wadenbeißer seit den frühen 1980er Jahren, ist als FDP-Chef zurückgetreten worden. Dabei fuhr der Mann, der maßgeblichen Anteil daran hatte, dass die FDP zu einer Ein-Punkt-Partei wurde, mit seiner Steuersenkungspartei vor anderthalb Jahren noch mehr als 14% bei der Bundestagswahl ein - das beste Ergebnis, das die FDP je bei einer Bundestagswahl erzielte. Und nun? Soll alles falsch gewesen sein? Dass Parteien, die in erster Linie mit einem Thema assoziiert werden, durchaus erfolgreich sein können, haben die Grünen gerade bewiesen: Das Thema Atomausstieg beflügelte die Umweltpartei in der vergangenen Woche derart, dass sie in Baden-Württemberg ihren ersten Ministerpräsidenten wird stellen können.

Sicher, die Ergebnisse der FDP bei den letzten Wahlen waren nicht berauschend. Aber Wahlniederlagen bei Landtagswahlen und schwache Umfragewerte von Regierungsparteien sind nun wahrlich keine Seltenheit. Das muss einen erfahrenen Fahrensmann nicht von Bord werfen. Warum also hat die bürgerliche Presse Westerwelle nicht mehr zugetraut, das Schiff FDP weiter als Kapitän zu manövrieren? Themen kommen und gehen schließlich und bis 2013 hätte es die Parole “Steuern senken!” mit Sicherheit wieder auf die Agenda geschafft - nicht zuletzt durch die aktive Mithilfe von FAZ, Springer und Co.

Die Atom-FDP wird abgeschaltet

Ein kurzer Themenwechsel: Wer die Presse diese Woche aufmerksam verfolgt hat, dem wird nicht entgangen sein, wie FAZ-Hausgeber Frank Schirrmacher am 28. März 2011 in einem Artikel mit der Atomenergie abgerechnet hat. Ähnlich auch Gero von Randow am 27. März 2011 in der ZEIT. Die Sonntags-FAZ rief zuvor praktisch zur Wahl der Grünen in Baden-Württemberg auf und selbst die BILD ging Handzahm mit Winfried Kretschmann und seiner Partei um. Doch was hat das mit der FDP und Guido Westerwelle zu tun? Die Antwort liegt auf der Hand: Ob Westerwelle geht oder nicht, ist im Grunde schon längst egal. Er ist nur das eilig von der Partei dargebotene Bauernopfer. Die FDP hat nun - allem Anschein nach zu spät - realisiert, dass sich weite Teile des konservativen Bürgertums von ihr ab- und den Grünen zuwenden. Indem sie Westerwelle zum Verzicht drängt, glaubt die Partei, die Zuneigung der Chefstrategen der bürgerlichen Presse zurück gewinnen zu können.

Die Atomfrage stand einem schwarz-grünen Bündnis bislang im Weg - undenkbar, dass die Grünen mit der Union, die ohne inhaltliche Begründung den halbherzigen rot-grünen Atomkompromiss auf Wunsch der großen Energieversorger aufgekündigt hatte, nach 2013 eine Koalition auf Bundesebene eingehen würde können. Der Ausstieg aus dem rot-grünen “Atom-Ausstieg” machte dies unmöglich. Angetrieben von ihren eigenen Zweifeln nach Fukushima und getrieben von den WählerInnen in Baden-Würtemberg, haben Schirrmacher und Co. nun die Zeichen der Zeit erkannt: Die Atom-FDP wird abgeschaltet und die Grünen sollen die erneuerte Energie liefern, die die Schwarzen an der Regierung halten soll.

Neuer Energielieferant: Die Grünen

Und es gibt tatsächlich politische Projekte, die beide Parteien verbinden: Ein schwarz-grünes Bündnis könnte einen historischen energie-, umwelt- und verkehrspolitischen Kompromiss auf Kosten der lohnabhängigen Beschäftigten erzielen. Sicherlich, ihre jeweiligen Milieus fremdeln noch miteinander - doch die klassenpolitische Lage ihrer Wähler, eine soziologische Kategorie, die Kretschmann noch aus seinen Zeiten als KBW-Aktivist geläufig sein sollte, lässt auf kompatible Interessenlagen schließen. Sobald der Streit um die Atomenergie in einem neuen Energiekonsens ad acta gelegt ist, stehen einem schwarz-grünen Bündnis keine fundamentalen Streitpunkte mehr im Wege. Die Atomfrage als gesellschaftlichen Streitpunkt abzuräumen, um schwarz-grün als politische Option nach 2013 zu ermöglichen, darum wird es in den kommen Wochen gehen.

Die eigentlich spannende Frage ist, wie die Parteien mit dieser Entwicklung umgehen. Die Union wird´s freuen, eine neue Bündnisoption zu erhalten, die sie schon leichtfertig verspielt hatte. Die FDP versucht hingegen gerade panikartig, sich vom Image der monothematischen Protestpartei der Superreichen und der A-Klasse zu befreien. Ob das tatsächlich hilft oder ob sie so nicht auch noch den letzten an das neoliberale Dogma glaubenden BWL-Studenten verprellt, ist allerdings noch keineswegs ausgemacht.

Erwächst aus den Trümmern der alten SPD ...

Auf der anderen Seiten der politischen Spektrums bemerkt die SPD gerade zu recht, dass ihr Führungsanspruch in diesem Lager durch den aktuellen Wahlsieg der Grünen radikal in Frage gestellt ist. Ihre Stärke zeigte die SPD stets, wenn sie als große Strategin des Sowohl-als-auch zwischen den Ansprüchen einer radikalisierten ArbeiterInnen- oder StudentenInnenbewegugen und den Erfordernissen des Kapitals vermitteln konnte. Aber jetzt, wo es keine kommunistische ArbeiterInnen-Bewegung mehr gibt, kein Sozialismus, und sei es ein autoritärer, mehr eine reale Gefahr für die Macht des Kapitals darstellt, kein Student mehr Ho-Ho-Ho-Chi-Minh rufend durch die Straßen hüpft, ist sie auf die Funktion als Sachwalterin der Interessen der ArbeiterInnen in der Automobilbranche und der BeamtInnen im öffentlichen Dienst zurückgeworfen - ein Milieu, das auch genauso gut von der Union bedient werden kann. Ihre Wahlergebnisse entsprechen diesem Trend. Noch weigern sich die SozialdemokratInnen, deren Jahrhundert schon seit einiger Zeit zu Ende gegangen ist, dies anzuerkennen. Deshalb feiern sie Wahlniederlagen wie Siege, sobald ihnen die Grünen nochmals eine Regierungsbeteiligung ermöglichen. Andrea Nahles` Dauergrinsen nach den Wahlen im Südwesten in der Berliner Runde ist ein Beleg für diesen Realitätsverlust.

... ein neuer links-grüner Hegemon?

Spannend ist daher weniger, wie sich die SPD, sondern vielmehr, wie sich LINKE und Grüne zu den neuen Entwicklungen verhalten. Die neue Größe der Grünen birgt entgegen der Intention von Schirrmacher und Co. nicht nur eine schwarz-grüne Option, sondern auch die einer neuen Führung im Lager diesseits von Schwarz-Gelb. Sollte die LINKE es schaffen, sich eine moderne Sozialpolitik zu verordnen, die die Wandlungen der Arbeit der letzten dreißig Jahre programmatisch aufgreift und nicht weiter versucht, mittels fordistischer Sozialpolitik soziale Missstände in postfordistischen Verhältnissen zu lösen, eine Umweltpolitik zu entwerfen, die Rekommunalisierung mit Sozialisierung der Energieversorgungsunternehmen verbindet, sowie eine liberale Bürgerrechtspolitik zu betreiben, dann könnte sie vielleicht sogar gemeinsam mit den Grünen die SPD als Hegemon im linken parteipolitischen Lager ablösen. Eine Chance, die sich hoffentlich weder die Grünen noch die LINKE entgehen lassen. Eine von Grünen und LINKEN entwickelte sozial-ökologischen Reformpolitik könnte einen unwiderstehlichen Charme entwickeln, der es gelingt eine kulturelle Hegemonie zu entfalten und gesellschaftliche Mehrheiten zu gewinnen.

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